Neue Epoche und Aufgabe der Revolutionär*innen
Willi Eberle. Die Welt steht mittlerweile unter direkter oder indirekter Herrschaft des Wertgesetzes, unter der Herrschaft der Bourgeoisie: ökonomisch über die weltweite Verankerung der globalisierten kapitalistischen Wertschöpfungsketten und politisch mit der weltweiten Durchsetzung der Standortpolitik. Des Weiteren wurde die Arbeiterbewegung im Verlaufe der vergangenen 40 Jahre im Klassenkonflikt politisch und sozial massiv zurückgedrängt; gleichzeitig aber dehnte sich die Arbeiterklasse über den ganzen Globus aus und hat neue Kampfformen gefunden. In derselben Periode des Neoliberalismus wurden die revolutionären politischen Aufbauprojekte in eine schwere Krise gestürzt und nahezu marginalisiert.
Zwischen den 1980er- und heute bestand eine sehr hohe Dichte von linken Regierungen in Europa und Lateinamerika. Denn die Massen suchten eine Vertretung, die die Angriffe in ihrem Sinne abwehren sollte. Diese Regierungen, die sich durchweg von den Massenbewegungen fernhielten, konnten dem neoliberalen Druck nichts entgegensetzen, sondern wurden mehr oder weniger zu den Trägern der Durchsetzung der neoliberalen Politik des Standortstaates.
Gleichzeitig kam es v.a. ab der Mitte der 1990er-Jahre weltweit zu historisch herausragenden Massenmobilisierungen gegen die neoliberalen Angriffe. Ab den 2000er-Jahren setzte ein sichtbarer Zerfall der politischen Basis des Neoliberalismus und eine Delegitimierung der Sozialdemokratie ein. Der Teil der radikalen Linken, der auf Mitnahmegewinne der Legitimationskrise der Sozialdemokratie hoffte (Breite Parteien, Neo-Reformismus), ist selbst in eine tiefe programmatische und politische Krise geraten (Europa, USA, Lateinamerika) und konnte die grossen Mobilisierungen der vergangenen 20 Jahre nicht für sich nutzen, insbesondere nicht für eine politische Stärkung der sich radikalisierenden Segmente der Arbeiterklasse. In diesem Prozess der Verschiebung der Strategie in Richtung von reformistischen Konzepten (linke Regierungen) wurden wichtige Konzepte und Erfahrungen aus der revolutionären Tradition geopfert, um «näher bei den beispielsweise Massen» zu sein. Syriza ist das momentan sichtbarste und auch eines der tragischsten Beispiel dafür. Anders aber eine ähnliche Problematik zeigt sich bei der venezolanischen PSUV und der brasilianischen PT.
Der Marxismus ist – neben der praktischen Politik – eine Wissenschaft, die auf einem lebendigen theoretischen Kanon und auf der geschichtlichen Erfahrung aufbaut. In der politischen Praxis hängt er an der Nabelschnur der kämpfenden Arbeiterklasse. Dieser Rahmen darf nicht verlassen werden, soll ein internationalistisches politisches Aufbauprojekt im Sinne der Machtergreifung des Proletariates im gesellschaftlichen Produktionsprozess und im Staat eine Perspektive haben. Angesichts dieser grossen Massenbewegungen ist die Versuchung gross, in eine «Nachtrabpolitik» zu verfallen, d.h. den Bewegungen hinterherzulaufen. Die Schwäche solcher Ansätze aufzuzeigen, war der Sinn von «Was tun?» (Lenin, 1902). Die Projekte, die auf eine kurz- oder mittelfristige Perspektive einer revolutionären Massenpartei setzen, sind immer wieder an dieser spontaneistischen Strategie zerschellt. Es geht heute um die Aufrechterhaltung und die Entwicklung von dem, was übriggeblieben ist. Unabhängig von der Sozialdemokratie und damit von der Bourgeoisie und praktisch-politisch sichtbar. Im Rahmen unseres weiteren Zusammenhangs gab es mal eine treffende Formel: Die Sozialdemokratie – «eine bürgerliche Partei mit besonderen Aufgaben».
In der nachfolgenden Intervention im Hinblick auf den 17. Weltkongress der Vierten Internationale von 2018 bringen Jakob Schäfer (ISO) und Yvan Lemaître (NPA) ein breit angelegtes Argument, dass nur durch das Festhalten an einer klassenbasierten Orientierung und Verankerung eine wirkliche Perspektive für revolutionäre politische Aufbauprojekte erarbeitet werden kann. Sie wenden sich dabei insbesondere gegen die katastrophale Strategie der Breiten Parteien, wie sie von der VI in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eingeschlagen wurde, und die daraufhin Niederlage nach Niederlage gezeitigt hatte. Im Haupttext für den Kongress weigert sich die VI jedoch weiterhin, von dieser Strategie abzurücken. [Redaktion maulwuerfe.ch]
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Neue Phase der neoliberalen und imperialistischen Globalisierung
1.
