Putschversuch der Wagner-Gruppe: Russischer Bonapartismus in der Krise
Lennart Beeken. Der Chef der Söldnergruppe “Wagner”, Jewgeni Prigoschin, fordert das Putinregime militärisch heraus. Die Stadt Rostow am Don wurde von den Aufständischen besetzt. Putin ruft den Notstand aus. Der Ausgang dieser Wendung ist ungewiss.
Es läuft offenbar doch nicht alles nach Plan in Putins Russland. Am Freitagabend beschuldigte der Chef der faschistoiden Söldnergruppe “Wagner” (die nach Hitlers Lieblingskomponisten benannt ist) das russische Verteidigungsministerium, ein Lager seiner Söldner hinter der Front mit Raketen, Artillerie und Hubschraubern angegriffen zu haben. Viele seiner Männer seien dabei ums Leben gekommen. Er machte Verteidigungsminister Sergei Schoigu persönlich für diese Aktion verantwortlich und drohte ihm mit Gegenmaßnahmen. Er habe 25.000 Mann unter seinem Kommando und würde jeden angreifen, der sich seinen Truppen in den Weg stellen werde. Kurz nach dieser offen ausgesprochenen Drohung reagierte das Verteidigungsministerium in einer Pressemitteilung und dementierte alle Vorwürfe. Auch der Präsident sei eingeschaltet worden. Gegen Prigoschin seien Ermittlungen wegen bewaffnetem Aufstand eingeleitet worden, so die Staatsanwaltschaft. Ihm drohen 12 bis 20 Jahre Gefängnis für bewaffneten Aufstand und Hochverrat.
Kurz darauf wurde bekannt, dass sich der Söldner-Konvoi von der Front in Richtung Rostow am Don bewegen würde. Dort in den frühen Morgenstunden eingetroffen, haben die Söldner Berichten zufolge inzwischen die Kontrolle über die Stadt erlangt. Der Gouverneur des Oblasts Rostow rief gegen 4 Uhr morgens die Bewohner:innen der Region auf, ihre Häuser nicht zu verlassen und Ruhe und Ordnung zu bewahren. In vielen Regionen entlang der großen Autobahn M-4 zwischen Rostow und Moskau wurden die Sicherheitsmaßnahmen verstärkt. Vor dem russischen Parlamentsgebäude in Moskau fuhren Panzer auf. Im Rest der Stadt und im Oblast Moskau wurde ein „Anti-Terror-Regime“, faktisch ein Kriegsrecht, verhängt.
Am Morgen äußerte sich Putin per Fernsehansprache. Er bezeichnete die Aktion Prigoschins (den er nie beim Namen nennt) als “Dolchstoß für Land und Volk” und verglich die Situation mit dem Jahr 1917. Damals sei Russland auch der “Sieg von Intrigen und Streitereien hinter dem Rücken der Armee und der Nation gestohlen worden.” Er fügte hinzu, einen “erneuten Bürgerkrieg” nicht zulassen zu wollen. Er werde deshalb den “Verrat” der Söldnertruppe und ihren “bewaffneten Aufstand” mit allen Mitteln bekämpfen und rief all diejenigen auf, die in diese Sache hineingezogen wurden, “sich nicht an diesen kriminellen Handlungen zu beteiligen.”
Machtkampf unter Oligarchen
Diese groteske Entwicklung hat eine Vorgeschichte. Die Gruppe Wagner ist eine Privatarmee unter dem Kommando des schwerreichen Oligarchen Prigoschin. Sie wird in diesem Krieg zwar vollkommen von der russischen Armee versorgt, sowohl was Ausrüstung als auch was Rekruten angeht, aber sie ist eine eigenständige Kraft und Prigoschin hat eigene Interessen. Es erschien zwar lange Zeit so, als sei Wagner einfach nur ein weiterer Teil der russischen Streitkräfte, doch die Beziehung zwischen dem Kreml und dem Wagner-Kriegsherren basierte nicht auf Befehl und Gehorsam, sondern auf der wackeligen Grundlage persönlicher Loyalität und einer Überschneidung gemeinsamer Interessen. Beide Männer wollten Russland groß machen, beide befürworteten den Krieg gegen die Ukraine und solange sie sich bei der Taktik und Strategie der Kriegsführung einig waren, zogen sie an einem Strang.
