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Zwischen allen Stühlen. Zur Position der GAM zum Ukrainekrieg

Eingereicht on 1. April 2024 – 9:46

Hanns Graaf. Die trotzkistische Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) versteht sich – wie ihre internationale Strömung, die „Liga für die Fünfte Internationale“ (LFI) – als revolutionäre und antiimperialistische Formation. Wie werden im folgenden Beitrag zeigen, warum sie diesem Anspruch aber nicht (mehr) gerecht wird. Dabei beziehen wir uns auf den aktuellsten Artikel der GAM zum Ukrainekrieg ( https://arbeiterinnenmacht.de/2024/02/05/ukrainekrieg-und-kein-ende/).

Was heißt Antiimperialismus?

Lenin, Trotzki, Luxemburg u.a. bedeutende Marxisten standen für eine konsequent antiimperialistische Politik. Diese beruhte u.a. auf der Erkenntnis, dass die Aggressivität und Kriegstreiberei der imperialistischen Mächte seit Ende des 19. Jahrhunderts letztlich Ausdruck gegensätzlicher ökonomischer Interessen sind und nicht nur „falsche“ Politik. Der nationale Markt war dem Großkapital, den Konzernen und Banken, längst zu klein geworden. Daher hat Krieg heute immer das Potential, zu einem großen internationalen oder gar zum Weltkrieg zu werden. Daneben spielt auch die Rüstungswirtschaft als wichtiger Teil des Gesamtkapitals eine Rolle.

Für die Politik von Revolutionären ergab sich daraus, gegen Aufrüstung und Militarisierung zu kämpfen und die Arbeiterklasse dagegen zu mobilisieren. So nahm etwa der Kampf gegen die Hochrüstung, den „Marinismus“ und die damit verbundenen sozialen Belastungen für die Massen im Wirken Rosa Luxemburgs einen zentralen Raum ein. Doch schon vor 1914, als die SPD und das Gros der II. Internationale endgültig vor dem Imperialismus kapitulierte und den Krieg unterstützte, hatte sich in der Sozialdemokratie der Reformismus durchgesetzt. Obwohl der sozialdemokratische „Marxismus“ – repräsentiert durch Kautskys Zentrismus – noch die Resolutionen und die Programmatik prägte, waren die praktische Politik und viele Beschlüsse zu konkreten Fragen bereits vom Reformismus beherrscht. So wurden die Orientierung auf Massenstreiks und Massenaktionen und die Nutzung der Erfahrungen der Russischen Revolution von 1905, wie es Luxemburg forderte, abgelehnt. Diese Politik führte dann 1914 geradewegs zur Kapitulation der SPD, zur Akzeptanz der Burgfriedenspolitik mit ihrem Verzicht auf den Klassenkampf.

Ab 1914 formierten sich jedoch die linken, internationalistischen und antiimperialistischen Kräfte als eigenständige Kraft, die dann 1918/19 zur III. Internationale und zu kommunistischen Parteien führte. Ihre Position war: keine Unterstützung für den Krieg, sondern dessen schnellstmögliche Beendigung ohne Eroberungen und Kontributionen. Kein Verzicht auf den Klassenkampf, sondern Orientierung auf Massenaktionen und Massenstreiks. V.a. Lenin betonte die Notwendigkeit, die krisenhaften Zuspitzungen dafür zu nutzen, das eigene Regime zu stürzen – Umwandlung des imperialistischen Krieges in den revolutionären Bürgerkrieg. Das drückt auch Liebknechts „Der Hauptfeind steht im eigenen Land.“ aus.

Die dieser Politik zugrunde liegende Methode war die des revolutionären Defätismus. Dieser bedeutete, a) keine Seite in einem imperialistischen Konflikt zu unterstützen, d.h. weder für den Sieg noch die Niederlage nur einer Seite einzutreten, sondern für die Niederlage aller Seiten. Sollte der Krieg nicht verhindert werden können, sollte für dessen schnellstmögliche Beendigung gekämpft werden. So forderten die Bolschewiki unter Lenin nicht etwa die Niederlage Deutschlands und Österreichs durch den Sieg des zaristischen Russlands, sondern die Beendigung des Krieges. In diesem Sinne erließ die Sowjetregierung auch ihr „Dekret für den Frieden“ als eine ihre erste Proklamation.

