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Trump, Ingenieur des Chaos

Eingereicht on 9. April 2025 – 18:11

Esteban Mercatante. Was will die Trump-Regierung mit ihrer Zollpolitik erreichen, was kann sie erreichen und welche Auswirkungen wird sie haben?

Am 2. April konkretisierte der US-Präsident Donald Trump die Erhebung von allgemeinen Zöllen, die er Wochen zuvor angekündigt hatte. Die am wenigsten betroffenen Länder zahlen zehn Prozent für den Zugang ihrer Produkte zum US-amerikanischen Markt. Die angewandten Zollsätze reichen jedoch bis zu 50 Prozent, um die angeblich von anderen Ländern für die Einfuhr von US-Produkten angewandten Zollschranken auszugleichen. Die EU-Länder, historische Partner der USA, werden mit Zöllen von 20 Prozent konfrontiert, während diese für China sogar 34 Prozent betragen. Diese Zollsätze kommen zu den bereits geltenden Zöllen hinzu. Die Märkte, die bereits seit Ende Februar Angst vor den Maßnahmen von Trump zeigten, gerieten in große Panik, als der US-Präsident seinen protektionistischen Kurs bestätigte. Was will die Trump-Regierung mit ihrer Zollpolitik erreichen, was kann sie erreichen und welche Auswirkungen wird sie haben?

Noch nie dagewesen

Mit den von Trump eingeführten Zöllen wird die US-Wirtschaft die höchsten Zölle der letzten 130 Jahre haben. Während der protektionistischen Wende in den 1930er Jahren, die einer der entscheidenden Faktoren für die Umkehr der wirtschaftlichen Globalisierung war – zusammen mit der Abwertung der Währungen und den Verwüstungen der Weltwirtschaftskrise von 1929 –, lagen die durchschnittlichen Zölle unter denjenigen, die seit dem 2. April in den USA gelten.

Die von der Trump-Regierung angewandte Formel, um die Höhe der Zollsätze zu bestimmen, steht nicht in direktem Zusammenhang mit Steuern, Subventionen oder nichttarifären Handelshemmnissen, die diese gegenüber US-Exporten anwenden. Die Festlegung erfolgte viel simpler und willkürlicher: Sie ergibt sich aus der Division der Höhe des Handelsdefizits der USA mit jedem Land durch die Höhe der US-Einfuhren aus diesem Land, die dann durch zwei geteilt wird. Ein Zollsatz von mindestens 10 Prozent gilt für den gesamten Warenhandel – Dienstleistungen sind von den angewandten Zöllen nicht betroffen –, mit wenigen Ausnahmen wie Russland, Belarus, Kuba und Nordkorea. Nicht einmal ausschließlich von Pinguinen bewohnte Gebiete wie die Heard- und McDonald-Inseln blieben von Trumps Zollwut verschont. Mexiko und Kanada stehen nicht auf der Liste der betroffenen Länder, aber die Lieferungen von Autos, Stahl und Aluminium aus diesen Ländern werden von den spezifischen Zöllen betroffen sein, die am selben Donnerstag in Kraft getreten sind.

Die Willkür der Formel macht es für die Länder schwierig, angemessen zu reagieren. Der Ökonom Michael Roberts erklärt dies am Beispiel Vietnams: „Die USA haben ein Defizit von 123 Milliarden US-Dollar gegenüber Vietnam, von dem sie Waren im Wert von 137 Milliarden US-Dollar importieren. Daher wird davon ausgegangen, dass sie Handelshemmnisse haben, die einem Einfuhrzoll von 90 Prozent entsprechen. Die US-Formel sieht einen gegenseitigen Zollsatz von der Hälfte dieses Betrags (45 Prozent) vor, um das bilaterale Defizit zu halbieren. Das Problem: Vietnam hat gar keinen Zollsatz von 90 Prozent auf US-Exporte, so dass es die Verringerung seiner Verkäufe in die USA überhaupt nicht durch die Senkung eigener ‚Zölle‘ auf US-Exporte vermeiden kann.“ 

Schlagen und verhandeln?

