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Können die israelischen Arbeiter:innen zur Befreiung Palästinas beitragen?

Eingereicht on 11. November 2023 – 12:17

Dan Kedem &Rojhat Altuntaş. Im Zuge des genozidalen Kriegs der israelischen Regierung gegen die palästinensische Bevölkerung in Gaza taucht wieder die Frage auf, welche Rolle israelischen Arbeiter:innen dabei zukommt. Sind sie revolutionäres Subjekt oder vom Zionismus korrumpiert?

In der letzten Woche stellten sich Arbeiter:innen im südenglischen Kent zusammen mit pro-palästinensischen Aktivisten vor das Werkstor einer israelischen Rüstungsfirma, um Waffenlieferungen an den zionistischen Staat zu blockieren. Gewerkschaften in Belgien gingen einen Schritt weiter und weigerten sich ebenfalls, Waffen nach Israel zu transportieren. Auch die Hafenarbeiter:innen in Barcelona haben verkündet, dass sie den nach Israel Waffen transportierenden Schiffen den Einsatz nicht erlauben werden. Diese Arbeiter:innen nehmen ihre internationalistische Pflicht wahr, mit Taten den genozidalen Krieg zu stoppen.

Zurecht fragen sich aktuell viele Menschen, was mit der Arbeiter:innenklasse Israels ist – für die einen ist klar, dass die Arbeiter:innenklasse Israels keine Rolle in der Befreiung Palästinas spielen wird. Es wird geradezu essentialistisch von einer Klasse von Siedler:innen gesprochen, die immer und in jeder Situation dem zionistischen Block die Treue halte.

Für die anderen hingegen reichen abstrakte Appelle nach geschwisterlicher Einheit zwischen der Arbeiter:innenklasse Palästinas und Israels, unabhängig von der konkreten Realität auf dem Gebiet von ‘48. Wir wollen die Diskussion mit beiden Polen vertiefen und mit diesem Artikel aufzeigen, ob und in welchem Umfang Teile der israelischen Arbeiter:innenklasse eine Rolle bei der Befreiung Palästinas spielen können und müssen.

Israels Gründung basiert nicht auf Selbstbestimmung, sondern dem Siedlerkolonialismus in Kooperation mit dem Imperialismus

Zuallererst gilt es für uns, eine klare Analyse des zionistischen Regimes und dem Verhältnis zwischen Unterdrückten und Unterdrückern zu haben. Wir stimmen mit der Arbeitsdefinition von IHRA zum Antisemitismus nicht überein, die behauptet, Israels Entstehung beruhe auf einer demokratischen Selbstbestimmung. Aus historisch-materialistischer Sicht ist der zionistische Staat ein von imperialistischen Staaten vorangetriebenes Projekt, um als Brückenkopf deren Interessen in der Region zu sichern. Theodor Herzl, Gründer und Theoretiker der zionistischen Bewegung, definierte in seinem berühmten Werk „Der Judenstaat“ die Funktion eines solchen Staates:

Für Europa würden wir dort ein Stück des Walles gegen Asien bilden, wir würden den Vorpostendienst der Kultur gegen die Barbarei besorgen.

Unter dem britischen Mandat nahmen die israelischen Siedlungen in Palästina ab 1920 bedeutend zu. Die zionistische Bewegung trieb die Siedlungsbildung voran und strebte die Gründung eines jüdischen Staates auf palästinensischem Gebiet an. Als die UN-Generalversammlung im Jahr 1947 den Teilungsplan Palästinas diktierte, bildeten die Palästinenser:innen mit zwei Dritteln die breite Mehrheit der Bevölkerung. Nur ein Drittel bestand aus jüdischen Siedler*innen. Die zionistische Bewegung bekam 52 Prozent des Territoriums. Diese offensichtliche Rückendeckung ermutigte die zionistische Siedler:innenbewegung, militärisch palästinensische Dörfer und Häuser anzugreifen und Massaker zu verüben, um die Palästinenser:innen zu vertreiben.

Seit seiner Gründung ist der israelische Staat ein Instrument zur Unterdrückung, Ausgrenzung und Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung. Millionen Palästinenser:innen leben unter einem militärischen Besatzungsregime,  ungefähr 6 Millionen sind im Exil, in den Nachbarländern und über die Welt verteilt. Apartheid war von Anfang an in den Zionismus eingeschrieben und aufgrund des rapide beschleunigten Siedlungsbaus im Westjordanland vollendet sich immer mehr eine weitere Nakba zwischen dem Jordan Fluss und Mittelmeer. Das zionistische Projekt ist und bleibt ein aktiv-koloniales.

Der Staat Israel profitiert zudem auch von seiner strategischen Stellung im Imperialismus: ein Land, das zwar militärisch und ökonomisch vom westlichen Imperialismus abhängig ist, aber nicht ausgeplündert wird. Israel wird von einem geschlossenen Block an imperialistischen Staaten subventioniert, um in der Region ihre geopolitischen Interessen zu erfüllen. Diese besondere Funktion erlaubt dem israelischen Staat eine politische Selbstständigkeit, die sie aufgrund der hochentwickelten Rüstungsindustrie zu einer Regionalmacht werden liess.

Wie gelingt es dem israelischen Staat, die Arbeiter:innen ruhigzustellen?

Bis heute wird das Argument vorgeschoben, der zionistische Staat diene als Schutzraum für die jüdische Bevölkerung. Dieses Argument verschleiert die Tatsache, dass Israel in seinem Inneren eine kapitalistische Klassengesellschaft ist. Die israelische Bourgeoisie besitzt die Produktionsmittel und die große Mehrheit muss ihre Arbeitskraft verkaufen, um zu überleben. Zwischen den Besitzenden und den Nicht-Besitzenden gibt es einen unversöhnlichen Gegensatz, der sich gelegentlich in Form von Streiks und anderen sozialen Protesten ausdrückt. Doch diese Streiks gehen über ökonomische Forderungen (oft nur für jüdische Israelis) nicht hinaus und klammern bewusst die Fragen der Unterdrückung aus.

