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Strategie und Partei

Eingereicht on 19. Juli 2014 – 11:51

Daniel Bensaid (2007) Heute kehren die Frage und der Begriff der Strategie zurück. Das könnte als bedeutungslos erscheinen, aber in den 1980er bis zum Beginn der 1990er Jahre spielte das in den Debatten keine Rolle: man redete damals vor allem vom Widerstand; die Frage der Strategie war praktisch verschwunden. Es ging darum standzuhalten, ohne dabei zu wissen, wie man aus dieser defensiven Position herauskommen würde. Wenn heute erneut eine Diskussion über die strategischen Probleme einsetzt –wir werden noch darauf zu sprechen kommen, um was es sich dabei handelt – so deshalb, weil sich die Situation selbst weiterentwickelt hat. Um es einfach zu formulieren, seit den Sozialforen ist der Slogan  « Eine andere Welt ist möglich » zu einem weitherum bekannten Slogan geworden. Die Fragen, die sich nun stellen lauten: « Welche andere Welt ist möglich? » oder « Welche andere Welt wollen wir? » und vor allem « Wie gelangen wir zu dieser anderen möglichen und nötigen Welt? ». Die Frage nach der Strategie ist eigentlich dies: nicht nur die Notwendigkeit, die Welt zu verändern sondern eine Antwort auf die Frage, wie sie zu verändern sei, und wie dies gelingen könnte.

1.                  Einleitende Bemerkungen

Erstens: Begriffe wie Strategie, Taktik und sogar – in der Tradition der italienischen Genossinnen und Genossen, die mit Gramsci vertraut sind – Begriffe wir Abnutzungskrieg, Bewegungskrieg, usw., dieses ganze Vokabular, das am Beginn des 20. Jahrhunderts von der Arbeiterbewegung aufgenommen wurde, wurde aus der Sprache der Militärs und vor allem aus den Handbüchern der Militärgeschichte entnommen. Allerdings sollte man sich da nicht täuschen: Wenn man aus der Sicht der Revolutionärinnen und Revolutionäre von Strategie spricht, spricht man nicht lediglich von gewaltsamen oder militärischen Zusammenstössen mit dem Staatsapparat; es handelt sich um eine Reihe von Losungen, von politischen Organisationsformen, es geht um eine Politik, um die Welt zu verändern.

Zweitens: Die Frage der Strategie hat zwei komplementäre Dimensionen in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Zunächst geht es um die Frage, wie man in einem Land die Macht übernehmen soll.  Die Auffassung, dass die Revolution mit der Eroberung der Macht in einem Land, in mehreren Ländern einsetzt, auf jeden Fall aber auf der Ebene der Nationen, in denen die Klassenverhältnisse, die Kräfteverhältnisse ausgehend von einer Geschichte, ausgehend von sozialen Errungenschaften, ausgehend von juristischen Verhältnissen organisiert sind. Diese Frage –  die Eroberung der Macht in einem Land, Bolivien, Venezuela, hoffen wir, dass dies morgen auch in einem europäischen Land gelingt – bleibt eine hochaktuelle und grundlegende Frage. Im Gegensatz zu den Behauptungen gewisser Strömungen, wie diejenige, die in Lateinamerika oder in Italien durch Toni Negri [und andere, etwa John Holloway, maulwuerfe.ch ] inspiriert sind, die denken, dass die Frage der Eroberung der Macht in einem Lande eine überholte und letztendlich sogar eine reaktionäre Frage sei, da sie die Kämpfe auf einen nationalen Rahmen beschränke.

Wir denken, dass der Kampf um die Macht auf der Ebene nationaler Kräfteverhältnisse beginnt, aber dass sie immer enger mit der zweiten Dimension der Frage der Strategie kombiniert wird, derjenigen einer Strategie auf internationaler, kontinentaler und heute auf globaler Stufenleiter. Dies galt bereits für den Anfang des 20. Jahrhunderts – und dies war gerade der Sinn der Theorie der permanenten Revolution: Damit zu beginnen, die Frage der Revolution in einem oder in mehreren Ländern zu lösen; die Frage des Sozialismus aber stellt sich von Anfang an als Ausweitung der Revolution auf einen Kontinent oder auf die ganze Welt. Diese Idee war für die Revolutionäre der Generation von Lenin, Trotzki, Luxemburg grundlegend, und sie ist dies für uns noch mehr. Beispielsweise kann man in Venezuela den Erdölsektor verstaatlichen, eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber dem Imperialismus erreichen, aber all dies hat Grenzen, sofern keine Ausweitung des revolutionären Prozesses auf Bolivien, Ecuador erfolgt und wenn es kein Projekt für Lateinamerika nach der Art der bolivarianischen Revolution gibt. Wir stehen also vor diesem doppelten Problem: Die Macht in einigen Ländern zu übernehmen, um sich ihrer als Sprungbrett für eine internationale Ausweitung der sozialen Revolution zu bedienen.

