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Terroranschlag in Moskau: Die ukrainische Spur

Eingereicht on 26. März 2024 – 12:36

Peter Schwarz. Vier Tage nach dem furchtbaren Terroranschlag auf ein Rockkonzert in Moskau, der mindestens 137 Todesopfer und über 180 Verletzte gefordert hat, ist die westliche Presse weitgehend gleichgeschaltet. Obwohl bisher kaum etwas über die Täter und die Hintergründe der Tat bekannt ist, behaupten sämtliche Kommentare, dass der Islamische Staat (IS) den Anschlag begangen habe und dass dies jede Verantwortung und Mittäterschaft der Ukraine und der Nato-Mächte ausschließe.

Die Kommentatoren können ihre Genugtuung über den Anschlag kaum verbergen. „Das Putin-Regime versucht seine Herrschaft mit der Behauptung zu legitimieren, dass es die Bevölkerung wirksam vor allen äußeren und inneren ‚Feinden‘ schütze,“ schreibt etwa die Neue Zürcher Zeitung. Nun zeige sich „ein eklatantes Versagen“.

Putin mache die Ukraine zum Sündenbock, um von diesem Versagen abzulenken. „Warum streut Putin also die Ukraine-Fährte?“, heißt es bei t-online. „Weil der angeblich so starke Mann im Kreml bei seinem großen Versprechen versagt hat: sein Volk zu beschützen. … Putin missbraucht den Terror in Moskau, um Moskaus Terror in der Ukraine zu rechtfertigen. Völlig skrupellos.“

Es gibt Dutzende ähnliche oder gleichlautende Kommentare. Das zeigt, wie sehr sich die angeblich „demokratischen“ Medien in den Dienst der Kriegspropaganda gestellt haben. Tatsächlich trägt der Anschlag „die Handschrift der CIA und ihrer Stellvertreter in Kiew”, wie die WSWS festgestellt hat.

Sollte tatsächlich der IS oder einer seiner Ableger den Anschlag in Moskau begangen haben, spricht dies nicht gegen, sondern für eine Mittäterschaft der Ukraine und der Nato. Seit die CIA in den 1980er Jahren in Afghanistan die Al Qaida Osama bin Ladens aufbaute, um die sowjetischen Truppen zu bekämpfen, haben die USA immer wieder islamistische Terrorgruppen benutzt, um ihre imperialistischen Ziele zu erreichen – auch den IS.

In der Ukraine sind heute hunderte Islamisten aus dem Kaukasus und Zentralasien im Einsatz, die Kamperfahrung im IS gesammelt haben und mit offizieller Deckung von Armee und Geheimdienst ihren Kampf gegen Russland fortsetzen – auch hinter den Linien.

In den westlichen Medien erfährt man davon kaum etwas. Zu den wenigen Ausnahmen zählt der Artikel „Spuren in die Ukraine?“, den die Süddeutsche Zeitung am 23. März veröffentlichte. Ihr langjähriger Auslandskorrespondent Tomas Avenarius gelangt darin zum Schluss, die Spekulation, dass die ukrainischen Geheimdienste kaukasische Radikale aus dem IS-Netzwerk benutzt hätten, „um Putin wenige Tage nach seiner erneuten Scheinwahl zum Präsidenten vor den Russen und der ganzen Welt bloßzustellen“, könnte „durchaus Sinn ergeben“.

„Im Krieg gegen die russischen Angriffskrieger kämpfen ‚Legionen‘ kaukasisch-muslimischer und russischer Freiwilliger an der Seite der ukrainischen Armee. Es sollen Hunderte sein,“ berichtet Avenarius. Sie stammten aus zu Russland gehörenden Kaukasus-Gebieten wie Tschetschenien, Inguschetien oder Dagestan. Viele hätten in Tschetschenien gegen die Russen gekämpft und seien „dann in den Kriegen und Aufständen in der Arabischen Welt Teil des IS-Terrornetzwerks geworden“.

„Zwei Jahrzehnte später setzen solche Anti-Putin-Kämpfer aus dem Kaukasus ihren verlorenen Krieg in der Ukraine fort,“ so Avenarius. „Viele hatten sich bereits im Tschetschenien-Krieg islamistisch radikalisiert, kämpften später in Syrien gegen das mit Moskau verbündete Assad-Regime. In dieser Zeit schlossen sie sich oft dem IS an.“

Avenarius kennt sich aus. Er war viele Jahre lang Moskau- und Nahostkorrespondent der Süddeutschen Zeitung und hatte 2003 eine preisgekrönte Reportage über den zweiten Tschetschenienkrieg verfasst.

Der Anschlag auf die Crocus City Hall in Moskau kennzeichnet ein neues Stadium des Nato-Krieg gegen Russland. Er erfolgt zu einem Zeitpunkt, an dem der ukrainischen Armee eine Niederlage droht und die Nato darauf drängt, den Krieg zu eskalieren – einschließlich dem Einsatz eigener Bodentruppen und des Vorstoßens tief ins Innere Russlands hinein.