Doch in der monatelangen, blutigen Schlacht um Bachmut wurde die Gruppe Wagner von der russischen Generalität als Rammbock eingesetzt, die unter hohen Verlusten letztlich die Eroberung der Stadt ermöglichte. Im Februar 2023 äußerte sich Wagner dann bereits zum wiederholten Male kritisch gegenüber der militärischen Führung in Moskau. Sie habe die Söldner nicht mit genügend Munition und Ausrüstung versorgt und sie habe die hohen Verluste der Söldner billigend in Kauf genommen. Prigoschin bezeichnete das Verhalten des Verteidigungsministers Schoigu bereits damals als “Verrat” und “Versuch, die Gruppe Wagner zu zerstören.” Zuvor hatte das Verteidigungsministerium bereits versucht, einzelne Truppenteile der Wagnergruppe durch andere Söldner zu ersetzen. Die andauernde Loyalität seines Kriegsherren hätte sich Putin nur mit überzeugenden militärischen Erfolgen erkaufen können, stattdessen geht Prigoschin nun davon aus, Wagner habe Bachmut trotz der schlechten militärischen Führung Moskaus erobert, was ihn offenbar nun davon überzeugt hat, die militärischen Geschicke des russischen Staates besser besorgen zu können, als Putin und seine Clique.
Bisher ist unklar, wie genau sich die NATO und Deutschland zu dieser Situation verhalten werden. Den ersten Aussagen aus Berlin zufolge, “beobachtet man die Situation genau.” Die USA würden sich “eng mit ihren Verbündeten beraten“, hieß es aus Washington. Zu erwarten ist, dass die NATO von diesen Vorgängen in Russland profitieren wird. Russische Medien meldeten bereits, dass sich das Verteidigungsministerium Sorgen um eine mögliche ukrainische Offensive macht, die das Chaos in der russischen Armee ausnutzen könnte. Dieses Szenario ist möglich. Aber welche Auswirkungen eine solche Offensive haben könnte, ist ungewiss. Bisher konnte die Ukraine bei ihren Vorstoßversuchen nirgendwo durchbrechen.
Bonapartismus post-sowjetischer Prägung
Die Zuspitzung dieser Auseinandersetzung um die militärische Führung und damit auch um die Führung des Staates, offenbart den bonapartistischen Charakter des Putin-Regimes.
Bonapartismus ist ein von Karl Marx geprägter Begriff und meint die Verselbstständigung des bürgerlichen Staatsapparates vom Bürgertum und den anderen Klassen und seine scheinbare über der Gesellschaft thronende Allmacht.
In seiner ursprünglichen Form etablierte sich das Regime des Louis Bonaparte 1851 in Frankreich, weil die herrschende Klasse nach der Revolution von 1848 extrem zerstritten war und von einer jungen Arbeiter:innenbewegung bedrängt wurde. In dieser Situation wurden innerhalb des Bürgertums Stimmen nach einem “starken Mann” laut, der gegenüber dem Bürgertum als Schlichter und gegenüber den anderen Klassen als Beschützer der bürgerlichen Eigentumsordnung auftreten sollte. Marx charakterisierte die Situation, in der sich ein Bonapartismus etablieren konnte, so: das Bürgertum hatte die Fähigkeit verloren, allein über die Nation zu herrschen, während die Arbeiter:innenklasse noch nicht bereit war, an ihre Stelle zu treten. Die Diktatur des Louis Bonaparte konnte sich so zwischen den Klassen balancierend scheinbar verselbstständigen, sich über die Gesellschaft aufschwingen und mit dem Schwert ihre eigenen Interessen durchsetzen. Ein solches Regime ist seiner Natur nach sehr instabil. Äußere und innere Schocks, wie beispielsweise ein Krieg, können das fragile Gleichgewicht, auf dem der Bonaparte balanciert, leicht zerstören. Gleichzeitig muss eine solch prekäre Herrschaft ständig ihre Potenz beweisen, etwa durch militärische, wirtschaftliche oder außenpolitische Erfolge, damit sie ihre Herrschaft vor den beiden politisch unterdrückten Hauptklassen rechtfertigen kann. Das trieb Louis Bonapartes zu extrem riskanten außenpolitischen Manövern, die 1871 im deutsch-französischen Krieg mündeten, den er katastrophal verlor und mit dem seine Herrschaft abrupt endete.
