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Schweizer Asylgesetz: Eine Wahl zwischen zwei Übeln

Eingereicht on 18. Juni 2016 – 8:36

Die Annahme der Revision des Asylgesetzes durch die StimmbürgerInnen wird als Niederlage der SVP gehandelt. Für die Kräfte am linken Rand blieb in der Debatte im Vorfeld wenig Raum.

Es gälte grundsätzlich den politischen Fokus zu verschieben.

BastianOff. Treffender als der 20-Minuten-Frontseitenartikel vom Montag nach den Abstimmungen hätte man es nicht ausdrücken können: «Ohrfeige für die SVP (…) grosser Gewinner der Abstimmungen ist der Bundesrat.» Diese Worte zeigen wunderbar die beiden diskursiven Pole der Abstimmung über die Revision des Asylgesetzes auf. Daneben haben wir eine kleine, marginalisierte Linke, welche machtlos versuchte, die Debatten in ihrem eigenen Sinne umzudeuten.

Die Abstimmung über die Revision des Asylgesetzes spaltete die Linke in der Schweiz. Grundsätzlich kann man sagen, je näher eine Organisation an einer Regierungsbeteiligung ist, desto eher stimmte sie der Revision zu, wie die SP, die Grünen und die Juso. Viele andere, so die Bewegung für den Sozialismus, das linke Bündnis BastA und die

Alternative Linke haben sich für ein Nein am

  1. Juni entschieden. Was alle einen dürfte, ist, dass niemand so wirklich glücklich mit seiner Entscheidung war. Die Abstimmung zeigt ein klares Problem, dass die Linke in der Schweiz mit ihrem eigenen Verhältnis zur offiziellen Politik hat.

Ja oder Nein?

Ich kann mir hier nicht anmassen die ganze Debatte, die sachlichen Argumente und die juristischen Spitzfindigkeiten repräsentativ wiederzugeben, das wurde auch schon an vielen anderen Stellen viel besser gemacht. Es soll in erster Linie um strategisches, also grundsätzliche Fragen gehen. Dass die SP als staatstragende Partei in einer Koalitionsregierung mit drei anderen, bürgerlichen Parteien ihre Ideale in der Asylfrage immer wieder hintanstellt, überrascht nicht. Zulezt weigerte sich die SP sogar, die Flüchtendenfrage im letztjährigen Wahlkampf zu thematisieren, wohl weil es ein zu unpopuläres Thema war. Die Quittung für ihre (im besten Falle) Halbherzigkeit hat die SP ja damals bereits ausgestellt bekommen. Die parlamentarische Linke marginalisiert sich zusehends im Diskurs. Sogar bei der Ausschaffungsinitiative konnte ihr ein neoliberaler Thinktank wie die Operation Libero die Show stehlen.

Also mal von der SP abgesehen, welche diesen ganzen Quark ziemlich willig mitmacht, sah der Rest von uns sich gezwungen, entweder eine Verschärfung des Asylgesetz zu unterstützen, denn – an diesem Fakt kann man sich nicht vorbei reden – schnellere Verfahren bedeuten hier in erster Linie effizienteres Ausschaffen, oder mit der SVP zusammen dagegen zu ziehen. Nun hätte bei einer Ablehnung der Revision wohl kaum jemand an die kleinen Linken Splittergruppen und ihre Unbeugsamkeit gedacht, sondern dieses Ergebnis in erster Linie als Sieg der SVP und ihrem Wunsch nach einer noch härteren Gangart in der Asylfrage gedeutet. Was wir auch machten, wir machten es nicht richtig. Unter anderem die Jungen Grünen hatten eine moralisch saubere Option gewählt indem sie empfahlen, leer einzulegen. Die politische Wirkung einer solchen Aktion ist wahrscheinlich auf ein bisschen PR wegen kreativer Parolenfindung beschränkt, hat aber schon mal erkannt, das weder die Linke noch Flüchtende von einem Ja oder Nein profitieren werden.

Der falsche Referenzrahmen

Das Grundproblem, an dem fast ausnahmslos alle linken Organisationen mit ihren Positionen scheitern ist die Fixierung auf die offizielle Politik. Damit ist nicht die Beteiligung an Wahlen, Abstimmungen etc. im Allgemeinen gemeint, sondern eine Fixierung auf diese Prozesse als einzige, oder im Falle der linkeren Varianten, zumindest als entscheidende Manifestation politischer Prozesse. Indem diese Prämisse des schweizerischen Kapitalismus akzeptiert wird, mit wie viel Kritik spielt gar keine Rolle, schiebt sich die Linke selbst in unangenehme Situationen wie die jetztige. Ein weiteres Problem, dass der Parlamentarismus mit sich bringt, ist die Isolation der Kritik auf einzelne unliebsame ExponentInnen anstatt auf den Gesamtzusammenhang. In der Juso zum Beispiel war eines der grossen Argumente, Ja zu stimmen, die Furcht, die SVP könnte einen weiteren Sieg erringen. Als ob die rassistische und menschenverachtende Asylpolitik der Schweiz einzig das Kind der SVP wäre. Tatsächlich trugen und tragen alle in der Regierung vertretenen Parteien die Asylpolitik mit, nicht zuletzt die sozialdemokratische Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die ja dem EJPD vorsitzt.

Den Fokus verschieben

Es sind nicht böse Absichten oder offener Fremdenhass, welche die Asylpolitik bestimmen, sondern die Verwertungslogik des Kapitals. Für MigrantInnen, welche weder besonders gutes Ausbeutungsmaterial sind, noch ihr eigenes Vermögen mitbringen, ist in der Festung Europa kein Platz. Sogar diese Logik sprechen die meisten Regierenden nicht aus, aber sie handeln nach ihr, weil sie sich als ökonomischer Sachzwang allen aufdrückt, welche sich der Verwaltung des Kapitalismus und nicht seiner Überwindung widmen. Das Tragische an der Flüchtendenkrise ist, dass die meisten Beteiligten das Leid, das ihre Politik anrichtet zwar sehen und bedauern, aber keinerlei Optionen haben, ihr Handeln zu ändern.

Solange grosse Teile der Linken die menschenverachtende Asylpolitik nicht als logisches Produkt des Kapitalismus und damit auch als notwendigen Sachzwang des kapitalistischen Staates, sondern nur als Fremdeinwirkung rassistischer Kräfte von rechts begreifen, kann keine klare Perspektive in diesem Kampf aufkommen. Die Verwirrung und der Unmut, die heute herrschen, sind ein direktes Produkt einer tiefgreifend falschen Analyse. Anstatt zu versuchen, in den Machtkämpfen der Bürgerlichen zu manövrieren, könnte sich die Linke auch einfach auf die Kämpfe der Flüchtenden, der ArbeiterInnen und der vom Kapitalismus Marginalisierten konzentrieren.

Quelle: Vorwärts vom 17. Juni 2016

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