Drittens: Mit dem Problem der revolutionären Strategie stehen wir vor einer grossen Herausforderung, die durch Marx nicht gelöst wurde. Wenn man in Betracht zieht, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter im allgemeinen, die Arbeiterklasse körperlich aber auch moralisch und intellektuell durch die Bedingungen der Ausbeutung verstümmelt werden – Marx beschreibt dies über viele Seiten im Kapital, die Verrohung durch die Arbeit, keine Zeit der Musse, die Unmöglichkeit Zeit zu finden um einfach zu leben, zu lesen, sich zu entwickeln – wie kann eine Klasse, die eine derart vollständige Unterdrückung erfährt, gleichzeitig imstande sein, eine neue Gesellschaft zu entwerfen und aufzubauen?

Bei Marx schwingt die Auffassung mit, dass sich das Problem beinahe von selbst lösen würde, dass die Industrialisierung vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine immer konzentriertere und damit immer besser organisierte Arbeiterklasse schaffen würde; diese würde ein immer höheres Bewusstsein erlangen, und  dass dieser Widerspruch zwischen ihren Lebensbedingungen, wo sie ausgebeutet und zertreten werden und der Notwendigkeit der Schaffung einer neuen Welt durch eine Art beinahe spontaner geschichtlicher Dynamik gelöst würde. Das vergangene Jahrhundert hat aufgezeigt, wie das Kapital die Spaltung unter den Ausgebeuteten andauernd neu schaffen kann, dass die herrschende Ideologie auch die Beherrschten beherrscht. Und dies nicht nur aufgrund von Meinungsmanipulation über die modernen Kommunikationsmittel – welche in der Tat eine immer wichtigere Rolle spielen – , sondern weil  die Bedingungen der Herrschaft, einschliesslich der ideologischen, über die Ausgebeuteten ihre Wurzeln im Arbeitsverhältnis selbst hat; in der Tatsache, nicht selbst über die Arbeitsmittel, über die Ziele der Arbeit verfügen zu können, ein Instrument der Maschine zu sein – wie Marx sagte –, anstatt die Maschine beherrschen zu können. Aufgrund dieser Verkehrung erscheinen uns, als menschlichen Wesen, die wir sind,  viele Phänomene in der modernen Welt als fremde und geheimnisvolle Mächte. Man sagt uns: Dies darf man nicht tun, weil sonst die Märkte böse werden, als ob die Märkte allmächtige Persönlichkeiten wären, als ob das Geld selbst eine allmächtige Persönlichkeit wäre, usw. Ich kann hier nicht weiter darauf eingehen, aber es ist wichtig zu erwähnen, dass die gesellschaftlichen Beziehungen im Kapitalismus eine Welt von Illusionen schaffen, die auf den Beherrschten lastet und von denen sie sich befreien müssen.

Aus diesem Grunde sind die spontanen Kämpfe gegen die Ausbeutung, gegen die Unterdrückung, gegen die Ausgrenzungen notwendig. Diese sind, wenn Sie so wollen, der Brennstoff der Revolution. Aber die spontanen Kämpfe genügen nicht, um den Teufelskreis der Beziehung zwischen Kapital und Arbeit zu brechen. Dies erfordert einesteils Bewusstsein, einesteils Willen und ein bewusstes Element – das ist der Teil des politischen Handelns, der politischen Entscheidung, die durch eine Partei getragen werden. Eine Partei liegt nicht ausserhalb der Gesellschaft, in der man lebt. Selbst in der revolutionärsten Organisation unterliegt man den Auswirkungen der Entfremdung – der Entfremdung durch den Sport beispielsweise, da diese diesen Sommer sehr aktuell ist -, aber zumindest gibt sich eine revolutionäre Organisation die Werkzeuge, um gemeinsam der Verhexung, dem Zauber der bürgerlichen Ideologie zu widerstehen und diese zu zerbrechen.

2.                  Die Macht übernehmen?

Ausgehend davon sollten wir nun auf einfache Dinge zu sprechen kommen. Uns wird die Frage gestellt: « Aber was soll das bedeuten, im XXI. Jahrhundert revolutionär zu sein? Seid Ihr für die Gewalt?  ». Wie  Mao einst sagte, ist die Revolution kein Gala- Diner. Der Gegner ist gewalttätig, er ist mächtig, also ist der Klassenkampf ein Kampf und ein in vielerlei Hinsicht erbarmungsloser  Kampf und es sind nicht wir, die uns dafür entschieden haben. Also gibt es eine legitime revolutionäre Gewalt, daraus sollte man aber keinen Kult machen, aber es ist nicht dies, was für uns die Revolution grundsätzlich kennzeichnet. Wir wären lieber friedlich und würden uns lieber gegenseitig lieben. Aber dafür müssen vorerst die Bedingungen geschaffen werden. Demgegenüber bedeutet für uns eine Revolution gerade eine Welt zu verändern, die zunehmend ungerecht und zunehmend gewalttätig ist. Und die Welt zu verändern läuft gerade über die Eroberung der Macht.