Die zionistische Ideologie lebt von einer größtmöglichen Verschleierung der Klassenwidersprüche – durch rassistische und chauvinistische Abgrenzung gegenüber allem Arabischen wird die nationale Einheit großgeschrieben und heraufbeschworen sowie zur Legitimation ihrer Bluttaten verwendet. Selbst die „linken“ Spielarten des Zionismus (wie beispielsweise der sogenannte „Labour-Zionismus“ oder die Kibbuznik-Bewegung) waren in erster Linie Ideologien zur Vervollständigung eines rassistischen Kolonialprojektes, die das Nationale vor die Interessen der gesamten Klasse stellten. Die von linken Zionisten viel gepriesene Kibbuznik-Bewegung diente allen voran dem Ziel, durch kleine, ausschließlich jüdische Kollektivfarmen, immer mehr Landstriche im historischen Palästina einzunehmen, die durch bewaffnete jüdische Einheiten bewacht waren. Deshalb sind Kibbutzim in ihrer Mehrheit an den äußersten Grenzregionen des heutigen israelischen Staates vorzufinden. Für die jüdisch-israelische Arbeiter:innenbewegung waren diese extremen Formen des Chauvinismus zur Etablierung des Staates prägend.

Das zionistische Apartheidsregime basiert daher auf chauvinistischen Organisationen, reformistischen Vermittlungsinstanzen und einer restriktiven Verfassung, die selbst Palästinenser:innen mit israelischem Pass systematisch benachteiligt. Israelische Arbeiter:innen haben mit der Histadrut (Hebräisch für „Zusammenschluss“) eine zutiefst chauvinistische Führung, die bis heute noch mit dem zionistischen Staat eng verwoben ist. Um diesen Status Quo beizubehalten, muss die Arbeiter:innenklasse je nach ihren Schichten in unterschiedlichen Abstufungen gewisse Rechte genießen, die den Palästinenser:innen nicht zugänglich sind. Durch das israelische Apartheidregime und das Bündnis zwischen Gewerkschaften, Staat und Kapital hat sich die jüdisch-israelische Arbeiter:innenklasse gewisse materielle, strukturelle und demokratische Privilegien verschafft. Allein im Vergleich mit den palästinensischen Arbeiter:innen mit israelischem Pass verdient ein:e jüdisch-israelische:r Arbeiter:in circa 35 Prozent mehr. Der durchschnittliche Lebensstandard im Vergleich zu den Palästinenser:innen in der Westbank, Gaza oder gar diejenigen, die israelische Arbeitsvisa besitzen, ist noch um ein Vielfaches höher: Allein der Mindestlohn in Israel beträgt das Doppelte eines durchschnittlichen Lohns in der Westbank und das Vierfache eines Lohns in Gaza. Israelis profitieren zudem von einer besseren Infrastruktur und Zugang zu natürlichen Ressourcen wie beispielsweise Grundwasser. Ein:e jüdisch-israelische:r Arbeiter:in besitzt auch vollkommene Bewegungsfreiheit, hat Anspruch auf subventioniertes Wohnen auf gestohlenem Land und profitiert vom ständigen Landraub und der Verschiebung der Staatsgrenzen immer weiter in die palästinensischen Gebiete. Durch seine immense militärische Macht hat Israel auch noch den Vorteil, nicht alle paar Jahre von Bomben zerstörte Krankenhäuser, Schulen oder öffentliche Einrichtungen im Belagerungszustand wieder aufbauen zu müssen.

Der größte Gewerkschaftsverband Histadrut ist 1920 gegründet worden und ging somit der Gründung des Staates Israels voraus. Er hatte seine primäre Aufgabe darin, die einheimische Bevölkerung Palästinas zu vertreiben und eine rein jüdische Gesellschaft aufzubauen. Diese „Gewerkschaft“ (wenn man sie so nennen darf) kümmerte sich daher nicht in erster Linie um Fragen von Löhnen und Arbeitsbedingungen, sondern um den Ausschluss von palästinensischen Arbeiter:innen aus dem Arbeitsmarkt. Anstatt eine Einheit zwischen Jüd:innen und den palästinensischen Massen im damaligen Palästina herzustellen, trieb die Histadrut die Kolonisierung voran – sie gründete eigene Unternehmen, um ausschließlich jüdische Arbeiter:innen zu beschäftigen und baute während des antikolonialen Aufstandes von 1936 einen alternativen Hafen in Tel Aviv, um den Streik in der arabischen Stadt Jaffa zu umgehen. Sie setzte ebenfalls während des Generalstreiks von 1936 jüdische Arbeiter:innen vielfach als Streikbrecher:innen ein, um den Anteil von Jüd:innen zulasten der Palästinenser:innen in Schlüsselbereichen zu vergrößern. Die Histadrut bleibt bis heute trotz der umfassenden Neoliberalisierung der israelischen Wirtschaft ein Instrument zur Wahrung des zionistischen Burgfriedens und Beibehaltung von bestimmten Vorrechten und Privilegen, die nur auf Kosten der Palästinenser:innen genossen werden können. Sie ist nicht nur personell und strukturell eng mit den chauvinistischen Parteien des “linken” Zionismus verbunden, sondern auch mit denen des liberalen Zionismus und in Teilen auch mit denen des rechten, an den heutigen Tagen offen genozidalen Zionismus, wie beispielsweise der Likud. Vor dem Hintergrund halten wir die Partnerschaft zwischen DGB und Histadrut für problematisch, weil sich die deutschen Gewerkschaften dadurch zu Komplizen der rassistischen Agenda der Histadrut macht.