Mit dem Brexit-Votum, der Wahl Donald Trumps, dem Fall Aleppos ‒ das der blutige Diktator Assad mit Unterstützung Russlands und der Komplizenschaft der Großmächte zurückeroberte ‒ ist 2016 eine neue Phase der neoliberalen und imperialistischen Globalisierung eingeläutet worden. Die Bourgeoisie hatte versucht, den Mythos einer Win-Win-Globalisierung aufzubauen, mit der der Markt Demokratie, Frieden und Wohlstand hervorbringe. Dies war und ist nichts als Lüge und Augenwischerei, für die sinnfällig Obama stand. Dieser Mythos bricht in sich selbst zusammen. Bis Anfang des 21. Jahrhunderts haben technologische Neuerungen in Verbindung mit einer massiven Proletarisierung – ein Ergebnis des Ruins der Bauernschaft in den sogenannten Schwellenländern wie China, Indien und Brasilien – die Produktionskosten gesenkt und die Profitmaschine befeuert, auch das Kasino des Finanzsektors. Dies gelang aber nur mithilfe einer verallgemeinerten Verschuldung und einer „überschäumenden“ Finanzblase. Der Vorgriff auf die Profite heizte eine zügellose Spekulation an.
Das Unheil war damit unvermeidlich, die Subprime-Krise in den USA war dann nur der Auslöser. Die Krise 2007/2008 war der Schock, der Trump und alle reaktionären, rechtsextremen und populistischen Strömungen hochpuschte.
Die Kräfteverhältnisse haben sich verschoben. Die Politik, die Neoliberalismus mit militärischer Intervention kombiniert, hat den ganzen Planeten destabilisiert. Die führende Weltmacht hat nicht mehr die einstige uneingeschränkte Vormachtstellung, ein neuer Rivale in einer multipolaren Welt ist auf den Plan getreten: China. Die Instabilität der internationalen Beziehungen kann nicht mehr von einer einzigen Macht im Zaum gehalten werden, diese fühlt sich vielmehr selbst bedroht.
Mit der Parole „Amerika wieder stark machen“ hat Trump – auf seine Weise – eine Orientierung formuliert, die den imperialistischen Bedürfnissen der USA entspricht und von einem großen Teil jenes Establishments geteilt wird, das er angeblich bekämpfen wollte. Dieser Wahlspruch bringt die Interessen des US-Kapitals gegenüber der internationalen Konkurrenz zum Ausdruck, gegen die Völker und gegen die Arbeiterklasse in den USA. Die nationalistischen und protektionistischen Reden sollen die Völker dazu bewegen, die Politik der Bourgeoisien, die sich verschärfter Konkurrenz ausgesetzt sehen, zu unterstützen. Damit soll die Illusion gefördert werden, die Politik der herrschenden Klassen könne den Sorgen und Anliegen der breiten Massen gerecht werden.
Die Arbeiterbewegung ist mit dieser neuen Offensive konfrontiert, die darauf abzielt, die Unzufriedenheit in andere Bahnen zu lenken, das Aufbegehren der unteren Volksschichten in eine gegenseitige Ausgrenzung münden zu lassen und die breiten Massen auf diese Weise in Bande zu schlagen und sie der Politik und den Interessen der herrschenden Klassen unterzuordnen. Erreicht wird dies mit der Spaltung der Arbeiterklasse, indem auf Sündenböcke orientiert wird und Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit massiv gefördert werden.
Unsere Orientierung hingegen basiert auf unserer Unabhängigkeit von der bürgerlichen Klasse und ihrer logischen Schlussfolgerung, dem Internationalismus mit der sozialistischen, kommunistischen Perspektive.
2.
Die zweite kapitalistische Globalisierung, gut hundert Jahre nach der ersten, die zur Entwicklung des Imperialismus und zu zwei Weltkriegen geführt hatte, hat den weltweiten Kapitalismus transformiert und dabei die Bedingungen des internationalen Klassenkampfs tiefgreifend verändert. Wir befinden uns an der Schwelle zu einer neuen Phase des Kapitalismus.
Die Umwälzungen, die aus der großen Wende resultierten, wurden durch die große Krise, die 2007/2008 begann, verschärft und beschleunigt und scheinen sich in eine chronische Krise, in einen langen Prozess der Stagnation und der Zersetzung des Kapitalismus, zu verlängern.
Unter dem Druck der Krise führt die Verschärfung der internationalen Konkurrenz zu einer Stärkung der Rolle des Staates, des Militarismus und der Sicherheitspolitik, wie auch zu einer wachsenden Instabilität, zu einem geopolitischem Chaos und zu einer Zunahme militärischer Konflikte.