Aber was heisst das: Die Macht übernehmen? Es geht nicht darum, sich eines Werkzeuges zu bemächtigen, um die Besetzung von Posten, in die Staatsapparate einzudringen. Die Eroberung der Macht heisst: Die Machtverhältnisse und die Eigentumsverhältnisse zu verändern. Dafür sorgen, dass die Macht immer weniger die Macht einiger über viele ist, sondern aus bewusstem gemeinsamem und geteiltem Handeln besteht. Dazu müssen die Eigentumsverhältnisse verändert werden – das Privateigentum an den Produktionsmitteln,  an den Tauschmitteln, und heute immer aktueller am Wissen; denn über den Weg des Patentschutzes oder des geistigen Eigentums findet eine Privatisierung der Erkenntnisse statt, die ein kollektives Produkt der Menschheit sind. So werden bereits Gene, morgen mathematische Formeln und Sprachen patentiert. Es kommt heute immer mehr zu einer Privatisierung des Raumes – der öffentliche Raum wird zunehmend eingeschränkt; so können Euch die mexikanischen Genossinnen und Genossen darüber berichten, dass es in Mexiko bereits private Strassen gibt, wie dies auch in Europa ansatzweise sichtbar wird. Für uns bedeutet also die Eroberung der Macht eine Veränderung der Macht; und für die Veränderung der Macht müssen die Eigentumsverhältnisse radikal verändert werden und die gegenwärtige Tendenz zur Privatisierung der Welt muss gestürzt werden.

Wie kann diese Herrschaft des Kapitals überwunden werden? Diese reproduziert sich quasi auf natürliche Weise über die Organisation der Arbeit, über die Arbeitsteilung, über die Vermarktung unserer Freizeit, usw. Wie können wir aus diesem Teufelskreis ausbrechen, der letztendlich die Unterdrückten zu Anhängern eines Systems macht, das sie unterdrückt? Während der letzten Wahlkampagne war am französischen Fernsehen ein Arbeiter folgendermassen zu vernehmen: « Wie kommt es, dass es für die Kapitalisten selbstverständlich ist, dass sie für ihre Interessen stimmen, während die  Arbeiterinnen und Arbeiter oft, ja die Mehrheit von ihnen für die ihnen feindlichen Interessen stimmen? » Dies ist gerade, weil sie unter der Herrschaft der herrschenden Ideologie stehen. Nun, wie können wir daraus heraustreten?

Die Reformisten antworten durch ein beständiges Wiederkauen: Eine wenig mehr gewerkschaftliche Organisation, ein wenig mehr Stimmen, usw. All dies ist offensichtlich auch wichtig. Der Grad gewerkschaftlicher Organisation  und sogar die Wahlresultate sind Hinweise auf die Kräfteverhältnisse. In den entwickelten kapitalistischen Staaten mit einem seit hundert und mehr Jahren bestehenden parlamentarischen System kann man nicht mit einer Gruppe von einigen Hundert oder einigen Tausend Aktivistinnen und Aktivisten zum Angriff auf die Staatsmache ansetzen, wenn nicht auf der gewerkschaftlichen, gesellschaftlichen und auch, selbst wenn sie sehr deformiert ist, auf der elektoralen Ebene entsprechende Kräfteverhältnisse aufgebaut werden. Es findet damit eine ganz schöne Veränderung statt. Die reformistische Illusion besteht gerade darin, dass die gesellschaftliche Mehrheit sich letztendlich der elektoralen Mehrheit anschliessen würde und dass folglich die gesellschaftliche Veränderung einfach ein Resultat der Wahlen sein könne.

Alle Erfahrungen des XIX. und des XX. Jahrhunderts zeigen das Gegenteil. Revolutionäre Möglichkeiten treten nur unter gewissen, relativ seltenen Ausnahmesituationen auf. Es gibt Bedingungen für revolutionäre Krisen, für Revolutionen, wo sich eine wahrhafte Verwandlung abspielt, nicht lediglich ein kleiner Fortschritt sondern eine plötzliche Veränderung im Bewusstsein von Hunderttausenden und Millionen von Leuten. Das letzte Beispiel in Europa war der Mai 68 in Frankreich, der um sich greifende italienische Mai, 1974 – 75 in Portugal, …, man kann darüber diskutieren, ob die Situation revolutionär war oder bis zu welchem Grade. Auf jeden fall handelt es sich um Erfahrungen, wo man sah, dass die Leute innerhalb von wenigen Tagen mehr lernen als in jahrelangen Diskussionen, Bildungskursen, etc. Es findet eine Beschleunigung in der Bewusstwerdung statt.

3.                  Rhythmen, Selbstorganisation, Eroberung der Macht, Internationalismus

Erstens muss also jede Vorstellung von revolutionärer Strategie von der Idee ausgehen, dass es im Klassenkampf Rhythmen, Beschleunigungen und Rückflüsse gibt, aber insbesondere dass es Perioden von Krisen gibt, in denen sich die Kräfteverhältnisse sich radikal verändern können, die die Möglichkeit der Veränderung der Welt wirklich auf die Tagesordnung setzen, oder zumindest die Gesellschaft verändern können.