Die alte Position von GAM und LFI

Noch vor wenigen Jahren entsprach die Politik von GAM und LFI dieser programmatischen Linie. Doch mit dem Angriff Putins auf die Ukraine im Februar 2022 änderte sich ihre Position nach und nach. Noch im Februar 2022 erklärte die LFI: „Aus all diesen Gründen müssen die Arbeiter:innenklasse und die fortschrittliche Bewegung in der ganzen Welt davon abgehalten werden, in diesem zwischenimperialistischen Konflikt Partei für eine Seite zu ergreifen.“ Und weiter: „Keine Unterstützung für westliche Wirtschaftssanktionen gegen Russland! Für Arbeiter:innenaktionen, um die Lieferungen von Waffen und Munition an alle Kriegstreiber:innen zu stoppen, solange die Aggression andauert!“

Im Dezember 2022 vertrat der Kongress der LFI dann jedoch folgende Position: „Wir unterstützen die Verteidigung des Landes (der Ukraine) gegen eine Machtübernahme durch Putins Kräfte“. Die LFI stellt zwar selbst fest, dass die westlichen Waffenlieferungen nicht “elementare(n) demokratische(n) Ziele(n)“ dienen und der Westen versucht, die Ukraine “in eine Halbkolonie des Westens zu verwandeln, in eine Vorhut der NATO“. Trotzdem trat sie nun aber im Gegensatz zu früher für die militärische Unterstützung Kiews, für die „Verteidigung des Landes“ ein.

Verblüffend an dieser neuen Position von GAM und LFI war nun aber, dass ihre Position der Unterstützung des Kampfes der Ukraine damit kollidierte, dass sie konkret alles ablehnten, was zur Verteidigung der Ukraine nötig wäre: v.a. Waffenlieferungen und Wirtschaftssanktionen. Um nicht missverstanden zu werden: die Ablehnung von Waffenlieferungen und Sanktionen ist richtig, doch was bedeutet eine Unterstützung im Krieg, was bedeutet der Wunsch, dass Putin militärisch verlieren solle, ohne dass dafür an Kiew auch Waffen geliefert werden?! Ohne westliche Militär- und Finanzhilfe hat das Kiewer Regime kein Chance zu siegen.

Im Februar 2024 schreibt die GAM: „Nachdem bisher vor allem aus Beständen der westlichen Armeen geliefert wurde, kommt es jetzt immer mehr auf tatsächliche Neuproduktion an. Die Ukraine selbst kann schon aufgrund der kriegsbedingten Infrastrukturprobleme (z.B. Ausfall von mehr als der Hälfte der Stromversorgung) kaum selbst die nötigste Menge produzieren.“

Die ursprüngliche, korrekte Position des revolutionären Defätismus wurde nach und nach komplett revidiert – in zwei Schritten: Zuerst unterstützte man Kiew und trat für die Niederlage Russlands ein, ohne jedoch zunächst die logisch damit verbundene Haltung einzunehmen, auch für Waffenlieferungen an Kiew einzutreten. Da war wohl noch ein Rest an marxistischem Bewusstsein im Wege …

Doch es dauert nicht lange, und es erfolgte der zweite Schritt. Im Februar 2024 schreibt die GAM in „Neue Internationale“ 280: „Auch wenn wir das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung und die Beschaffung der dafür nötigen Mittel anerkennen …“. Das bedeutet konkret: Ja zu den Waffenlieferungen des Westens an Kiew und damit auch Ja zur Ausweitung der Rüstungsproduktion, ohne die die Ressourcen des Westens gar nicht ausreichen würden. Das ist ein eklatanter Bruch mit dem „alten“ antiimperialistischen Prinzip „Keinen Mann und keinen Groschen für Rüstung und imperialistischen Krieg“.

Damit unterstützen GAM und LFI klar eine imperialistische Seite in diesem Konflikt: den Westen und ihren Kiewer Vasallen. Das widerspricht der Grundposition des revolutionären Marxismus! Ob Luxemburg, Liebknecht, Lenin oder Trotzki: alle haben bei imperialistischen Konflikten die Position eingenommen, keine imperialistische Seite zu unterstützen“.