Der postsowjetische Bonapartismus mit Putin an der Spitze etablierte sich nach der Zerschlagung der Sowjetunion auf den Trümmern des einstigen Arbeiter:innenstaates. Das neue russische Bürgertum, welches aus der sowjetischen Staatsbürokratie hervorgegangen war, erlebte zu Beginn seiner unabhängigen Existenz ab 1991 eine Periode der extremen wirtschaftlichen Zerrüttung und Instabilität. Die Zerstörung der Reste der Planwirtschaft durch Jelzins neoliberale “Schocktherapie” führte zu einem historisch einmaligen wirtschaftlichen Zusammenbruch. Die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse waren noch ganz frisch und ungefestigt. Überall tauchten Streikbewegungen auf, die Arbeiter:innen begannen, sich gegen den Ausverkauf ihrer Errungenschaften immer stärker zur Wehr zu setzen. Die Ausbildung der neuen herrschenden Klasse geschah mithilfe von halb legalen oder illegalen Mafiastrukturen, die das System der politischen Repräsentation unterliefen. Zwischen dem Parlament und dem Präsidenten kochten in dieser Situation schnell Konflikte hoch, die sich bereits 1993 in der sogenannten Verfassungskrise entluden, in der sich Jelzin über das Parlament und das Verfassungsgericht hinwegsetzte und mit Hilfe der Armee das Parlamentsgebäude beschießen ließ. Er drückte so eine Verfassungsreform durch, die dem Präsidenten sehr viel Macht zugestand. Die rechtlichen und politischen Grundlagen des russischen Bonapartismus waren da bereits gelegt. Das russische Bürgertum sehnte sich nach Stabilität und nach einem “starken Mann”, der es auch vor dem Proletariat schützte. Nach Jelzin folgte dann Putin an die Macht und während seiner frühen Jahre erlebte Russland die ersehnte wirtschaftliche Stabilisierung und auch außenpolitisch konnte er in Georgien, in Transnistrien und in Tschetschenien Bruchstücke seines einstigen Einflusses militärisch erhalten. Das Land erlebte zugleich einen relativen Boom, da der Verkauf von Öl und Gas an Europa ein lukratives Geschäft wurde. Das sicherte Putin die nötige Loyalität des Bürgertums. Auf dieser Grundlage etablierte er dann sein Regime und konnte im Laufe der Jahre immer mehr politische Macht auf sich vereinigen, so viel sogar, dass er in seiner Rolle als oberster Schlichter des Bürgertums auch gegen einige oppositionelle Oligarchen vorgehen konnte.
Doch erstens war es in den 2010er Jahren mit dem wirtschaftlichen Aufschwung langsam vorbei und zweitens kroch die NATO immer näher an die russischen Grenzen heran, etwas was der “starke Mann” Putin nicht unbegrenzt dulden konnte, da er sonst fürchtete als schwach und unfähig angesehen zu werden, was seine Herrschaft destabilisieren würde.
2014 brach dann in der Ukraine der Maidan los und Putin betrachtete es als notwendig, seine militärische Stärke unter Beweis zu stellen. Er ergriff die Gelegenheit, eroberte die Krim und begann im Osten der Ukraine, die beiden separatistischen “Volksrepubliken” Lugansk und Donezk militärisch zu unterstützen. Dieser erste Sieg sicherte Putin erneut zeitweilig den nötigen Rückhalt in der Gesellschaft. Aber die innenpolitische Lage Putins wurde zunehmend prekär. Die Wirtschaft brach unter dem anschließend verhängten Sanktionsregime des Westens mehrmals ein und die Bevölkerung begann zu murren. Streikbewegungen, regionale Straßenproteste und auch eine bürgerliche Opposition befanden sich im Aufschwung. Dazu kam noch eine kontinuierliche Verstärkung der NATO-Unterstützung für die Ukraine.
Getrieben von der widersprüchlichen Dynamik des bonapartistischen Selbsterhaltungstriebes, suchte Putin nach einem Ventil für die sich anspannenden gesellschaftlichen Widersprüche. Diese Dynamik äußerte sich im Inneren in einer Verstärkung des Polizeistaates und in der Sphäre der Außenpolitik in einer konfrontativen Haltung gegenüber der NATO und der Ukraine. Mit dem Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine hatte sich Putin zunächst diplomatische Zugeständnisse vom Westen erhofft. Dieser ging aber im Wissen um seine weit überlegene Stärke nicht darauf ein. Putin hatte sich endgültig in die missliche Lage manövriert. Entweder einen erniedrigenden Rückzieher zu machen und dem weiteren Zerfall seiner Stellung tatenlos zuschauen zu müssen. Oder aber alles auf eine Karte zu setzen und sozusagen, jetzt, wo ein schneller Sieg über die Ukraine noch möglich erschien, das Blatt zu wenden und im Handstreich die Ukraine zu zerschlagen. Der Plan scheiterte. Der Krieg war nicht auf diese Art zu gewinnen und zieht sich nun seit über 400 Tagen blutig hin.
