Putin-Gegner Nawalny zu weiteren 19 Jahren Haft verurteilt
Clara Weiss. Letzten Freitag verlängerte ein russisches Gericht die neunjährige Haftstrafe von Alexei Nawalny, dem bekanntesten von der Nato unterstützten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin, um weitere 19 Jahre. Während seine frühere Haftstrafe wegen Bestechung und Missachtung des Gerichts verhängt wurde, beruht das aktuelle Urteil auf Anklagen wegen „Extremismus“.
Daniel Cholodny, der als Techniker von Nawalnys YouTube-Kanal tätig war, wurde zusammen mit Nawalny angeklagt und zu acht Jahren Haft wegen Organisierung einer extremistischen Gruppe verurteilt. Nawalny wird die 19-jährige Haftstrafe in einer Hochsicherheits-Strafkolonie verbringen, wodurch er fast nicht mehr mit der Außenwelt kommunizieren kann. Bisher konnte Nawalny aus dem Gefängnis heraus über seinen Telegram-Kanal Kommentare zur politischen Lage abgeben. Der Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, was auch für seine Familienmitglieder galt.
Anfang letzter Woche hatte ein anderes Gericht die Berufung von Wladimir Kara-Mursa gegen seine 25-jährige Haftstrafe wegen „Verrats“ und Diffamierung der russischen Streitkräfte abgewiesen. Genau wie Nawalny ist Kara-Mursa eine Leitfigur der Nato-unterstützten Opposition gegen das Putin-Regime und unterhält umfangreiche Beziehungen zu den herrschenden Eliten in Washington.
Die Urteile gegen Nawalny und Cholodny und die Ablehnung des Berufungsantrags von Kara-Mursa wurden vor dem Hintergrund einer schweren Krise des Putin-Regimes und von internen Machtkämpfen zwischen sich bekriegenden Fraktionen des Staatsapparats und der herrschenden Klasse gefällt. Ende Juni hatte der milliardenschwere Söldnerführer und langjährige Verbündete von Wladimir Putin, Jewgeni Prigoschin, einen Putschversuch inszeniert und ausdrücklich an die Nato-freundliche Fraktion der russischen Oligarchie appelliert. Prigoschin und seine Wagner-Söldner haben seither Straffreiheit erhalten und wurden scheinbar wieder in das Regime integriert. Wagner-Truppen sind weiterhin in Afrika im Auftrag des Kremls unterwegs, und viele der Soldaten sind in Belarus stationiert, einem engen Verbündeten Russlands. Prigoschin war vor kurzem Gast bei einem Gipfeltreffen afrikanischer Staatschefs und Diplomaten in St. Petersburg, das der Kreml organisiert hatte.
Doch während Wagner vom Kreml praktisch freie Hand bekommen hat, wurden mehrere bekannte politische Persönlichkeiten verhaftet. Dazu gehört auch Igor Strelkow, ein ehemaliger Führer der pro-russischen Separatisten in der Ostukraine, der das Putin-Regime seit langem zu einer Generalmobilmachung auffordert. Der Kreml hat außerdem Boris Kagarlitzki verhaftet, eine prominente Führungsfigur des pseudolinken und stalinistischen Milieus in Russland mit langjährigen Beziehungen zur Oligarchie und zum Staatsapparat. Genau wie Nawalny wurden auch Strelkow und Kagarlitzki wegen „Extremismus“ angeklagt.
Die USA und die EU beeilten sich, das Urteil gegen Nawalny zu kritisieren. US-Außenminister Antony Blinken erklärte in einer Stellungnahme: „Die USA verurteilen aufs Schärfste Russlands Verurteilung des Oppositionsführer Alexei Nawalny aus politisch motivierten Anklagepunkten. Der Kreml kann die Wahrheit nicht zum Schweigen bringen. Nawalny sollte freigelassen werden.“ Auch die EU „verurteilte die Entscheidung auf das Schärfste“. Die WSWS ist bereits in der Vergangenheit darauf eingegangen, wie abstoßend heuchlerisch diese Verurteilung des Putin-Regimes durch die imperialistischen Mächte ist. Die USA und der europäische Imperialismus sind nicht nur für die Bombardierungen mehrerer Länder während der letzten Jahrzehnte verantwortlich, bei denen Millionen getötet oder verwundet wurden. Washington und Brüssel haben auch den australischen Journalisten Julian Assange brutal verfolgt und rechtswidrig unter Bedingungen eingesperrt, die systematischer physischer und psychologischer Folter gleichkommen.
Es steht außer Frage, dass letztlich die Arbeiterklasse das Ziel der Angriffe auf demokratische Rechte werden wird, die sich jetzt noch öffentlich gegen Putins Gegner im Staat und der Oligarchie richten. Vor allem die Anklagen wegen „Extremismus“ und „Verrat“, die zuletzt gegen Nawalny, Kara-Mursa, Strelkow und Kagarlitzki erhoben wurden, sind so weit definiert, dass sie genauso leicht gegen wirkliche linke und sozialistische Gegner des Regimes und des Kriegs in der Ukraine angewandt werden können.
Um ihren politischen Widerstand gegen das Putin-Regime von einem unabhängigen Klassenstandpunkt zu entwickeln, müssen Arbeiter und Jugendliche jedoch die politischen Kräfte hinter diesen eskalierenden Fraktionskämpfen innerhalb der russischen Oligarchie klar verstehen.
