Eine Wende? US-Gewerkschaften und die Biden-Regierung
Oskar Wöltje. Mit dem Einzug Joe Bidens ins Weiße Haus im Januar veränderte sich auch der wirtschaftspolitische Ton der USA. Es ist noch zu früh zu sagen, ob Bidenomics, wie die neue ökonomische Ausrichtung der Biden-Regierung genannt wird, einen Paradigmenwechsel zu den angebots-orientierten klein-staatlichen Reagonomics markiert welche die US-Wirtschaftspolitik die letzten 40 Jahre in einem Schwitzkasten hatten [1]. Es ist aber klar, dass die Drei Vorzeige-Programme (American Rescue Plan, American Jobs Plan und American Families Plan.), welche die Biden-Regierung vorgestellt hat, mit höheren Steuern, öffentlichen Ausgaben, und staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft eine Veränderung gerade auch zur Wirtschaftspolitik der Obama-Jahre (an denen Joe Biden als Vizepräsident mitbeteiligt war) darstellen. Es lohnt sich also zu betrachten, welche Wirkung die Politik des Präsidenten, der sich mit den Worten “I’m a union guy”[2] darstellt, auf die Arbeit der Gewerkschaften in den USA hat und haben könnte.
Bidens Corona-Politik
Ökonomische Unruhe und Krisen sind ein zweischneidiges Schwert für die Arbeit von Gewerkschaften. Einerseits begegnen Unternehmen Umsatzeinbrüchen häufig mit Downsizing und Entlassungen, weshalb Arbeiter*innen, die um ihren Arbeitsplatz fürchten, Gewerkschaftsarbeit und Arbeitskampf gegenüber abgeneigt sein können. Darüber hinaus führt steigende Arbeitslosigkeit auch zu einem größeren Angebot an Arbeit am Markt, was löhne drücken und die Verhandlungsposition von Arbeiter*innen verschlechtern kann (Industrielle Reservearmee). Auf der anderen Seite kann die Krise ein Licht darauf werfen, wie ungeschützt und austauschbar einzelne Arbeiter*innen häufig sind und dadurch zu militanterer Gewerkschaftsarbeit inspirieren. Für erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit gerade in Wirtschaftskrisen ist es für Gewerkschaften hilfreich, wenn Regierungen versuchen ersteren Effekt zu lindern, um Arbeiter*innen zu schützen. Ein Parade-Beispiel stellt dafür in den USA die New-Deal Politik Roosevelts dar, die mit ihren Arbeitslosen und Investitionsprogrammen, so wie ihrer umfassenden Arbeitsgesetzgebung (Wagner Act) [3] während der Großen Depression den größten Gewerkschaftszuwachs in der Geschichte der Vereinigten Staaten ermöglichte [4] – nicht zuletzt, um die Befriedungsfunktion der Gewerkschaften zu nutzen…
Während Bidens COVID-Gesetzgebung, der American Rescue Plan, nicht annährend so umfangreich wie der New Deal war, hat gerade die Erhöhung des Arbeitslosengeldes eine Wirkung auf die Situation von Arbeiter*innen gehabt. Nicht nur wurden die Arbeitslosen dadurch temporär vom Druck entlastet, einen neuen Arbeitgeber zu finden, Arbeiter*innen die sich auf Grund der Pandemie an ihren Arbeitsplätzen nicht sicher gefühlt hatten (dies war gerade in der Gastronomie und dem Service Bereich wegen fehlender Schutzmaßnahmen der Fall [5]), wurde so ermöglicht, ihre Arbeit fürs erste niederzulegen. Dies hatte den Effekt, dass es trotz einer Verdopplung der Arbeitslosenquote in 2020 [6] in gewissen Sektoren zu einem Arbeitskräftemangel (Labor Shortage) [7] kam, in dem die Nachfrage an Arbeit das Angebot überstieg. Ein solcher