Die politische Krise Spaniens und ihre Dynamiken
Christian Gebhardt. Das Superwahljahr 2015 endete für die SpanierInnen mit den Parlamentswahlen am 20. Dezember, bei welchen das über Jahrzehnte bestehende Zweiparteiensystem abgestraft wurde. Mit 28,7% verlor die „Partido Popular” (PP) ihre absolute Mehrheit und die sozialdemokratische „Partido Socialista Obrero Español“ (PSOE) landete mit großen Verlusten bei 22,0%. Gleichzeitig gelang zwei Parteien der erstmalige Einzug ins Parlament. Die links-populistische PODEMOS rund um Pablo Iglesias erhielt 20,7%, die rechts-liberale Ciudadanos (BürgerInnen) 13,9%.
Trotz Rückkehr eines Wirtschaftswachstums von 3,5% im Jahr 2015, welches von ÖkonomInnen als „robust” charakterisiert wird, bleibt die Arbeitslosenquote weiterhin im europäischen Vergleich hoch bei 20,9%. Unter Jugendlichen liegt sie sogar bei 40,5%. Vier Jahre starker Haushaltskürzungen haben die Sozialsysteme stark getroffen. Fast 13 Millionen Menschen stehen vor Armut und sozialer Ausgrenzung in Spanien: 3 Millionen mehr als noch 2007. Ein Viertel aller Kinder läuft Gefahr an Unterernährung und die ökonomische Ungleichheit wächst schneller als in den meisten anderen Ländern der Europäischen Union. Kein Wunder, dass ein großer Teil der Bevölkerung – darunter vor allem die Jugendlichen – stark von den alten Parteien abgestoßen ist und sich auf die Suche nach klaren und tiefgreifenden Änderungen begibt. Hierbei spielt vor allem ein Ende der Sparmaßnahmen eine wichtige Rolle.
Direkt nach den Wahlen im Dezember lud König Felipe VI. den bisherigen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy (PP) dazu ein, eine neue Koalition zu formen. Dieser lehnte das Angebot aber auf Grund einer realistischen Betrachtung der politischen Lage direkt ab. Der Auftrag wurde daher der PSOE rund um ihren Vorsitzenden Pedro Sánchez übertragen. Der Vorschlag bestand zu Beginn aus einem Dreierbündnis zwischen PSOE, Ciudadanos und PODEMOS, welches von Seiten PODEMOS’ nach einer Mitgliederbefragung abgelehnt wurde. Der Versuch der Bildung einer Minderheitsregierung aus PSOE und Ciudadanos scheiterte danach bei zwei aufeinanderfolgenden Abstimmungen im Parlament. Gesetzlich heißt dies, dass es zum ersten Mal in der Geschichte des spanischen Staates zu Neuwahlen aufgrund von gescheiterten Koalitionsverhandlungen kommen wird. Diese finden am 26. Juni statt.
Koalitionsverhandlungen
Trotz ihres schlussendlichen Scheiterns zeigten die Koalitionsverhandlungen deutlich auf, wie stark die spanische Politik von Konflikten geprägt ist. Während der Verhandlungen um eine große Koalition zwischen PP und PSOE standen die jeweiligen Machtinteressen sowie aktuellen Korruptionsskandale rund um Rajoy und seiner Partei im Vordergrund. Die PSOE versuchte, ihr soziales Profil zu stärken, und forderte neben der Abkehr von Sozialkürzungen auch den Rücktritt Rajoys.
Als die Versuche zur Bildung einer Großen Koalition scheiterten, versuchte Sánchez sein Profil und das seiner Partei gegenüber PODEMOS zu stärken und diese als Verweigerin eines Kompromisses darzustellen. Durch den Vorschlag der Mitte-Rechts-Regierung sollte Druck auf PODEMOS ausgeübt werden. Selbst stellte man sich als einzige gewillte und kompromissbereite Partei dar, welche die Bildung einer handlungsfähigen Regierung anstreben würde: dies alles auf dem Altar des viel erwähnten, zarten Pflänzchens der wirtschaftlichen „Erholung”.
Mit der Frage konfrontiert, ob nun eine Mitte-Rechts-Regierung gebildet werden sollte, hielt PODEMOS eine Mitgliederumfrage ab. Diese sollte darüber entscheiden, ob eine solche Koalition angestrebt werden sollte oder nicht. Mit 88% sprach sich die „Basis” von PODEMOS klar gegen diese Koalition aus. In einer parallel dazu abgehaltenen Abstimmung sprachen sich 95% für die Bildung einer „Linksregierung” aus PODEMOS, PSOE und der IU aus. Auch wenn wir diese populistische Art von Massenumfragen, an welcher sich jedeR auch ohne aktive Mitarbeit in der Partei beteiligen kann, ablehnen, gab sie Iglesias die Möglichkeit, die ihm aufgebürdete Last zu mindern und gleichzeitig Druck auf die PSOE auszuüben. Hatte er doch seine „Basis” befragt und diese sei im großen Maße an einer „Linksregierung” und nicht an einer Mitte-Rechts-Regierung interessiert. Zusätzlich stellt dies eine klare Aussage der PODEMOS-Basis und -UnterstützerInnen dar, welche sich eine „linke” Regierung anstatt einer weiteren „Rajoy”-Regierung wünschten.