Diese zweite große Globalisierung vollzog sich nach einer langen Periode von Niederlagen und Rückschlägen der Arbeiterbewegung. Nach dem Verrat der Sozialdemokratie, bewirkte die Zerschlagung der Arbeiterorganisationen in den 1930er Jahren und die physische Vernichtung ihrer Führung durch die stalinistische Bürokratie, die mit der kapitalistischen Reaktion verbündet war, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Revolte der unterdrückten Völker im Nationalismus befangen blieb. Das Proletariat war nicht in der Lage, diesen Revolten eine internationalistische Perspektive zu bieten. Dennoch hat diese revolutionäre Welle die Welt erschüttert und Millionen Menschen ermöglicht, das Joch kolonialer und imperialistischer Unterdrückung abzuschütteln. Aber weit davon entfernt, den Sozialismus aufzubauen, waren die neuen Regimes bemüht, sich in den kapitalistischen Weltmarkt zu integrieren, um dort ihren Platz zu finden. Kuba war der letzte aus dieser revolutionären Welle hervorgegangene Staat, der der führenden Weltmacht widerstanden hat, eine Kampfansage, die von der Kraft der Völker zeugt, wenn sie sich trauen, den herrschenden Klassen und Staaten die Stirn zu bieten.
Der Kapitalismus hat sich auf dem ganzen Planeten durchgesetzt. Nach dem Wegbrechen der alten Rahmenbedingungen für die Herrschaft der Großmächte und der kapitalistischen Klassen produziert er nur noch Krisen, Demokratieabbau und sozialen Rückschritt, Kriege und ökologische Katastrophe. Dies eröffnet eine Periode der Kriege, der Instabilität und der Revolutionen.
3.
Dieses neue Entwicklungsstadium des Kapitalismus verbindet die alten imperialistischen Beziehungen mit den neuen Verhältnissen des globalisierten Neoliberalismus. Man kann also von einer imperialistischen und neoliberalen Entwicklung sprechen.
In „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ macht Lenin deutlich, dass die imperialistische Entwicklung sich aus dem Wesen des Kapitalismus ergibt: „Zum kapitalistischen Imperialismus aber wurde der Kapitalismus erst auf einer bestimmten, sehr hohen Entwicklungsstufe, als einige seiner Grundeigenschaften in ihr Gegenteil umzuschlagen begannen, als sich auf der ganzen Linie die Züge einer Übergangsperiode vom Kapitalismus zu einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation herausbildeten und sichtbar wurden.“ (LW 22: 269f) Wir können diesen Gedankengang aufgreifen, um daran anknüpfend die neue Phase der Entwicklung des Kapitalismus zu erklären, mit der wir konfrontiert sind.
Das „monopolistische Stadium des Kapitalismus“ hat mittels der neoliberalen Globalisierung das Stadium der multi- und transnationalen Konzerne und der Finanzialisierung hervorgebracht. Diese neue Phase ergibt sich aus der Entwicklung der Eigenheiten und Widersprüche des Kapitalismus, die in diesem Prozess verstärkt und auf eine neue Stufe gehoben werden; die objektiven Bedingungen der „Übergangsperiode vom Kapitalismus zu einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation“ sind weiter herangereift und haben sich auf internationaler Ebene verstärkt.
4.
Die imperialistische Entwicklung und der Kampf zwischen den imperialistischen Mächten um die Aufteilung der Welt haben im 20. Jahrhundert zu einem ersten imperialistischen Krieg und dann zu einer revolutionären Welle geführt, die durch Faschismus und Stalinismus gebrochen wurde. So konnte auch der zweite Ausbruch des barbarischen Kampfs um die Aufteilung der Welt, der Zweite Weltkrieg, nicht verhindert werden, aus dem der amerikanische Imperialismus als einzige Macht hervorging, die in der Lage war, die kapitalistische Weltordnung zu verwalten. Es folgten zwanzig Jahre der Kriege und Revolutionen: der Aufstand der Kolonialvölker.
Eine neue Phase begann Ende der 1970er Jahre, in der die dominierende Weltmacht USA und ihr Verbündeter Großbritannien die neoliberale Offensive anführten. Das war der Beginn der zweiten Globalisierung (eine Reaktion auf die sinkende Profitrate), in der sich der Kapitalismus überall auf dem Planeten durchsetzt.
Diese neoliberale Offensive nach den 30 Jahren des Aufschwungs nach dem Zweiten Weltkrieg, brachte das Ende der Sowjetunion und den Zusammenbuch der Bürokratie, die zwar die nationalen Befreiungskämpfe unterstützt hatte, gleichzeitig aber auch unter dem Vorzeichen der friedlichen Koexistenz an der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Weltordnung mitgewirkt hatte, womit auch die Interessen der Bürokratie gewahrt wurden.
