Nein zu den reaktionären Angriffen der Türkei – Solidarität mit Rojava!
Leonie Schmidt. Die Welt schaut gerade nach Israel und betrauert dabei fast ausschließlich die getöteten israelischen Zivilist:innen, während das Töten palästinensischer als Kampf gegen Terrorismus bemäntelt und damit unsichtbar wird. Doch ebenso unsichtbar bleibt eine weitere humanitäre Katastrophe: In Nordsyrien, in den Gebieten der kurdischen Selbstverwaltung Rojava (Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien), fliegt die Türkei nun seit über einer Woche Bombenangriffe, die die Infrastruktur zerstören, Menschen töten und die schwersten dieser Art seit langem sind.
Seit dem 5.10.23 wurden 47 Menschen ermordet, darunter auch neun Zivilist:Innen und zwei Kinder (Stand 11.10.23). So wurden bereits mehrere Krankenhäuser durch die Angriffe zerstört sowie ein Kraftwerk getroffen, außerdem die Wasser- und Energieversorgung, Schulen, Ölfelder, Fabriken, Waren- sowie Geflüchtetenlager und Dörfer. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Infrastruktur massiv angegriffen wird, was nach internationalem Recht ein Kriegsverbrechen darstellt. So ist in großen Teilen Rojavas nach den Angriffen die Stromversorgung eingebrochen. In vielen Fällen sollen die Luftschläge auch Menschen in Fahrzeugen und auf Motorrädern gegolten haben.
Erdogan möchte den Menschen die Lebensgrundlage rauben und er legitimiert es wie Netanjahu mit dem Kampf gegen den Terrorismus. Am 2. Oktober kam es zu einem Anschlag der PKK in Ankara und nun wird behauptet, einer der Attentäter würde aus Nordsyrien stammen, wenngleich es dafür keine Beweise gibt. Aber die braucht es für Erdogan schließlich auch nicht, da diese Behauptung seiner Ideologie und seinem rassistischen Kampf gegen die Kurd:innen entspricht. Bereits im November 2022 wurde ein Anschlag in Istanbul als Vorwand genutzt, einen zweiwöchigen Luftangriff auf die Region zu fliegen, wo ebenso Infrastruktur getroffen wurde und unter dessen Auswirkungen die Bevölkerung heute noch zu leiden hat. Seit den Angriffen gibt es nur einige Stunden am Tag Strom, Diesel ist rar und teuer geworden und auf eine neue Gasflasche zum Kochen muss man in der Regel eine Woche warten. Hinzu kommt die enorme psychische Belastung für die Bevölkerung. Drohnenangriffe sind allgegenwärtig. Und damit nicht genug: Innerhalb der Türkei wird das gerade dadurch begleitet, dass Dutzende prokurdische Aktivist:innen inhaftiert und insgesamt ein harter Kampf gegen die fortschrittlichen Bewegungen geführt wird.
Doppelmoral, so weit das Auge reicht
Erdogan sagte in einer gestrigen Ansprache an die Staatengemeinschaft, man solle sich hinsichtlich der Luftschläge gegen Gaza doch zurückhalten, denn es würde nicht den Menschenrechten entsprechen, Infrastruktur zu zerstören. Er prangerte des Weiteren das Schweigen der internationalen Staatengemeinschaft hinsichtlich dieser humanitären Katastrophe in Gaza an. Wenngleich seine Aussagen bezüglich Gazas einen wahren Kern enthalten, so ist das doch am Ende des Tages nichts weiter als dreckige Heuchelei. Scheinbar sind ihm Menschenrechte ziemlich egal, wenn es um den eigenen Dorn im Auge geht: den kurdischen Befreiungskampf.
Auch die USA und Russland nehmen die Angriffe ohne ein Augenzucken hin, denn sie sind es, die den Luftraum in Nordsyrien kontrollieren. Ohne die Zustimmung der Militärs beider wären die türkischen Angriffe nicht möglich. Jedoch gibt es aktuell das unbestätigte Gerücht, die USA hätten eine Drohne des Nato-Bündnispartners Türkei über dem Ort Tell Beydar abgeschossen. Sollten diese Meldungen zutreffen, wäre es das erste Mal, dass US-Militär ein Flugobjekt der Türkei abgeschossen hat.
Ziele der Türkei
Die Türkei verfolgt mit dem Angriff ihr eigenes Ziel, als Regionalmacht an der Neuordnung des Nahen Ostens mitzuwirken, aber auch innenpolitische Ambitionen werden vom Regime in Ankara verfolgt.
Die Türkei steckt seit Jahren in einer Wirtschaftskrise. Besonders die Inflation hat nach wie vor ein sehr hohes Ausmaß und die türkische Währung Lira ist weiterhin schwach. Im August lag die Teuerungsrate bei 58,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat, was extrem hoch ist. Diese wird auf Arbeiter:innen und Jugendliche abgewälzt. Der Krieg in Syrien schafft eine äußere Ablenkung von den sozialen Angriffen, aber bedient auch ganz unmittelbar ökonomische Interessen:
Die „TOKI“-Häuser sollen da, wo zerstört wird, von staatlichen Bauunternehmen aufgebaut werden und die Baubranche ankurbeln (TOKI: Toplu Konut İdaresi Başkanlığı; im Jahr 1984 gegründete türkische Wohnungsbaubehörde). Außerdem will Erdogan in diesem Gebiet bis zu 2 Millionen Geflüchtete zwangsweise ansiedeln und das passt wiederum super in den Kram der EU. Siehe die aktuelle GEAS-Gesetzgebung, bei der Menschen aus vermeintlich sicheren Herkunftsstaaten (z. B. Türkei, Indien oder Tunesien) so schnell wie möglich dorthin abgeschoben werden sollen. Auch für Menschen aus Staaten, auf die diese Kategorie nicht zutrifft, finden die EU-Innenminister:innen einen Weg, der an einem Asyl für diese vorbeiführt. Die Reform besagt, dass nun auch eine Abschiebung in ein „sicheres Drittland“, welches auf dem Fluchtweg passiert worden ist oder auf andere Weise mit der geflüchteten Person assoziiert wird (z. B. über entfernte Verwandtschaft), möglich sei.
Der Kampf um Befreiung ist international
Rojava muss gegen die Angriffe des türkischen Staates verteidigt werden. Der Kampf gegen die Militärmaschinerie der Türkei, gegen das PKK-Verbot in Europa, für uneingeschränkte legale Betätigung aller Befreiungsbewegungen und, wann immer möglich, das Leisten materieller Hilfe für die Verteidigung von Rojava ist aktuell notwendig und könnte den entscheidenden Unterschied ausmachen.
Gleichzeitig müssen wir auf die Doppelmoral und auf die Ähnlichkeiten der Kämpfe in Gaza und in Nordsyrien hinweisen: one struggle, one fight! Für das Recht auf nationale Selbstbestimmung!
- Schluss mit den Angriffen auf Rojava! Solidarität mit dem kurdischen Volk!
- Nein zu allen Abschiebungen in die Türkei! Niederschlagung aller Verfahren gegen kurdische Aktivist:innen!
- Aufhebung der sog. Antiterrorliste der EU! Weg mit dem Verbot der PKK und anderer kurdischer Vereine!
Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 25. Oktober 2023
Tags: Kurdistan, Repression, Türkei, Widerstand
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