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Die Militarisierung Israels

Eingereicht on 28. November 2024 – 21:51

Ueli Schlegel. Das Bild des kleinen, tapferen Staates, der sich eingekreist von heimtückischen Mächten gegen diese verteidigen muss – des kleinen Davids, der von Goliath angegriffen wird – hält sich hartnäckig in den Köpfen gutmeinender Menschen. Dieses Bild entspricht jedoch nicht der Realität. Die kolonialistischen Siedler auf dem palästinensischen Gebiet organisierten sich schon vor fast 100 Jahren, noch vor der Gründung des Staates Israel, in Milizen, die brutal gegen die ein-heimische palästinensische Bevölkerung vorgingen und vor Terrorakten nicht zurückschreckten.

Die Aufrüstung Israels

Israel ist eines der am stärksten militarisierten Länder. Mit seinen 9,3 Millionen Einwohnern, knapp vor der Schweiz (9,1 Millionen), betrug sein Militärbudget im Jahr 2023 offiziell 27,5 Milliarden Dollar und war damit höher als jenes von Kanada, Spanien oder Brasilien und fünfmal so hoch wie jenes der Schweiz. Israels Militärbudget lag 2023 also weltweit auf dem 15. Rang; Russland mit einer16-mal höheren Bevölkerungszahlerreichte nicht einmal das Vierfache des israelischen Militärbudgets. Die NATO strebt im Zusammenhang mit der geplanten Aufrüstung neu Militärausgaben der einzelnen Mitgliedstaaten von mindestens zwei Prozent des BIP an; Israel liegt hier bei unglaublichen 5,4 Prozent, während es übrigens stark verschuldet ist (Hauptgläubiger sind die USA).

Die Militarisierung Israels ist typisch für kolonialistische Landräuber:innen, die ja immer mit der Bevölkerung der kolonisierten Gebiete im Kriegszustand sind und sich nur mit grosser Aggressivität durchsetzen können. Domenico Losurdo beschreibt in seinem 2011 auf Deutsch erschienen Buch «Die Sprache des Imperiums» den Kolonialismus Israels treffend so: «Eine unmissverständliche Losung kennzeichnet den Zionismus: ‹Gebt das Land ohne Volk einem Volk ohne Land!›.Wir haben es mit der klassischen Ideologie der kolonialen Tradition zu tun, die die eroberten oder begehrten Territorien immer als res nullius, als Niemandsland, betrachtet hat und immer geneigt war, die einheimischen Bevölkerungen auf eine unbedeutende Grösse zu reduzieren; mit der Ideologie, die insbesondere den expansionistischen Vormarsch der nordamerikanischen Kolonisten begleitet hat.» Mumia Abu-Jamal, einer der politischen Gefangenen der USA, erinnert an das Buch des Kameruners Achille Mbembe, in dem dieser schreibt: «Als Mischung aus Sadismus und Masochismus, oft tastend in meist unerwarteten Situationen vorgehend, neigte der Kolonialismus dazu, alle Kräfte zu zerschlagen, die diesen Trieben im Wege standen oder deren Streben nach perversen Lüsten aller Art zu hemmen versuchten. Die Grenzen dessen, was dem Kolonialismus als ‹normal› galt, wurden ständig hinausgeschoben, und nur wenige Begierden waren Gegenstand offener Ablehnung oder der Scham und des Abscheus. Die koloniale Welt besass eine schwindelerregende Fähigkeit, sich mit der Zerstörung ihrer Objekte – einschliesslich der einheimischen Bevölkerung – abzufinden.» Tatsächlich ist der israelische Kolonialismus, der Zionismus, ein Überbleibsel des 19. Jahrhunderts.

Die israelische Armee

Die israelische Armee, IDF («IsraelDefence Forces»), wurde am 31. Mai1948, unmittelbar nach der Gründung des Staates Israel, aus mehreren bewaffneten Untergrundorganisationen (Milizen) gebildet, die alle schon während des britischen Völkerbundmandats über Palästina zwischen 1920 und 1948 aktiv gewesen waren und in dieser Zeit sowohl gegen die britische Mandatsmacht wie auch gegen die palästinensische Bevölkerung brutale Terroranschläge verübt und Geiselnahmen durchgeführt hatten. Im Palästinakrieg von 1947 bis 1948 spielten erst die Milizen, dann die israelische Armee eine massgebende Rolle bei der Nakba, der grossen Vertreibung, als etwa 700 000 bis 750 000 Palästinenser:innen in die Flucht gejagt wurden. Die Armee beteiligte sich am Terror gegen mehrere Tausend unbewaffneter palästinensischer Menschen, die nach dem Krieg versuchten, auf ihr Land in Palästina zurückzukehren.