Mit dem Ende der UdSSR wurde die Offensive der kapitalistischen Klassen unter Führung der USA verstärkt. In der Zeit der Bush-Regierung triumphiert die neoliberale und imperialistische Euphorie, der Kapitalismus setzt sich auf der ganzen Welt durch, aber der Mythos des „Endes der Geschichte“ hält nicht lange an. Der erste Irakkrieg eröffnet eine lange Periode der Offensiven gegen die Völker, um den globalisierten Neoliberalismus und die Strategie des Chaos durchzusetzen, was zu einer neuen, destabilisierten Weltordnung und neuen Kriegen führt.
Am Ende der Ära Bush gab Obama vor, dies zu ändern. Er konnte aber auf die durch die „Strategie des Chaos“ erzeugte Lage keine politische Antwort geben. Es blieb ihm nur die Wahl, sich anzupassen.
5.
Seit der Finanzkrise 2007/2008 tendiert diese Periode des internationalen Neoliberalismus dazu, einer Phase der Reorganisierung der internationalen Beziehungen Platz zu machen. Es ist allerdings nicht möglich, die globalisierte Wirtschaft überhaupt zu regulieren, denn kein Land hat die dazu erforderlichen Mittel. Es verschärft sich der Widerspruch zwischen der durch die globalisierte Konkurrenz erzeugte Instabilität auf der einen Seite und der Notwendigkeit eines gemeinsamen Rahmens für das Funktionieren des Kapitalismus zur Sicherung der Produktion und des Handels auf der anderen Seite.
Innerhalb von dreißig Jahren haben sich die Kräfteverhältnisse völlig verändert, die BRICS-Staaten, allen voran China, aber auch die anderen Länder, kämpfen darum, trotz der Krise an der weltweiten Entwicklung teilzuhaben. Auch wenn die USA weiterhin auf allen Ebenen die führende Weltmacht sind, so müssen sie doch Bündnisse schmieden und Alliierte finden. Die Hälfte der weltweiten Warenproduktion erfolgt heute in den Schwellenländern.
Der Widerspruch zwischen Nationalstaat und Internationalisierung von Produktion und Handel ist größer denn je, aber keine der Großmächte ist heute in der Lage, die internationalen Beziehungen zu regulieren. Die Kombination dieser beiden Gegebenheiten sorgt für instabile Verhältnisse in den internationalen Beziehungen.
Die Kartelle und internationalen monopolistischen Verknüpfungen arrangieren sie auf ihre spezifische Weise mit der globalisierten freien Konkurrenz. Die Monopole haben sich in transnationale Gesellschaften entwickelt, in Industrie-, Handels- und Finanzaktivitäten diversifiziert und sind dermaßen konzentriert, dass 147 multinationale Konzerne 40 Prozent des Werts aller multinationalen Konzerne besitzen. Auch wenn diese Konzerne eine nationale Basis behalten, so sind sie doch in internationale Beziehungen weltweiter gegenseitiger Abhängigkeit eingebunden.
Die parasitäre Entwicklung des Finanzsektors hat eine beträchtliche Masse spekulativen Kapitals entstehen lassen und zum Rückgang produktiver Investitionen beigetragen. Diese parasitäre Seite kommt in einer Schuldenwirtschaft wie auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass die USA Nettoimporteur von Kapital sind. Ähnlich ist es bei anderen imperialistischen Mächten, wenn auch in unterschiedlichem Grad. Der Kapitalimport ist eine der Varianten, die Reichtümer, die vom Proletariat der Schwellenländer erzeugt wurden, in die alten imperialistischen Metropolen zu transferieren.
Wir erleben eine Konzentration des Reichtums in einem nie dagewesenen Maß. Ein Oligopol der Banken kontrolliert den Finanzsektor und hat sich über den Weg der Öffentlichen Verschuldung die Staaten gefügig gemacht.
Mit der wirtschaftlichen Entwicklung der ehemaligen Kolonien oder beherrschter Länder, im Besonderen der Schwellenländer, vollzieht sich eine neue internationale Arbeitsteilung: nicht einfach nur eine Internationalisierung, sondern eine Globalisierung der Produktion, eine „integrierte Weltwirtschaft“, wie Michel Husson es nennt. Die territoriale Aufteilung der Welt, die durch zwei Weltkriege und die Welle der Befreiungsbewegungen infrage gestellt worden war, ist einem Kapitalismus der freien Konkurrenz gewichen, der von den internationalen Konzernen strukturiert wird. Ging es früher um die territoriale Aufteilung der Welt, so dominiert heute der Kampf um die Kontrolle von Handelsströmen, Produktionsstätten, Energieversorgung … Die Logik der kapitalistischen Warenproduktion und die Logik, die sich aus den Anforderungen territorialer Kontrolle ergibt, so die Formel von David Harvey, verbinden sich heute in anderer Form.