Da diese „linken“ zionistischen Organisationen einen genauso großen Anteil an der Unterdrückung der Palästinenser hatten und stets die nationale Einheit vor Klasseninteressen stellten, waren diese Teile der Klasse noch empfänglicher für die Demagogie der Rechten als ohnehin schon. Ein plastisches Beispiel dafür waren die sozialen Proteste 2011 gegen steigende Lebens- und Wohnkosten. Anstatt die zionistische Einheit herauszufordern und das System der Unterdrückung der Palästinenser:innen zu thematisieren, klammerte die kleinbürgerliche Führung die nationale Frage chauvinistisch aus. Die Rechte konnten deshalb die Proteste mit dem Argument passivieren, dass man sich für günstigen Wohnraum der Kolonisierung in der West Bank anschließen kann.

Nicht alle israelischen Arbeiter:innen profitieren vom Zionismus

Um die Frage zu beantworten, ob und in welchem Umfang die Arbeiter:innenklasse Israels einen Beitrag zur Befreiung Palästina leisten kann, müssen wir uns ihre Zusammensetzung anschauen. Es gibt nicht die israelische Arbeiter:innenklasse – es gibt ihren jüdischen Teil, einen arabisch-palästinensischen Teil und eine Subgruppe von enorm prekären „Gastarbeiter:innen“, die verhindern soll, dass man zu sehr auf palästinensische Arbeitskräfte angewiesen ist.

Die jüdische Arbeiter:innenklasse in Israel ist multiethnisch und ebenfalls stark nach diesen Linien geprägt. Mittlerweile ist eine Mehrheit der jüdischen Bevölkerung in Israel Mizrahi, stammt also aus Nordafrika oder anderen arabischen Staaten. Diese bildet das Rückgrat der jüdischen Arbeiter:innenklasse, ist aber zunehmend auch in den Mittelschichten und sogar in der Bourgeoisie vertreten. Israel war lange (und ist noch immer) eine Migrationsgesellschaft. Die verschiedenen Wellen der Kolonisierung Israels haben auch dazu geführt, dass selbst jüdische Teile der Bevölkerung unterschiedlichen Formen von Unterdrückung, Rassismus und Chauvinismus ausgesetzt werden.

Um ein „jüdischer“ Staat zu sein, seine jüdische Mehrheit aufrechtzuerhalten und sein Ziel zu erreichen, die Jüd:innen aus der ganzen Welt auf seinem Territorium zu versammeln, muss der zionistische Staat jüdische Einwanderer:innen aus der ganzen Welt ansiedeln, und zwar auf Kosten der Palästinenser:innen. Dieser Prozess ist ein anhaltender. Da der historische Zionismus ein Projekt des jüdisch-europäischen Kleinbürgertums war, waren diese auch unter den ersten Siedler:innen stark vertreten. Das europäische Judentum prägte maßgeblich den Charakter des zionistischen Gedankens – sie brachten zudem auch ihren Chauvinismus gegenüber dem nicht-europäischen Judentum mit. Man war sich aber auch der Schwierigkeiten bewusst, die Jüd:innen Europas mehrheitlich für den Zionismus zu begeistern. Da Arbeitskräfte für das Land und die Fabriken dringend gebraucht wurden und die „Besatzung durch Arbeit“ (Kibush Havoda) eine Vorbedingung zur Schaffung eines jüdischen Staates auf dem Boden Palästinas war, organisierte man zunehmend die Zuwanderung von Jüd:innen aus arabischen Ländern.

Die Jüd:innen aus dem Irak, Marokko, Jemen, Ägypten etc. sollten daher die einfache Arbeit übernehmen und dafür sorgen, dass das zionistische Kolonialprojekt nicht von einer direkten Ausbeutung der Unterdrückten lebt. Um es mit den Worten David Ben-Gurions zu sagen:

Wir brauchen Menschen, die als Arbeiter geboren sind. Wir müssen uns an die lokalen Elemente der orientalischen Juden wenden, der Jemeniten und Sepharadim [auch „Mizrachim“ genannt], deren Lebensstandard und Forderungen niedriger sind als die des europäischen Arbeiters, und die dann erfolgreich mit den Arabern konkurrieren können.

Die Jüd:innen aus den arabischen Staaten wurden lange wie Bürger:innen zweiter und dritter Klasse behandelt. Sie wurden kulturell für Primitive erklärt und ihre arabische Sprache verhöhnt. Es wurden sogar die Neugeborenen jemenitischer Eltern aus ihren Familien entführt und an kinderlose aschkenasische (europäische Jüd:innen) Paare gegeben. Sie verbrachten meist ihre ersten Jahre in Zeltstädten (Ma’abarot), bevor sie an vorderster Front in die neugebauten „Entwicklungsstädte“ geschickt wurden, die meist direkt an der Grenze lagen. Diese Entwicklungsstädte waren meistens sehr industriell geprägt und bevorzugt mit Einrichtungen zur technischen Bildung der Bevölkerung ausgestattet. Die Diskriminierung von Mizrahim war und ist real. Sie ist auch anhaltend – bis heute arbeiten sie häufiger für weniger Geld und der Arbeitsmarkt an vielen Stellen bleibt stark nach ethnischen Linien segregiert.

Seit den 90er Jahren kommen die Jüd:innen Äthiopiens (Beta Israel) dazu – diese bilden den unterdrücktesten Teil der jüdisch-israelischen Arbeiter:innenklasse. Dieser Teil der jüdischen Gesellschaft wird unter anderem als „Falaschen“ (Heimatlose, Außenseiter) bezeichnet, was den Rassismus, dem sie ausgesetzt sind, präzise zum Ausdruck bringt. Angesichts der Tatsache, dass sie schwarz sind und Teile ihrer Vorfahren damals durch Kolonisten zum Christentum zwangskonvertiert wurden, bleibt ihnen verwehrt, als „vollwertige“ Jüd:innen anerkannt zu werden. Darüber wurden jahrelang die äthiopischen Jüdinnen aus rassistischen Motiven gegen ihren Willen zwangssterilisiert. Aufgrund dieser Unterdrückungsrealität kommt es immer wieder vor, dass die äthiopischen Jüd:innen gegen die Regierung protestieren.