Iglesias schlug eine solche Regierungsbildung nach der Befragung auch der PSOE vor: eine „Linksregierung” mit Sánchez als Ministerpräsident und Iglesias als Stellvertreter. Dies wurde nun aber von Seiten der „kompromissbereiten” PSOE abgelehnt. Hier waren vor allem die unterschiedlichen Ansätze der Überwindung der Krise sowie die sich stark entgegenstehenden Positionen zu den unterschiedlichen Unabhängigkeitsbewegungen Spaniens der Grund für die Ablehnung – Fragen, welche durch die politische Lage Spaniens stark in den Fokus gerückt werden.
Kurz bevor die Neuwahlen feststanden, kam es noch zu einem letzten Versuch, eine Koalition zu bilden. Dieser wurde von einer kleinen Abgeordnetengruppe an aus Valencia: Compromís (regionales Wahlbündnis zwischen PODEMOS, der Izquierda Unida (IU) und valencianischen Unabhängigkeitsorganisationen) angestoßen. Hierbei sollte eine linke Regierung aus PODEMOS, der IU sowie weiteren linken Abgeordneten gebildet werden. PODEMOS bezeichnete dies zwar als interessant, hatte sich jedoch schon auf die Taktik festgelegt, Neuwahlen in Kauf zu nehmen, um die guten Umfragewerte auszunutzen, könnte doch PODEMOS laut manchen Umfragen eventuell sogar stärkste Kraft werden.
Jüngste Entwicklungen
Das Jahr 2015 war nicht nur für PODEMOS ein Superwahljahr. Neben etlichen Wahlen zu Regionalparlamenten kam es, wie oben schon erwähnt, zur ersten nationalen Bewährungsprobe für PODEMOS bei den Parlamentswahlen. Nachdem PODEMOS bei den Europawahlen 2014 nur einigen Wochen nach seiner Gründung 1,2 Millionen Stimmen erhielt und 5 Abgeordnete im Europaparlament stellte, begann die Zeit der Konsolidierung rund um die Gruppe von Iglesias. PODEMOS war nicht nur in Spanien, sondern auch weltweit in aller Munde und nicht nur die Linke hatte sich damit zu beschäftigen, wie sie sich zu dieser Partei verhalten solle. Im November 2014 schien PODEMOS auf seinem Höhepunkt und erhielt mit 28,8% in Umfragewerten die bisher größte Zustimmung und damit mehr Zuspruch als PP oder PSOE. Das Zwei-Parteien System war nun aufgebrochen und PODEMOS erschien als neuer Stern am Himmel der europäischen Linken. Auch wenn PODEMOS diese Umfragewerte bei den Regionalwahlen sowie den Parlamentswahlen nicht halten konnte, schaffte sie es, sich als landesweite politische Kraft zu etablieren.
Wie auch schon an anderer Stelle ausformuliert, konnten Iglesias und seine Führungsclique nach den erfolgreichen Europawahlen sowie der groß aufgezogenen Gründungskonferenz von PODEMOS ihre Führung innerhalb PODEMOS festigen und ausbauen. Die von ihm und seinen MitdenkerInnen vorgeschlagenen populistischen Methoden und Taktiken, welche von lateinamerikanischen Bewegungen rund um Chávez, Morales usw. entliehen wurden, bestanden darin, populäre Führungspersönlichkeiten aufzubauen, welche durch ihre Stärke und Medienpräsenz die politische Stossrichtung vorgeben können und diese durch vorgeblich „basisdemokratische” Abstimmungen legitimieren. Die Basis kann kaum politische Initiativen von unten vorgeben, das meiste kommt von oben.
