Syriza-Regierung attackiert protestierende Rentner
Katerina Selin. Am Montag ging die Regierung unter der pseudolinken Partei Syriza (Koalition der radikalen Linken) brutal gegen eine kleine Gruppe protestierender Rentner vor, die durch die Athener Innenstadt zogen und ein Treffen mit Premierminister Alexis Tsipras forderten. Doch die Polizei ließ die Straße zum Regierungsgebäude mit Einsatzwagen absperren und die Demonstration gewaltsam unterdrücken.
Als die wütenden Rentner den Durchgang forderten und versuchten, einen Einsatzwagen umzustoßen, warfen Einheiten der Bereitschaftspolizei aus unmittelbarer Nähe Tränengas in die Menge. Ältere Männer und Frauen, zum Teil mit Gehhilfen, mussten unter Atemnot zurückweichen. Trotz der Attacken hielten die Rentner eine kleine Kundgebung ab. Auf einem großen Plakat forderten sie: „Kampf ums Überleben – Wiederherstellung der Renten – kostenlose öffentliche Gesundheitsversorgung“.
Etwa 25.000 griechische Rentner sind von neuen drastischen Kürzungen der Syriza-Regierung betroffen. Diese hatte bereits in den vergangenen Monaten Renteneinschnitte umgesetzt, die im letzten Sparpaket vereinbart wurden. Ab Dienstag müssen weitere Berufsgruppen, darunter Techniker im Medienbereich, Seemänner, Anwälte, Notare und Tankstellenbesitzer, eine Reduzierung ihrer Zusatzrenten um bis zu 40 Prozent hinnehmen. In Griechenland sind Tausende Menschen auf Zusatzrenten angewiesen.
Der rücksichtslose und brutale Angriff auf wehrlose Rentner enthüllt erneut den reaktionären Charakter der pseudolinken Syriza-Regierung. Das Ereignis bestätigt die Warnung, dass die Polizeigewalt gegen Flüchtlinge, die in diesem Jahr einen neuen Höhepunkt erreichte, gegen die gesamte Arbeiterklasse gerichtet ist.
Die Athener Polizei untersteht dem Syriza-Abgeordneten und Minister für Bürgersicherheit Nikos Toskas, einem Militärgeneral, der als Mitglied der sozialdemokratischen PASOK bereits zwischen 2009 und 2011 das politische Büro des stellvertretenden Verteidigungsministers leitete und in der ersten Syriza-Regierung von Januar bis September 2015 als Staatssekretär im Verteidigungsministerium arbeitete.
Die Regierung ist offenbar beunruhigt darüber, dass der Tränengaseinsatz die Proteste weiter anheizen könnte. Medienberichten zufolge hat Tsipras Toskas angewiesen, ab sofort jegliche Anwendung von Tränengas gegen demonstrierende Arbeiter und Rentner zu verbieten und die politische Verantwortung für den Vorfall zu übernehmen. Die scheinheilige Kritik an der Polizei, die jetzt sowohl in den Reihen von Syriza als auch der Opposition laut wird, ist blanker Hohn. Der Einsatz gegen die Rentner war kein Versehen, sondern zeigte die wahre Funktion der Polizei als Instrument des bürgerlichen Staats. In Wirklichkeit braucht die herrschende Klasse die aggressiven Polizeikräfte, um ihren Besitz zu verteidigen und die Sparmaßnahmen gegen die Arbeiter durchzusetzen.
In der vergangenen Woche hat das griechische Parlament offiziell über die Einrichtung des neuen Privatisierungsfonds abgestimmt, der unter anderem den Verkauf der Wasserbetriebe und der Gaswerke übernimmt. Am 27. September stimmten von den 300 Parlamentariern 152 Abgeordnete der Regierungsparteien Syriza und Anel (Unabhängige Griechen) – also alle außer einer, der wegen Krankheit abwesend war – für das Maßnahmenpaket, während 141 Mitglieder der Opposition dagegen votierten. Die internationalen Kreditgeber hatten gefordert, dass die Privatisierungspläne vor der Freigabe der nächsten Finanztranche von 2,8 Milliarden Euro verabschiedet werden. In Athen fanden Demonstrationen gegen die Privatisierungen statt, und Mitarbeiter der Wasserbetriebe in Thessaloniki und Athen traten am Tag der Abstimmung in den Streik.
Die gegenwärtigen Sparmaßnahmen sind Teil des dritten Memorandums, das die Syriza-Regierung 2015 mit der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem Internationalen Währungsfond (Troika) ausgehandelt hatte. Mitte Oktober kommen Vertreter der Troika erneut nach Athen, um die „Fortschritte“ der griechischen Sparpolitik zu überprüfen.
Am Montag stellte die griechische Regierung im Parlament den Haushaltsplan für 2017 vor, der ein Wachstumsziel von 2,7 Prozent und einen Primärüberschuss von 1,8 Prozent vorsieht. Diese Vorgaben sollen durch massive Kürzungen und Steuererhöhungen in Höhe von etwa 1 Milliarde Euro im Jahr 2017 (zusammen mit den Maßnahmen von 2016 etwa 3 bis 4 Milliarden Euro) erfüllt werden. Am 15. Oktober treten neue Preissteigerungen (Heizöl und Sonderverbrauchssteuer für Strom) in Kraft. 2017 folgen unter anderem eine Erhöhung des Benzinpreises und die Einführung einer Sondergebühr auf Festnetztelefonie, sowie von Sondersteuern auf Genussmittel wie Zigaretten und Kaffee.
