«Wir werden ganz Italien blockieren»
Siro Torresan. Die Mobilisierungen in Italien in Solidarität mit dem palästinensischen Volk und der Sumud Global Flotilla nehmen kein Ende. Genau genommen stehen sie erst am Anfang, wie bei allen Aktionen immer wieder betont wird. Der Konflikt mit der Staatsmacht spitzt sich täglich zu.
Genua, 27.September, später Abend. «Wir werden ganz Italien blockieren!», skandiert die Menge, klatscht rhythmisch und ruft wieder: «Wir werden ganz Italien blockieren!» – so zu sehen auf dem Video des gewerkschaftlichen Dachverbands Unione Sindacale di Base (USB). Der Demonstrationszug, der vom Hafen ausgegangen ist, erreicht die Piazza Matteotti. Eine Genossin der Basisgewerkschaft CALP der Hafenarbeiter:innen ergreift das Mikrofon. «Heute Abend haben wir den sofortigen Streik im Hafen beschlossen. Während der nächsten 24 Stunden werden wir keine Schiffe be- oder entladen», erklärt sie den Tausenden, die auf der Piazza versammelt sind. Was war geschehen?
Arbeitskampf und Solidarität
Am Nachmittag, gegen 17 Uhr, setzte sich aus der Innenstadt ein Demonstrationszug in Bewegung. Ziel war der Hafen – aus Solidarität mit den Schiffen der Sumud Global Flotilla, die wenige Stunden zuvor von Kreta aus Richtung Gaza in See gestochen waren.
Genau in diesem Moment erreichte die Genoss:innen der CALP eine Nachricht: Am Kai «Spinelli» lag der Frachter «Zim New Zealand» der israelischen Reederei ZIM, mit zehn verdächtigen Containern an Bord. Angesichts dieser Meldung handelten die Hafenarbeiter:innen schnell und entschlossen: Gemeinsam mit einem Teil der Stadtbevölkerung drangen sie in den Hafen ein, um das Beladen des Schiffes zu verhindern. Währenddessen schlossen sich immer mehr Menschen der Demonstration an, die laut und solidarisch Richtung Hafen zog. Der USB rief umgehend zu einem sofortigen 24-stündigen Streik auf.
Zurück auf der Piazza Matteotti: Ein Genosse der CALP ergreift das Wort: «Sie verlangten von uns, das Schiff, das in Richtung Israel unterwegs ist, zu ent- und beladen. Darunter auch zehn verdächtige Container. Was hätten wir tun sollen?», fragt er in die Menge. «Das ist eine Provokation. Wir konnten gar nicht anders, als die Arbeit niederzulegen. Es war nicht das erste Mal, und wir werden es wieder tun – zehn Mal, hundert Mal, tausend Mal. Wir sind erst am Anfang des Kampfs. Machen wir gemeinsam und entschlossen weiter.»
Der Kampf der Hafenarbeiter:innen, getragen von der Solidarität Tausender auf der Strasse, führte zum Erfolg: Wenige Stunden nach Beginn der Aktionen befahl die Hafenleitung dem Schiff, den Kai unverzüglich zu verlassen. «Ein grosser Sieg für die Stadt Genua und die Hafenarbeiter:innen des CALP, die einmal mehr gezeigt haben, welche entscheidende Rolle die Arbeiter:innenklasse im Kampf gegen den Krieg einnehmen kann und muss – an der Seite des palästinensischen Volkes, gegen den Genozid und gegen die europäische Aufrüstung», erklärte die USB in ihrer Stellungnahme am Tag danach.
Massiver Polizeieinsatz in Turin
Turin, Alessandria, Padua, Florenz, Rom, Caserta… Am Samstag, 27.September, fanden erneut in ganz Italien Solidaritätsaktionen für Palästina und die Flotilla statt. In Turin machten sich am Nachmittag Tausende auf den Weg Richtung Flughafen Caselle, um die Verbindungen zwischen dem Luftverkehr und der Rüstungsindustrie anzuprangern. Ihnen stellte sich die Polizei mit einem massiven Aufgebot entgegen. Nach einem eindringlichen Appell der Demonstrant:innen an die Polizei – «Bitte lasst uns durch, wir appellieren an eure Menschlichkeit» – eskalierte die Situation. Ein Dutzend Aktivist:innen sowie zwei Polizist:innen wurden verletzt.