Im Gegensatz zu den Darstellungen der westlichen Medien ist Nawalny weder ein demokratischer, noch ein sehr populärer Kritiker des Putin-Regimes. Sein Rückhalt ist auf privilegierte Schichten des Kleinbürgertums begrenzt, und seine politische Vergangenheit ist vor allem von seiner Verbindung zu ultranationalistischen Kräften und Teilen der herrschenden Eliten und des Staatsapparats sowohl in Russland als auch in den USA geprägt. Er gehörte zu einer räuberischen und rücksichtslosen Schicht gesellschaftlicher Aufsteiger, die versuchten, von der Zerstörung der Sowjetunion durch die Bürokratie und der Wiedereinführung des Kapitalismus 1991 zu profitieren. Er wurde erst politisch aktiv, nachdem seine Unternehmungen im Banken- und Immobiliengeschäft weitgehend gescheitert waren. In einem frühen Interview äußerte er seine sozialdarwinistischen Ansichten: „Ich will eine Marktwirtschaft in ihrer rücksichtslosesten Form – die Stärksten überleben, der Rest ist ganz einfach überflüssig.“
Seit 2010/2011 wurde Nawalny von den westlichen Medien systematisch aufgebaut. Damals war er Mitorganisator der rechtsextremen „Russischen Märsche“ und veröffentlichte Videos, in denen er Menschen aus dem Nordkaukasus als „Kakerlaken“ beschimpfte. Daneben hat er mehrfach die Neuziehung der Grenzen Russlands ohne den überwiegend muslimischen Nordkaukasus gefordert. Wie die WSWS dokumentiert hat, wurde Nawalny von Washington und Berlin nicht trotz, sondern wegen seiner Beziehungen zur extremen Rechten aufgebaut.
Genau wie in der Ukraine, wo die Nachkommen der Nazi-Kollaborateure der Organisation Ukrainischer Nationalisten eine zentrale Rolle beim Regimewechsel von 2014 und dem derzeitigen Krieg gespielt haben, sind an der von den USA unterstützten Opposition in Russland ganz zentral rechtsextreme Kräfte beteiligt. Sie bilden eine wichtige Komponente der imperialistischen Strategie, ethnische und nationale Konflikte zu schüren, um das Land zu destabilisieren und zu zerstückeln.
Vor kurzem sind Neonazi-Kräfte mit Beziehungen zur neofaschistischen Szene in Deutschland sowie zum ukrainischen Regime und der Nato-unterstützten Opposition in Russland auf russisches Staatsgebiet vorgedrungen. Kurz nachdem er die bisher größten Vorstöße angeführt hatte, wurde der Neonazi-Führer des Russischen Freiwilligenkorps, Denis Nikitin, auf Nawalnys YouTube-Kanal interviewt. Der Interviewer gab sich völlig unkritisch gegenüber Nikitins bekannten und umfangreichen Beziehungen zu den europäischen Neonazi-Szenen.
Abgesehen von seinen Beziehungen zur extremen Rechten hat Nawalny Beziehungen zu Teilen der russischen Eliten und des Staatsapparats beibehalten. Zu seinen frühesten Unterstützern gehörten Personen wie der Ökonom Sergei Gurjew, ein ehemaliger Berater von Ex-Präsident Dmitri Medwedew, und der ehemalige Banker Wladimir Aschurkow, der heute eine führende Rolle in Nawalnys Anti-Korruptionsfonds spielt. Beide sind vor langer Zeit aus dem Land geflohen.
Daher sprechen Nawalny, Kara-Mursa oder der Ex-Oligarch Michail Chodorkowski für Teile des Staats und der Oligarchie, die in einer vollständigen Unterwerfung Moskaus unter die geopolitische Strategie der USA und dem Auseinanderbrechen der Russischen Föderation das beste Mittel sehen, ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen bei der Ausbeutung der Rohstoffe und sozialen Ressourcen des Landes voranzubringen.
Die immer drakonischeren Haftstrafen gegen prominente Vertreter der von der Nato unterstützten Opposition im russischen Staat und der Oligarchie sind Anzeichen von heftigen Konflikten und Krisen hinter den Mauern des Kremls. Der Krieg in der Ukraine dauert mittlerweile mehr als zwei Jahre an, und alle früheren Kalkulationen des Putin-Regimes, es könnte die imperialistischen Mächte irgendwie an den Verhandlungstisch zwingen, sind katastrophal fehlgeschlagen.
Doch unabhängig von ihren erbitterten Konflikten sind alle Fraktionen der herrschenden Oligarchie letztlich aus dem gleichen historischen Prozess hervorgegangen: der stalinistischen Reaktion auf die Oktoberrevolution, wozu der Massenmord an Revolutionären in den 1930ern gehörte und deren Höhepunkt die Zerstörung der Sowjetunion und die Wiedereinführung des Kapitalismus durch die stalinistische Bürokratie 1991 war. Der politische Widerstand der Arbeiterklasse gegen den Krieg und das Putin-Regime muss auf einer Strategie des internationalen Klassenkampfs und der Lehren der gesamten Geschichte des Kampfs der trotzkistischen Bewegung gegen den Stalinismus basieren.
Quelle: wsws.org… vom 10. August 2023
Tags: Faschismus, Imperialismus, Neue Rechte, Politische Ökonomie, Repression, Russland, Strategie, USA
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