Die Staatsschulden werden voraussichtlich in absoluten Zahlen auf 318,6 Milliarden steigen, der Prozentsatz am BIP soll aber von 178,9 auf 174,8 Prozent leicht absinken. Die Regierung behauptet, dass sie große Einsparungen vornehmen muss, um begrenzte Sozialausgaben zu finanzieren. So soll das „Soziale Solidaritätseinkommen“ (KEA), das bisher nur in einigen Gemeinden existiert, ab Januar 2017 auf ganz Griechenland – etwa 700.000 Bezugsberechtigte – ausgeweitet werden.
Das KEA-Einkommen ist angesichts der sozialen Notlage Tausender griechischer Familien ein lächerliches Almosen und könnte ähnlich wie Hartz-IV in Deutschland zur weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarktes genutzt werden. Eine Familie mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern hat demnach Anspruch auf 400 Euro im Monat, die mit Einkommen der Eltern verrechnet werden. Erwerbslose Alleinerziehende mit einem Kind erhalten 300 Euro. Wer über 100 Euro Sozialzuschuss zu einem Einkommen bezieht, erhält nur die eine Hälfte des Geldes zur freien Verfügung und die andere Hälfte in Form eines Sozialtickets, das in Geschäften eingesetzt werden kann. Unter 65-jährige Bezugsberechtigte müssen an Arbeitsmaßnahmen teilnehmen.
Die EU drängt auf eine schnelle Umsetzung der brutalen Austeritätspolitik in Griechenland. Bei einer Diskussion der griechischen Wirtschaftspolitik im europäischen Parlament forderte Wirtschafts- und Währungskommissar Pierre Moscovici am Dienstag die griechische Regierung auf, bis zum nächsten Montag alle Vorgaben der EU-Institutionen zu erfüllen.
Die Kreditgeber pochen auch auf eine Reform des Arbeitsmarkts. Seit April diesen Jahres arbeitet eine unabhängige „Expertengruppe zur Überprüfung der griechischen Arbeitsmarktinstitutionen“ an einer Reihe von Vorschlägen zu Fragen des Mindestlohns sowie der gesetzlichen Regulierung von Streiks und Tarifverhandlungen. Am 27. September veröffentlichten die „Experten“, darunter auch zwei deutsche Professoren, ihre Empfehlungen und befinden sich mit dem griechischen Arbeitsminister und griechischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden in Verhandlung.
Sechs Jahre Spardiktate haben in Griechenland zu einem beispiellosen sozialen Niedergang geführt. Das findet jetzt auch in einem deutlichen Bevölkerungsrückgang seinen Ausdruck. Aktuelle Zahlen der griechischen Statistikbehörde ELSTAT zeigen, dass die Schere zwischen der Sterbe- und Geburtenrate von 2011 bis 2015 immer weiter aufgegangen ist. Die Bevölkerungszahl ist um etwa 90.000 Menschen gesunken. Das entspricht der Einwohnerschaft einer größeren griechischen Stadt. Während 2011 bereits 4.671 mehr Todesfälle als Geburten verzeichnet wurden, starben 2015 insgesamt 29.365 mehr Menschen als geboren wurden. Die Daten für 2016 weisen auf eine weitere Verringerung der Bevölkerungszahlen hin.
Diese Entwicklung ist ein direktes Ergebnis der Sparpolitik. Während junge Menschen keine finanzielle Sicherheit haben, um eine Familie zu gründen, sterben immer mehr ältere Menschen frühzeitig an mangelnder Gesundheitsversorgung und Pflege. Auch die Selbstmordrate stieg im Laufe der Krise dramatisch an.
Mit der wachsenden sozialen Kluft nimmt auch die Schikane der Behörden und Justiz gegen die unterdrücktesten Schichten der Arbeiterklasse zu. Ein besonders schockierender Fall von Klassenjustiz ereignete sich im September in der mittelgriechischen Stadt Larissa. Eine 51-jährige Frau wurde wegen angeblichen Betrugs und Veruntreuung staatlicher Gelder zu 15 Jahren Haft und einer Geldstrafe von 150.000 Euro verurteilt. Sie hatte vor zwanzig Jahren den Abschlussgrad ihres Grundschulzeugnisses gefälscht, um sich als Putzfrau in einem staatlichen Kindergarten bewerben zu können.
Der Fall dieser Frau, der jetzt vor dem Berufungsgericht entschieden wird, wirft ein Schlaglicht auf die sozialen Verhältnisse in Griechenland unter einer angeblich linken Regierung. Kein einziger Banker, Unternehmer oder Politiker, der sich in den letzten Jahren mit kriminellen Geschäften im Staatsapparat oder am Finanzmarkt hemmungslos bereichert und die Wirtschaftskrise verursacht hat, sitzt vor Gericht, geschweige denn im Gefängnis.
Die scharfen Klassenspannungen finden ihren Ausdruck in einer verbreiteten Ablehnung gegenüber sämtlichen bürgerlichen Parteien, insbesondere Syriza. Einer Umfrage von Public Issue zufolge, die am Sonntag in der Syriza-nahen Zeitung Avgi veröffentlicht wurde, sind 90 Prozent der Befragten unzufrieden mit der Regierung und 80 Prozent unzufrieden mit der Opposition. Eine aktuelle Wahlprognose, die von der Universität Makedoniens erstellt wurde, sieht Syriza bei nur 16 Prozent und die konservative Nea Dimkratia (ND) bei 28,5 Prozent.
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