Die zweite grundlegende Idee – es geht hier um sehr allgemeine Ideen – besteht darin, dass in allen revolutionären Erfahrungen aus dem XIX. oder XX. Jahrhundert, seien sie siegreich oder nicht,  seit der Pariser Kommune bis zur Nelkenrevolution oder bis zu den Erfahrungen der Unidad Popular in Chile, also in jeder mehr oder weniger revolutionären Krisensituation, Formen von Doppelmacht auftreten, d.h. Machtorgane ausserhalb der bestehenden Institutionen gebildet werden. Das waren etwa die Fabrikräte in Italien 1920-21, die Sowjets in Russland, die Arbeiterräte in Deutschland, die cordones industriales und die comandos comunales – das heisst die Nachbarschaftsverbände – in Chile 1971 bis 1973, die Ausschüsse der moradores, der Fabrikbesetzungen bis zur Versammlung von Setubal in Portugal 1975. Jede Situation intensiver Klassenkämpfe schafft Organe der Selbstorganisation, der eigentlichen demokratischen Organisation der Arbeiterinnen und Arbeiter, der Bevölkerung, die mit ihrer Legitimität den existierenden Institutionen gegenübertreten. Das heisst nicht, dass es sich um eine absolute Opposition handelt. Die Bolschewiki haben während des ganzen Jahres 1917 die Forderung nach einer verfassungsgebenden Versammlung basierend auf allgemeinem Wahlrecht mit der Entwicklung der Sowjets verknüpft. Es gibt eine Übertragung der Legitimität von einem Organ zum anderen, die nichts mit einem Automatismus zu tun hat. Die neuen Organe müssen sich in einer Periode der Krise in der Praxis als demokratischer, als legitimer erweisen als die bürgerlichen Institutionen. Aber es gibt keine wirklich revolutionäre Situation ohne dass mindestens Elemente einer Dualität der Macht oder einer Doppelmacht auftreten würden.

Drittens möchten wir die Idee erläutern, dass die Eroberung einer Mehrheit die Bedingung für die Eroberung der Macht notwendig ist. Was die Revolution von einem Putsch oder einem Staatsstreich unterscheidet, ist dass es sich um die Bewegung einer Mehrheit der Bevölkerung handelt. Die Vorstellung, dass die Befreiung der Arbeiterinnen und Arbeiter nur das Werk dieser selbst sein kann, muss beim Wort genommen werden; auch dass so mutig, so entschlossen die revolutionären Aktivistinnen und Aktivisten auch sein mögen, sie nie anstelle der Mehrheit der Bevölkerung die Revolution machen können.

Darum drehte sich die Debatte der ersten Kongresse der kommunistischen Internationale, vor allem des dritten und vierten, nach der Katastrophe der sogenannten März-Aktion in Deutschland (1921). Dies war das, was man eine putschistische Aktion nennt, obwohl sich damals in ganz Deutschland einige Hunderttausend Leute daran beteiligten. Dies hat in der kommunistischen Internationale eine Debatte über diejenigen eröffnet, die glaubten, einfach das russische Beispiel kopieren zu können. Dabei ging es darum, dass man die Mehrheit erobern musste, nicht im elektoralistischen Sinne – es ging nicht darum, legalistisch zu sein, das man nichts ausrichten kann, solange man nicht die Mehrheit im Parlament hat – sondern um eine mehrheitliche Legitimität in den Massen, was eine unterschiedliche Vorstellung ist.

Diejenigen unter Euch, die die Geschichte der Russischen Revolution von Trotzki lesen können – es ist immer nützlich diese zu lesen – werden sehen, wie aufmerksam er sogar auf die kleinsten Bewegungen in den Gemeinden schaut, auf die lokalen Wahlen als Indiz für das, was als Möglichkeit in den Massen heranreift. Die Eroberung der Mehrheit, was in der Internationale ab dem dritten Kongress  1921 das grosse Problem wurde und was die Vorstellungen der Einheitsfront, der Übergangsforderungen und später, speziell mit Gramsci, derjenigen der Hegemonie aufkommen liess. Das heisst, dass es darum ging eine Hegemonie zu erobern. Die Revolution ist nicht einfach die Konfrontation von Arbeit und Kapital im Betrieb. Sie ist auch die Fähigkeit des Proletariates aufzuzeigen, dass eine andere Gesellschaft möglich ist und dass es die wichtigste Kraft ist, um eine solche aufzubauen. Dieser Beweis wird teilweise vor der Machtergreifung geführt. Andernfalls wäre dies ein Sprung ins Leere, ein Stabhochsprung ohne Schwung, ein Handstreich oder ein Putsch. Also sind die Ideen der Übergangsforderungen und der Einheitsfront Werkzeuge zur Eroberung der Mehrheit.