Die daraus entstehende zunehmende Instabilität in der Welt zieht einen Anstieg des Militarismus nach sich, was die USA dazu veranlasst hat, wieder verstärkt militärisch präsent zu sein. Dabei bemühen sie sich, für ihre Politik der Aufrechterhaltung der Weltordnung Bündnispartner unter den alten imperialistischen Mächten Europas und Japans, aber auch unter den Schwellenländern zu finden. Diese Politik ist gescheitert und hat nur die Instabilität vergrößert und den religiösen und terroristischen Fundamentalismus befördert, einen Faktor des permanenten Chaos.
6.
Gleichzeitig mit dem Vorstoß bis an die Grenzen des Planeten ruft der globalisierte Kapitalismus eine ökologische Krise auf Weltebene hervor, was die Zukunft der Menschheit infragestellt. Die Logik des Profits führt zu einer irrsinnigen Organisierung der Produktion auf Weltebene, gegen die Interessen der Bevölkerungen und zum Schaden des ökologischen Gleichgewichts.
Die Verbindung von einerseits ökologischer und Klimakrise und andererseits wirtschaftlicher und sozialer Krise bedeutet für die Menschheit eine nie dagewesene Herausforderung. Ohne Überwindung des Kapitalismus, also ohne demokratische Planung, die auf weltweiter Kooperation der Völker entsprechend den sozialen und ökologischen Erfordernissen basiert, gibt es keine Lösung, auch nicht für ein einzelnes Land. Diese Krise ist ein Faktor bei der Herausbildung internationalistischen Bewusstseins, nicht nur in jenem Sinn, dass unser Heimatland die Menschheit ist, sondern auch in dem Sinne, dass – vom Lokalen zum Globalen – der Kampf gegen die Gefahren, welche die Zukunft des Planeten bedrohen, heute mehr denn je über die nationalen Grenzen hinausgeht. Er ist Teil des Kampfes für den Sozialismus, in Verbindung mit den sozialen und politischen Klassenkämpfen und integraler Bestandteil derselben.
Die ökologische und die soziale Frage sind miteinander verknüpft, man kann nicht die eine beantworten, ohne auch auf die andere einzugehen.
7.
Das Drama der Migrant*innen verdeutlicht in konzentrierter Form und auf erschütternde Weise die Auswirkungen gesellschaftlicher Zersetzungsprozesse, es ist eine Folge der Kriege, des Neoliberalismus, der Machtausdehnung der transnationalen Konzerne, des Landraubs und des Ruins großer Teile der Bauernschaft, des Aufstiegs der reaktionären fundamentalistischen Kräfte und der ökologischen und der Klimakrise.
Diese Prozesse erreichen inzwischen ein extremes und unumkehrbares Ausmaß, das es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben hat. Sie ergeben sich aus der Instabilität, hervorgerufen durch die kapitalistische Globalisierung und den permanenten Kriegszustand; sie sind eine Folge der permanenten Instabilität, in die der Imperialismus den Nahen Osten und große Teile Afrikas geworfen hat. Und sie sind auch eine Auswirkung der zuspitzten Konkurrenz zwischen alten und neuen Großmächten wie auch zwischen Regionalmächten etwa im Mittleren Osten zwischen Saudi-Arabien und dem Iran. Nicht minder sind sie eine Folge des sozialen Kriegs, den die großen Finanzgruppen und ihre Staaten gegen die Arbeiter*innen und die Völker führen. Die Krise, die sich in Europa zuspitzt, offenbart das Scheitern des Aufbaus eines kapitalistischen Europas.
Wir sind mit einer außergewöhnlich großen humanitären Krise konfrontiert. Unsere Intervention muss sich mit der Solidaritätsbewegung verbinden, die – besonders in Europa – aktiv ist. Auch wenn sich unsere Politik nicht auf das Humanitäre beschränkt, so muss dies doch ein Element unserer Arbeit sein, wenn wir in den Gewerkschaften und Verbänden der Arbeiterbewegung aktiv sind.
Die Migrant*innen sind integraler Bestandteil des Proletariats, in Europa, in den USA und anderswo. Diese Krise ruft Angstreflexe und fremdenfeindliche Abweisungen hervor, sie bringt alle politischen Kräfte ins Wanken. Sie kann einen revolutionären Gärungsprozess auslösen, in dem Sinne, dass die einzige Antwort nur die der internationalistischen Solidarität sein kann, und zwar auf allen Ebenen gegenüber denen, die als Antwort nur Krieg und polizeiliche Repression haben, wenn sie die dramatische Instabilität im Griff behalten wollen, die durch ihre Politik verursacht wurde.
8.
Die erweiterte Akkumulation im Finanzsektor, basierend auf dem exponentiellen Wachstum des Kredits und der Verschuldung, stößt an ihre Grenzen und läuft auf eine verstärkte „Akkumulation mittels Enteignung“ hinaus, wie David Harvey es ausdrückt. Da der Kapitalismus nicht in der Lage ist, die Wirtschaft so zu entwickeln, dass der Heißhunger des Kapitals auf Mehrwert ausreichend gestillt werden kann, ergreift er eine doppelte Offensive, um die Schwierigkeiten bei der Suche nach Anlagemöglichkeiten für das Kapital zu überwinden: gegen die Arbeiter*innen und gegen die Völker, um ihnen eine andere Aufteilung des gesellschaftlichen Reichtums aufzuzwingen.