Obwohl diese Teile der jüdischen Arbeiter:innenklasse am prekärsten leben und häufig rassistischer Diskriminierung und Unterdrückung ausgesetzt werden, ist ihr Chauvinismus gegenüber den Palästinenser:innen nicht weniger stark ausgeprägt. Die mizrahische Bevölkerung bildet sogar die Basis mehrerer rechter, zionistischer Parteien, die in der ultrarechten Regierung Netanyahus vertreten sind. Diese Abkehr großer Teile der jüdisch-israelischen Arbeiter:innenklasse weg von den traditionellen Organisationen der Arbeiter:innenklasse hin zu der Rechten hängt stark damit zusammen, dass die Histadrut und die israelische „Arbeiterpartei“ für die rassistische Unterdrückung in den ersten Jahren der Geschichte Israels verantwortlich waren.

Zur sozialen Basis der Arbeiter:innenklasse in Israel gehören auch die sogenannten „Gastarbeiter:innen“. Nach der zweiten Intifada beschloss der israelische Staat, Arbeiter:innen aus dem Ausland anzuwerben, um das Bedürfnis nach billigen Arbeitskräften zu befriedigen und die palästinensischen Arbeiter:innen zu ersetzen. Die Gastarbeiter:innen in Israel kommen aus Ostasien, Osteuropa, Lateinamerika und Afrika und arbeiten überwiegend in der Landwirtschaft, im Bauwesen, in der Altenpflege, im  Reinigungssektor und im Tourismus. Die Gastarbeiter:innen dürfen (mit Ausnahme des Pflegesektors) maximal fünf Jahre in Israel bleiben. Diese migrantischen Arbeiter:innen leben hochprekär und besitzen wenige Rechte: ihre Aufenthaltstitel sind streng an ihre Arbeit gekoppelt – Pflegekräfte dürfen beispielsweise nur dreimal ihren Arbeitgeber wechseln, bevor ihnen die Arbeitserlaubnis entzogen wird. Das Recht auf Familiennachzug ist in den meisten Fällen entweder stark eingeschränkt (bis auf den Lebenspartner) oder gar nicht existent. Dies wird vor allem durch die Angst begründet, Migrant:innen würden sich sonst dauerhaft im israelischen Staat niederlassen wollen. Migrantischen Arbeiterinnen, die während ihres Aufenthalts schwanger werden, werden in der Regel auch die Arbeitserlaubnis entzogen. Dadurch, dass seit dem Krieg in Gaza den 90.000 palästinensischen Arbeiter:innen in Israel ihre Arbeitserlaubnis entzogen wurde, plant die Israelische Regierung, sie durch indische Arbeitskräfte zu ersetzen.

Zur Frage, welche Kräfte in Israel im Kampf um die Befreiung Palästinas besonders relevant sind, gehören die mehr als 2 Millionen sogenannten arabischen Israelis (Palästinenser:innen mit israelischem Pass). Sie stellen inzwischen gut ein Fünftel der Gesamtbevölkerung des israelischen Staates dar und stehen heute schon dem Zionismus nicht loyal gegenüber, weshalb sie für den palästinensischen Befreiungskampf unverzichtbar sind. Sie sind deshalb beispielsweise auch von der allgemeinen Wehrpflicht befreit. Die palästinensisch-arabischen Israelis sind in den meisten Fällen direkte Nachkommen der 156.000 Palästinenser:innen, die im Zuge der Nakba im jungen zionistischen Staat verblieben. Sie verdienen im Schnitt weniger als zwei Drittel ihrer jüdischen Klassengeschwister und leben zu 40 Prozent in Armut. Arbeitslosigkeit (vor allem in der Jugend) ist viel weiter verbreitet als in der jüdisch-israelischen Bevölkerung und Araber:innen sind zahlenmäßig überdurchschnittlich im Niedriglohnbereich beschäftigt. Aufgrund eines stark segregierten Arbeitsmarktes arbeiten sie häufig nicht Seite an Seite mit den jüdischen Arbeiter:innen und stellen aus diesem Grund eine Größe vor allem im Bausektor, in der Agrarwirtschaft und in der Produktion dar. Im für das israelische Kapital so wichtigen „High-Tech“-Sektor arbeiten nur 1% palästinensisch-arabische Israelis. De jure besitzen sie als israelische Staatsbürger:innen viele derselben Rechte wie jüdische Israelis: Apologet:innen des zionistischen Staates verweisen deshalb oft auf die Tatsache, dass israelische Araber:innen mit verschiedenen Parteien (aktuell nur zwei) in der Knesset (israelisches Parlament) vertreten sind und als Richter:innen, Ärzt:innen etc. arbeiten dürfen als einen vermeintlichen Beweis dafür, dass Israel in Wirklichkeit gar keine Apartheidstaat sei. De facto schon immer und spätestens seit dem Nationalitätengesetz 2018 de jure sind Palästinenser:innen mit israelischem Pass Bürger:innen zweiter Klasse. Israel definiert sich in seinem Grundgesetz als einen „jüdischen“ Staat und diskriminiert die arabische Bevölkerung daher systematisch. Sie sind beispielsweise vom Kauf jüdischen Landes größtenteils ausgeschlossen, palästinensisch-beduinische Dörfer und arabische Stadtteile sind zunehmend durch einen schleichenden Prozess der „Judaisierung“ in ihrer Existenz bedroht. Palästinensisch-arabische Israelis sind zudem durch eine Reihe rassistischer „Anti-Terror“-Gesetze der Gefahr der Ausbürgerung ausgesetzt, sollten sie sich zu sehr auf die Seite des palästinensischen Befreiungskampfes stellen.

