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Shimon Peres aus der Perspektive seiner Opfer

Eingereicht on 22. Dezember 2016 – 11:36

Ilan Pappe. Die Nachrufe auf Shimon Peres waren zweifelsohne bereits vorbereitet als die Nachricht seiner Aufnahme ins Krankenhaus bei den Medien eingetroffen war.

Das Urteil über sein Leben ist sehr klar und wurde bereits vom Präsidenten der USA, Barack Obama,  ausgesprochen: Peres war ein Mann der den Verlauf der Menschheitsgeschichte in seiner unnachgiebigen Suche nach Frieden im Nahen Osten änderte.

Meine Vermutung ist, dass sehr wenige dieser Nachrufe Peres Leben und Aktivitäten aus der Perspektive der Opfer des Zionismus und Israel untersuchen werden.

Er hatte viele Positionen in der Politik inne die einen immensen Einfluß auf die Palästinenser, wo immer sie sich aufhalten, hatte. Er war Generaldirektor des israelischen Verteidigungsministeriums, Verteidigungsminister, Minister für die Entwicklung Galiläas und des Negev (Naqab), Ministerpräsident und Staatspräsident.

In all diesen Rollen trugen seine Entscheidungen und die Politik die er verfolgte zur Zerstörung des palästinensischen Volkes bei und er tat nichts, um die Sache des Friedens und der Versöhnung zwischen Palästinensern und Israelis voranzubringen.

1923 wurde er als Szymon Perski in einer Stadt die damals ein Teil von Polen war geboren, 1934 wanderte er nach Palästina aus. Er wurde politisch aktiv als Teenager in einer Landwirtschaftsschule innerhalb der linken zionistischen Bewegung, die den Zionismus und später den jungen Staat Israel anführte.

Als Führungsfigur im Jugendkader der Bewegung, zog Peres die Aufmerksamkeit der Führung der jüdischen paramilitärischen Organisation Haganah im unter britischer Herrschaft stehenden Palästina auf sich.

Atombombe

1947 war Peres voll in der Organisation integriert und wurde von seinem Führer David Ben-Gurion ins Ausland geschickt um Waffen zu kaufen, die 1948 während der Nakba, der ethnischen Säuberung von Palästinensern, und gegen arabische Kontingente, die später im selben Jahr nach Palästina kamen, benutzt wurden.

Nach einigen Jahren im Ausland, hauptsächlich in den USA, wo er mit dem Kauf von Waffen und der Errichtung der Infrastruktur für die israelische Militärindustrie beschäftigt war, kam er zurück und wurde Generaldirektor des Verteidigungsministeriums.

Peres war aktiv darin eine geheime Absprache zwischen Israel, Großbritannien und Frankreich zustande zubringen, um im Jahr 1956 Ägypten zu überfallen. Dafür wurde Israel von Frankreich mit der benötigten Kapazität an Material und Wissen um Nuklearwaffen zu bauen, belohnt.

Tatsächlich war es Peres selbst, der großteils Israels geheimes Nuklearwaffenprogramm überwachte.

Genauso wichtig war der Eifer den Peres unter Ben-Gurions Führung und Inspiration zeigte, wenn es darum ging Galiläa zu judaisieren. Trotz der ethnischen Säuberung 1948 war dieser Teil Israels noch sehr palästinensisch geprägt.

Peres stand hinter der Idee palästinensisches Land zu konfiszieren, um darauf exklusive jüdische Städte wie Karmiel und Obernazareth zu bauen und den Standort des Militärs in diese Gegend zu legen, um den territorialen Zusammenhang zwischen palästinensischen Dörfern und Städten zu unterbrechen.

Die Ruinierung der palästinensischen Landschaft führte zum Verschwinden von traditionellen palästinensischen Dörfern und zur Transformation der Bauern in eine unterbeschäftigte und benachteiligte städtische Arbeiterklasse. Diese düstere Realität besteht auch heute noch.

Verfechter der Siedler

Peres verschwand eine zeitlang von der politischen Bühne, als sein Meister Ben-Gurion, Israels Gründungs-Premierminister, 1963 von einer neuen Führungsgeneration verdrängt wurde.

Nach dem Krieg im Jahr 1967 kam er zurück und wurde als Minister verantwortlich für die besetzten Gebiete. In dieser Rolle legitimierte er, oft auch rückwirkend, die Siedlungstätigkeit im Westjordanland und im Gazastreifen.

Wie so viele von uns inzwischen realisieren, war die Vorstellung einer Zweistaatenlösung durch die Siedlungsinfrastruktur vor allem im Westjordanland bereits 1977, als die pro-Siedlungspartei Likud an die Macht kam, unmöglich geworden.

1974 wurde Peres Karriere eng mit seinem Erzfeind Yithak Rabin verbunden. Die beiden Politiker, die sich nicht ausstehen konnten, mussten als Tandem zusammenarbeiten um politisch zu überleben.

Doch was Israels Strategie gegenüber den Palästinensern angeht teilten sie die zionistische siedlerkolonialistische Sichtweise, indem sie so viel wie möglich an palästinensischem Land begehrten, mit so wenig wie möglich an Palästinensern.

1987 arbeiteten sie gut dabei zusammen den palästinensischen Aufstand brutal zu unterdrücken.

Peres erste Rolle innerhalb dieser schwierigen Partnerschaft war die des Verteidigungsministers innerhalb Rabins Regierung 1974. Der ersten richtigen Krise sah sich Peres durch eine immer weiter expandierende Kolonisierungstätigkeit der messianischen Siedlerbewegung Gush Emunim in und um Nablus, einer Stadt im Westjordanland, gegenüber.