Eine Folge davon ist ein erbitterter Kampf um die Kontrolle der Territorien, der Energiequellen, der Rohstoffe, der Handelswege … Die globalisierte Konkurrenz wird zu einem Kampf um die Reichtümer, eine Form der Neuaufteilung der Welt, aber unter völlig anderen Kräfteverhältnissen als am Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts.
Die Entwicklung der Krise seit 2007/2008 hat die Spannungen verschärft.
Die USA haben nicht mehr die Möglichkeit, ihren Willen den anderen Mächten und Nationen aufzuzwingen, wie die Situation im Nahen und Mittleren Osten zeigt. Sie sind gezwungen, ihre Politik an die neuen Kräfteverhältnisse anzupassen, wenn es um die Absicherung ihrer Hegemonie oder um die „Weltordnungspolitik“ geht, also darum, ihren Anspruch glaubhaft zu vertreten, sie handelten im allgemeinen Interesse.
Heute sind sie dazu nicht mehr in der Lage, keine der Mächte ist dazu in der Lage, weshalb die Spannungen und die Bereitschaft zur militärischen Intervention zunehmen.
Bis wohin können diese Spannungen und Ungleichgewichte gehen? Auf lange Sicht gesehen können wir keine Hypothese ausschließen. Es geht darum, die möglichen Entwicklungen der Weltlage zu verstehen, um die Auswirkungen der Krise benennen zu können, in die die herrschenden Klassen uns hineinziehen. Es gibt keine Veranlassung, die schlimmste Hypothese auszuschließen, nämlich die der Vervielfältigung lokaler Konflikte bis hin zu einem Flächenbrand, einem neuen Weltkrieg, oder besser gesagt einem globalisierten Krieg. Mit dem Krieg in Syrien wurde dies ein weiteres Mal illustriert, wie zuvor schon in der Ukraine.
Der Kern der Frage dreht sich um das Verhältnis USA – China und um seine möglichen Entwicklungen. Aus den inneren Widersprüchen Chinas könnte sich eine aggressivere imperialistische Politik ergeben, wenn es den herrschenden Klassen in China nicht gelingt, die soziale Frage zu lösen, bzw. die Ordnung aufrecht zu erhalten. Es ist nicht auszuschließen, dass sie die Ordnung nur aufrechterhalten können, indem sie ein ‒ kriegerisches ‒ Ventil für die soziale Unzufriedenheit anbieten. Dazu lässt sich heute noch nichts mit Bestimmtheit sagen, aber wir können die Hypothese nicht ausschließen, dass sich davon ausgehend ein neuer Krieg um die Vorherrschaft in der Welt ergibt.
Unter der Herrschaftskrise des Bürgertums und der Großmächte bilden sich die Bedingungen für das Entstehen einer neuen Welt heraus. Unter diesen Verhältnissen eröffne sich eine Periode revolutionärer Veränderungsmöglichkeiten.
Letztendlich kommt es auf das Proletariat und die Völker an, auf ihre Fähigkeit, sich direkt einzumischen, um das Schlimmste zu verhindern. Es geht nicht darum, Prognosen anzustellen, sondern darum, unsere eigene Strategie aufzubauen auf dem Verständnis der Entwicklung der Beziehungen zwischen den Klassen und zwischen den Nationen.
Die Herausbildung einer machtvollen internationalen Arbeiterklasse
9.
Die Weltarbeiterklasse entwickelt sich heute ganz beträchtlich. Dies geschieht auf einem globalisierten Arbeitsmarkt, wo die Lohnabhängigen weltumspannend in Konkurrenz zu einander gesetzt werden, mittels der die Errungenschaften der „Arbeiteraristokratie“ in den alten imperialistischen Mächten infrage gestellt werden, was gleichzeitig die materielle Basis für den Reformismus des vergangenen Jahrhunderts untergräbt.
