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Wachsende Proteste in Niger gegen Macrons Weigerung, die Truppen abzuziehen

Eingereicht on 7. September 2023 – 10:53

Alex Lantier. Nach den Protesten zehntausender Arbeiter und Jugendlicher in Nigers Hauptstadt Niamey am letzten Wochenende haben jetzt Tausende die dortige Nato-Militärbasis umstellt. Auf dem Stützpunkt sind etwa 1.500 französische Soldaten sowie US-amerikanische und italienische Soldaten, Kampfflugzeuge, Killerdrohnen und Kampfhubschrauber stationiert. Die Demonstranten fordern den sofortigen Abzug der französischen Truppen, die während des Kriegs im benachbarten Mali von 2013 bis 2022 in Frankreichs ehemaligem Kolonialreich in der Sahelzone im Einsatz waren.

Ein Demonstrant vor dem Stützpunkt in Niamey, Ibrahim Mohamed, erklärte gegenüber France Info, er könne sich keine harmlose Erklärung für die zahlreichen Massaker vorstellen, die es während des französischen Kriegs in Mali in Dörfern in der gesamten Sahelzone gegeben hat: „Angesichts der ganzen Mittel, die Frankreich heute zur Verfügung stehen, mit Überwachungsdrohnen und schweren Waffen… verstehe ich nicht, wie einzelne Personen auf Motorrädern Tag und Nacht kommen können und unsere Leute töten.“

Maikoul Zodi, der für Niger zuständige Koordinator des Aktivistennetzwerks Turn The Page, erklärte am Dienstag in einer Rede vor Demonstranten rund um die Basis in Niamey: „Wir haben diesen Stützpunkt umstellt, und wir werden hier campieren, bis die letzten französischen Soldaten unser Gebiet verlassen, bevor wir nach Hause gehen.“

Paris verfolgt jedoch eine unverhohlen neokoloniale Politik. Präsident Emmanuel Macron und die Militärs weigern sich weiterhin, ihre Truppen abzuziehen oder den unpopulären französischen Botschafter in Niger, Sylvain Itté, auszutauschen. Anonyme französische Offiziere drohen in der Presse mit der Unterdrückung der Proteste in Niamey und kündigen an, dass ein Abzug dazu genützt würde, die französische Kampfkraft in der gesamten Sahelzone zu stärken.

France Info zitierte den „Generalstab der Armee“ mit der Warnung: „Französische Truppen sind bereit, auf jede Bedrohung von [Frankreichs] militärischen und diplomatischen Positionen in Niger mit Vergeltungsmaßnahmen zu reagieren.“

Am Dienstag bestätigten französische Regierungsvertreter, dass sie Verhandlungen mit dem nigrischen Militärregime über einen teilweisen Abzug der französischen Truppen aus Niamey aufgenommen haben. Doch diese Gespräche zielen darauf ab, den französischen Truppen die Möglichkeit zu geben, sich aus den am stärksten umkämpften Gebieten Nigers zurückzuziehen, damit sie ihre Kampfeinsätze in anderen Teilen der Region fortsetzen können.

Le Figaro schrieb: „Es ist sinnlos, mehr als tausend Soldaten in diesem Gebiet untätig zu lassen. Laut dem Verteidigungsministerium wurden ,funktionale‘ Diskussionen darüber aufgenommen, um den Rückzug gewisser militärischer Elemente zu organisieren. Hierbei handele es sich jedoch um ,vorbereitende‘ Diskussionen technischer und nicht politischer Natur. Die Soldaten könnten woanders eingesetzt werden, ihre Zahl ist noch nicht festgelegt. Der Generalstab will seine operative Glaubwürdigkeit vor Ort [in Niger] aufrechterhalten. Der Schritt könnte natürlich auch wieder rückgängig gemacht werden.“

Ein Vermittlungsangebot Chinas, dem zweitgrößten Handelspartner Nigers nach Frankreich, haben die französischen Regierungsvertreter ignoriert. Der chinesische Botschafter in Niger, Jiang Feng, hatte dieses Angebot unterbreitet, nachdem er sich mit Ali Mahaman Lamine Zeine, dem von der Militärjunta ernannten Premierminister, getroffen hatte.

Jiang erklärte: „Die chinesische Regierung will eine positive Rolle als Vermittler spielen und dabei die Länder in der Region vollständig respektieren, um eine politische Lösung für die Krise in Niger zu finden. … China folgt immer dem Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder.“ Weiter äußerte er die Hoffnung, die afrikanischen Länder könnten „ihre Probleme auf afrikanische Art und Weise lösen“.

Der Versuch des chinesischen Regimes, eine Einigung mit Paris auszuhandeln, ist Ausdruck der Besorgnis innerhalb der herrschenden Kreise Pekings über Macrons aggressive Politik in Niger. Seit dem Putsch am 26. Juli, bei dem der von Frankreich unterstützte Präsident Mohamed Bazoum gestürzt wurde, hat Macron aggressiv auf Sanktionen gegen Niger und auf Vorbereitungen für einen Einmarsch der Staaten der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) gedrängt, um Bazoum wieder an die Macht zu bringen. Die Sanktionen und die Drohung, die Junta in Niamey zu stürzen, stehen im Widerspruch zu wichtigen chinesischen Wirtschaftsinteressen.