Dies konnte in den jüngsten Erfahrungen mit PODEMOS auch gut beobachtet werden, waren doch Vorstöße von oben des Öfteren zu sehen, welche sich gegen Entscheidungen von unten richteten. Des Weiteren wird das alteingesessene Parteiensystem abgelehnt sowie das „Denken“ in „Links” und „Rechts” aufgegeben. Die Linke hätte in den letzten Jahrzehnten bewiesen, dass sie keine Lösungen für die Menschheit vorzuweisen hat oder zumindest diese den Menschen nicht näherbringen kann. Daher seien die Denkkategorien „Links” und „Rechts” nicht weiter zu gebrauchen und Politik „neu“ zu formulieren. „Menschen“ sollen sich als Menschen miteinander organisieren, welche durch (eine nicht näher definierte) „Kaste” (im Chávismus: die Oligarchie) unterdrückt und durch Korruption und Machenschaften um ihren Wohlstand gebracht werden. Der Transformation der Gesellschaft würden ein Denkmuster sowie eine Organisierung in Links und Rechts eher im Wege stehen, Mensch solle eher das Volk als Ganzes gegen den gemeinsamen Feind organisieren:
„Die Zusammensetzung der politischen Landschaft in eine Links-Rechts-Trennung führte zu einer Situation, die einen Wechsel hin zu einer progressiven Richtung in Spanien nicht länger möglich machte. Auf diesem symbolträchtigen Terrain von Links und Rechts haben diejenigen von uns, welche eine post-neoliberale Transformation durch den Staat anstreben – Verteidigung der Menschenrechte, der Souveränität und die Verbindung zwischen Demokratie und Umverteilungspolitik – nicht den Hauch einer Chance auf Wahlgewinne.”
Die Höhenflüge von PODEMOS schienen Iglesias und seinen MitdenkerInnen recht zu geben und beflügelten diese noch mehr zur Einbindung aller Schichten der Bevölkerung gegen die „Kaste”. Ein Versuch zur Formierung einer populistischen Partei und Festigung seiner Position als „Chávez” Spaniens ging einher damit, dass dem Führungsstil weniger enge Zügel angelegt wurden. Dies verdeutlichte sich, wie oben schon erwähnt, bei den Zusammenstellungen der Regionalwahllisten. Bei der Zusammensetzung dieser Listen spielte die Führung das erste Mal mit ihren Muskeln und setzte die basisdemokratisch erarbeiteten Listen ab und ersetzte sie durch solche, welche von der Führung abgesegnet wurden. Auch wenn die Führung rund um Iglesias hierbei stark in Kritik geriet, konnte sie sich schlussendlich damit durchsetzen.
Gleichzeitig inszenierte Iglesias nicht nur intern eine Demonstration seiner Stärke, sondern versuchte durch Änderungen einiger Positionen von PODEMOS, seine Partei auch für von der Krise betroffene Schichten des spanischen Kapitals interessant zu machen. Er verfolgte hier das Ziel, eine wirkliche „Volkspartei” zu bilden. Sein Besuch der Armee, sein Treffen mit dem Papst sowie die Rücknahme wichtiger Forderungen von PODEMOS wie die nach Austritt aus der NATO oder der Notwendigkeit drastischer Wirtschaftsreformen wie z. B. die Übergabe der Wirtschaft in die „öffentliche Hand” sprechen hierbei eine klare Sprache.
Hier kann also davon gesprochen werden, dass Iglesias sein Möglichstes tat, um sich Teilen der spanischen Bourgeoise anzubiedern und die breitflächige Ablehnung der derzeitigen politischen Repräsentanz auszunutzen. Er erhielt indes eine klare Absage von Seiten der spanischen KapitalistInnen, welche nicht nur Verbindungen mit PODEMOS ausschlugen, sondern gleich eine konkurrierende Partei gründeten: Ciudadanos.
Ciudadanos, eine populistische liberal-nationale Partei, welche in Katalonien gegen die Abspaltungsbestrebungen gegründet wurde, erlebte einen ähnlich schnellen Aufschwung wie PODEMOS in den letzten beiden Jahren. Dies unterstützt einerseits die Ansicht, dass sich das langjährige Zweiparteiensystem in Spanien überlebt hat und eine politische Polarisierung auch in Spanien zu beobachten ist. Andererseits zeigt dies aber auch deutlich, dass Teile der spanischen KapitalistInnen kein Interesse daran haben, PODEMOS als ihre Alternative anzusehen. So wurde Ciudadanos doch sehr stark in ihrem Wahlkampf durch die bürgerlichen Medien unterstützt, auch wenn Aussagen einiger PODEMOS-PolitikerInnen zu den kommenden Neuwahlen immer noch eine strategische Ausrichtung auf Teile des spanischen Kapitals verdeutlichen.
In „Neues Deutschland” erklärte ein Pablo Bastinduy von PODEMOS ihre Herangehensweise wie folgt: „Um die weiterhin sehr hohe Erwerbslosigkeit zu verringern, will PODEMOS „Veränderungen in unserem Produktionssystem“ vornehmen. Spanien solle stärker „auf Sektoren mit hoher Wertschöpfung“ setzen wie „biomedizinische Forschung, Infrastruktur, erneuerbare Energien, Ingenieurswesen“. Dann könne „es in kurzer Zeit und mit geringen Anstrengungen an die Weltspitze vorstoßen, da wir über große Fähigkeiten, Talente und die entsprechende Infrastruktur verfügen. Wenn Spanien auf nachhaltige und innovative Bereiche setzt und damit mehr Wertschöpfung erzielt, ist das der Schlüssel für mehr und qualitativ bessere Arbeitsplätze“, so Bastinduy.