Die Arbeiterklasse ist so zahlreich wie noch nie: Allein in Südkorea gibt es heute mehr Arbeiter*innen als zu Zeiten von Marx auf der ganzen Welt. Die Arbeiterklasse stellt heute 80 bis 90 Prozent der Erwerbstätigen in den am stärksten industrialisierten Ländern und fast die Hälfte auf der ganzen Welt. Nach den Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ist die Zahl der Arbeiter*innen in den Jahren 1991 – 2012 von 490 Millionen auf 715 Millionen angestiegen. In den Jahren 2004 – 2012 war die Wachstumsrate in der Industrie sogar größer als die im Dienstleistungssektor! Nicht der industrielle Sektor ist kleiner geworden, sondern der Anteil der Bauern an der weltweit erwerbstätigen Bevölkerung ist gesunken: von 44% auf 32%. Auch wenn der Anteil der Industriearbeiter*innen in den alten kapitalistischen Metropolen numerisch zurückgegangen ist, so bleibt doch ihre Rolle im Klassenkampf maßgeblich. Die Proletarisierung des Dienstleistungssektors hat in den alten Metropolen neue Schichten von Lohnabhängigen geschaffen, die auch in Kämpfe eingetreten sind, wie etwa im Reinigungsgewerbe, im Großhandel und in den Fast-Food-Ketten beim Kampf für einen Stundenlohn von 15 $ („Fight for 15“) in den USA.
10.
Es ist nicht wahr, dass die Prekarisierung die Arbeiterklasse außerstande setzt, bedeutende Kämpfe zu führen und eine revolutionäre Rolle zu spielen. In der Vergangenheit hatte ein bedeutend prekärerer Status der Arbeiter*innen und das Fehlen einer Großindustrie das Pariser Proletariat nicht davon abgehalten, anlässlich der Commune den „Himmel zu stürmen“ … und auch heute finden die Arbeiter*innen Wege der Mobilisierung, trotz der Hindernisse, die ihnen durch die kapitalistische Offensive in den Weg geworfen werden: Der größte Streik in Frankreich seit Jahrzehnten ‒ was Dauer und Beteiligung angeht ‒ war der Streik der Sans Papiers 2009/2010, bei dem 6000 Streikende (darunter 1500 Leihkräfte) in Streikkomitees organisiert waren, und zwar über 10 Monate hinweg. Mit einer internationalen Umstrukturierung der Industrie hat die kapitalistische Globalisierung neue Arbeiterklassen in den Ländern des globalen Südens geschaffen, deren Mobilisierungen in der jüngsten Vergangenheit ihre Kraft unter Beweis gestellt haben: die Streikwellen, die China seit 2010 erlebt, die massiven Streiks 2015 in Bursa (Türkei), die Bildung kämpferischer Massengewerkschaften in Indonesien, die Rolle der Gewerkschaftsbewegung und der Streiks bei der Abdankung der südkoreanischen Ministerpräsidentin 2016, …
Die weltweite Arbeiterklasse hatte nie zuvor eine solche Stärke, und dies verleiht ihr die Fähigkeit, die Gesamtheit der Unterdrückten zusammenzubringen, um mit der Herrschaft des Kapitals Schluss zu machen. Es geht darum, auf der politischen Ebene und auf der Grundlage der politischen Klassenunabhängigkeit zur Organisierung des Proletariats beizutragen und in seinen Reihen eine systematische politische Intervention zu entwickeln. Unser zentrales Anliegen liegt daher in der Aufgabe, Klassenbewusstsein herzustellen oder wiederherzustellen.
11.
„Das Proletariat macht verschiedene Entwicklungsstufen durch. Sein Kampf gegen die Bourgeoisie beginnt mit seiner Existenz“ hielten Marx und Engels im Kommunistischen Manifest fest und beschrieben den unaufhörlichen Kampf des Proletariats, um sich zu organisieren „und damit zur politischen Partei“ zu werden. Dieser Kampf verläuft heute auf internationaler Ebene und das Proletariat entwickelt täglich seine Aktivität, die Druck auf die gesamte Gesellschaft ausübt, auch wenn die alten Parteien der Arbeiterklasse zusammengebrochen sind oder sich in die bürgerliche Ordnung integriert haben und sich ihre Gewerkschaften in der Klassenzusammenarbeit festgefahren haben. Die internationale Konkurrenz, der die Arbeiter*innen heute unterworfen sind, untergräbt die Vorteile der Lohnabhängigen in den stärksten entwickelten kapitalistischen Ländern, auf die sich die Bourgeoisien und ihre Staaten bislang stützten, um einen allgemeinen Konsens in der Grundausrichtung ihrer Politik durchzusetzen und die Klassenzusammenarbeit aufrechtzuerhalten. Diese Zeit ist vorüber.
Die Bourgeoisien und ihre Staaten sind bestrebt, das Proletariat als Verbündete in ihrem Wirtschafts- und Handelskrieg unter dem Banner des Protektionismus und des Nationalismus, des Nationalliberalismus, zu gewinnen. Die Arbeiterbewegung ist in der Defensive, aber sie befindet sich in einem langen und tiefgreifenden Prozess der Reorganisierung, in dem wir mitwirken wollen, um zu ihrer Organisierung als Klasse „und damit zur politischen Partei“ beizutragen.
Eine revolutionäre Strategie definieren
12.