In Caserta, in der südlichen Region Kampanien gelegen, wurde über Lautsprecher das Heulen von Luftschutzsirenen und Bombeneinschlägen verbreitet, um – wenn auch nur für kurze Zeit – spürbar zu machen, was es bedeutet, unter Belagerung zu leben, so wie es in Gaza tagtäglich geschieht. Bei der Demonstration marschierten einige Studentinnen in Schwarz gekleidet im Zeichen der Trauer. Schweigend trugen sie einen kleinen Sarg, der in eine palästinensische Fahne gehüllt war – ein Bild, das das Drama der unter den Bombardierungen getöteten Kinder eindringlich heraufbeschwor.
Der Konflikt spitzt sich zu
Ja, ausgehend von den Hafenarbeiter:innen der CALP in Genua und der Sumud Global Flotilla ist in Italien eine Mobilisierung entstanden, die wächst, sich verwurzelt und sich in kollektives Bewusstsein verwandelt. Eine Bewegung, die nicht um Erlaubnis bittet und sich selbst organisiert. Sie gewinnt täglich an Einfluss und schafft es, die politische Tagesagenda im Land zu bestimmen – niemand kommt mehr an dieser breiten Bewegung vorbei. Und je näher die Flotilla an Gaza kommt, desto härter wird der Konflikt mit der Staatsmacht.
Giorgia Meloni, die italienische Ministerpräsidentin, bezeichnete in einer Pressekonferenz während der UN-Generalversammlung in New York die Flottilla als «gefährlich und verantwortungslos». Sie warf den Aktivist:innen vor, die Situation in Gaza «auszunutzen, um die Regierung zu attackieren», und erklärte solche Aktionen für «nicht im Interesse der Bevölkerung von Gaza». Der italienische Staat unterbreitete der Flotilla daraufhin folgendes Angebot: Die Hilfsgüter sollten in Zypern ausgeladen werden, die Verteilung würde das Lateinische Patriarchat von Jerusalem übernehmen. Italien würde den gesamten logistischen Teil sicherstellen. Selbst Staatspräsident Sergio Mattarella schaltete sich ein. Im Gegensatz zu Giorgia Meloni betonte er die Wichtigkeit und den humanitären Aspekt der Flotilla und rief die Besatzungen der Schiffe dazu auf, das Angebot «auch für die eigene Sicherheit» anzunehmen.
Kein Kurswechsel
Die Antwort kam über eine Videobotschaft der italienischen Sprecherin der Flotilla, Maria Elena Delia. «Wir können dieses Angebot nicht annehmen, weil es darauf abzielt, zu verhindern, dass unsere Boote in internationalen Gewässern fahren, da das Risiko besteht, dort angegriffen zu werden», erklärte sie. Es sei, als würde die Regierung der Flotilla sagen: «Obwohl ein Angriff auf euch ein Verbrechen ist, können wir nicht diejenigen bitten, die euch angreifen werden, euch nicht anzugreifen. Wenn ihr euch retten wollt, fordern wir euch vielmehr dazu auf: Weicht zur Seite.» Der Täter wird zum Opfer, das Opfer zum Täter.
Delia erinnert daran, dass Israel einen Völker-mord begeht, ohne «dass irgendeine unserer Regierungen bisher den Mut gehabt hätte, Sanktionen zu verhängen, ein Waffenembargo zu verhängen oder wenigstens einen Teil der Handelsbeziehungen zu schliessen». Würde eine dieser drei Massnahmen in Betracht gezogen, «würden wir uns darüber sehr freuen». Die Flotilla sei bereit, «Vermittlungsvorschläge zu prüfen, aber nicht, indem wir den Kurs ändern». Den Grund nennt die Sprecherin gleich: «Denn den Kurs zu ändern würde bedeuten, zuzugeben, dass man einer Regierung erlaubt, illegal zu handeln, ohne etwas dagegen tun zu können.»
Mit Blick auf die nationale Demonstration vom 4.Oktober in Rom, an der Hunderttausende erwartet werden, sei an dieser Stell an die Worte von Ché Guevara erinnert: «Seid immer fähig, jede Ungerechtigkeit, die irgendwo auf der Welt gegen irgendjemanden begangen wird, als eigene persönliche Ungerechtigkeit zu empfinden. Das ist die schönste Eigenschaft eines Revolutionärs.»
Quelle: vorwaerts.ch… vom 30. September 2025
Tags: Arbeiterbewegung, Arbeitskämpfe, Imperialismus, Italien, Palästina, Widerstand, Zionismus
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