Ähnlich äußerte er sich dazu in einem Interview mit dem ehemaligen BBC-Journalisten und Autor Paul Mason. Bastinduy legt die Hoffnung seiner Partei darauf, dass Spanien dadurch, dass es eine größere Macht – vor allem im Bankensektor – darstellt, „too big to fail” ist. Das bedeutet, Spanien könne nicht so zu Fall gebracht werden wie Griechenland und ist auch noch nicht insolvent. Daher glaubt er, dass Verhandlungen mit Brüssel erfolgreich dabei sein könnten, Forderungen durchzusetzen, die die Austeritätspolitik beenden würden. Sein Optimismus bezieht sogar die repressiven und administrativen BürokratInnen des spanischen Staates ein, Elemente, auf welche PODEMOS nach seiner Aussage auch versucht hat zuzugehen.
Er glaubt ebenso, dass die Mitte – unter der er auch Elemente der rechten Kräfte versteht – gewonnen werden kann durch eine Ansprache an gemeinsame Werte wie die „europäische Kultur”: Demokratie, Redefreiheit, soziale Solidarität, Werte, die laut ihm weder rechts noch links sind und per Definition über den Klassen stehen. Dies ist natürlich nicht wahr. Dies waren durchaus Illusionen der spanischen Volksfront zwischen 1936-39, aber die Realität stellt sich anders dar. Durch die Niederwerfung der ArbeiterInnen- und Bauern/Bäuerinnen-Revolution im Namen der „klassenlosen Demokratie” – der Republik – fand sich Spanien vier Jahrzehnte in einer brutalen Diktatur gefangen. Dieser reformistische Dauertraum kann nur geträumt werden, wenn die Eigentumsfrage ausgeklammert wird. Zu glauben, dass Änderungen erreicht werden können, die Arbeitslosigkeit und Wohnungsnot beenden, ohne aber den Reichtum von MillionärInnen und Banken, FabrikbesitzerInnen und GroßgrundbesitzerInnen anzugreifen, stellt heute wie damals eine Illusion dar. Nichtsdestotrotz scheinen die nationalen wie auch internationalen Dynamiken des Klassenkampfes der letzten Jahre Einflüsse auf PODEMOS ausgeübt zu haben – Dynamiken, gespeist durch anhaltende Arbeitslosigkeit, Wohnungsräumungen oder mehrere landesweite Streikaktionen der spanischen ArbeiterInnenbewegung. International sind vor allem die rund um die Griechenlandkrise zu nennen. Hierbei ist vor allem die starke Gemeinsamkeit der strategischen Ausrichtung zwischen PODEMOS und SYRIZA zu nennen. Waren sich PODEMOS und SYRIZA doch einig, dass starke „Linksregierungen” in diesen südeuropäischen Ländern den Druck auf die Troika erhöhen könnten, um ein Umdenken in der Austeritätspolitik der EU zu erzwingen. Nachdem SYRIZA seine WählerInnen jedoch erst mit der Bildung einer Regierung mit der ANEL und dann noch das OXI-Referendum verriet, war klar, dass auch „linke Regierungen” die EU-Politik nicht nur alleine durch starke Wahlergebnisse beeinflussen können. Schäuble und Co. hatten hier eine passende Antwort an die griechische Bevölkerung (und damit auch an alle anderen Bevölkerungen Europas). Sie können sich ruhig eine Regierung wählen. Gespart wird aber trotzdem, verhandelt wird nicht.
Diese zunehmende Polarisierung und Intensivierung des Klassenkampfes bringt die Frage nach unterschiedlichen Lösungsvorschlägen immer deutlicher auf den Tisch. Auch wenn von Seiten der PODEMOS-Führung hier die Einteilung in „Links” und „Rechts” abgelehnt wird, wird ein solcher Rahmen immer deutlicher gesteckt, ob Iglesias das nun will oder nicht. Dass dies auch Druck auf die strategische Ausrichtung von PODEMOS als Ganzes ausübt, lässt sich vor allem darin beobachten, dass sich in das Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und PODEMOS Bewegung kommt.
PODEMOS und die Gewerkschaften
Zu Beginn seiner Gründung schlug PODEMOS den zwei großen Gewerkschaftsdachverbänden – Comisiones Obreras (CCOO) und Unión General de los Trabajadores (UGT) – die Tür vor der Nase zu. Ihre Anfrage, sie würden sich bei der Programmerarbeitung und den internen Prozessen gerne beteiligen, wurde abgeblitzt. Begründet wurde dies durch die starke Verknüpfung der Gewerkschaften mit den „etablierten” Parteien, worunter PODEMOS damals alle Parteien, nicht nur die PSOE – welche historisch mit der UGT verbunden ist – sondern auch die IU, welche wiederum mit der CCOO verbunden ist, zählte. PODEMOS wollte nicht nur das Ende des „Zweiparteiensystems” erwirken, sondern auch das des „Zwei-Gewerkschaftssystems”.