Peking baut groß angelegte Infrastrukturprojekte in Niger, eines der ärmsten Länder der Welt, das jahrzehntelang unter der Vorherrschaft Frankreichs stand und erst 1960 formelle Unabhängigkeit erlangte. China baut eine 2.000 Kilometer lange Ölpipeline, um nigrisches Öl zu Häfen in Benin zu befördern, und ein Wasserkraftwerk in Kandaji am Niger für eine Milliarde Euro, um die Zahl der Stromausfälle in Niger zu verringern. Es ist unklar, ob die von Frankreich und der ECOWAS verhängten Sanktionen Pekings Projekte blockieren können oder ob Niger in der Lage wäre, mit seinen Ölexporten auf dem Weltmarkt die ECOWAS-Sanktionen zu umgehen.

Allerdings ist bereits offensichtlich, dass Paris mit der größten Herausforderung seiner Machtstellung in dem ehemaligen Kolonialreich seit dem blutigen algerischen Unabhängigkeitskrieg von 1954–1962 konfrontiert ist. Vor dem Putsch in Niger gab es bereits eine Reihe von Umstürzen in den Nachbarstaaten Mali und Burkina Faso, wo Militärregimes an die Macht kamen, die den Abzug der französischen Truppen aus ihren Ländern forderten. Darin äußerte sich die wachsende Empörung von Arbeitern und Jugendlichen über das Blutvergießen in Mali und der gesamten Sahelzone während Frankreichs Krieg 2013–2022.

Die Krise des französischen Imperialismus ist umso ernster, da in der französischen Arbeiterklasse enormer Widerstand gegen Macrons Spardiktat im eigenen Land existiert. Im Frühjahr hatte er den Willen der Bevölkerung mit Füßen getreten und Rentenkürzungen gegen den überwältigenden Widerstand der großen Mehrheit der Bevölkerung und gegen Massenstreiks von Millionen Arbeitern durchgesetzt. Die Bereitschaftspolizei ging mit brutaler Gewalt gegen Streikende und Demonstranten vor. Nach der Rentenkürzung setzte er angesichts des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine eine Erhöhung des Militäretats um 100 Milliarden Euro durch.

Es entwickeln sich die objektiven Bedingungen für einen vereinten internationalen revolutionären Kampf der Arbeiter in Frankreich und dessen ehemaligen afrikanischen Kolonien gegen den Imperialismus.

Die entscheidende Frage für den Aufbau einer solchen Bewegung ist ein politischer Bruch mit den nationalen Gewerkschaftsbürokratien und den mit ihnen verbündeten pseudolinken und nationalistischen Parteien auf der Grundlage eines internationalen Kampfs gegen imperialistischen Krieg und für Sozialismus. In Frankreich haben diese Kräfte im Frühjahr breitere Streikaktionen zum Sturz Macrons während des Kampfs gegen die Rentenkürzungen verhindert. In Niger und der gesamten Sahelzone arbeiten sie daran, die Verhandlungen der Militärjunten mit dem Imperialismus zu unterstützen, und versuchen, sie fälschlicherweise als „linke“ antiimperialistische Regierungen darzustellen.

In Wirklichkeit versucht die Junta in Niger verzweifelt, die Beziehungen zu Macron aufrechtzuerhalten und gleichzeitig den explosiven Widerstand von Arbeitern und Jugendlichen gegen den Imperialismus zu entschärfen. Während der Verhandlungen zwischen den nigrischen und französischen Streitkräften um einen Teilabzug der Franzosen machte die Junta ihre Position bei einer Pressekonferenz mit Premierminister Zeine unmissverständlich klar.

Zeine rief zur Zusammenarbeit mit dem französischen Imperialismus auf, wies aber darauf hin, dass die Militärpräsenz Frankreichs in Niger „illegal“ sei, da sie von der Bevölkerung abgelehnt und von der Regierung nicht bewilligt wurde. Er wies auf die „Gespräche“ der Junta mit dem französischen Militär hin und erklärte: „Wir möchten, wenn möglich, eine Zusammenarbeit mit dem Land erhalten, mit dem wir so vieles gemeinsam haben.“

Auch die Menschenrechtsorganisationen und Aktivistengruppen im Turn-The-Page-Netzwerk, die in die Proteste in Niger intervenieren, sind trotz ihrer Aufrufe zum Widerstand gegen Frankreich eng an imperialistische Interessen gebunden. Die Website des Netzwerks nennt als Sponsoren u.a. die französische staatliche Entwicklungsagentur AFD, die vom deutschen Staat finanzierte Rosa-Luxemburg-Stiftung und das US-amerikanische National Democratic Institute (NDI). Letzteres ist Teil der National Endowment for Democracy (NED), die seit langem CIA-Gelder vermittelt.

Der Kampf gegen Imperialismus und Krieg kann nur erfolgreich sein, wenn die Proteste der Arbeiter in ganz Afrika, Europa und der Welt in einer internationalen Bewegung gegen den Imperialismus und die Vorherrschaft der kapitalistischen Eliten über Wirtschaft und Gesellschaft vereint werden. Dies erfordert Widerstand sowohl gegen den Imperialismus als auch gegen seine diversen kleinbürgerlichen Agenturen in den ehemaligen Kolonialländern und den Aufbau einer internationalen Bewegung der Arbeiterklasse gegen imperialistischen Krieg und für den Sozialismus.

#Titelbild: Französische Soldaten steigen am 9. Juni 2021 in Niamey, Niger, aus einem C130-Frachtflugzeug der US-Luftwaffe [AP Photo]

Quelle: wsws.org… vom 7. September 2023

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