Die Übergangsforderungen mögen als elementar erscheinen. In Frankreich sind wir sehr zufrieden mit der Kampagne von Olivier Besancenot. Aber, offen gesagt, ein allgemeiner Mindestlohn [SMIC] über 1‘500 € und eine bessere Verteilung des Reichtums sind keine sehr revolutionären Losungen. Vor einigen Jahren noch wären sie als sehr reformistisch erschienen. Heute scheinen sie als radikal, da die Reformisten nicht einmal mehr diese Arbeit machen. Die Losungen haben keine magische Kraft, sie kommen nicht aus sich heraus zur Geltung sondern in einer gegebenen Situation, als Ausgangspunkt für einen Prozess der Bewusstseinsbildung. Sobald man heute sagt, dass man in einem Land wie Frankreich mit weniger als 1‘500 € im Monat nicht anständig leben kann, bekommt man zur Antwort, dass man nicht realistisch sei: Wenn man die Löhne anhebe, würde das Kapital weggehen. Dies stellt ein neues Problem: Wie verhindert man die Kapitalflucht? Man muss deshalb die Finanzspekulation angreifen, man muss das Privateigentum angreifen…. Das Recht auf Wohnen stellt das Problem des Grundstückeigentums…. Es geht also um Losungen, die in einem gegebenen Moment Probleme kristallisieren, die verstanden werden können und als Hebel für Mobilisierungen für Tausende oder Hundertausende dienen können,  und anhand von denen man einen weitergehenden pädagogischen Beweis in der Aktion und nicht nur sprachlich führen kann, was die Logik des kapitalistischen Systems ist, und weshalb solch legitime und elementare Forderungen frontal mit der Logik des Systems zusammenstossen.

Diese Debatte mag für Euch heute als elementar erscheinen. Aber in den Debatten der kommunistischen Internationale brachten diejenigen, die die russische Revolution kopieren wollten, sofort die Losung der Bewaffnung des Proletariats auf… Ja, sicher, wenn man dem Feind widerstehen möchte, gelangt man unweigerlich dahin. Aber vorher muss eine Bewusstseinsbildung herbeigeführt werden, die von elementareren Forderungen ausgeht, gegen Teuerung geschützte Löhne, die Aufteilung der Arbeitszeit, usw. usf. Diese Dinge, die für uns so banal sind, waren weit davon entfernt, erreicht zu sein. Sie waren Themen in den Debatten der kommunistischen Internationale. Und um diese von der Mehrheit der Menschen  als notwendig und lebenswichtig empfundenen Forderungen herum wurde die grösstmögliche Einheit all derer vorgeschlagen, die bereit sind, ernsthaft dafür zu kämpfen. Deshalb sind die Übergangsforderungen an das Problem der Einheitsfront geknüpft. Es ist bekannt, dass die Reformisten nicht bereit sind, bis ans Ende zu gehen. Es ist bekannt, dass sie vor der Erpressung einknicken werden und falls das Kapital ihnen ein Ultimatum stellt, sie kapitulieren werden. Aber im Gegenzug hat der zurückgelegte Weg in den Augen derjenigen, die wirklich bis zum Ende für die gesellschaftlichen, kulturellen Bedürfnisse, für das Recht auf ein anständiges Leben, auf die Gesundheit, auf die Bildung, auf Wohnen, usw. kämpfen wollen, den Wert  einer pädagogischen Beweisführung. Ausgehend davon kann man dann weiter gehen.

Viertens bemühen wir uns, die internationalen Kräfteverhältnisse aufzubauen. Denn wir denken nicht, dass die Revolution in einem einzigen Land, das  von Anfang an vom Weltmarkt eingekreist ist, zu einer egalitäreren Gesellschaft führen kann. Die Tatsache des Aufbaus einer internationalen Bewegung – eine Internationale sofern möglich, aber auch Netzwerke, die europäische antikapitalistische Linke, die Zusammenkünfte der revolutionären Linken in Lateinamerika, usw. – ist Teil des Programmes und noch kein existierendes technisches Instrument, sondern die praktische Übertragung einer politischen Vision in die internationale Dimension der Revolution.

4.                  Strategische Hypothesen und kein Modell

In den zwölf mir verbleibenden Minuten möchte ich noch auf zwei verbleibende Punkte zu sprechen kommen.

Erstens: Wir werden oft nach unserem Gesellschaftsmodell gefragt. Wir haben kein Gesellschaftsmodell. Man kann nicht sagen, die Befreiung der Arbeiterinnen und Arbeiter werde das Werk der Arbeiterinnen und Arbeiter sein und behaupten, wir würden in unserem Gepäck die Pläne für die zukünftige Gesellschaft mitführen. Was wir hingegen haben, ist das Gedächtnis einer Reihe von Erfahrungen aus Kämpfen, Revolutionen, von Siegen und Niederlagen, die wir mit uns tragen, weitergeben und nicht auslöschen werden. Was wir haben, ist kein Gesellschaftsmodell, aber wir haben Hypothesen zu einer revolutionären Strategie.