Nun wäre die GAM keine zentristische Gruppe, wenn sie diesen Kniefall vor dem Imperialismus nicht theoretisch bemänteln würde. Hierbei zeigt sich ihre inzwischen starke theoretische und methodische Konfusion. Das ist jedoch nicht überraschend, zeichnet sich die GAM doch schon seit Jahren dadurch aus, dass sie unfähig ist, wesentliche Probleme der Realität anhand von Fakten zu analysieren. Immer mehr breitete sich bei ihr ein rein ideologisierendes Herangehen aus – „ideologisierend“ wie von Marx im negativen Sinn verstanden. Deutlich wird das u.a. an ihren Positionen zu Klima, Energie, Kernenergie oder Corona. Überall fehlt jeder ernsthafte Versuch einer Analyse, fehlt es an Verarbeitung von Kritik, an Selbstkritik und an kritischer Bewertung der Mainstream-Ideologie.

Die LFI verkündet zwar: „Auch wenn wir den Kampf der Ukrainer:innen gegen die russische Invasion unterstützen, bedeutet dies keineswegs, dass wir die prowestliche Selenskyj-Regierung oder ihr Bestreben, der NATO beizutreten bzw. ihre Wirtschaft der EU unterzuordnen, unterstützen“. Es gibt aber keinen anderen Kampf „der Ukrainer“ als den unter der Führung des reaktionären Kiewer Regimes, das als „Vorhut“ der Nato agiert. Wenn Kiew siegen sollte, würde der nächste Schritt der Beitritt der Ukraine zur NATO und zur EU sein. Dass hier ein grotesker Widerspruch in der Position der GAM obwaltet, ist ihr offenbar nicht klar. Man kann nicht den westlichen Imperialismus unterstützen, ohne dessen reaktionäre Ambitionen zu unterstützen.

Schon heute ist die Ukraine nicht nur über beide Ohren an den Westen verschuldet und so total von ihm abhängig wie kein anderes europäisches Land. Schon heute gehören zentrale Teile der Landwirtschaft und der Industrie westlichen Konzernen. Und es dürfte auch klar sein, dass der Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg nicht nur diese Abhängigkeit noch vergrößern würde, sondern auch noch von den Massen im Westen durch direkte oder indirekte „Wiederaufbauhilfen“ bezahlt werden müsste.

Die nationale Frage in der Ukraine

Die Änderung der Ukraine-Position der GAM beruht auf einer bestimmten Auffassung der nationalen Frage in der Ukraine: „In der Linken wird der Ukrainekrieg gerne auf einen Stellvertreterkrieg zwischen den imperialistischen Mächten USA/EU und Russland reduziert. Auch wenn dies ein bestimmendes Moment des gesamten Krieges darstellt, der unzertrennbar mit dem neuen Kalten Krieg und dem Kampf um die Neuaufteilung der Welt verbunden ist, so ist er auf Seiten der Ukraine auch ein nationaler Verteidigungskrieg gegen die Jahrhunderte alte Unterdrückung durch das imperiale Russland. Das erklärt jedenfalls die massive Unterstützung auch der ärmeren Bevölkerung in der Ukraine für den Kampf gegen die russischen Invasor:innen.“

Dazu erstens: Jeder Krieg zwischen Staaten (und auch viele Bürgerkriege) sind mit einem nationalen Problem verbunden. Das hat jedoch Marxisten nie daran gehindert, sich gegen jede (!) imperialistische Seite zu stellen. Anders die GAM: sie leitet daraus ab, den westlichen Imperialismus zu unterstützen.

Zweitens: Was ist „die Jahrhunderte alte Unterdrückung durch das imperiale Russland“? Nach dem Zerfall des Kiewer Rus gab es weder eine ukrainische Nation noch einen ukrainischen Staat. Was es gab, waren permanente Überfälle durch östliche Reiterhorden. Erst als der russische Staat, als Schutzmacht der Ukraine agierte, konnte man sich ihrer besser erwehren. Zwar gab es soziale Unterdrückung durch das Zarenregime, doch von nationaler Unterdrückung kann nicht ernsthaft gesprochen werden. Daher gab es auch keinen ukrainischen Widerstand dagegen. Die Bauernaufstände in Russland waren keine ukrainischen Aufstände, sondern russische. Schon Rosa Luxemburg stellte fest, dass es keine ukrainische Nation gab und die ukrainische „Nationalbewegung“ keine Bewegung war, die auch nur ansatzweise im Volk auf Resonanz traf, sondern nur eine kulturelle „Schrulle“ einiger Kiewer Intellektueller. Das hat auch nichts damit zu tun, dass es Tendenzen von Russifizierung gab und eine partielle sprachliche Eigenständigkeit der Ukraine. Auch die Lage der ukrainischen Bauernmassen war besser als die der russischen.