Die disziplinierende Wirkung eines Krieges auf die Gesellschaft konnte zwar den inneren Widersprüchen zeitweise ein Ventil geben, aber ihre Dynamik wurde nicht aufgehoben, sondern verstärkt sich im Gegenteil täglich. Putin befindet sich in einer extrem fragilen Lage, seine Herrschaft hängt mittlerweile am seidenen Faden, er hat bis jetzt keine entscheidenden Siege und viele Niederlagen vorzuweisen und auch innerhalb der russischen Gesellschaft mehren sich die Stimmen, die nach einem Wechsel des Anführers rufen. Russland steuert auf eine soziale Explosion zu und der offene Machtkampf zwischen dem niedergehenden Bonaparte Putin und einem seiner schärfsten Rivalen beschleunigt diese Entwicklung. Prigoschin wird vom Kriegsglück bisher eher in seiner unabhängigen Position gegenüber Putin gestärkt und die wenigen Siege, die Russland in diesem Krieg vorzuweisen hat, kann er nun für sich reklamieren. Der Kriegsherr wird, sollte der unwahrscheinliche Fall eintreten, dass er mit Hilfe der regulären Armee an die Macht befördert wird, all diese Widersprüche von Putin erben und selbst ein Bonaparte, aber ein noch erbärmlicherer werden als sein Vorgänger. An der Lage Russlands wird das nicht viel ändern.
Die Herrschaft der russischen Bourgeoisie kennt keine Auswege mehr und steuert wie schon einmal 1917, und da hat Putin zur Abwechslung völlig Recht, auf ihren Untergang zu. Es wird Zeit, dass das Proletariat erneut auf die Bühne der Geschichte tritt. Wie auch 1917 der Zar, hat Putin heute vor nichts mehr Angst, als vor einer revolutionären Massenbewegung, die seine großrussischen Ambitionen vom Tisch fegt und stattdessen wie die Bolschewiki eine Politik im Interesse der unterdrückten Klassen und Völker macht.
Für ein unabhängiges Programm der Arbeiter:innenklasse
Im Angesicht dieser offenen Machtkämpfe, die sich um die richtige Form der Kriegsführung streiten, kann sich die Arbeiter:innenklasse weder auf die eine noch auf die andere Seite stellen. Der Krieg und auch dieser Putsch dienen nicht ihren Interessen. Sie ist es, die für Putins oder Prigoschins Großmachtträume ihre Kinder hergeben muss. Daher muss sie stattdessen als unabhängiger Akteur und mit einem eigenen Programm in die Geschichte eingreifen.
Beide möglichen Ausgänge dieses Putschversuches stärken lediglich die unterdrückerische Staatsmaschinerie, die jederzeit auch gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden kann. Putin hat bewiesen, wie einfach es für ihn ist, alle Bürgerrechte im Handstreich aufzuheben und das Kriegsrecht zu verhängen. Davon wird der Bonaparte nun immer häufiger Gebrauch machen. Putin hat heute klargestellt, dass jede Aktion, die der Front “in den Rücken fällt“, als Landesverrat betrachtet wird. Unter diesem Begriff kann auch jeder Streik und jede Demonstration gefasst werden. Damit wird selbst der unpolitischste Lohnkampf zur offenen politischen Herausforderung der Staatsmacht. Im Februar 1917 hat die Revolution gegen den Zaren auch mit verstreuten Lohnkämpfen begonnen und sich dann innerhalb von wenigen Stunden sowohl quantitativ auf die gesamte Hauptstadt ausgedehnt, als auch programmatisch sehr schnell radikalisiert. Am Morgen forderte man noch Brot, am Nachmittag bereits den Sturz der Regierung.
Die Voraussetzungen sind natürlich heute andere als 1917. Das Proletariat hat schwer unter der bürgerlichen Restauration gelitten und der Begriff “Sozialismus” ist in weiten Teilen der Bevölkerung aufgrund der traumatischen Erfahrung des Stalinismus diskreditiert. Heute gibt es nur noch wenige, sehr schwache politische Kräfte, die an eine authentische sozialistische Tradition anknüpfen wollen. Und keine dieser Kräfte ist vom Format der Bolschewiki. Doch das soll uns nicht davon abhalten, all denjenigen, die den Kampf mit dem Regime vor Ort aufnehmen wollen, ein Programm vorzuschlagen. Denn ohne eine solche Bewegung geht das Schlachten an der Front ungebremst weiter und die senile Bourgeoisie taumelt von Putsch zu Gegenputsch, ohne sich aus ihrer historisch verfahrenen Lage befreien zu können. Eines ist dabei sowieso klar: den Krieg wird keine der denkbaren Regierungen beenden, auch keine Liberale. Das Schicksal Russlands im Kräftemessen um die Vorherrschaft in Osteuropa ist mittlerweile zu tief mit diesem Krieg verwoben. Ein Rückzieher kann sich keine bürgerliche Regierung mehr erlauben.