Für die entwickelten kapitalistischen Länder, wo die Lohnabhängigen die grosse Mehrheit der aktiven Bevölkerung ausmachen, arbeiten wir mit der Idee eines aufständischen Generalstreiks. Für einige könnte dies eine Idee aus dem XX. oder gar aus dem XIX. Jahrhundert sein. Aber dies heisst nicht, dass die Revolution notwendigerweise die Form eines vollendeten Generalstreiks, eines Generalstreiks mit bewaffneten Streikposten der in einen Aufstand mündet annehmen wird. Aber dies heisst, dass unsere Arbeit auf diese Perspektive hin organisiert ist, dass mit den lokalen und regionalen Kämpfen und Streiks, mit Streiks in ganzen Industriezweigen die Arbeiterinnen und Arbeiter mit der Idee eines Generalstreiks vertraut gemacht werden.

Dies ist sehr wichtig, denn in einer Krisensituation ist es gerade dies, das ermöglichen würde, dass eine Reaktion der Massen in diesem Sinne erwächst. In Chile, im Moment des Staatsstreichs von Pinochet vom September 1973, hat Präsident Allende, der immer noch über die Kontrolle des Rundfunks verfügte, nicht zum Generalstreik aufgerufen. Hätte es eine methodische und systematische Arbeit in dieser Richtung gegeben, so wäre es möglicherweise zum spontanen Generalstreik mit Fabrikbesetzungen gekommen, was vielleicht den Staatsstreich nicht verhindert hätte, einen solchen aber auf jeden Fall viel schwieriger gemacht hätte. Und ein Kampf, den man kämpfend verliert, kann viel schneller wieder aufgenommen werden, als ein Kampf, der passiv verloren wird. Dies ist beinahe eine allgemeine Regel über alle Erfahrungen des XX. Jahrhunderts hinweg.

Die Arbeit mit der Hypothese des Generalstreiks bedeutet nicht, dass man diesen andauernd proklamiert, aber dass man diese Idee heranreifen lässt, so dass eine solche Reaktion dann im Falle einer unternehmerischen Offensive gegen die Lohnabhängigen, angesichts eines Staatsstreichs, im Falle einer antidemokratischen Repression quasi wie ein Reflex einsetzt. Der Aufstand gegen den Staatsstreich in Katalonien vom Juli 1936 und in Spanien wäre schwer vorstellbar gewesen ohne Vorbereitungsarbeit, ohne die Erfahrung in Asturien von 1934, ohne die Arbeit der POUM und der Anarchisten, usw. Mit der Perspektive eines Generalstreik zu arbeiten heisst, nicht dass man diesen dumm und abstrakt proklamiert, sondern dass man versucht, sich alle Erfahrungen anzueignen, die bereits in den Reflexen der Arbeiterbewegung heimisch geworden sind. Der Aufstand ist nicht notwendigerweise die lyrische Wiederholung des Oktoberaufstandes, so wie er im Film von Eisenstein dargestellt ist – selbst wenn dieser grossartig ist. Dieser kann aus einfachen Dingen entstehen: Die Selbstverteidigung eines Streikpostens, die Arbeit in der Armee, die Soldatenkomitees, alles was die Repressionsorgane der Bourgeoisie schwächt. Das sind also Leitlinien die uns erlauben, Verbindungen zwischen den alltäglichen Kämpfen, seien sie auch bescheiden, und unserem Ziel herzustellen.

Viele Genossinnen und Genossen, in Italien, in Frankreich und ich denke beinahe überall, bestehen heute auf der Notwendigkeit von Organisationen, die unabhängig sind von den Sozialliberalen, den Sozialdemokraten usw. Aber weshalb wollen wir unabhängige Organisationen?   Weil wir ein anderes Ziel verfolgen, weil wir andere Vorstellungen haben, wohin wir gehen wollen. Wir wissen, dass die Teilnahme an einer bürgerlichen Regierung, neben den Sozialdemokraten – bei der man vielleicht eine kleine Reform gewinnen kann – uns von unserem Ziel abbringt, anstatt dass wir uns diesem Ziel nähern könnten. Denn dadurch wird die Verwirrung gesteigert und wir schaffen nicht mehr Klarheit. Wenn wir keine Kriterien haben, weder zu welchem Ziel wir voranschreiten wollen noch über den Weg dahin, dann werden wir offensichtlich in der kleinsten taktischen Unsicherheit, der kleinsten Enttäuschung bei Wahlen, der kleinsten Niederlage durcheinander gebracht werden. Um den Aufbau in einem längeren Zeithorizont anzugehen braucht es eine genaue Vorstellung.

Wahrscheinlich wird uns die Revolution überraschen. Die zukünftigen Revolutionen werden keine einfachen Wiederholungen vergangener Revolutionen sein, ganz einfach weil die Gesellschaften nicht mehr die gleichen sind. Ich wiederhole mich: Wir sind etwa in derselben Lage wie die Militärs. Diese lernen in den Kriegsschulen anhand der vergangenen Schlachten. Aber die neuen Schlachten sind nie die gleichen. Deshalb sagt man, dass die Militärs in einem Krieg immer zu spät sind. Und wir riskieren andauernd, in einer Revolution zu spät zu kommen. Selbst die grössten Revolutionäre werden überrascht. Die Bolschewiki haben sich trotz ihres Ansehens angesichts des Übergangs zum Oktoberaufstand gespalten. Keine Partei der Revolution ist eine stählerne, monolithische Partei. Der letzte Beweis wird sich bei gegebener Möglichkeit ergeben.