Eine ukrainische Nationalbewegung gab es erst mit der Revolution von 1917 und der Unabhängigkeit der Ukraine ab 1918. Es ist kein Zufall, dass der ukrainische Nationalismus von Beginn an sehr reaktionär ausgerichtet war und mit den übelsten Kräften im Bunde war: im Bürgerkrieg mit den Weißen, ab 1941 mit den Nazis und ab 1945 mit der CIA. Es ist kein Zufall, dass der rassistische Massenmörder Stepan Bandera vom Kiewer Regime ab 2104 als Nationalheld gefeiert wird.

In der Sowjetunion gab es unter Stalin eine massive Unterdrückung der Ukrainer – wie aller anderen Völkerschaften, inkl. der Russen selbst. Stalins Zwangskollektivierung forderte v.a. in der Ukraine unzählige Opfer – doch die These vom „Holodomor“, des absichtlichen Völkermordes an den Ukrainern, ist schon lange widerlegt. Innerhalb der UdSSR gehörte die Ukraine zu den höchstentwickelten Regionen mit dem höchsten Lebensstandard. Auch wenn es im Zuge der Russifizierung Elemente von nationaler Unterdrückung gab, so kann von einer wirklichen nationalen Unterdrückung, wie es sie etwa in den baltischen Sowjetrepubliken weit ausgeprägter gab, nicht gesprochen werden.

Mit der Unabhängigkeit der Ukraine 1991 beschleunigte sich die Herausbildung einer ukrainischen Nation, die aber zugleich multinational geprägt ist. Im Zuge der Westorientierung von mehreren Kiewer Regierungen – und ab 2014 generell – war diese „Nationswerdung“ bewusst mit einer prowestlichen, reaktionär-rassistischen und antirussischen Ausrichtung verbunden. Ab 2014, als mit dem Maidanputsch ein pro-westliches Regime installiert wurde, prägt nationalistische, rassistische und russophobe Propaganda das Land, faschistische Banden wie die „Asow-Einheit“, terrorisieren „Unangepasste“, Linke und Russen. Letztere litten schon seit 2014 unter den sie diskriminierenden Gesetzen Kiews. Daher kämpften die Russen im Donbass, wo sie die Bevölkerungsmehrheit stellen, für ihre Autonomie. Kiew reagierte darauf nur mit militärischer Gewalt, die bis Februar 2022 bereits 14.000 Opfer forderte. All das wird von der westliche Propaganda verschwiegen – und spielt auch in der Propaganda der GAM keine Rolle (mehr), obwohl sie früher eine korrekte Positionen zum Maidan und zur Krim hatte.

Trotz der späteren stalinistischen Fehler und Verbrechen war die Gründung der Sowjetunion 1922 ein historischer Fortschritt, der die soziale Entwicklung der in ihr vereinten Völker positiv beeinflusste. Der Zerfall der UdSSR ab 1990 stellt – trotz des Rechtes der von Moskau gegängelten Völker auf Unabhängigkeit – einen historischen Rückschritt dar. Die Folgen sehen wir seit Jahrzehnten: zunehmende Konflikte und Bürgerkriege und die Vereinnahmung der nun formell unabhängigen Staaten durch den russischen bzw. den westlichen Imperialismus. Die „Jahrhunderte alte Unterdrückung durch das imperiale Russland“ endete spätestens 1991. Gegen welche nationale Unterdrückung kämpft Kiew also heute?! Hätte Russland sich die Ukraine einverleiben wollen, hätte sie das schon seit 1991 versuchen können. Das war jedoch nicht der Fall.