Auch verstand PODEMOS die spanische ArbeiterInnenklasse nie als etwas Wichtiges. Ganz im Gegenteil war PODEMOS von Anfang an sehr darauf bedacht sich in keinster Weise direkt auf die ArbeiterInnenklasse zu beziehen oder mit ihrer Bewegung in Verbindung gebracht zu werden. Dennoch gab es einen Arbeitskreis von PODEMOS-SympathisantInnen, welche sich darüber verständigten, wie eine gewerkschaftliche Arbeit von ihnen aussehen könnte. Dies führte zur Gründung der Gewerkschaftsinitiative „SOMOS”, welche sich zwar offen als unabhängig von PODEMOS bezeichnet, aber die gleichen „ethischen Prinzipien einer Transformation” teilt. Diese Gewerkschaftsinitiative trat auch im vergangenen Jahr zu einigen ausgewählten Betriebsratswahlen an, wobei sich hier auf die „großen Unternehmen sowie die strategischen Sektoren” beschränkt wurde. Bei diesen Wahlen konnte SOMOS zwar in einzelnen Bereichen Gewinne erzielen, blieb aber dennoch sehr marginal im Vergleich zu den beiden großen Gewerkschaftsverbänden CCOO und UGT, vor allem in den Industriebetrieben Spaniens.
Dennoch lässt sich in letzter Zeit beobachten, dass sich die Verhältnisse zwischen PODEMOS und den Gewerkschaftsverbänden verändern und Schritte aufeinander zu gemacht werden. Vor allem in der CCOO ist hier eine Öffnung der Gewerkschaft hin zu PODEMOS zu beobachten, sei es von Seiten des CCOO-Führers Toxo sowie auch von einigen Teilen der CCOO-Basis, welche eine engere Zusammenarbeit mit PODEMOS und SOMOS fordern, bis hin zur Fusion der beiden Gewerkschaftsorganisationen. Für PODEMOS und seine Regierungsambitionen hat dies natürlich den Vorteil, dass es durch diese Annäherung seinen Einfluss und seine Verankerung in den Betrieben und der ArbeiterInnenklasse ausbauen könnte. Des Weiteren kann PODEMOS die gegenseitige Annäherung auch als Argument für seine „Regierungsfähigkeit” verwenden. Zu guter Letzt, erhöht eine solche PartnerInnenschaft auch den Druck auf die UGT, sich zu PODEMOS zu positionieren bzw. weiter für es zu öffnen, und somit im Umkehrschluss auf die PSOE, ist diese doch stark mit der UGT verknüpft. Hierdurch würde sich PODEMOS ein starkes Druckmittel aufbauen können, um die PSOE dazu zu zwingen, sich auf PODEMOS zuzubewegen. Doch auf Seiten seiner Leitung um Iglesias und Errejón stellt dies einen opportunistische List dar, um Stimmen zu fangen und eine Regierungskoalition zu ihren Konditionen zu bilden, nicht einen Kurswechsel in Richtung Schaffung einer ArbeiterInnenpartei.
Diese gesamten Dynamiken und die offenkundige Annäherung von PODEMOS an die Gewerkschaften und umgekehrt wird die Möglichkeit eröffnen, dass sich PODEMOS nicht nur in den oberen Gewerkschaftsspitzen Einfluss verschafft, sondern auch zur Verankerung in den Betrieben und somit der spanischen ArbeiterInnenklasse kommt. Eine solche Verankerung würde es unserer Meinung nach möglich machen, dass sich der Charakter von PODEMOS von einer links-populistischen, kleinbürgerlichen Partei zu einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei hinentwickelt.
Auch wenn eine solche Entwicklung von eine links-populistischen kleinbürgerlichen zu eine ArbeiterInnenpartei derzeit noch nicht vollzogen und auch nicht ist, ist es für uns als RevolutionärInnen wichtig, sich darüber zu verständigen, wie man sich strategisch und taktisch bei den Neuwahlen auf PODEMOS beziehen muss.
