Israelische Minister fordern Vertreibung der Palästinenser aus Gaza
Florian Rötzer. Das Oberste Gericht hat mit knapper Mehrheit die Regierung in die Schranke gewiesen und den Kern der „Justizreform“ gekippt. Die Regierung will mit ihrer Reaktion das Ende des Kriegs abwarten.
Die israelischen Streitkräfte IDF ziehen mit Beginn des neuen Jahres 5 Brigaden aus dem Gazastreifen ab, angeblich um die Kampfmethoden dem jeweiligen Einsatzgebiet anzupassen, da weite Teile des Landstrichs unter Kontrolle des Militärs seien und man bereits 8000 Hamas-Kämpfer getötet habe. Das ist angesichts von 5 Divisionen, die im Einsatz sind, alles andere als ein Rückzug. Reservisten sollen wieder ihre Arbeit aufnehmen können, um die Wirtschaft zu stärken, nachdem Hunderttausende eingezogen wurden.
Mag sein, dass die heiße Phase des Einsatzes vorbei ist oder man dem Druck aus den USA ein wenig nachgibt. Es heißt jedoch, dass der Kampf weitergeführt wird und noch ein Jahr dauern könnte.
Das Oberste Gericht hat heute eine wichtige Entscheidung getroffen und stemmt sich damit gegen die Netanjahu-Regierung, die dessen Kompetenz beschneiden wollte. Da Israel keine Verfassung besitzt, spielt das Oberste Gericht ein entscheidende Rolle, die Regierungsmacht zu begrenzen. Die Netanjahu-Regierung will, auch aus persönlichen Gründen von Netanjahu und Ministern, um sich der Strafbarkeit zu entziehen, das Gericht klein halten. Es gab monatelange Proteste gegen diese „Justizreform“ der Netanjahu-Regierung, die die Gesellschaft bis zum 7. Oktober gespalten hat. Dass das Gericht jetzt das Vorhaben blockierte, dass die Regierung gegen „unangemessene Entscheidungen“ des Gerichts einschreiten kann, ist mutig. Die Entscheidung wurde von allen 15 Richtern getroffen, von denen eine knappe Mehrheit von 8 die Gesetzesänderung gekippt hat.
Justizminister Yariv Levin kritisierte die Entscheidung, die es dem Parlament oder der Regierung unmöglich mache, ein Gesetz ohne Zustimmung des Obersten Gerichts zu verabschieden. Die Entscheidung sei “das Gegenteil des Geistes der Einheit, die in diesen Tagen für den Erfolg unserer Truppen an der Front notwendig ist“. Einheit gibt es offenbar nur, wenn der Regierung gefolgt wird. Aber die Regierung, so versicherte er, werden „mit Zurückhaltung und Verantwortung“ handeln, solange der Krieg andauert.
Das ist auch schon eine Art Kampfansage an das Oberste Gericht. Man verschiebt die Auseinandersetzung. Für Netanjahus Likud-Partei ist es „bedauerlich, dass der Oberste Gerichtshof beschlossen hat, ein Urteil im Herzen der gesellschaftlichen Uneinigkeit in Israel zu fällen, während IDF-Soldaten von rechts und links kämpfen und ihr Leben gefährden. Die Entscheidung des Gerichts widerspricht dem Wunsch des Volkes nach Einheit, insbesondere in Zeiten des Krieges.“
„Freiwillige Auswanderung“
Die rechtsnationalistischen Minister der Netanjahu-Regierung machen unterdessen Werbung für die Regierung und fordern weiter eine ethnische Säuberung bzw. eine Vertreibung der Palästinenser aus dem Gazastreifen, aber auch aus dem Westjordanland, um die besetzten Gebiete zu annektieren (Israelischer Bürgermeister: „Gaza sollte entleert und wie das KZ Auschwitz platt gemacht werden“, Planungsdokuments der israelischen Regierung, das die Zwangsumsiedlung der Bevölkerung des Gazastreifens in den Sinai vorsieht). Finanzminister Smotrich sieht da eine „freiwillige Auswanderung“ der Palästinenser aus dem Gazastreifen für eine Lösung, die IDF helfen da bislang schon nach, man müsse da auch nachhelfen. Es fehlen halt nur noch die Staaten, die die Palästinenser aufnehmen würden – darüber wurde bereits verhandelt: Israel bemüht sich um Abschiebung von Gaza-Bewohnern nach Ägypten). Smotrich würde im Gazastreifen statt der Palästinenser auch gerne wieder Siedlungen gründen. Der Gazastreifen dürfe keine „Brutstätte für 2 Millionen Menschen werden, die Israel vernichten wollen“.
Man ist ja kein Unmensch, es müssten halt mehr als eine Million auswandern, zumal die Palästinenser das doch auch selber wollen, dies aber nicht konnten, weil sie von Israel eingesperrt wurden: „Wir müssen die Einwanderung von dort fördern. Wenn es 100.000-200.000 Araber im Streifen gäbe und nicht zwei Millionen, wäre die ganze Diskussion über den Tag nach [dem Krieg] völlig anders. Sie wollen weg. Sie haben 75 Jahre lang in einem Ghetto gelebt und sind in Not.“ Um den Reisewunsch zu befördern, sollte man die Not benutzen: „Nicht einmal ein Schekel wird nach Gaza überwiesen. Die Menschen in Gaza sind nicht unschuldig. Ich war gegen die Einfuhr von Treibstoff und bin es immer noch. Treibstoff ist Energie für den Terrorismus und die Tunnel. Es geschieht, und es ist schlimm – aber ich allein bin nicht für diese Regierung verantwortlich.“
Der rechtsradikale Sicherheitsminister Itamar Ben Gvir, der Gewehre an Siedler im Westjordanland verteilen ließ und für die Vertreibung der Palästinenser dort ist, sekundiert. Der Krieg sei doch „eine Gelegenheit, um sich auf Förderung der Auswanderung der Gaza-Bewohner zu konzentrieren“, sagte er. Das sei, so meinte er scheinheilig, eine „korrekte, gerechte, moralische und humane Lösung“ – fragt sich nur für wen. Israel werde dann immer die Kontrolle über den Gazastreifen auch durch Siedlungen ausüben.
Der frühere Verteidigungsminister Avigdor Liberman, jetzt in der Opposition, meint, man könne auch gleich den Südlibanon wieder besetzen. Das Land müsse dafür bezahlen, dass es die Angriffe der Hisbollah zulässt. Das soll aber nur eine Art Sicherheitskorridor, keine Annexion sein.
#Titlbild: Zeltstädte der Vertriebenen in Gaza. Bild: al-Quds
Quelle: overton-magazin.de… vom 2. Januar 2024
Tags: Faschismus, Imperialismus, Palästina, Politische Ökonomie, Rassismus, Repression, USA, Zionismus
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