Die Wechselbeziehung dieses Teils der israelischen Arbeiter:innenklasse zum Zionismus hat sich immer wieder als fragil und brüchig gezeigt. Wiederholt wagten sich Palästinenser:innen mit israelischer Staatsbürgerschaft auf die Straße und haben ihre kollektive Stärke gezeigt: in Solidarität mit dem palästinensischen Volk insgesamt und auch gegen die teils hetzerische Pogromstimmung gegenüber Araber:innen im zionistischen Staat. Während der ersten und der zweiten Intifada unterstützen palästinensisch-arabische Israelis materiell, finanziell und punktuell durch Streiks und Versammlungen im ganzen Land den Kampf der Palästinenser. Die strategische Bedeutung dieser Einheit zwischen Palästinenser:innen zeigte sich abermals 2021 mit der sogenannten Einheitsintifada, in deren Rahmen sich palästinensische Arbeiter:innen in Gaza, West Bank und in den ‘48 Gebieten versammelten, um gegen die ethnische Säuberungen in Ost-Jerusalem zu protestieren.

Wer befreit Palästina?

Der Guerillakrieg kann für Palästina niemals eine Strategie des Sieges sein. Er bringt die Palästinenser:innen nicht aus der Defensive heraus und blockiert die Wege, um jede arbeitende Sektoren zu erreichen, die die Kraft haben, um den gesamten Produktionsprozess lahmzulegen und einen Neuaufbau zu organisieren. Es ist nicht möglich, die Befreiung nur auf militärischer Ebene der palästinensischen Kräfte zu ermöglichen, wie dies unterschiedliche Guerilla-Bewegungen in der Vergangenheit versuchten. Die Erfahrungen von 1948, 1956, 1967 und 1973 haben bewiesen, dass Israel nicht von außen durch militärische Mittel geschlagen werden kann und dass die bonapartistischen Generäle die arabischen Massen nicht zur Befreiung führen können.

Die palästinensische Bevölkerung leidet nicht nur unter der Apartheid und der Besatzung ihres Landes, sondern auch unter ihrer politischen Führung – sowohl im Westjordanland (Fatah) als auch in Gaza (Hamas). Sie herrschen ohne demokratische Legitimität durch Mittel der Gewalt. Dazu schreiben wir in unserer internationalen Erklärung folgendes:

Wir teilen die Methoden der Hamas nicht, die Fortschritte auf dem Weg zur notwendigen Einheit im Kampf zwischen der palästinensisch-arabischen Bevölkerung, israelischen Araber:innen und sogar Teilen der jüdischen Arbeiter:innenklasse verhindern, die mit dem Zionismus und seiner verbrecherischen Politik brechen und gegen den Staat Israel und seine systematische Apartheid kämpfen. Wir teilen auch nicht ihr Programm und ihre Strategie, die als Ziel die Errichtung eines islamisch-fundamentalistischen Staates proklamiert. Während sich die von der Palästinensischen Autonomiebehörde durch die Osloer Abkommen vorangetriebene „Zwei-Staaten-Politik“ als völliger Fehlschlag erwiesen hat, so ist auch die von der Hamas vorgeschlagene Alternative nicht fortschrittlich.

Die Befreiung Palästinas muss und wird das Werk der Arbeiter:innen selbst sein. Volksfrontstrategien, die Klassen- und Programmunterschiede der politischen Strömungen miteinander versöhnen, die Arbeiter:innen als Manövriermasse behandeln und Palästina von einer Niederlage zur Nächsten führen, können Palästina nicht befreien.

Doch die Befreiung hängt nicht nur von den lokalen Kräften ab. Dazu ist Palästina weder ökonomisch noch von den materiellen Kräften her in der Lage, sich gleichzeitig gegen die Herrschaft des Zionismus und der imperialistischen Mächte zu behaupten, denn wie wir ausgeführt haben, hängt das Schicksal des zionistischen Staates mit dem Imperialismus eng zusammen. Die Zerstörung des zionistischen Staates Israel wird nur durch den Kampf gegen den Imperialismus möglich sein, der ihn politisch, finanziell und militärisch unterstützt. Die Beschützer des Zionismus sind der US-Imperialismus und die europäischen imperialistischen Staaten wie Deutschland und Frankreich. Ohne das Eingreifen dieser Mächte ist es für Israel unmöglich, als zionistischer Staat zu überleben. Die allererste Voraussetzung ist daher, dass die internationale Arbeiter:innenklasse sich als revolutionäres Subjekt herausbildet. Im imperialistischen Stadium der Weltwirtschaft sind die objektiven Bedingungen für die sozialistische Revolution überreif. Das Verständnis von der Weltwirtschaft kann nicht daran bestehen, sie als eine Summe nationaler Teile zu betrachten, sondern als eine Realität, die durch internationale Arbeitsteilung und den Weltmarkt geschaffen wurde und in der gegenwärtigen Epoche über die nationalen Märkte herrscht. Wenn die Revolution in einem ökonomisch rückständigen Land angefangen hat, ist sie auf den technischen und produktiven Fortschritt der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Ländern angewiesen.

