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Welche Vertragsverlängerung für die Bauarbeiter?

Eingereicht on 18. November 2022 – 12:05

Sofia Ferrari. Die Mobilisierungskampagne der Bauarbeiter für die Erneuerung des Landesmantelvertrages (LMV) endete mit einer Demonstration vor dem Hauptsitz der Bauunternehmer in Zürich. Eine Mobilisierung, die die Licht- und Schattenseiten der gewerkschaftlichen Strategie und des Zustands in diesem Sektor ans Licht brachte; dies ist wesentlich, um die möglichen Entwicklungen der Situation zu verstehen.

Von der guten Mobilisierung in der Westschweiz und im Tessin…

Zweifellos waren die Mobilisierungen für die Erneuerung des LMV im Tessin und in der Westschweiz wichtig und kämpferisch, wenn auch innerhalb der traditionellen Grenzen.

Die Beteiligung an den Demonstrationen im Tessin (ca. 2.500) und in der Westschweiz (6-7.000) war gut, sehr kämpferisch und so gross, dass die Produktion praktisch zum Erliegen kam. Tatsächlich blieben die Baustellen bis auf wenige Ausnahmen geschlossen.

Die Vorbehalte gegenüber solcherart von Mobilisierungen – die sich nun schon seit Jahren hinziehen – besteht darin, dass sie einmalig sind: Sie dienen dazu, Muskeln zu zeigen, die dann nicht kontinuierlich trainiert werden können – oder wollen.

Mit anderen Worten, wie schon mehrmals in der Vergangenheit, wird ein Streiktag ausgerufen, ohne dass der Kampf über diesen hinaus verlängert wird; nur die Uninformierten oder diejenigen mit einem sehr kurzen Gedächtnis haben entdeckt, dass die Bauarbeiter im Tessin und anderswo wissen, wie man streikt. In den vergangenen Jahren gab es noch zahlreichere und kämpferischere Mobilisierungen. Solche Mobilisierungen werden nicht als Ausgangspunkt einer Mobilisierung, sondern deren Endpunkt verstanden, in der Hoffnung, dass die Bosse am Ende ihre Position ein wenig ändern werden.

Es genügt, daran zu erinnern, dass in der Vergangenheit oft und sogar nach Mobilisierungen dieser Art die Verhandlungen nicht fortgeführt wurden und die Unternehmer daraufhin ihren eigenen Weg gegangen sind, indem sie die bestehenden Arbeitsbedingungen aufrechterhalten und den Unternehmen die Lohnerhöhungen empfohlen haben, die sie für angemessen hielten. Eine gefährliche Situation für die Gewerkschaften, zumindest kurzfristig, vor allem dann, wenn die Nichtverlängerung des LMV für die konkreten Bedingungen der Arbeiter nicht ein gefährlicher Rückschritt bedeuten würde.

…auf die sehr schlechte Situation in der Deutschschweiz

Im Herzen des Baugewerbes (Bern, Zürich, Basel, Aargau, St. Gallen) hatten wir insgesamt rund 3.000 Teilnehmer an den Gewerkschaftsdemonstrationen. Sehr wenig, wenn man bedenkt, dass diese Region das Herzstück der Bautätigkeit in unserem Land ist, wo die grosse Mehrheit der Arbeiter, die dem LMV angeschlossen sind, lebt und arbeitet.

Dies sind auch die Regionen, die politisch entscheidend sind. In diesen ihren Bastionen schätzen die Bosse die Kräfteverhältnisse und deren Entwicklung anhand der gewerkschaftlichen Aktionsfähigkeit ein. Aufgrund dieser Lagebeurteilung entscheiden sie, wieweit sie am Verhandlungstisch Zugeständnisse machen müssen.

Und unter diesen Bedingungen kann man sagen, dass sich das Kräfteverhältnis in den Augen der Bosse nicht entscheidend verändert hat. Diese Dinge sind in der Gewerkschaftsbewegung bekannt, insbesondere in der UNIA, deren schwache Präsenz an den Arbeitsplätzen in wirtschaftlich entscheidenden Regionen seit mindestens 30 Jahren thematisiert wird – damals hiess sie noch GBI. In Wirklichkeit wurde dieses Problem, insbesondere unter der langjährigen Leitung von Vasco Pedrina, nie angegangen, geschweige denn gelöst.