Auch die These, dass die „massive Unterstützung auch der ärmeren Bevölkerung in der Ukraine für den Kampf gegen die russischen Invasor:innen“ ein Beweis für deren nationale Unterdrückung wäre, ist an den Haaren herbeigezogen. Vielmehr spricht es eher für die massive nationalistische Indoktrination der Bevölkerung. Zudem wurde bisher fast jeder imperialistische Krieg von der „ärmeren Bevölkerung“ unterstützt – sonst wären er gar nicht möglich gewesen. Wir müssen uns – im Unterschied zur GAM – auch fragen, wer die reaktionären Kiewer Regierungen gewählt hat? Wer hat nicht gegen den Staatsterror gegen die Russen im Donbass opponiert?! Wer hat die Reaktionäre, Rassisten und Nazis gewähren lassen?! In gewissem Sinn ernten die Ukrainer jetzt, was sie gesät haben: Krieg.

Die GAM konstatiert richtig, dass es dem Westen nicht um Demokratie u.a. „hehre Ziele“ geht. Sie stellt fest: „Zugleich ist die westliche Unterstützung nicht absolut und bedingungslos – trotz aller warmen Worte, dass hier „unsere Freiheit“ verteidigt würde. Einerseits wird das ökonomische Fell der Ukraine schon heftig unter den westlichen Agenturen verteilt (siehe die IWF-Programme für die Ukraine und ihre Auswirkungen auf die ukrainischen Arbeiter:innen und Bauern/Bäuerinnen).“

Doch ihre Schlussfolgerung ist völlig falsch. Sie glaubt, ein Sieg Kiews würde die nationale Souveränität der Ukraine sichern. Aber ein Sieg Kiews wäre de facto ein Sieg des westlichen Imperialismus, der die Ukraine als Objekt neokolonialer Ausplünderung ansieht. Schon heute gehört eine Agrarfläche von der Größe der italienischen westlichen, meist US-Agrarkonzernen. Auch die verbliebenen Filetstücke der Industrie befinden sich weitgehend in westlicher Hand oder gehören einheimischen Oligarchen. Der sehr niedrige Sozialstandard, der extrem niedrige Mindestlohn von unter 200 Euro im Monat sind gute Gründe für das westliche Kapital, sich in der Ukraine zu engagieren. Zudem verfügt das Land über wichtige Bodenschätze, z.B. Erdgas. Ist es Zufall, dass z.B. Hunter Biden, der Sohn des US-Präsidenten, in diesem Bereich eine Führungsposition bekleidet?

Sollte Russland den Krieg verlieren, so erringt die Ukraine nicht die Unabhängigkeit, sie wird dann noch stärker vom Westen abhängig sein, als bisher schon.

Andererseits: Wenn Russland den Krieg gewinnt, könnte das dazu führen, dass Russland die Ukraine in die Russische Föderation eingliedert, d.h. dass diese ihre Selbstständigkeit verliert. Das wäre zweifellos ein reaktionärer imperialer Gewaltakt Putins und keine „Befreiung“. Allerdings ist dieses Szenario unwahrscheinlich – trotz gewisser Äußerungen Putins. Zuletzt sprach er davon, dass er nichts gegen eine Mitgliedschaft der Ukraine in der EU einzuwenden hätte, nur eine NATO-Mitgliedschaft wäre für Russland nicht akzeptabel. Nur bestimmte Gebiete – die Krim, der mehrheitlich von Russen bewohnte Donbass („Neurussland“) sowie wahrscheinlich (aus strategischen Gründen) die Landverbindung nördlich der Krim – würden dann (weiter) zu Russland gehören. Das wäre auch völlig legitim, denn die russische Mehrheitsbevölkerung der Krim und des Donbass haben sich mehrfach für den Anschluss an Russland ausgesprochen. Angesichts des weit höheren Sozialniveaus Russlands gegenüber der Ukraine ist diese Orientierung der Bevölkerung auch mehr als verständlich. Im Unterschied zur Ukraine hat es Putin nämlich geschafft, der weiteren Ausplünderung des Landes durch die Oligarchen und den Westen einen Riegel vorzuschieben.