Die Frage der Befreiung ist auch eine Angelegenheit der regionalen (Westasien) Arbeiter:innenklasse, insbesondere der aus Ägypten, Syrien, Iran, Jordanien und Libanon. Die Tragödie Palästinas besteht darin, dass das Land entweder der Komplizenschaft mit dem US-Imperialismus zum Opfer fällt (Ägypten z.B.) oder die Unterstützung nur dazu dient, die politische Macht der Hamas zu stärken (Iran, Türkei z.B.). Im Falle einer proletarischen Revolution wird Palästina eine größere Front aus der Region gegen sich aufgestellt sehen, weil diese kapitalistischen Staaten die Ausweitung der sozialen Revolution auf eigene Länder verhindern wollen würden. Daher wird das Überleben einer proletarischen Regierung in Palästina den Sturz der reaktionären Regime in Westasien erfordern.

Aktuell sehen wir die Keime einer regionalen Bewegung. Es finden große Demonstrationen in den Israel umgebenden Ländern statt, die sich gegen den zionistischen Terror richtet, der sich in Gaza vollends entfaltet. Dies führt immer wieder zu Zusammenstößen mit der jeweiligen Regierung, wie zum Beispiel in Jordanien. Sollte sich eine dieser Bewegungen radikalisieren und sich gegen die Komplizenschaft ihrer Regierung mit dem Imperialismus erheben, so wäre dies auch ein anfänglicher Impuls der regionalen Einheit der Arbeiter:innen und Unterdrückten zur Befreiung von eigenen Bourgeoisien. Der Schlüssel, zu dieser zu gelangen, liegt nicht nur im Kampf der Arbeiter:innenklasse Palästinas oder im israelischen Staat, sondern im Kampf der Arbeiter:innenklasse der gesamten Region. Die aktuellen Aktionen der internationalen Arbeiter:innenbewegung in Solidarität mit Palästina sind daher wertvoll und müssen unbedingt ausgebaut werden, um nicht nur den Krieg zu stoppen, sondern den Palästinenser:innen den Rücken zu decken, ihre Befreiung zu erreichen und sich gegen imperialistische Interventionen erfolgreich zu wehren.

Ebenfalls unzertrennlich mit dem Kampf um die Befreiung Palästinas ist für uns als Marxist:innen der unversöhnliche Kampf gegen Antisemitismus überall da, wo er auftritt. Genauso muss allen Versuchen, das Judentum mit dem zionistischen Staat und Antizionismus mit Antisemitismus gleichzusetzen, entschieden entgegengetreten werden. Antizionistische Jüd:innen in den USA, Deutschland und in Großbritannien mobilisieren heute schon zu Demonstrationen in Solidarität mit Palästina und erfahren oft im Namen des staatlichen “Kampfes gegen Antisemitismus” selber heftigste Repressionen. Diese Kräfte müssen durch uns alle unterstützt werden – und zwar durch den gemeinsamen Kampf gegen Antisemitismus in der Diaspora. Nur so können die Illusionen in den Zionismus als “Schutzraum” für Jüd:innen weltweit bekämpft werden.

Die Einheit jüdischer und palästinensischer Arbeiter:innen ist möglich

Kommen wir nun zur ursprünglichen Frage zurück, um abschließend eine Antwort zu finden. Kann die israelische Arbeiter:innenklasse revolutionäres Subjekt bei der Befreiung Palästinas sein?

Wir sind der Meinung, dass ein ausdifferenzierter Blick auf die Arbeiter:innenklasse Israels zeigt, dass es Teile gibt, die man möglicherweise zu einem Bruch mit dem Zionismus bringen kann und muss. Die palästinensischen Arbeiter:innen werden die revolutionäre Führung in einem solchen Prozess innehaben, doch wir können nicht behaupten, dass die israelischen Arbeiter:innen ontologisch niemals mit dem Zionismus brechen könnten. Selbst die rechtesten Teile werden den Bruch erst nach der Revolution vollziehen, aber die Aufgabe der Überzeugung dieser Teile wird als Erziehungsaufgabe bestehen bleiben.

Diese Politik ist für uns unverzichtbar, wenn wir von einem geschwisterlichen Zusammenleben im Rahmen einer sozialistischen Einstaatenlösung sprechen und die Befreiung wortwörtlich realisieren wollen. Wie wir aufgezeigt haben, sind weder die israelische Gesellschaft noch die israelische Arbeiter:innenklasse homogen. Es gibt nicht unwesentliche Teile, die heute schon ein ganz anderes Verhältnis zum Zionismus haben und nicht unmittelbar von ihm profitieren: nämlich die Palästinenser:innen mit israelischem Pass und die Hunderttausende Arbeitskräfte aus dem Ausland. Das größte Problem hier bleibt die politische und organisatorische Einheit mit den palästinensischen Massen, allerdings zeigen uns hier die Beispiele der beiden Intifidas und zuletzt der Generalstreik von 2021, dass auch diese Trennung überwunden werden kann. Heute scheint es illusorisch zu sein, dass die jüdisch-israelischen Arbeiter:innenklasse in ihrer Mehrheit sich dem palästinensischen Widerstand anschließt. Wir halten es aber für einen fundamentalen Fehler, deshalb die Klasse abzuschreiben. Die Aufgabe der Revolutionär:innen ist, diejenigen Sektoren der jüdisch-israelischen Arbeiter:innen zum Bruch mit dem Zionismus zu bringen, die vom Produktionsprozess ausgehend die Kraft haben, dem zionistischen Staat und seiner Wirtschaft durch Streiks, Besetzungen, Blockaden und Sabotagen größtmögliche Schaden zuzufügen, um die nationale Befreiung der Palästinenser:innen mit zu erkämpfen. Die Aufgabe dieser Teile der jüdischen Arbeiter:innenklasse ist eine revolutionär-defätistische, das heißt eine Politik, sich für die Niederlage eigenes Staates einzusetzen.