Arbeitskräftemangel stärkt die Position der Arbeiter*innen und Gewerkschaft, da er Löhne steigen lässt und Arbeiter*innen für die Unternehmen schwieriger zu entbehren werden. Beide dieser Effekte konnte man in den USA im letzten Jahr beobachten. Allein in den drei Monaten April bis Juni stieg der Durchschnittslohn um 1,4 % [8], McDonalds mussten ihre Löhne um 10% erhöhen, und CVS wird ihren Mindestlohn von 11 auf 15 Dollar steigern, um Arbeiter*innen anzuwerben [9]. Nach einem Streik bei Volvo in Virginia wiesen Arbeiter*innen, entgegen der Empfehlung der Gewerkschaftsvertreter, ein Angebot der Führung zurück, und konnten so eine noch attraktivere Einigung erkämpfen. Ein Erfolg der noch im letzten Jahr, vor dem Arbeitskräftemangel, nicht zu erwarten gewesen wäre [10]. Travis Wells, ein Gabelstaplerfahrer bei Volvo sagt:
“Wir waren durch den Arbeitskräftemangel extrem ermutigt. Die Kosten für die Anwerbung und Ausbildung neuer Arbeitskräfte hätten Volvo das Zehnfache dessen gekostet, was ein guter Vertrag gekostet hätte.“ [11]
In Buffalo sagen die Organizer der neuen Starbucks Gewerkschaft, dass die Pandemie und der Arbeitskräftemangel das ideale Umfeld für ihre Gewerkschaftsbestrebungen geschaffen habe. [12]
Dass Arbeiter*innen und Gewerkschaft Vorteile aus der COVID-Krise schlagen können, lässt sich vor allem auf die Policy-Entscheidungen der Biden-Regierung zurückführen, die Wirtschaft und gerade die Arbeitslosen mit einem erheblichen Konjunkturprogramm abzusichern, die Wirtschaft heiß laufen zu lassen und so einen Arbeitskräftemangel zu schaffen. [13] Gerade im Vergleich zu Barack Obama, der sein Amt ebenfalls während einer Krise betrat, und dessen Konjunkturprogramm nach der Finanzkrise ’08 beinahe universell als zu klein angesehen wird, lässt sich der Umfang von Bidens Plan erkennen. [14]
Einige Kritikpunkte sollten bei allem Lob für Bidens Corona-Konjunkturprogramm aber nicht vergessen werden. Ähnlich wie der Rooseveltsche New Deal wäre auch Bidens American Rescue Plan ohne denn Druck von progressiven politischen Akteuren und Bewegungen, die den Diskurs nach Links verschieben, nicht auf diese Art denkbar gewesen [15]. In Bidens Fall kam dieser Impuls vor allem von Bernie Sanders und seinen progressiven Kolleg*innen im Kongress, die bis zum Ende daran arbeiteten, das Konjunkturprogramm zu erweitern. Des Weiteren hätte der Plan noch deutlich umfangreicher ausfallen können, wie Sanders und Co. etwa bei den 1400-Dollar-Checks immer wieder anmerkten, da die Gefahr einer Inflation durch ein zu großes Programm kleiner ist, als die Gefahr einer langjährigen Rezession durch einen zu kleinen Stimulus [16]. Aber das größte Versagen der Biden-Regierung im Bezug auf den American Rescue Plan liegt in der Entscheidung, die Auszahlung des Corona-Arbeitslosengeldes (ausgerechnet) zum Tag der Arbeit (in den USA dieses Jahr der 06.09.) einzustellen. Die Biden-Regierung, die gehofft hatte, das Coronavirus bis zum Herbst in den Griff zu bekommen, streicht damit nun Millionen Arbeitslosen vitale Sozialleistungen – während die Pandemie, durch die Varianten befeuert, weiter andauert [17]. Damit dürfte sich dann auch der Arbeitskräftemangel legen und die Voraussetzungen für erfolgreiche Gewerkschaftsarbeit verschlechtern.