Kritische Wahlunterstützung für „Unidos PODEMOS”
War es für PODEMOS und die IU zu den Parlamentswahlen im Dezember noch nicht möglich, einen landesweiten Wahlblock zu bilden, haben sie sich nun für die Neuwahlen zusammengeschlossen und den Wahlblock „Unidos PODEMOS” gebildet. Diese Bildung ist ein deutlicher Beleg dafür, wie einerseits die Annäherung zwischen PODEMOS und die CCOO die IU zu einer solchen Maßnahme bewegt hat. Gleichzeitig demonstriert sie auch, dass nach dem gescheiterten Versuch der Sammlung von Kräften links wie rechts sowie der Ablehnung von Terminologien wie „links” oder der Identifikation mit der ArbeiterInnenklasse und dem Sozialismus, dass PODEMOS seine starre Ablehnung des „Establishments” und den „etablierten Parteien” aufgeben musste.
Dieses „Narrativ” stellte immer einen zentralen Punkt des akademischen Teams rund um Pablo Iglesias, Íñigo Errejón und Juan Carlos Monedero dar. Es wurde kombiniert aus „postmarxistischen” Theorien von Ernesto Laclau und Chantal Mouffe und einem Hauch von Antonio Gramscis „Positionskrieg” in der „eurokommunistischen“, reformistischen Interpretationsvariante eines graduellen, quasi versteckten Konflikts, in welchem Kräfte die ideologische Hegemonie innerhalb der Gesellschaft ausfechten, bevor es um die Frage der Staatsmacht geht. Dies alles wurde verbunden mit ihrer Affinität (im Falle Monederos sogar als Position eines Beraters) zum Regime von Hugo Chávez in Venezuela. Von letzterem, als Beispiel des lateinamerikanischen populistischen Kultes eines/einer FührerIn (Caudillo), entlehnten sie die Notwendigkeit, Iglesias eine ähnliche Rolle in der Parteientwicklung zu verleihen.
Das wahre Leben hat diese Vorstellungen nun unter Druck gesetzt und seine reaktionär-utopische Natur dargelegt. Zuerst führte der Aufstieg einer rechten populistischen Partei (Ciudadanos), die konservative Teile der Gesellschaft, welche durch die Korruption der PP und Mariano Rajoy abgestoßen sind, hinter sich vereint, dazu, dass der Weg zu einer „nicht Rechts und nicht Links”-Partei blockiert wurde.
Zweitens bewies die Basis von PODEMOS, dass sie mehr Verbindung zur ArbeiterInnenklasse, vor allem mit jungen-prekären ArbeiterInnen, welche ein linkes bis hin zu einem sozialistischen Bewusstsein haben, hat – ganz im Gegensatz zu dem, was die postmoderne Theorie der PODEMOS-Führung vorgab. Verschiedene Beratungen haben dies 2016 gezeigt.
Drittens und letztens wurde PODEMOS trotz der zu Beginn verbreiteten Idee der FührerInnen, dass keine Absprachen oder Koalitionen mit „Parteien der Kaste” geschlossen werden, durch schlichte Wahlergebnisse dazu gezwungen. Dadurch, dass der Gewinn einer absoluten Mehrheit in weiter Ferne liegt, mussten sie sich hin zur PSOE als möglicheR KoaltitionspartnerIn öffnen. Würde die PSOE jedoch einen größeren Stimmenanteil bekommen, würde sie Forderungen an PODEMOS stellen, die unmöglich anzunehmen sind. Um dies zu verhindern bzw. dem entgegenzuwirken, wandten sie sich der IU zu.
Der Spitzenkandidat der IU bei der Wahl 2015, Alberto Garzón, ein 30-jähriger Wirtschaftswissenschaftler, stellt im Vergleich mit PODEMOS fest: „Wir sind orthodoxer. Wir glauben weiterhin an den Klassenkampf, und dass der Kapitalismus ein zu überwindendes Wirtschaftssystem ist. Sie sind Post-MarxistInnen, aber wir haben dieselbe Laufbahn, die gleichen Wurzeln.“ In der Tat stecken diese Wurzeln in der reformistischen Tradition der Kommunistischen Partei Spaniens, ihrer stalinistischen Volksfront und Etappentheorie. Er sagt: „Wir wissen, dass der Kapitalismus nicht über Nacht zu Ende geht.“ Laut Herrn Garzón würde eine von UP geführte Regierung nicht auf einen sofortigen oder radikalen Wandel von Spaniens Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell drängen.
Er behauptet, sie würden anstreben, 300’000 neue Stellen durch öffentliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu schaffen, das aus Steuern auf Kapitaleinkünfte und Schließung von Steuerlücken finanziert werden soll. Er beschreibt dies richtig als „ziemlich klassische sozialdemokratische Maßregeln. Auf internationalem Parkett platziert er seine Hoffnungen in eine EU, die sich auf eine neokeynesianische Nachfragesteigerungspolitik zubewegen mag. Er denkt, Spanien wird damit Erfolg haben, woran Griechenland scheiterte, weil Italien und Portugal sich nun Spanien und Griechenland anschlössen und Dampf dafür machten. Bei all seinen „Marxismus“bekenntnissen steckt doch in dieser ganzen Perspektive nicht ein Hauch von Klassenkampf.