„Präsident Trump ist der Ansicht, dass Zölle Verhandlungsmacht schaffen, um zu Vereinbarungen zu gelangen. Es ist leichter vorstellbar, dass Handelspartner wie Europa und China nach einer Reihe von Strafzöllen für eine Zollsenkung empfänglicher für eine Art Währungsabkommen werden“1, schrieb Stephen Miran, der seit März den Vorsitz des Rates der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses innehat, im November letzten Jahres. Der Autor gehört zu denjenigen, die sich dafür aussprechen, Zölle als Waffe einzusetzen, um andere Länder zu zwingen, ein neues Finanzsystem nach dem Vorbild von Bretton Woods zu akzeptieren. Für Miran muss die Stärke des Dollars, die sich aus seiner Stellung als weltweit gefragte Reservewährung ergibt, die von Investor:innen und Zentralbanken auf der ganzen Welt stark nachgefragt wird, korrigiert werden, um wieder Investitionen aus den produktiven Sektoren in die USA zu locken.

In ähnlicher Weise sagte Scott Besset, der designierte Finanzminister, im vergangenen Jahr eine große „wirtschaftliche Neuordnung“ voraus, „die einem neuen Bretton Woods gleichkommt“. Besset erklärte, dass es zwar ein „großer strategischer und wirtschaftlicher Fehler“ wäre, wenn die USA das internationale Handelssystem aufgeben würden, es aber dringend notwendig sei, „Maßnahmen zu ergreifen, um die Ursachen der Ungleichgewichte in der Weltwirtschaft zu korrigieren“, wobei „Interventionen auf makroökonomischer Ebene, wie zum Beispiel breit angelegte Zölle“, Vorrang haben sollten2.

Wenn dies der Leitgedanke wäre, wäre die Anwendung von Zöllen nicht das Ziel, sondern lediglich ein Mittel, um die Regeln des Weltwirtschaftssystems zugunsten der USA zu ändern. In diesem Fall würde das derzeitige Chaos von ganz konkreten Zielen geleitet, die nicht in der Errichtung dauerhafter Handelshemmnisse bestehen. Solche könnten, wenn sie über einen längeren Zeitraum bestehen bleiben, die weltweite wirtschaftliche Integration ernsthaft beeinträchtigen und die Kosten in allen globalen Produktionsketten erhöhen. Wenn dies das angestrebte Ziel ist, wäre es ein Versuch der Wiederholung des Plaza-Abkommens in den 1980er Jahren. Dies wurden nach dem Hotel benannt, in dem die Verhandlungen stattfanden, und führte dazu, dass Japan und Deutschland – die größten wirtschaftlichen Konkurrenten der USA, die auch enge Sicherheitspartner waren – sich verpflichteten, eine Politik zu verfolgen, um den Wert ihrer Währungen gegenüber dem Dollar zu stärken.

Die Beamt:innen der derzeitigen Regierung fantasieren vom „Mar-a-Lago-Abkommen“, in denen die wichtigsten Konkurrenten und Handelspartner der USA akzeptieren, zu einer Verbilligung des Dollars beizutragen, um aus der Falle der gegenseitigen Zölle herauszukommen. Es geht jedoch nicht nur um den Wert der Währung, sondern darum, eine Abwertung des Dollars gegenüber den anderen Währungen auszuhandeln, ohne gleichzeitig seine unbestrittene Vorrangstellung als Weltreservewährung zu beeinträchtigen. Denn diese verleiht den USA eine unvergleichliche Fähigkeit, Entscheidungen über ihre Wirtschaft (und der des Rests der Welt) ohne die Einschränkungen zu treffen, denen andere Länder ausgesetzt sind. Ein neues Währungssystem könnte entstehen, wenn andere Länder akzeptieren, ihre Währungskurse an den Dollar zu binden, und zwar auf höheren Paritätsniveaus als derzeit.

Laut Miran würde „der Dollar schwächer werden, um den Handel auszugleichen, und wir hätten nicht so viele Handelsdefizite. Wir hätten viele der Probleme nicht mehr, die Zölle und andere Maßnahmen sonst zu lösen versuchen, weil die US-Exporte weltweit wettbewerbsfähiger wären und wir nicht so oft von anderen Ländern betrogen würden.“ Ergo würde der Zollkrieg überflüssig werden, und alles könnte zur Normalität vor der Einführung von Zöllen mit niedrigeren Zollsätzen zurückkehren, sobald die USA den Rest der Welt dazu gezwungen hätten, die Wettbewerbsfähigkeit der USA aufrechtzuerhalten. Das Chaos dieser Wochen wäre dann nur vorübergehend, und daraus würde eine neue Ordnung entstehen, die dem Wiederaufschwung der US-Produktion förderlich ist.