Militärische Zusammenarbeit mit den USA

Obschon Israel so stark militarisiert ist, könnte es selbst ohne Hilfe von aussen nicht dauernd expandieren und mit einigem Erfolg andere Staaten angreifen (Libanon, Syrien, Iran). Die Hauptunterstützer sind die USA. Schon vor dem Hamas-Angriff zahlten die USA jährlich fast vier Milliarden Dollar an Israel, mittlerweile ist der Betrag sehr viel höher. Es handelt sich dabei fast ausschliesslich um Militärhilfe, die grösstenteils mit der Auflage verbunden ist, amerikanische Waffen zu kaufen – zur grossen Freude des amerikanischen militärisch-industriellen Komplexes. Diese Waffenverkäufe sind denn auch neben der geostrategischen Lage des Landes ein wichtiger Grund für die Unterstützung Israels durch die USA. Die amerikanische Regierung gerät da je länger je mehr in einen Widerspruch. Erstens sind zahlreiche Wähler:innen in den USA arabischen oder palästinensischen Ursprungs, und zweitens dürfen die USA Ägypten und Jordanien bzw. deren Bevölkerung nicht zu sehr verärgern. Entsprechend unterstützen die USA auch diese Staaten –beide sogenannten Pufferstaaten und übrigens keine «Demokratien» – um zu verhindern, dass sie wie der Iran und Syrien ins US-kritische Lager abdriften. Diese schwierige Lage der USA spiegelt sich in deren absurden und keineswegs ausgewogenen «Verhandlungsbemühungen». Nun planen die USA zusammen mit Israel die Fortsetzung der gemeinsamen Angriffe auf den Lieblingsfeind Iran. Zu diesem Zweck schickte die US-Regierung unter anderem ihr Flugabwehrsystem THAAD samt 100 spezialisierten Soldaten nach Israel.

Ausser den USA sind auch Staaten wie Grossbritannien, Deutschland und die Schweiz an der Aufrüstung Israels beteiligt. Grossbritannien führt beispielsweise immer wieder zusammen mit den Amerikanern Transportflüge von seiner Militärbasis Akroti auf Zypern nach Tel Aviv durch, um Waffen und Munition zu liefern. Grossbritannien war 2019/2020 zusammen mit Israel an der Tötung und Verfolgung palästinensischer Demonstrant:innen im Gazastreifen beteiligt – unter dem Vorwand, die Aktivitäten der Hisbollah und des Irans zu stören. Der grosse private israelische Konzern «Elbit Systems» ist auch im britischen Reich tätig, zusammen mit seinen Töchtern «UAV Engines», die in Birmingham und Shenstone Drohnen fabrizieren (und erfolgreich von Palestine Action sabotiert worden sind) und «EliteKL», die jedoch mittlerweile verkauft worden sind.

Israel und Deutschland

Deutschland ist der zweitwichtigste Waffenlieferant Israels nach den USA. Nebst der staatlichen Lieferung in Israel hergestellter Heron Drohnen aus deutschen Armeebeständen treffen wir unter den Waffenexporteuren Deutschlands einen alten Bekannten: ThyssenKrupp. Die Firma war früher für die Nazis tätig, heute liefert sie U-Boote nach Israel. Selbstverständlich ist auch der Rüstungskonzern Rheinmetall (ebenfalls durch seine Waffenproduktion für Hitler bekannt), der in Zürich eine Filiale an der Birchstrasse 155 hat, im Israelgeschäft aktiv. Die hohen Profite der Rüstungsindustrie sind der Grund für den Support Israels durch Deutschland; mit dem Bezug auf die «Erbschuld» des «tausendjährigen Reiches» der Nazis kann man die Unterstützung des 1947gegründeten rassistischen Staates Israel allenfalls dem deutschen Michel moralisch verkaufen (das spöttische Gedicht von Heinrich Heine über den gutgläubigen und immer regierungstreuen «Michel nach dem März» ist in übertragenem Sinn weiterhin aktuell). Wie sagte doch der frühere deutsche SPD-Minister Egon Bahr – hier ehrlich: «In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.» Gegen die deutschen Waffenlieferungen an den Genozidstaat gibt es auch in Israel Proteste, z.B. von der israelischen Gruppe Radical Bloc, deren Aktivisten sich am 7. Juni im Foyer der deutschen Botschaft in Tel Aviv festgekettet hatten. Deutschland, das von Nicaragua wegen Beihilfe zum israelischen Völkermord beim internationalen Gerichtshof angeklagt ist, hat trickreich zur Umgehung der Exportbeschränkungen eine neue Warenkategorie –schlicht «Waffen» – erfunden; diese sollen etwas anderes als «Kriegswaffen» sein. Unter die Kategorie «Waffen» fallen beispielsweise die Panzermotoren des deutschen Triebwerkherstellers «MTU Aero Engines AG» und Kleinmunition.