Die Baumeister in der Offensive…

Interessant ist die Art und Weise, wie die Chefs ihre Position zu der aktuellen Erneuerung des LMV entwickelt haben. Besonders hervorzuheben sind die Angriffsposition und die Konzentration der Forderungen der Baumeisteer auf die grundsätzliche Frage der flexiblen Arbeitszeiten.

Nicht dass die geltenden Vorschriften in der überwiegenden Mehrheit der Regionen des Landes keine ausreichende Flexibilität zulassen würden; im Gegenteil, die schwache Präsenz der Gewerkschaften am Arbeitsplatz und das Fehlen einer Arbeitsinspektion, die diesen Namen verdienen würde, lassen in den meisten Kantonen die Feststellung zu, dass leider in der überwiegenden Mehrheit der Fälle nicht einmal die geltenden Vorschriften eingehalten werden. Die „Skandale“ und „Beschwerden“, die oft auftauchen (man denke an die berühmte Gerüst-Affäre im Fall Argo im Tessin), sind nur die Spitze des Eisbergs.

In Wirklichkeit hatten und haben die „überzogenen“ Vorschläge der Baumeister (die dann in dieser überrissenen Form von den Gewerkschaften abgelehnt werden, wie das Beispiel der 58-Stunden-Woche zeigt) zwei Ziele:

Einerseits sollen die Vorschläge der Gewerkschaft neutralisiert werden, die sich auf denselben Bereich der Arbeitszeit beziehen (insbesondere die Bezahlung der Fahrtzeit von der Abholstelle zur Baustelle), mit dem Ziel, ein Unentschieden zu erreichen, bei dem sowohl die überzogenen Vorschläge der Baumeister als auch die der Gewerkschaften abgelehnt würden.

Zum anderen, und das ist ein noch wichtigeres Ziel, die Lohnforderungen der Gewerkschaften zu dämpfen. Und in der Tat, die Lohnforderung – 260 Franken monatliche Erhöhung für alle, was einer Erhöhung von etwa 4,5 % des nationalen Durchschnittslohns entspricht – wurde nicht deutlich gemacht, nicht einmal bei den jüngsten Mobilisierungen.

Sie scheint uns jedoch eine zentrale Forderung zu sein, nicht nur wegen der rasanten Inflation, unter denen die Lohnabhängigen in diesem Land zu leiden haben, sondern auch angesichts des geringen Lohnausgleichs, der in den letzten Jahren in diesem Sektor gewährt wurde, und zwar aus den eingangs genannten Gründen.

…Gewerkschaften in der Abwehr

Die Logik dieser Vertragsverlängerung war auf Seiten der Gewerkschaften rein defensiv. In der Überzeugung, dass sie nicht viel erreichen können, zogen sie es vor, alles auf die Verteidigung des Status quo zu konzentrieren, insbesondere im Hinblick auf die Regelung der Arbeitszeit, die so genannte Flexibilität.

Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass die gewerkschaftliche Mobilisierung erst sehr spät einsetzte und sich jetzt wohl erschöpft hat. In der Tat scheint es schwer vorstellbar, dass Ende November eine neue Mobilisierungskampagne in Bezug auf Intensität und Dauer viel weiter gehen könnte – und dies müsste sie, wenn sie denn eine Chance auf Erfolg haben soll – als das, was in den letzten Wochen durchgeführt wurde. Vor allem in den grossen Agglomerationen der Deutschschweiz wäre ein Umdenken bei der Mobilisierungsfähigkeit nötig. Was im Moment sehr unwahrscheinlich erscheint.

Es ist also mit einer langwierigen Verhandlungsphase zu rechnen. Die Unternehmer haben kein Interesse an einem schnellen Abschluss, da sie von einem nicht allzu langen vertraglichen Vakuum nur profitieren würden. Nimmt man einmal an, die Verhandlungen führen bis Ende Jahr zu einem Ergebnis, so wird dies vermutlich zu gewerkschaftlichen Zugeständnissen bezüglich der «Flexibilität» führen und im Gegenzug unbedeutende Kompromisse bezüglich Lohnerhöhungen mit sich bringen.

Ein alles andere als glänzendes Ergebnis für die Erneuerung des LMV in einem Sektor, der in den letzten Jahren expandiert und hohe Profite erzielt hat und auf den sich nicht einmal die Pandemie übermässig negativ ausgewirkt hat. Dies ändert aber nichts daran, dass die Gewerkschaftsführungen dieses klägliche Ergebnis als Erfolg anpreisen werden!

Quelle: mps-ti.ch… vom 17. November 2022; Übersetzung und leichte Änderungen durch Redaktion maulwuerfe.ch

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