5.                  Die Frage der Partei

Das letzte Thema, das ich anschneiden möchte, ist das Problem der Partei. Dies ist keine technische Frage: Man hat eine Strategie und baut dafür ein Werkzeug auf. Das Problem der Partei gehört geradezu zum Problem der Strategie. Der Versuch, sich eine Strategie ohne Partei vorzustellen, kommt einem Militär gleich, der in seinem Gepäck Karten des Generalstabes und Kriegspläne mitführt, aber über keine Truppen und keine Armee verfügt. In Wirklichkeit gibt es nur eine Strategie wenn es gleichzeitig eine Kraft gibt, die sie trägt, die sie ergreift, die sie im Alltag in die Praxis umsetzt usw.

Dies ist der ganze Unterschied zwischen der Auffassung über die Partei bei den grossen sozialdemokratischen Parteien vor 1914 und Lenin. Heute ist dieser unglückliche Lenin nicht gerade populär. Selbst innerhalb der Linken und sogar innerhalb der radikalen Linken gilt er als autoritär; Diesbezüglich gibt es eine grosse Ungerechtigkeit, aber dies ist nicht das Thema heute. Inwiefern hat Lenin die Auffassung über die Partei verändert, revolutioniert? Die grossen sozialdemokratischen Parteien verstanden ihre  Aufgabe vor allem als pädagogische, als Aufgabe eines Erziehers, begründet auf der Vorstellung einer Art von Spontaneität der Massenbewegung, wo die Partei mit den sehr interessanten Schulen Ideen einbrachte. Um die Formel eines berühmten sozialdemokratischen Führers vor 1914  aufzunehmen, musste die Partei keine Revolution  vorbereiten.

In Lenins Vorstellung läuft dies gerade umgekehrt: Die Partei darf sich nicht damit begnügen, die Massen in ihren Erfahrungen zu begleiten und aufzuklären. Sie muss Initiativen ergreifen, Ziele für die Kämpfe formulieren, Leitmotive vorschlagen, die einer konkreten Situation entsprechen, und zu einem gegebenen Zeitpunkt muss sie imstande sein, der Aktion eine Richtung zu geben. In einer Formel zusammengefasst: Die Vorstellung, die bei der zweiten Internationale in ihrer grossen Zeit vorherrschte, war die einer pädagogischen und erzieherischen Partei. Ausgehend von Lenin und der Dritten Internationale herrschte die Auffassung einer Partei als Strategin, einer Partei, die die Kämpfe organisiert, indem sie ihre Ziele definiert und die übrigens auch die Niederlagen organisieren und begrenzen kann, indem sie falls notwendig den Rückzug vorbereitet. Es gibt dazu ein bekanntes Beispiel: Die Arbeiterinnen und Arbeiter von Petersburg und Moskau erlitten im Juli 1917 eine Niederlage; diese hätte endgültig sein können, wenn es keine Partei gegeben hätte, die den Rückzug organisiert und erneut die Initiative ergriffen hätte. Die Partei ist also kein x-beliebiges Werkzeug. Sie ist untrennbar mit einem Programm und einem festgesetzten Ziel verbunden.

Und dann noch ein zusätzlicher und vielleicht der letzte Punkt, den ich zur Frage der Partei erwähnen möchte. Für uns geht es nicht einfach um eine Partei des Kampfes, des Eingreifens, usw. Es geht um eine demokratische, pluralistische Partei. Gelegentlich kommt es bei uns zu Unzulänglichkeiten, es gibt Übertreibungen, einer Besessenheit der Tendenzenbildung. Oft ist dies nützlich, oft weniger…. Aber wir halten viel darauf, denn der Pluralismus in der Organisation bedeutet, dass wir nicht über eine definitive Wahrheit verfügen, und dass es zu einem andauernden Austausch zwischen der Partei, die wir aufbauen wollen und den Erfahrungen der Massenbewegungen kommt. Und weil diese Erfahrungen unterschiedlich sind, kann sich diese Unterschiedlichkeit auch in der Form verschiedener Strömungen innerhalb unserer Partei äussern.

Aber es gibt auch einen anderen Grund: Wenn man für eine pluralistische Gesellschaft ist,  wenn man möchte, dass die Möglichkeit der Parteienvielfalt  existiert, einschliesslich der Vielfalt von Parteien, die sich auf den Sozialismus berufen, wenn dies eine der Konsequenzen, die man aus der Erfahrung des Stalinismus gezogen hat ist, dann müssen wir die Demokratie auf gewisse Weise in unseren Reihen entwickeln. Dies gilt für unsere Jugendorganisationen, für unsere Sektionen der Internationale, aber auch für unsere Praxis in den Gewerkschaften und in den anderen Gruppierungen. Schon heute, denn dies ist wirksam für die Kämpfe, denn die Einheit geht nicht ohne Demokratie, denn falls wir breite Fronten gegen Sarkozy oder einen anderen aufbauen wollen, müssen die verschiedenen Sichten auf die Welt sich darin wiedererkennen können. Also ist die Demokratie eine Bedingung für und nicht ein Hindernis gegen die Einheit.