Ihrerseits konnte die IU, welche viele Stimmen seit der Gründung von PODEMOS an diese verlor, nur durch eine Allianz mit PODEMOS auf eine akzeptable Anzahl an Abgeordneten hoffen. Grund dafür ist, dass das undemokratische Wahlsystem Spaniens kleinere Parteien unproportional stark benachteiligt. Das sich in diesem Prozess die IU jedoch stärker zu PODEMOS hinbewegte, macht vor allem deutlich, dass die meisten politischen Kompromisse für die Wahlplattform von Seiten der IU eingegangen wurden und nicht von Seiten PODEMOS’. Doch diese muss, wenigstens zurzeit, ihre Behauptung fallen lassen, sie sei keine linke, mit den Gewerkschaften verflochtene Partei.
Die größten politischen Zugeständnisse der IU waren, dass die Plattform nicht auf die Frage der Abschaffung der Monarchie und eine Republik Bezug nimmt, kein Föderalsystem mit voller Autonomie für die Provinzen und damit verknüpft das Selbstbestimmungsrecht fordert bis zur und einschließlich der Abtrennung, wann jeweils eine Mehrheit unter den verschiedenen Nationalitäten das wünscht. Auch die Verstaatlichung der Energiekonzerne findet ebenso wenig Erwähnung wie der Austritt aus der NATO. Alles drei sind wichtige politische Fragen, bei denen verschiedene Positionen in IU und PODEMOS herrschen. Sie werden nicht verschwinden, wenn sie ausgeklammert bleiben.
Allgemein betrachtet stellt das Wahlprogramm von „Unidos PODEMOS” ein klar reformistisches Programm dar und kann so von RevolutionärInnen nicht unterstützt werden. Auf Grund der Verankerung eines solchen Wahlblockes in den sozialen Bewegungen (durch PODEMOS), den Betrieben (durch die CCOO) und den Unabhängigkeitsbewegungen (durch die einzelnen Bündnisse bei den Regionalwahlen) kann ein solches Wahlbündnis jedoch die erste Anlaufstelle für die spanische ArbeiterInnenklasse auf der Suche nach einer Alternative sein. Die neuesten Umfragewerte sprechen hierbei auch eine klare Sprache, ist „Unidos PODEMOS” doch nur noch um wenige Prozentpunkte hinter der PP auf Platz zwei und hat reale Chancen, als stärkste Kraft aus den kommenden Neuwahlen hervorzugehen. Das Wahlbündnis steht aber klar vor der PSOE. Dies gibt PODEMOS die Möglichkeit, einen stärkeren Druck auf die PSOE auszuüben, um mit ihr eine Regierung zu bilden. Die Alternativen für die PSOE bestünden hierbei darin, entweder dafür verantwortlich zu sein, dass erneut keine Regierungsbildung zustande kommt, oder aber durch die Bildung einer großen Koalition und der Weiterführung der Sparmaßnahmen politischen Selbstmord zu begehen.
Ein solches Ergebnis könnte dazu führen, dass Spanien Ende Juni wirklich vor der Möglichkeit steht, eine „Linksregierung” aus „Unidos PODEMOS”, also PODEMOS und IU, als auch PSOE zu bilden. Auch wenn sich die PSOE bisher noch im Wahlkampf auf ein Mitte-Rechts-Bündnis mit Ciudadanos orientiert, könnte ein solcher Wahlausgang auch andere Dynamiken innerhalb der PSOE lostreten, vor allem da der Wahlblock die Frage der Transformation des Staates und die Unabhängigkeitsbewegungen ausklammert und somit einen der wichtigsten Konfliktpunkte zwischen PODEMOS und der PSOE bei früheren Koalitionsverhandlungen umgehen könnte.
Eine kritische Wahlunterstützung für „Unidos PODEMOS” sowie die Forderung der Bildung einer „Linksregierung”, welche sich gegen die Sparmaßnahmen stellt, sollte die taktische Ausrichtung von RevolutionärInnen in Spanien sein. RevolutionärInnen müssen den Charakter des Wahlprogramms von „Unidos PODEMOS”, seine Schwächen in Wirtschaftsfragen, sein Schweigen zu bestimmten politischen Themen gnadenlos kritisieren. Es muss darauf hingewiesen werden, dass jeder entschlossene Versuch der Umsetzung eines klaren Programms gegen die Auswirkungen der Krise unweigerlich Angriffe von Seiten der EU wie auch der herrschenden Klasse Spaniens mit sich bringen würde. Die Erfahrungen mit SYRIZA in Griechenland und dem Linksblock in Portugal sprechen da eine klare Sprache.