Revolutionär:innen sollten die Kämpfe der Arbeiter:innen und der sozialen Bewegungen unterstützen, die zur Destabilisierung des zionistischen Staates beitragen und die Kluft zwischen den Arbeiter:innen und dem Staat vergrößern. Das heißt, wenn möglich jedes progressive, soziale Anliegen (nicht chauvinistisch) der Israelis zu unterstützen, die die Klassenwidersprüche offenbaren. Es ist dabei notwendig, dass wir hier nicht in einen Ökonomismus verfallen: es muss zu jedem Moment für einen Bruch mit dem Zionismus und seinen materiellen Privilegien gekämpft und geworben werden – das ist eine Vorbedingung eines jeden gemeinsamen Kampfes zwischen den relevanten Sektoren der Revolutionär:innen. Dazu sollten die Kämpfe der Arbeiter:innen und der sozialen Bewegungen unterstützt werden, die zur Destabilisierung des zionistischen Staates beitragen und die Kluft zwischen den Arbeiter:innen und dem Staat vergrößern. Wie Trotzki mit Hinblick auf den Chauvinismus der weißen Arbeiter:innen in Südafrika sagte:

In jedem Fall wäre das schlimmste Verbrechen der Revolutionäre, den Privilegien und Vorurteilen der Weißen die kleinsten Zugeständnisse zu machen. Wer dem Teufel des Chauvinismus den kleinen Finger gibt, ist verloren.

Ein Kapitulieren vor dem Chauvinismus der Mehrheit der israelisch-jüdischen Arbeiter:innen würde das Aus für jede so brüchige Einheit bedeuten. Leider ist es auch etwas, was wir wiederholt bei vergangenen sozialen Protesten und Bewegungen gesehen haben. Heute entsteht in Israel wieder der Keim eines neuen „nicht-zionistischen“ Reformismus (in Gruppierungen wie Standing Together), die zumindest das Ziel ausformulieren, eine Einheit jüdisch und arabischer Arbeiter:innen herzustellen. Sie sind auch formell für ein Ende der Besatzung der ‘67 Gebiete – allerdings zeigt sich hier ganz plastisch, weshalb es mehr als einen blinden Ökonomismus und einen Bruch mit den Vorstellungen eines „sozialistischen“ Zionismus (das heißt: eine zwei Staaten Lösung, selbst auf „sozialistischer“ Grundlage) braucht. Diese „neue Linke“ Bewegungen halten die künstliche Trennung zwischen den zwei Millionen Palästinenser:innen mit israelischem Pass und den 5 Millionen Palästinenser:innen in Gaza und West Bank aufrecht und stellen ihre Privilegien nicht in Frage – sie kämpfen auch nicht für die demokratischen Rechte der Palästinenser:innen wie beispielweise offene Grenzen zwischen Jordanfluss und dem Mittelmeer.

Seit dem 7. Oktober betonen diese “nicht-zionistische” Kräfte bei kleineren Mobilisierungen wie zuletzt 200 Menschen in Tel Aviv ihre Forderungen nach einem Ende der Besatzung und einem Waffenstillstand – das ist jedenfalls bei dem extrem reaktionären Klima im Staat begrüßenswert; allerdings stoßen sie abermals an eine Grenze, sofern sie weiter an der Perspektive von zwei Staaten einschließlich eines “sicheren” Israels festhalten und das Recht des palästinensischen Volkes auf Widerstand ablehnen. Wir lehnen die Zwei-Staaten-Lösung als eine reaktionäre und utopische Losung ab. Der israelische Staat kann nicht demokratisiert werden, weil ihm ein zionistischer Doktrin inhärent ist, der auf dem Siedlerkolonialismus und dem Apartheidregime basiert. Die andauernde Kolonialisierung und die ungelöste Fragen der Flucht, Vertreibung und Ausplünderung von Häusern und Dörfern der Palästinenser*innen offenbaren die Unmöglichkeit der sogenannten Zwei-Staaten-Lösung. Ebenfalls lässt die Zwei-Staaten-Lösung die Frage der Rückkehr der 6 Millionen palästinensischen Geflüchteten unbeantwortet.

Da im israelischen Staat keine Gewerkschaftsbewegung im herkömmlichen Sinne entstanden ist und die Histadrut seit ihrer Gründung ein Instrument zur Unterdrückung der Palästinenser:innen und der Klassenkollaboration ist, müssen antizionistische Kräfte in der Arbeiter:innenklasse und Jugend für eine Organisation kämpfen, die von staatlichen Institutionen und der Doktrin des Zionismus unabhängig ist und für gleiche Rechte aller Arbeiter:innen jedweder Nationalität in den ‘48 und ‘67 Gebieten kämpft. Dafür müssen antibürokratische, antizionistische und klassenkämpferische Fraktionen aufgebaut werden, die sich zum Ziel setzen, jegliche Bürokratien und zionistische Ideologien aus den Reihen der Arbeiter:innenbewegung zu entfernen. Es gibt auch jene Gewerkschaften innerhalb der Histadrut, die beispielsweise Bauwesen, Verkehr und Gesundheitswesen vertreten, wo Palästinenser:innen mit israelischem Pass und migrantische Arbeiter:innen am häufigsten in den Reihen der Mitglieder zu finden sind. In ihnen müssen sofern möglich revolutionäre Fraktionen jene Teile aus der Basis an sich ziehen, die sich bereit erklären, gemeinsam im Sinne der palästinensischen Befreiung gleiche Rechte von palästinensischen und jüdischen Arbeiter:innen (inklusive der Abschaffung von Privilegien) zu erkämpfen. Histadrut muss fallen, weil sie im engeren Sinne keine Gewerkschaft, sondern ein Vermittlungsorgan im Dienste des Zionismus ist.