Wie die WSWS erklärt hat, verfolgt der Anschlag in Moskau drei Ziele: „Erstens, die Opposition gegen das Putin-Regime innerhalb der Oligarchie und des Staatsapparats zu stärken; zweitens, eine militärische Antwort des Kremls zu provozieren, die als Vorwand für eine weitere Eskalation des Krieges durch die NATO dienen kann; und drittens, ethnische und religiöse Spannungen innerhalb Russlands zu schüren, die das Regime destabilisieren und die Aufteilung der gesamten Region durch die imperialistischen Mächte erleichtern würden.“

Der Anschlag wird von einer Verschärfung der westlichen Kriegspropaganda begleitet. Sie schreckt vor keiner „roten Linie“ zurück und nimmt bewusst das Risiko einer nuklearen Eskalation in Kauf, die ganz Europa und große Teile der Welt zu zerstören droht.

Typisch ist ein Gastbeitrag von Ben Hodges, dem ehemaligen Kommandeur der US-Landstreitkräfte in Europa, den die Süddeutschen Zeitung am Sonntag veröffentlichte. Hodges wirft US-Präsident Joe Biden, einem vehementen Kriegstreiber, vor, er trete nicht entschlossen genug für die Unterstützung der Ukraine ein. Die USA und ihre Verbündeten müssten „den Sieg der Ukraine zu ihrem strategischen Ziel“ erklären, „die annektierte Krim für die Russen unhaltbar machen“ und die „Waffenproduktion für die Ukraine“ zur Priorität erklären, verlangt er.

Der Oberkommandierende der Bundeswehr, Generalinspekteur Carsten Breuer, hat seine Forderung wiederholt, Deutschland müsse in fünf Jahren „kriegstüchtig“ sein und einen Krieg gegen Russland führen können. Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das vor zwei Jahren beschlossen wurde, sei lediglich eine „Anschubfinanzierung“ zur „Ertüchtigung der Bundeswehr“. Nötig sei eine „Verstetigung der Verteidigungsausgaben“ sowie der Aufbau einer wirksamen Raketenabwehr.

Das Bemühen, Deutschland „kriegstüchtig“ zu machen, beschränkt sich nicht auf den militärischen Bereich. Ein Bundesministerium nach dem anderen ordnet seine Arbeit diesem Ziel unter.

Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) will Jugendoffiziere an die Schulen holen und Zivilschutzübungen für den Kriegsfall einführen. Hochschulen sollen grundsätzlich für die militärische Forschung zur Verfügung stehen.

Verteidigungsminister Boris Pistorus (SPD) plant die Wiederenführung der Wehrpflicht.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will das deutsche Gesundheitswesen auf „militärische Konflikte“ vorbereiten. Er hat einen entsprechenden Gesetzesentwurf für den Sommer angekündigt. „Es wäre albern zu sagen, wir bereiten uns nicht auf einen militärischen Konflikt vor, und dann wird er auch nicht kommen“, sagte er der Osnabrücker Zeitung. „Nichtstun ist keine Option. Es braucht auch eine Zeitenwende für das Gesundheitswesen. Zumal Deutschland im Bündnisfall zur Drehscheibe bei der Versorgung von Verletzten und Verwundeten auch aus anderen Ländern werden könnte.“

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) erklärte auf einer Konferenz in Berlin, der „Landkrieg“ sei nach Europa zurückgekehrt. Deshalb müssten die Rüstungsproduktion hochgefahren und die Einsatzszenarien zur Landesverteidigung reaktiviert werden. „Und das wird einen Preis haben. Darüber müssen wir uns klar sein.“

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) verknüpft anti-russische Kriegspropaganda mit einer systematischen inneren Aufrüstung, die darauf abzielt, den Widerstand gegen Krieg und Sozialabbau zu unterdrücken.

Sie beschuldigt Russland der hybriden Kriegsführung. „Wir sehen Einflussnahmeversuche durch Lügen, durch massive Desinformation,“ sagte sie der Süddeutschen Zeitung. Auch die Spionage sei aktiv. Zugleich warf sie dem Kreml vor, Fluchtbewegungen gezielt zu fördern und den Westen mit Migration zu destabilisieren. „Wir erleben hier tatsächlich eine neue Dimension der Bedrohungen durch die russische Aggression.“

Die Bundesregierung werde sich stärker gegen den Einfluss Russlands in Westeuropa wappnen. Gegen Desinformationskampagnen solle künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Eine neue Früherkennungseinheit gegen Fake News im Innenministerium solle Lügen entlarven, bevor diese „zu einer großen Welle werden und das Netz fluten“, sagte Faeser. In der Praxis läuft das auf die Zensur unerwünschter Ansichten in den sozialen Medien hinaus.

Unter dem Vorwand, islamistische Anschläge zu verhindern, wird gleichzeitig die öffentliche Polizeipräsenz verstärkt. In Frankreich hat die Regierung deshalb am Sonntag sogar die höchste Terrorwarnstufe ausgerufen. Nun patrouillieren wieder schwerbewaffnete Soldaten an Bahnhöfen, Flughäfen und anderen öffentlichen Orten.

85 Jahre nach dem Überfall auf Polen und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs kehrt die herrschende Klasse Deutschlands wieder zu ihren verbrecherischen, militaristischen Traditionen zurück. Dieser Wahnsinn wird von allen im Bundestag vertretenen Parteien unterstützt. Er kann nur durch eine unabhängige Bewegung der internationalen Arbeiterklasse gestoppt werden, die die Opposition gegen Krieg mit dem Kampf gegen seine Ursache, den Kapitalismus, verbindet.

#Titelbild: Feuerwehreinsatz nach dem Anschlag auf die Crocus City Hall [Photo by Mosreg.ru / wikimedia / CC BY 4.0]

Quelle: wsws.org… vom 26. März 2024

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