Die Gewerkschaften, die Parteibasismitglieder sowie die radikale Jugend sollten umgehend Widerstandskomitees bilden, um progressive Maßnahmen zu unterstützen sowie jedes mögliche Zurückweichen oder jeden möglichen Verrat zu kritisieren. Gleichzeitig sollten diese Komitees auch genutzt werden, um eine solche Regierung gegen Gegenmaßnahmen bis hin zum Putsch von Seiten der Staatsmaschinerie, der Justiz, der Polizei oder der Armee zu verteidigen.
Die Schaffung einer solchen außerparlamentarischen Kraft, welche auch organisierte Verteidigungsgruppen einbezieht, ist höchstwahrscheinlich dazu in der Lage, die Regierung dazu zu zwingen, die enormen Probleme vor denen Spanien in Form von Wohnungsnot, Armut und Massenarbeitslosigkeit steht, anzupacken. Dies wiederum könnte dazu genutzt werden, ArbeiterInnen dazu zu animieren, Kontrolle über die Produktion zu entwickeln und die Sabotageaktionen ihrer Bosse und Manager aufzudecken.
Sie könnten ebenfalls die Basis dafür darstellen, die politischen Fragen in den Vordergrund zu rücken, vor denen sich die rechten ReformistInnen wegducken: die nationale Frage, die Frage der Republik bzw. der Monarchie, etc. Ausgehend von solch einer organisierten Massenbasis wäre es möglich, eine revolutionäre ArbeiterInnenregierung aufzubauen, welche über die Regierung aus PODEMOS, IU und der PSOE, welche weiterhin innerhalb der kapitalistischen Zwangsjacke zu kämpfen hätte, hinauswachsen könnte.
Revolutionäres Aktionsprogramm und revolutionäre Partei
Es reicht daher für RevolutionärInnen nicht, den Reformismus dieses Wahlblockes und der darin vertretenen Parteien zu kritisieren bzw. darauf hinzuweisen, dass eine mögliche „bürgerliche ArbeiterInnenregierung” ihre WählerInnen und UnterstützerInnen sowieso verraten wird. Sie müssen durch ein revolutionäres Aktionsprogramm aktiv in den Wahlkampf intervenieren. Ein Programm, welches mit Übergangsforderungen aktiv Ziele, die sich AktivistInnen wie auch WählerInnen und UnterstützerInnen des Wahlblocks stellen, mit einer antikapitalistischen Perspektive verbindet. Ein Programm, welches auch darauf hinweist, dass viele Forderungen und Ziele einer solchen „Linksregierung” nicht durch Verhandlungen mit den Kapitalisten und der EU durchgesetzt werden können. Schlussendlich muss es erklären, dass das Erreichen der Ziele nur durch den Bruch mit der Klassenkollaboration sowie mit dem Kapitalismus möglich ist.
Letztlich müssen RevolutionärInnen davor warnen, dass PODEMOS – auch wenn es seine Integrationsbemühungen mit den Gewerkschaften und der IU fortsetzen sollte – weiterhin von ideologisch konfusen AkademikerInnen und JournalistInnen geführt wird, welche keine offene oder klare Identifikation mit der ArbeiterInnenklasse ablegen. Sie sind genauso anfällig dafür, unter Druck einzubrechen, wie Alexis Tsipras und Co. in Griechenland 2015. Um diese Risiken zu verhindern oder zumindest zu minimieren, muss die maximale Kontrolle dieser Führung von unten – d. h. aus den Betrieben, den Straßen und den Bildungseinrichtungen – hergestellt werden.
Auch wenn PODEMOS schlussendlich mit der IU, linken Kräften der PSOE sowie den Gewerkschaften fusionieren sollte, sprich eine bürgerliche ArbeiterInnenpartei im Vergleich zu einer klein-bürgerlich populistischen Partei werden sollte, wird ihr reformistischer Ansatz, welcher wiederum ein Ausdruck der Klassengegensätze innerhalb der Organisation ist, kraftvolle Gegenangriffe auf die unterdrückte Klasse hervorrufen und dadurch auch keine vertrauensvolle Alternative für die spanische ArbeiterInnenklasse angesichts der tiefen Krise darstellen können. Deshalb sollten RevolutionärInnen nicht nur auf die möglichen Perspektiven und Möglichkeiten einer solchen „linken Regierung” hinweisen, sondern auch auf die Notwendigkeit der Schaffung einer revolutionären ArbeiterInnenpartei. Eine Partei, welche schlussendlich nicht nur für ein revolutionäres Aktionsprogramm und seine Übergangsforderungen eintreten, sondern auf Basis der Organisationen der Klasse dieses auch umsetzen kann.
Quelle: www.arbeitermacht.de… vom 24. Juni 2016
Tags: Arbeiterbewegung, Breite Parteien, Postmodernismus, Spanien
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