Die Frage ist, ob die USA heute über genügend Stärke verfügen, um die Akzeptanz dieser Änderung der Spielregeln zu erzwingen. Ihr Ziel ist, die zuvor von den USA selbst aufgebaute „regelbasierte Ordnung“, welche die für die Ausbreitung des Kapitals in der Welt geeigneten Bedingungen gewährleisteten, einseitig zu ersetzen. Zweifellos werden alle Länder wollen, dass ihre Unternehmen weiterhin einen vorteilhaften Zugang zum begehrten US-Markt haben. Aber heute sind die Länder, mit denen Trump verhandeln muss, nicht mehr wie Deutschland und Japan in den 1980er Jahren in die US-amerikanischen Sicherheitspläne eingebunden. Er muss mit China verhandeln, einer aufstrebenden Macht, mit der die USA mit wachsender Aggressivität konkurrieren, und auch mit einer EU, die mit der Rückkehr von Trump ihre Pläne zur Erlangung militärischer Autonomie von den USA beschleunigt.  Die Umgestaltung des Währungsgefüges zugunsten der USA wird für diese Länder, ebenso wie für die BRICS-Staaten (von denen interessanterweise nur Russland von den neuen US-Zölle verschont blieb, ebenso wie Nordkorea) und andere Blöcke mit hohen Kosten verbunden sein. Reicht der Nutzen, der sich aus der Aufrechterhaltung des Zugangs zum US-Markt ergibt, für sie aus, um diese Kosten auszugleichen?

Sicher ist, dass keinerlei Währungsalchemie ausreichen wird, um die Massenproduktion von Gütern wieder in die USA zurückzuholen, abgesehen von den Sandkästen, in denen Trumps Ökonomen sich bewegen, um sich eine Welt herbei zu fantasieren, in der die USA sich wieder industrialisieren und gleichzeitig den herausragenden Platz ihrer Währung als Wertanlage behalten. Die Plaza-Abkommen trugen zwar vorübergehend dazu bei, die Außenhandelsbilanz der USA auszugleichen und etwas Marktanteil von ihren Partnern zurückzugewinnen. Sie verhinderten aber nicht die wirtschaftlichen Umstrukturierungen, mit denen die US-Industrien in Niedriglohnländer verlagert wurden. In demselben Sinn könnten die Trumpschen Zölle zwar noch immer überzeugend sein, um substanzielle Zugeständnisse in Währungsfragen zu erwirken; sie werden jedoch keine Arbeitsplätze in die USA zurückbringen, die durch die Verlagerung von Unternehmen aus den USA verloren gegangen sind, um zu geringeren Kosten zu produzieren. Wie der verstorbene Apple-CEO Steve Jobs dem US-Präsidenten Barack Obama 2011 sagte, als dieser ihn fragte, was nötig sei, damit das iPhone in den USA hergestellt werde: „Diese Arbeitsplätze werden nicht zurückkommen.“

Schlag auf Schlag und wirtschaftliche Unsicherheit

Es bleibt abzuwarten, ob die von der Trump-Regierung imaginierte virtuose Abfolge von Schlägen und Verhandlungen tatsächlich eintritt. Vorerst hat Trump inmitten des weltweiten Chaos noch mehr Verwirrung gestiftet, und das wird die Konjunktur prägen. Die liberale Presse, die die EU, China und andere wichtige Länder aufrief, nicht auf Vergeltung zu setzen und das Engagement für die integrierte Wirtschaft aufrechtzuerhalten, findet offenbar nicht genügend Gehör. Auf Trumps Zölle folgten Ankündigungen Chinas, auf Produkte aus den USA den gleichen Zoll von 34 Prozent zu erheben.

Die Aktienmärkte befanden sich seit Mittwoch im Absturzmodus, der auch schon seit Ende Februar auf vielen Märkten herrscht. Die Vernichtung von Börsenwert seit den Höchstständen liegt bei einer satten 20 Prozent.