Israel und die Schweiz

Über die schweizerischen Waffenexporte an andere Staaten haben wir in Unsere Welt im März 2024 informiert. Wir gingen damals auch auf die Tochter der israelischen «Elbit Systems» an der Seilerstrasse 4 in Bern ein. Eine sehr gute Übersicht, die wir den Students for Palestine verdanken, folgt hier.

Da in der Schweiz Gesetze den direkten Waffenexport in kriegsführende Staaten wie Israel verbieten, spielt sich die Zusammenarbeit entweder im Geheimen oder über Umwege ab. Umso wichtiger werden sogenannte Dual-Use-Güter (militärisch und zivil nutzbare Güter) und «besondere militärische Güter», die sich von den nicht zum Export zugelassenen «Rüstungsgütern» unterscheiden sollen. Die wissenschaftlich-technische Kooperation der ETH und der schweizerischen Universitäten mit Israel läuft weiter. Es handelt sich um schlecht kontrollierbaren Wissenstransfer, der zum Teil vor langer Zeit eingefädelt worden ist. Oft sind es EU-Projekte, an denen sich schweizerische Wissenschaftler:innen beteiligen. Beispiele, die von den Students for Palestine erwähnt werden:

  • Composites (Verbundwerkstoffe) und deren automatisierte Herstellung, bei deren Entwicklung z.B. die ETH eine wichtige Rolle spielt; sie sind für Flugzeuge, Drohnen, Panzer und andere Fahrzeuge wichtig.
  • Forschungen im Bereich des Wassermanagements; die Wasserverteilung ist für Israel ein wichtiges Element der hybriden Kriegsführung, um die palästinensische Bevölkerung zu vertreiben und die israelische Siedlungspolitik durchzusetzen.
  • Die weitere Entwicklung von Drohnen; zwar endete die gemeinsame Entwicklung des Staatskonzerns «Israel Aerospace Industries» mit der schweizerischen Ruag/Armasuisse und Oerlikon-Contraves – früher Oerlikon-Bührle – der Drohne «Ranger» schon 2019, doch anschliessend entwickelte die Schweiz zusammen mit dem privaten Konzern Elbit Systems aus Israel das System 15 alias Hermes 900 HFE, das jedoch in einem  technischen und finanziellen Fiasko kulminierte.
  • Projekte auf dem Gebiet der sogenannten Cybersecurity – einem breiten Bereich, der sich über Spionageabwehr, Überwachung, den Schutz der Infrastruktur und insbesondere auch fahrender und fliegender Objekte erstreckt; Israel hat da eine grosse Erfahrung, insbesondere mit dem auch in der Schweiz eingesetzten Staatstrojaner «Pegasus» bis zu manipulierten explodierenden Kommunikationsgeräten wie kürzlich im Libanon – die notabene auch viele Zivilist:innen schwer verletzten.
  • Softwareentwicklungen wie z.B. die Drohnensteuerungssoftware der schweizerisch-amerikanischen Firma Auterion; deren Software PX4 wird auch in israelischen und ukrainischen Drohnen eingesetzt.

Wir werden uns in einer späteren Ausgabe unserer Zeitung mit der hybriden Kriegsführung Israels beschäftigen und ausführlicher auf Software, Manipulationen, Zensur, nichtmilitärische Aktionen und gezielte Tötungen von Journalist:innen eingehen

#Titelbild: Aktivisten der linken israelischen Gruppe Radical Bloc ketteten sich im Juni 2024 im Foyer der deutschen Botschaft in Tel Aviv fest, um die Einstellung der deutschen Waffenlieferungen und einen sofortigen Waffenstillstand im Gazakrieg zu fordern. Quelle: zVg.

Quelle: Unsere Welt, Zeitung der Schweizerischen Friedensbewegung, Dezember 2024, Seite 2

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