Rabin war gegen die neuen Siedlungen, aber Peres hielt zu den Siedlern und die Kolonien die Nablus heute strangulieren sind seinen Anstrengungen zu verdanken.

1976 führte Peres die Regierungspolitik über die besetzten Gebiete. Er war überzeugt, dass man mit Jordanien zur Übereinkunft kommen könne, dass das Westjordanland innerhalb Jordaniens Zuständigkeitsbereich liegen, sich tatsächlich aber unter israelischer Herrschaft befinden würde.

Er initiierte Kommunalwahlen im Westjordanland, aber zu seiner großen Überraschung und zu seiner Enttäsuchung wurden die Kanditaten, die sich mit der Palästinensischen Befreiungsbewegung PLO identifizierten gewählt und nicht die, die loyal zum jordanischen Königreich waren.

Doch Peres blieb der, wie er es nannte „jordanischen Option“ treu, auch als Oppositionsführer nach 1977 und als er innerhalb einer Koalition mit dem Likud zurück an die Macht kam 1984-1988.

Er trieb die Verhandlungen auf Basis dieses Konzepts voran, bis zu König Husseins Entscheidung 1988, alle politischen Verbindungen zwischen Jordanien und dem Westjordanland aufzugeben.

Israels internationales Gesicht

Während der 1990iger Jahre zeigte sich ein reiferer Peres der Welt. Er war Israels internationales Gesicht, ob innerhalb oder außerhalb der Regierung. Er spielte diese Rolle auch nachdem der Likud zur stärksten Kraft im Land aufstieg.

An der Macht innerhalb Rabins Regierung in den frühen 1990igern, als Ministerpräsident nach Rabins Ermordung 1995 und als Minister innerhalb Ehud Baraks Kabinett von 1990 bis 2001 trieb er ein neues Konzept von dem was er „Frieden“ nannte voran.

Anstatt die Macht im Westjordanland und im Gazastreifen mit Jordanien oder Ägypten zu teilen, wollte er dies nun mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation. Die Idee wurde vom Führer der PLO Yasser Arafat akzeptiert, der wohl hoffte, darauf ein neues Projekt für die Befreiung Palästinas aufzubauen.

Dieses Konzept, das in den Oslo-Verträgen von 1993 beinhaltet ist, wurde begeistert von Israels internationalen Verbündeten gutgeheißen. Peres war der führende Botschafter dieser Farce eines Friedensprozesses, der es Israel unter einem internationalen Schutzschirm ermöglichte Fakten zu schaffen, die zu einem größeren Apartheid-Israel mit kleinen verstreuten, palästinensischen Bantustans führte.

Die Tatsache, dass er einen Friedensnobelpreis für einen Prozess der fortgeschrittenen Ruinierung Palästinas und dessen Volkes bekommen hat, ist ein weiterer Beweis für das Missverständnis, den Zynismus und die Apathie gegenüber dessen Leid.

Glücklicherweise leben wir in einer Zeit in der die internationale Zivilgesellschaft diese Farce aufgedeckt hat und die durch die Bewegung für Boykott, Desinvestition und Sanktionen und die wachsende Unterstützung für die Einstaatenlösung einen hoffnungsvolleren und ernstzunehmenden Weg nach vorn aufzeigt.

Qana

Als Ministerpräsident leistete Peres einen zusätzlichen „Beitrag“ zur Geschichte palästinensischen und libanesischem Leidens.

Als Antwort auf die endlosen Scharmützel zwischen Hizballah und der israelischen Armee im Südlibanon, wo die Hisballah und andere Gruppen der israelischen Besatzung seit 1982 trotzten, bis sie sie im Jahr 2000 vertrieben, ordnete Peres im April 1996 die Bombardierung einer ganzen Gegend an.

Während einer Operation die Israel „Trauben des Zorns“ nannte, tötete die israelische Bombardierung mehr als 100 Menschen in der Nähe des Dorfes Qana – Zivilisten und UN-Blauhelme aus Fiji, die vor dem Bombardement flohen.

Trotz einer Untersuchung der UN, die die Erklärung Israels, dass die Bombardierung ein Unfall war für „unwahrscheinlich“ hielt, tat das Massaker Peres internationalem Ruf als „Friedensstifter“ keinen Abbruch.

In diesem Jahrhundert war Peres mehr eine symbolische Galionsfigur als ein aktiver Politiker. Er gründete das Peres-Zentrum für Frieden auf beschlagnahmtem Land palästinensischer Flüchtlinge in Jaffa, das weiterhin die Idee eines palästinensischen „Staates“ mit wenig Land und wenig Unabhängigkeit oder Souveränität als bestmögliche Lösung verkauft.

Das wird niemals funktionieren, aber wenn die Welt fortfährt sich diesem Peres-Vermächtnis verpflichtet zu fühlen wird es kein Ende des Leidens der Palästinenser geben.

Shimon Peres symbolisierte die Verschönerung des Zionismus, aber die Fakten legen seine Rolle in der Fortsetzung des Leids und des Konflikts bloß. Die Wahrheit zu kennen hilft uns wenigstens zu verstehen wie wir Fortschritte erzielen können und wie wir Unrecht für das Peres mitverantwortlich ist, rückgängig machen können.

Der Autor zahlreicher Bücher Ilan Pappe ist Professor der Geschichte und Direktor des European Centre for Palestine Studies (Europäisches Zentrum für Palästina-Studien) an der Universität Exeter.

Originaltext: Shimon Peres from the perspective of his victims

Übersetzung: M. Kunkel, Palästinakomitee Stuttgart (Pako)

Quelle: palaestina-solidaritaet.de… vom 7. Oktober 2016

 

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