Die revolutionär-defätistische Haltung der jüdischen Arbeiter:innen muss ganzheitlich sein: von Betrieben bis hin in die Armee in Zeiten des akuten Kriegs. Aufgrund der Wehrpflicht werden fast alle Bürger:innen des israelischen Staates  als Reservist:innenin die Armee einberufen. Für die Männer dauert es 32 Monate, für die Frauen 24 Monate. Aktuell sind bis zu 500.000 Reservist:innen in die Armee eingezogen worden. Wir unterstützen das demokratische Recht auf Kriegsdienstverweigerung der israelischen Reservist:innen. Angesichts der Dynamik des aktuellen Krieges und des genozidalen Charakters der israelischen Offensive, sollte zumindest auch versucht werden, rasch revolutionäre Zellen innerhalb der Armee aufzubauen, um die Soldat:innen entgegen der Befehle des zionistischen Staates für den Befreiungskampf Palästinas zu überzeugen. Denn die Spaltung der israelischen Armee und militärische Sabotagen würden den zionistischen Staat enorm schwächen und dem gemeinsamen Kampf eine große Unterstützung leisten.

Sozialistisches Palästina

Wir treten für ein laizistisches, multi-ethnisches und sozialistisches Palästina auf dem gesamten historischen Gebiet (vom Jordanfluss bis zum Mittelmeer) ein, in dem Jüd:innen, Araber:innen und Menschen aus anderen Ethnizitäten und Religionen friedlich und geschwisterlich zusammen leben. Wir verteidigen das Rückkehrrecht aller durch den zionistischen Siedlerkolonialismus vertriebenen Palästinenser:innen.

Die entschädigungslose Verstaatlichung der Schlüsselindustrien und Banken unter Arbeiter:innenkontrolle und die zentrale Planung aller natürlichen Ressourcen, der gesamten Produktion und des Außenhandels mit dem Ziel, die sozialen Unterschiede unter den palästinensischen und jüdischen Massen zu beseitigen, ist für die wahre Befreiung unumgänglich, um gerechte Aufteilung der Ressourcen und Infrastruktur zu gewährleisten. Die Kontrolle des Imperialismus über die Ressourcen des Landes muss beendet werden; der Reichtum der palästinensischen Kollaborateure, die sich durch Korruption bereichert haben, muss konfisziert werden. Auch die jüdischen Arbeiter:innen müssen sich für die Enteignung ihrer Kapitalist:innen einsetzen. Ein öffentliches Wohnungsprogramm ist zentral, damit die Palästinenser:innen das Rückkehrrecht praktizieren können aber die israelischen Massen dafür keine Zwangsvertreibung erleben müssen. Das wird auch dazu dienen, die Vorurteile unter den Bevölkerungen abzubauen. Der Arbeiter:innenstaat muss diesen Plan zentral behandeln.

Die palästinensische Revolution kann nur als permanente Revolution triumphieren, also durch die Machtübernahme der Arbeiter:nnen in Einheit mit den armen Massen, die sich auf eigene Kampforgane stützen (Versammlungen, Kommissionen, Aktionskomitees, Räte und Milizen). Denn nur diese Form der Macht, die die Diktatur des Proletariats darstellt und durch die unterdrückten Massen und dem Bauerntum unterstützt wird, kann die strukturellen demokratischen Aufgaben der Revolution garantieren und zu Ende führen. Das heißt, zuvorderst die Befreiung von Imperialismus und der Kampf gegen seinen regionalen Komplizen mit dem Ziel der Etablierung einer Föderation der Sozialistischen Republiken in der ganzen Region des Westasiens.

Es braucht eine Strategie, die nicht nur in der Lage ist, militärisch den zionistischen Staat zu besiegen, sondern auch das Vertrauen der Völker untereinander wiederherstellt, die Arbeiter:innenmacht aufbaut und die imperialistischen Kräfte aus der Region vertreibt. Wir kämpfen nicht für eine bürokratische Herrschaft einer militärischen Kaste über die gesamte Bevölkerung, sondern für die Arbeiter:innenregierung, die sich in Räten und Milizen organisiert.

Die permanente Revolution ist eine Anleitung für den Neuaufbau des Landes unter der Führung des Proletariats. Das Proletariat benötigt dafür Rätestrukturen, die nicht vom Himmel fallen, sondern bewusst aufgebaut werden müssen, wo sie nicht spontan entstehen.

Das sozialistische Palästina wird einen multiethnischen Charakter haben. Daher muss der sozialistische Staat volle und gleiche Rechte anerkennen, wie gleicher Lohn, volle Staatsbürger:innenrechte, Gleichberechtigung der Sprache. Die Jüd:innen werden volle Staatsbürger:innenrechte und kulturelle Rechte besitzen – wie die Gleichberechtigung der hebräischen Sprache (sowie Schutz aller Minderheitensprachen wie beispielsweise Jiddisch und Ladino) in allen Bereichen der Öffentlichkeit wie Bildung, Medien und Verwaltung genießen. Der zionistische Staat ist durch Segregation und Privilegien gekennzeichnet. Das sozialistische Palästina muss dieser Praxis ein Ende setzen. Die Einheit und restlose Verschmelzung der Arbeiter:innen aller Nationalitäten in allen Gewerkschafts-, Bildungs- und allen anderen Arbeiter:innenorganisationen wird das Gegengewicht gegen jeden bürgerlichen Nationalismus darstellen.

Wer setzt dieses Programm durch? Die Geschichte von Palästina und Israel ist eine Geschichte voller Reibungen, Kriege und Trauer. Die aktuellen Führungen haben weder Interesse noch die Fähigkeit, diesen Konflikt zu lösen, weil sie davon profitieren. Doch wie es ist, muss es nicht bleiben. Eine revolutionäre Partei muss aufgebaut werden, um Palästina zu befreien. Wir halten es für die einzig mögliche Anleitung, um zu einem dauerhaften Frieden ohne Ausbeutung und Unterdrückung zu kommen.

Quelle: klassegegenklasse.org… vom 11. November 2023 mit einigen sprachlichen Änderungen durch die Redaktion maulwuerfe.ch

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