Der PRO-Act – die wichtigste Gewerkschaftsgesetzgebung seit Roosevelt
Der zweite Schritt des wirtschaftspolitischen Projekts von Joe Biden ist die Umsetzung des American Jobs Plan (AJP). Es ist ein 2 Billionen Dollar Infrastrukturpaket, mit dem die Biden-Regierung hofft Ungleichheit zu senken, Arbeitsplätze zu schaffen, und Infrastruktur zu aktualisieren und auszubauen [18]. Der Plan wurde bereits vom House of Representatives abgesegnet, steckt seitdem allerdings im Senat fest. Obwohl es sich beim AJP um kein kleines Vorhaben handelt, ist er deutlich weniger ehrgeizig als der American Rescue Plan, da das Paket nur geringfügig größer ist, aber statt in einem halben Jahr über acht Jahre hinweg ausgezahlt werden soll [19]. Eine Policy innerhalb des Pakets, die allerdings eine große Auswirkung auf die Arbeit von Gewerkschaften hätte, wäre die Umsetzung des Protect the Right to Organize Act, oder kurz PRO-Act [20], den Barry Eidlin bei Jacobin so beschreibt:
“Im Falle seiner Verabschiedung wäre der PRO-Act das gewerkschaftsfreundlichste Gesetz seit dem Nationalen Arbeitsbeziehungsgesetz von 1935 (NLRA), das gemeinhin als Wagner-Act bekannt ist. Es würde viele der derzeitigen Mängel im Arbeitsrecht beheben.
Es würde die Möglichkeiten der Arbeitgeber einschränken in Gewerkschaftswahlen einzugreifen, Arbeitgebern, die gegen das Gesetz verstoßen, härtere Strafen auferlegen, es Arbeitgebern erschweren Verhandlungen in die Länge zu ziehen und sich zu weigern mit zugelassenen Gewerkschaften zu verhandeln, derzeit verbotene Formen der Gewerkschaftssolidarität, wie z.B. Solidaritätsstreiks, legalisieren, es Arbeitgebern erschweren, Arbeitnehmer fälschlicherweise als “unabhängige Auftragnehmer” einzustufen, und die so genannten “Recht auf Arbeit”-Gesetze verbieten.“ [21]
Nach vielen arbeitsrechtlichen Rückschlägen für Arbeiter*innen und Gewerkschaften, wie z.B. die Entscheidung des Verfassungsgerichts, die Gewerkschaftsabgeordneten den Zutritt auf Farmen verbietet [22] oder die verfassungswidrige Umsetzung der Prop-22, die Gig-Arbeiter*innen in Kalifornien weiter Ausbeutung aussetzt [23], wäre der PRO-Act die erste große gewerkschaftsfreundliche Arbeitsrechtsreform der Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten. Sie würde nicht nur die Arbeit der Gewerkschaften erleichtern, sondern, wie etwa mit der Legalisierung des Solidaritätsstreiks [24], auch die strategischen Spielräume der Gewerkschaften erweitern. Es ist also kein Wunder, dass die Gewerkschaften geschlossen hinter dem PRO-Act stehen [25].
Was können wir tun?
Unterm Strich hatte die Regierung mit dem American Rescue Plan einen starken unkonventionellen Plan für die Pandemie, der es Gewerkschaften ermöglichte, Kapital aus der Krise zu schlagen, welchen sie jedoch auf Druck der Opposition (auch von demokratischer Seite) zu früh einstellte. Der American Jobs Plan ist zu klein, beinhaltet aber mit dem PRO-Act positive Gesetzesreformen für die Gewerkschaften. Die Regierung ist noch jung, wie ernst Joe Biden die Anliegen der Arbeiter*innen in den USA wirklich sind, wird sich noch zeigen (wobei es gute Gründe gibt, dies zu bezweifeln [26]), bis dato lässt sich allerdings festhalten, dass er die Arbeiter*innen und Gewerkschaften stärker unterstützt, als seine Vorgänger vor ihm.