Zudem dient eine demokratische Kultur auch der Zukunft, weil die Bürokratie und die Bürokratisierung nicht nur im Stalinismus vorkommen. Einige stellen sich vor, dass die Angelegenheit mit dem Ende des Stalinismus nun vom Tisch sei. Nein ! Was die Bürokratie hervorruft, ist nicht die Partei, oder wie heutzutage einige sagen die « Parteiform », sondern die Arbeitsteilung, die Ungleichheit. Die gewerkschaftlichen und vereinsmässigen Organisationen sind nicht weniger bürokratisch als die Parteien, sie sind dies aufgrund der materiellen Interessen oft noch mehr. Die Nichtregierungsorganisationen in der Dritten Welt, die von Subventionen der Fordstiftung oder der Friedrich-Ebert-Stiftung leben, sind weitgehend bürokratisiert und oft korrupt. Es ist nicht die Organisationsform, die die Bürokratie schafft. Die Wurzeln der Bürokratie liegen in der Arbeitsteilung zwischen Kopf- und Handarbeit, in der Ungleichheit bezüglich der Freizeit, usw., usf. So ist die Demokratie in der Gesellschaft und in unseren Organisationen die einzige Waffe, die wir haben.

Heutzutage ist dies noch wichtiger, und ich möchte damit abschliessen. Die Leute stellen sich vor, dass eine Partei eine Aufstellung in Reih und Glied sei, wie im Militär, das dies Disziplin bedeute, Autorität, der Verlust der eigenen Individualität. Ich denke gerade das Gegenteil. Heute ist man alleine nicht frei, nicht genial, man wird dies nur aus seiner Individualität heraus, aber in einer Organisation des kollektiven Kampfes. Und wenn man die neueren politischen Erfahrungen heranzieht, die Parteien mit all ihren Unzulänglichkeiten, ihren Gefahren der Bürokratisierung – unsere Partei eingeschlossen – so sind sie trotz allem die beste Form, den schlimmeren Formen der Bürokratisierung, der Korruption durch das Geld  zu widerstehen. Wir leben in einer Gesellschaft, wo das Geld allgegenwärtig ist und alles korrumpiert. Wie kann man sich dem widersetzen? Das geht nicht über eine Moral, das geht nur über einen kollektiven Widerstand gegen die Macht des Geldes. Zudem haben wir auch, und dies läuft oft auf dasselbe hinaus, die Macht der Kommunikationsmittel gegen uns. Die Medien neigen dazu, den sozialen und den revolutionären Organisationen die eigenen Losungen und die eigenen Wortführerinnen und Wortführer zu entwenden. Es gibt Mechanismen der Kooptation des politischen Personals durch die Medien. Es sind die Fernsehketten, die entscheiden: Dieser da hat einen guten Kopf, der wirkt gut im Rampenlicht, diese da ist sympathischer, usw.  Sie fabrizieren sie. Wir, wir wollen unsere Losungen und unsere Wortführerinnen und Wortführer kontrollieren.

Wir glauben nicht an den grossen Erlöser oder an wundertätige Individuen. Wir wissen, dass das was wir tun, das Ergebnis einer gemeinsamen Erfahrung und eines gemeinsamen Denkens ist. Dies ist eine Lektion in Verantwortung und in Bescheidenheit. Die Zentralität der Medien in unserer Gesellschaft nimmt den Leuten die Verantwortung weg. Viele Leute verfechten im Fernsehen die flippigsten Ideen und  gehen eine Woche später zu etwas ganz Anderem über, ohne sich je erklären zu müssen, ohne je sich rechtfertigen zu müssen über das, was sie gesagt haben. Was unsere Wortführer sagen, Francisco Louça in Portugal, Olivier Besancenot in Frankreich oder Franco Turigliatto in Italien, dafür sind sie vor Hunderten und vor Tausenden Aktivistinnen und Aktivisten verantwortlich. Es sind dies Persönlichkeiten, die nicht aus ihren momentanen Launen oder Gefühlen heraus sprechen, sondern im Namen von Kollektiven von Aktivistinnen und Aktivisten. Dies stellt für uns ein Beweis von Demokratie dar. Und im Gegenteil zu dem, was man so sagt, stellen die Parteien – so wie wir sie uns vorstellen, und nicht die grossen Wahlapparate –  den besten und wirksamsten demokratischen Widerstand gegen eine Welt dar, die dies kaum ist. Und sie sind eines der Glieder, einer der Bestandteile von dem, was wir unter revolutionärer Strategie verstehen.

[Diese Intervention wurde von D. Bensïd  gehalten am Sommercamp der Jugend der IV. Internationale vom Sommer 2007. Das Original findet sich unter http://danielbensaid.org/ . Bensaïd verstarb 2010. Er war führendes Mitglied des Nouveau Parti Anticapitaliste und der Internationale.  Die Übersetzung wurde von der Redaktion maulwuerfe.ch besorgt.]

 

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