Das bedeutet, dass die erste und wichtigste Forderung nun lauten muss: “Sofortiges Ende des Krieges!“. Untrennbar damit verbunden folgt dabei natürlich die Forderung: “Nieder mit der Regierung, nieder mit den Generälen, Entwaffnung der Söldnerbanden!” Daran anschließend muss die Bewegung die Enteignung der Kriegsprofiteur:innen, Energiekonzerne und Banken unter der Kontrolle der Arbeiter:innen fordern, denn all diese Institutionen haben ein Interesse daran, diesen Krieg weiterzuführen. Die Politik der aus dieser Bewegung hervorgehenden Arbeiter:innenregierung kann überdies nur auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker, und zwar aller Völker, auch diejenigen kleinen Völker, die momentan innerhalb der russischen Staatsgrenzen leben, gestaltet werden. Dabei muss jedem Volk das Recht auf staatliche Unabhängigkeit zugestanden werden.
Es wird zur Durchsetzung dieses Programms die einzig wirksame Waffe des Proletariats zum Einsatz kommen müssen: der Generalstreik. Damit dieser Erfolg haben kann, müssen aus ihm Organe der Selbstorganisation etabliert werden, die sich die Selbstverteidigung des Streiks, letztlich die Bewaffnung des Proletariats, und die Entwaffnung der Polizei zur Aufgabe machen müssen. In einer solchen direkten Auseinandersetzung entscheidet die Haltung der einfachen Soldat:innen über den Sieg oder die Niederlage der Bewegung. Sie müssen überzeugt werden, ihre Gewehre gegen die eigenen Kommandeure und damit gegen Putin zu richten. Ohne ihre bewaffnete Macht wäre der Staat ohnmächtig.
Für die Arbeiter:innenbewegung außerhalb Russlands hat ebenfalls die Stunde der Aktion geschlagen. Jetzt heißt es mehr denn je, die sofortige Beendigung der Kampfhandlungen zu fordern. Die NATO-Staaten müssen durch Streiks und Massendemonstrationen gezwungen werden, sich aus dieser Auseinandersetzung herauszuhalten, genau wie verhindert werden muss, dass weitere Waffenlieferungen und Sanktionen den Krieg verlängern. Gerade in Momenten, in denen ein mächtiger Bonapartismus wankt, kann eine Verstärkung des militärischen Drucks von außen, nicht nur potenziell eine atomare Auseinandersetzung produzieren, weil das Regime nichts mehr zu verlieren hat, sondern auch Putin die nötigen Argumente in die Hand geben, der Bewegung durch Verweis auf den “gemeinsamen Feind” den Wind aus den Segeln zu nehmen. Der Kampf der russischen Arbeiter:innenklasse gegen den Bonapartismus muss organisch verbunden werden, mit dem Kampf der internationalen Arbeiter:innenklasse gegen ihre eigene herrschende Klasse.
Die Weltlage steuert heute wieder auf eine Periode der imperialistischen Konkurrenz zu. Diese wird zwischen den Blöcken, die einerseits von der hegemonialen USA und andererseits dem aufstrebenden China angeführt werden, ausgetragen. Der Ausgang des Krieges in der Ukraine wird auch auf diesen weltumspannenden Konflikt große Auswirkungen haben. Auch weil die Ukraine politisch und militärisch im NATO-Block zu verorten ist, während Russland sich als Teil der BRICS-Staaten im chinesischen Lager befindet. Gleichzeitig reifen überall auf der Welt die Bedingungen für eine neue Welle der Arbeiter:innenrevolutionen heran. Es ist unsere Aufgabe, sie dieses Mal zum Sieg zu führen, bevor aus Reife Überreife und dann Fäulnis wird.
#Titelbild: Symbolbild der beiden Seiten im heutigen Konflikt aus 2010: Der russische Präsident Wladimir Putin besichtigt die Catering-Fabrik Concord vom heutigen Wagner-Chef Jewgeni Prigozhin; Foto: Government of the Russian Federation
Quelle: klassegegenklasse.org… vom 25. Juni 2023
Tags: Arbeiterbewegung, Imperialismus, Repression, Russische Revolution, Russland, Sowjetunion, Strategie
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