Die Frage, wie einflussreich die Sozial- und Wirtschaftspolitik von Biden sein wird, bleibt auch offen. Klar ist, dass die Konjunktur- und Reform-Projekte der Biden-Regierung nicht annähernd so ambitioniert und umfassend sind, wie der New Deal von Roosevelt, sie aber auch keine einheitliche Weiterführung des Wirtschaftsdogmas von Obama (und darüber hinaus) darstellen. Entscheidend wird sein, wie der Präsident seine Programme durch den Senat bringen kann, in dem ihm nicht nur die Republikaner, sondern auch moderate Hardliner aus seiner eigenen Partei gegenüberstehen. Um den New Deal umzusetzen, musste Roosevelt seinerzeit den Republikanern so weit entgegenkommen, dass am Ende die schwarze Bevölkerung von den Leistungen der Programme beinahe komplett ausgeschlossen war [27]. Der Erfolg der Bidenomics wird deswegen maßgeblich davon abhängen, welche Zugeständnisse der Opposition im Senat gemacht werden müssen, und wie erfolgreich die progressiven Kräfte in den USA die Regierung weiter nach links drängen können. Denn schlussendlich steht Bidenomics „nur“ für etwas mehr Keynes im wirtschaftspolitischen Paradigma der Vereinigten Staaten, und wie dieser berühmterweise schrieb „[a]lles, was wir tatsächlich tun können, können wir uns leisten“. Was uns zur Frage führt: Was können wir den tun? Wer in den USA die Deutungshoheit über diese Frage erringt, wird deswegen auch die Bedeutung der Bidenomics bestimmen.
Anmerkungen:
1 Hierzu gibt es unter Ökonomen eine starke Debatte, interessant ist dabei zum Beispiel die Beitrage von Martin Sandbu in der Financial Times, Michael Hirsch bei Foreign Policy und die Debatte zwischen Harald Uhlig und J.W. Mason bei Pairagraph
2 Siehe Joe Bidens Rede zum Infrastrukturplan bei c-span
9 Amelia Lucas und Melissa Repko bei CNBC
10 Ben Finley und Tom Krisher für AP bei Portside
11 Übersetzung aus Ben Finley und Tom Krisher für AP bei Portside, siehe dazu auch das Dossier im LabourNet Germany
12 Beitrag zu Starbucks Workers United im LabourNet
13 Ben Winck für Business Insider
14 Don McIntosh bei nwLaborPress und J.W. Mason in seinem Blog
15 Bob Master beim Dissent-Magazine
16 Paul Krugman bei Palm Beach Post
19 Zur Diskussion der Wirkung des AJP – gerade auch was Klimapolitik angeht – siehe die Beiträge von Adam Tooze in the New Statesman und Daniela Gabor in the Guardian
20 Dossier zum PRO-Act im LabourNet
21 Übersetzung aus einem Artikel von Barry Eidlin im Jacobin
22 Dossier zu US Farmarbeiter*innen im LabourNet
23 Dossier zu Prop-22 im LabourNet und Margot Roosevelt und Suhauna Hussain in LA Times
24 Ein Streik, der es Arbeiter*innen ermöglicht, in Solidarität mit anderen Arbeiter*innen zu streiken, zu deren Verhandlungseinheit sie nicht gehören.
25 Siehe Positionierungen von Teamster, UAW, UFCW, SEIU
26 Siehe dazu Susan Watkins Analyse in New Left Review, einen Beitrag zu Joe Biden im LabourNet und Derek Davidson sowie Branko Marcetic bei Jacobin
27 Barry Eichengreen in Intereconomics
Quelle: labournet.de… vom 15. September 2021
Tags: Arbeitswelt, Gesundheitswesen, Gewerkschaften, Neoliberalismus, Service Public, Steuerpolitik, USA, Widerstand
Neueste Kommentare