Der Chef der US-Notenbank Fed, Jerome Powell, warnte am vergangenen Freitag davor, dass die von Trump beschlossenen Zölle „höher als erwartet“ seien und dass daher auch die wirtschaftlichen Folgen, wie steigende Inflation und verlangsamtes Wachstum, wahrscheinlich schwerwiegender seien. „Wir stehen vor einem sehr unsicheren Szenario mit hohen Risiken sowohl für steigende Arbeitslosigkeit als auch für Inflation.“

Das Problem für die Fed besteht darin, dass sie zur Ankurbelung der Wirtschaftstätigkeit und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit eine monetäre Expansion durch Senkung der Zinssätze fördern müsste, während sie zur Bekämpfung der drohenden Inflation eine restriktive Geldpolitik anwenden müsste. Nach den Ankündigungen wurden die Prognosen für den wirtschaftlichen Rückgang in diesem Jahr, den einige Institutionen auf 1 bis 2 Prozent schätzen, erhöht, begleitet von einem Anstieg der Inflation, der bis zu 4 oder 5 Prozent pro Jahr erreichen könnte. Die Handlungsspielräume der für die Geldpolitik zuständigen Institution werden durch die von Trump verursachte Unkontrolliertheit eingeengt.

Wie Michael Roberts feststellt, ist der Außenhandel heute dreimal so wichtig für die US-Wirtschaft wie bei der Einführung des Smoot-Hawley-Gesetzes im Jahr 1929: Die Importe machten 2024 15 Prozent des BIP aus, gegenüber etwa 6 Prozent im Jahr 1929. Die inländische Produktion und die inländischen Verkäufe sind viel stärker mit dem Einkommen aus diesen eingeführten Waren verknüpft als vor 90 Jahren. Dies widerspricht der Vorstellung, dass Zölle nur die Wirtschaftstätigkeit in anderen Ländern beeinträchtigen, die in die USA verkaufen. Daher kann der Umfang des Handelskriegs in Bezug auf das BIP weit über die genannten Schätzungen hinausgehen.

Neuland 

Die Konjunktur ist chaotisch. Wir können nicht ausschließen, dass dies der Auftakt zu dem von der Trump-Regierung verfolgten Ziel ist, Verhandlungen zu erzwingen. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, ist die globale Regierbarkeit – oder besser gesagt, die Nicht-Regierbarkeit– in unbekanntes Terrain mit neuen Regeln vorgedrungen. Die Auswirkungen dieses Wandels werden für die Beziehungen zwischen den Mächten sehr tiefgreifend sein.

Weder der Zollkrieg noch die mögliche Einführung neuer Handelsregeln und des Währungssystems durch die USA, die einige der Trump-Beamt:innen sich als Gegenleistung für deren Rücknahme vorstellen, werden den Niedergang der USA grundlegend ändern. So wie die seit Obamas „Pivot to Asia“ umgesetzten und von Trump vertieften Maßnahmen es nicht geschafft haben, das Wachstum des chinesischen Einflusses in der Welt zu bremsen. Im Gegensatz zu dem, was sie beabsichtigen, könnten Trumps Entscheidungen, wie The Economist warnte, China stärken und nicht die USA.

Was durch Trumps Angriff auf den Welthandel bestätigt wird, ist die Entscheidung der führenden Macht, die eine Schlüsselrolle bei der Sicherstellung der wirtschaftlichen Integration gespielt hat, alles auf den Kopf zu stellen. Dies vertieft die Krise des Bestehenden, ohne dass klar wird, was an seine Stelle treten könnte. Dieses Element, die verschärfte Rivalität zwischen den USA und China und die offenen Kriegszenarien bilden eine Situation, die eindeutig als systemisches Chaos bezeichnet werden könnte, zu dessen wichtigstem Architekten Trump geworden ist.

Fußnoten

  1. Stephen Miran, “A User’s Guide to Restructuring the Global Trading System”, Hudson Bay Capital, 24.11.2024, aufgerufen am 04.05.2025, in .
  2. Scott Bessent, „Trump adviser on how the international economic system should change“, The Economist, 23.10.2024.

Quelle: klassegegenklasse.org… vom 9. April 2025

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