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Rosa Buxenlurch im Antifanten-Zoo

Eingereicht on 14. Juni 2023 – 14:12

Hubert Heck. Alles Nazis außer Antifa. Oder sollte man besser sagen: Außer Transatlantifa? Über ziemlich linke Linke und ihr recht simples Weltbild.

Unser politisches Koordinatensystem ist aus den Fugen geraten, altgewohnte Gewissheiten wurden im Moralinsäurebad aufgelöst und Heerscharen von Kinderkreuzzüglern ziehen wieder durch die Lande; nur diesmal nicht gen Jerusalem, sondern vor die deutschen Konzerthallen und Kongresszentren, um das gelobte Land aus der rhetorischen Unterjochung zu befreien.

Das blinde Vermengen von allem, was als „irgendwie rechts“ definiert wird, führt zu einer Nivellierung und damit auch zu einer Verharmlosung der wirklich gefährlichen Teile des Rechtsextremismus. Die abwechselnden Sprechchöre mit „Nazis raus!“ und „Querdenker raus!“ – wie ich sie selbst anlässlich der Preisverleihung an Dr. Eugen Drewermann gehört habe – führen dazu, dass jeder anders (also „quer“ zum Mainstream-Narrativ) denkende Mensch mit einem waschechten (Neo-)Nazi gleichgesetzt wird, der gerade einen Migranten „am Bordstein knabbern“ lässt.

Denkste quer, siehste mehr

Über fünf Jahrzehnte meines Lebens war „Querdenker“ ein positiv konnotierter Begriff, eine Art geistiges Qualitätssiegel für die Fähigkeit „out of the box“ denken zu können, Dinge von einer höheren Meta-Ebene herab, oder zumindest auf derselben Ebene aus einer anderen Perspektive heraus betrachten zu können. Diese Fähigkeit ist auch eng verknüpft mit unserer Empathie, der Fähigkeit, Dinge aus der Perspektive einer anderen Person zu betrachten, um sich damit auch emotional in andere einfühlen zu können.

Der alte Indianer-Spruch

Never judge another man until you have walked a mile in his moccasins.

(Urteile nie über jemanden, bevor du nicht eine Meile in seinen Moccasins gelaufen bist.)

…gehört nach dieser Logik genauso auf den Index wie die Auftritte von Roger Waters und Dr. Daniele Ganser – mal abgesehen davon, dass ich mich mit dem obigen Zitat wohl eh schon der kulturellen Aneignung schuldig gemacht habe; genauso wie die Lützerather Klimaaktivisten, deren Tipi-Zelte von besonders woken Kolleg*innen wegen eben dieser kulturellen Aneignung abgerissen wurden: Woke as fuck?

Rosa‘s rote Wokeness

Bisher habe ich die Patentierung geistigen Eigentums als schlimmste kulturelle Evolutionsbremse angesehen – nach dem Motto: Wenn es zu Galileo Galileis Zeiten schon Patentrechte gegeben hätte, dann würden wir heute wohl immer noch glauben, dass die Sonne sich um die Erde dreht – aber die Absurdität und Vehemenz der Wokeness und Cancel Culture hat mittlerweile Ausmaße angenommen, die das noch in den Schatten zu stellen droht – von der Geist- und Maßlosigkeit des dualen Propaganda-Prinzips „Dämonisierung Russlands & Glorifizierung der Ukraine“ ganz zu schweigen.

Das eherne linke Motto Rosa Luxemburgs – „Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden“ – ist inzwischen rückstandslos entsorgt und ersetzt worden durch ein Postulat von Rosa Buxenlurch (nicht zu verwechseln mit dem legendären Hosenwurm), das da lautet: „Freiheit ist immer nur die Freiheit derer, die genauso denken wie die (US-)Regierung.“

Transatlant-ifa

Einer ähnlichen Umdeutung wurde auch der Begriff der Solidarität unterzogen, von Che Guevara noch poetisch als „Zärtlichkeit der Völker“ umschrieben und laut aller linker Theorie stets allen „Verdammten dieser Erde“ zugewandt, wird sie heutzutage streng nach Staatsangehörigkeit selektiert. Als Inhaber eines ukrainischen Ausweisdokuments kann man ruhig mit Hakenkreuzen und SS-Runen tätowiert bei nächtlichen Fackelmärschen mit überlebensgroßen Stepan-Bandera-Bildnissen durch die Straßen ziehen, ohne von den sonst so akribischen deutschen Antifaschistierenden als „rechts“ verortet zu werden, während ein russischer Staatsangehöriger selbst dann als potenziell-rechter Putin-Troll abgelehnt wird, wenn er als Kriegsdienstverweigerer ein höheres persönliches Risiko eingegangen ist und mehr für das friedliche Miteinander geleistet hat, als es der gesamte Antifanten-Zoo dieser Republik jemals zustande bringen wird.

Am besten lässt sich der gutmenschliche deutsche Volkszorn immer noch mit Hitler-Vergleichen entfachen – erst war Saddam Hussein der neue Hitler, dann war Milošević der neue Hitler, dann nochmal Saddam, dann Gaddafi, dann Assad, und jetzt haben wir „Putler“. Unseren täglichen Hitler gib uns heute – und praktischerweise alle auf der Abschussliste des US-Imperiums, das mit den (a-)sozialen Medien (Facebook, Twitter, Insta etc.) dann auch die passenden Werkzeuge zum Entfachen einer virtuellen Pogromstimmung liefert, damit seinen Kritikern mittels eines veritablen Shitstorms gleich das Maul gestopft wird. Darin einen Zusammenhang oder gar eine Inszenierung zu sehen, muss natürlich ins Fabelreich der Verschwörungstheorie verschoben werden, bevor man noch durch lästige Fakten und Indizien auf dumme Gedanken kommt.

Blind & wütig

Bei den „Omas gegen rechts“ könnte man diese multiplen politischen Sehschwächen noch auf den grauen Star schieben, aber bei ihrem juvenilen Nachwuchs liegt es sicher nicht am grünen Star, sondern eher an dem olivgrünen Starrsinn, der es auch möglich gemacht hat, dass ausgerechnet die Partei, die dermaleinst aus der Friedensbewegung entstanden ist, heute an vorderster Front dafür kämpft, dass Kriege wieder salonfähig werden.

Dabei gäbe es bei genauerem Hinsehen noch so viel zu tun, z.B. in Belgien, wo mit Verviers nun die zweite Stadt nach Lüttich ihre Verbindungen zum „israelischen Apartheid-Regime“ gekappt hat – eine Meldung, die es mit Ausnahme der Nachdenkseiten leider nicht in die deutschsprachigen Medien geschafft hat. Die Belgier hätten sicher ihre helle Freude daran, wenn demnächst Grüppchen deutscher Antifaschist*eusen an den Zufahrtsstraßen und Autobahnabfahrten von Verviers und Lüttich alle Vorbeifahrenden als Antisemiten (Entschuldigung: Antisemit*innen – wat mutt, dat mutt!) beschimpfen. Schließlich kennt man sich in Belgien damit aus, was es bedeutet, am deutschen Wesen zu genesen.

Ceterum censeo Assangem esse libertadam!

Quelle: overton-magazin.de… vom 14. Juni 2023

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