Egal, welche Seite gewinnt: die Ukraine gerät so oder so unter die Fuchtel eines Imperialismus: entweder Russlands oder des Westens, der EU, der USA und der NATO. Nationale Unabhängigkeit ist für die Ukraine nur erreichbar, wenn jeder imperialistische Einfluss beendet wird. Das ist jedoch nur durch eine soziale Revolution möglich. Doch für eine revolutionäre Entwicklung gibt es derzeit leider nicht den geringsten Ansatz. Auch in Russland würde ein eventueller Sturz Putins eher bedeuten, dass reaktionäre Scharlatane vom Schlage Jelzins oder Navalnys ans Ruder kommen und einen neoliberalen Kurs der Ausverkaufs an den Westen verfolgen würden. Insofern ist es aktuell (leider) irrelevant, wenn die GAM feststellt: „Je länger und blutiger der gegenwärtige Abnutzungskrieg in der Ukraine andauert, um so mehr wird der Ruf nach „Brot und Frieden“ wieder das russische Regime erschüttern. Es kommt für die russischen Sozialist:innen darauf an, diesen Moment für einen neuen russischen Oktober vorzubereiten!“ Doch: Wo sind diese „russischen Sozialist:innen“?! Die aktuelle Wahl in Russland – ob nun mehr oder weniger demokratisch – hat klar gezeigt, dass der Rückhalt Putins in der Bevölkerung größer ist als beim letzten Mal.

Ohne – anders als die GAM – für den Sieg oder die Niederlage nur einer imperialistischen Seite einzutreten, liegt es auf der Hand, dass ein Sieg Russlands den Krieg, weitere Opfer, noch größere Zerstörungen und weitere Negativfolgen für die Bevölkerungen des Westens (Rüstung, Finanzhilfen, Sanktionen) beenden würde. Die im Westen geschürte Ansicht, dass die Ukraine mit mehr westlicher Hilfe siegen könnte, ist utopisch. Das geradezu peinliche Scheitern der ukrainischen Sommeroffensive und die aktuellen Entwicklungen an der Front zeigen das sehr deutlich. Es könnten aber auch Friedensverhandlungen beginnen, weil beide Seiten erschöpft sind und den Krieg als nicht gewinnbar einschätzen. Dann stellt sich jedoch die Frage, warum diese Verhandlungen nicht schon jetzt aufgenommen werden?! Bisher war es der Westen, der Verhandlungen, die es ja bereits im März 2022 (!) gab, zum Abbruch brachte – nicht Putin.

Antiimperialismus?

Es ist eine Ungeheuerlichkeit für jeden Marxisten, in einem Krieg eine imperialistische Seite zu unterstützen. Das sah früher auch die GAM so – und formell betont sie das natürlich noch immer. Doch auch der Weg zur Hölle ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert. Die GAM schreibt: „Hierzulande müssen wir gegen die Aufrüstung und die Milliarden für die Rüstungskonzerne kämpfen. Unter dem Vorwand der Verteidigung der Ukraine wird Aufrüstung im Interesse eigener aggressiver imperialistischer Ziele betrieben und die Kapazität der Rüstungsindustrie entsprechend ausgebaut. Auch wenn wir das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung und die Beschaffung der dafür nötigen Mittel anerkennen (sic!), so müssen Revolutionär:innen in der Ukraine und im Westen vor den Illusionen warnen, dass die gegenwärtige militärische Unterstützung der NATO-Staaten wirklich der Unabhängigkeit dient. Vielmehr sind diese Lieferungen mit der Bedingung der Sicherung der eigenen Einfluss- und Ausbeutungssphäre verknüpft und letztlich nicht auf wirkliche Selbstbestimmung für die gesamte Ukraine ausgerichtet, sondern sollen dem Westen Beute bringen. Ob diese Rechnung aufgeht oder die ukrainischen Massen diese durchkreuzen, hängt letztlich davon ab, ob es der Arbeiter:innenklasse gelingt, eine eigene revolutionäre Partei aufzubauen, die den Kampf gegen die russische Okkupation mit dem für eine sozialistische Ukraine verknüpft.“

Konkret bedeutet die Formulierung „wenn wir das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung und die Beschaffung der dafür nötigen Mittel anerkennen“, dass die GAM – wenn auch etwas verschämt – für Waffenlieferungen an Kiew eintritt. Um diese zu ermöglichen, sind aber höhere Rüstungsausgaben und eine forcierte Aufrüstung im Westen notwendig. Letztlich läuft die Position der GAM also darauf hinaus, den deutschen und westlichen Imperialismus, seine Rüstungen, seine aggressive Außenpolitik zu unterstützen oder mindestens zu tolerieren. Daran ändern all ihre antiimperialistischen Phrasen nichts!

Quelle: aufruhrgebiet.de… vom 1. April 2024

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