In einer Zeit, in der die Parteien der Arbeiterbewegung und die nationalistischen Strömungen, die die Kolonialrevolutionen angeführt haben, zusammengebrochen sind, ist die Aufwärtsentwicklung des Proletariats zur Zielscheibe einer globalisierten reaktionären Offensive geworden. Damit stellen sich die strategischen Fragen unter neuen Vorzeichen.
Die Entwicklung des Kapitalismus hat mehrere Konsequenzen für die Aktualität der revolutionären Strategie. Wir versuchen, das Wesentliche zusammenzufassen.
Mit dem Rückgang der imperialistischen Extraprofite tendiert die Entwicklung dazu, die materiellen Grundlagen des Reformismus zu untergraben, was bisher das Bindemittel für die Klassenzusammenarbeit war. Gleichzeitig erleben wir eine gewaltige Konzentration des Reichtums und eine Verstärkung der Ungleichheit, der Verarmung. Die Diktatur des Kapitals lässt den Staaten und den Politikern, die ihr dienen oder ihr etwas entgegensetzen wollen, ohne das System infrage zu stellen, keinen Spielraum. Illustriert wird das bspw. durch das Drama Griechenlands und Tsipras‘.
Dies verleiht dem Internationalismus einen konkreten Inhalt, der mit dem täglichen Leben von Millionen Arbeiter*innen verbunden ist. Die soziale Frage und die internationale Frage werden als viel stärker miteinander verknüpft wahrgenommen, als sie es in der Vergangenheit sein konnten. Die wachsende Instabilität der internationalen Beziehungen ist ein Ergebnis der Bedrohung der Staaten gegenüber den Arbeiter*innen und den Völkern wie auch der Rivalität unter den Großmächten oder zwischen den Großmächten und den Regionalmächten …Diese Instabilität öffnet neue Möglichkeiten für die Intervention der ausgebeuteten Klassen.
Die neoliberale und imperialistische Offensive hat die alten politischen Beziehungen auseinanderbrechen lassen, auch in den stabilsten Ländern des alten kapitalistischen Europas. Die Präsidentschaftswahl in Frankreich war eine neue Illustration dieser Entwicklung. Die Parteien wie auch die Institutionen stehen völlig unter der Fuchtel des Kapitals, abhängig und ohne Spielraum. Für die heute in den Parlamenten vertretenen Parteien ist die Gegenüberstellung links ‒ rechts weitgehend inhaltsleer geworden. Die einzige fortdauernde Gegenüberstellung, unser Kompass, ist die Spaltung in Klassen, der unversöhnliche Gegensatz zwischen Proletariat und Bürgertum, zwischen den ausgebeuteten Klassen und der kapitalistischen Klasse.
Der Kampf gegen den Aufstieg der reaktionären, nationalistischen, neofaschistischen oder fundamentalistischen Kräfte, die durch die sozialen Zersetzungsprozesse entstanden sind, welche die kapitalistischen Klassen mit ihrer Politik verursacht haben, ist heute die zentrale politische Frage. Die Reaktion auf diese Entwicklungen und das Ergebnis dieses Kampfes sind Teil der Klassenpolitik für die revolutionäre Umwälzung der Gesellschaft.
13.
Der Fundamentalismus in seinen radikalsten Formen, dem Terrorismus und Djihadismus, ist ein Ergebnis der Politik der Großmächte; er ist darüber hinaus auch eine Folge der weltweit umgesetzten neoliberalen Politik, die das Elend hervorruft und die Ungleichheit in nie dagewesener Weise noch verstärkt.
Es wäre ein Fehler, wenn wir in den reichen Ländern eine Rangfolge der Bedrohungen aufstellen wollten. Die Gefahren eines westlichen Neofaschismus werden durch die Bedrohungen des religiösen Fundamentalismus verstärkt. Beide sind sie Feinde des Fortschritts, der Demokratie und der Freiheiten, sie sind Feinde der Arbeiter*innen wie der Völker, die sie unterwerfen wollen.
Der Kampf gegen den Aufstieg der reaktionären, rechtsextremen, faschistischen oder fundamentalistischen Kräfte ist ein globaler Kampf gegen soziale und politische Zersetzung, hervorgerufen durch die Politik der kapitalistischen Klassen.
Eine solche Konstellation, in der die nationale und die internationale Lage, die soziale und die politische Frage in sehr komplexer Weise verbunden sind, macht die simplen Gegenüberstellungen des Campismus (des Lagerdenkens) völlig untauglich, um nicht zu sagen gefährlich. Wir wenden uns gegen alles, was uns in der einen oder anderen Weise in die Falle eines Kriegs der Zivilisationen, des Kommunitarismus führen würde. Wir bestimmen und entwickeln unsere Politik gemäß den Interessen der internationalen Arbeiterklasse und sind bestrebt, eine Politik umzusetzen, die es ermöglicht, den demokratischen, solidarischen, antirassistischen Erwartungshaltungen der unteren Volksschichten einen Inhalt zu geben.
Unser Vorgehen ist darauf ausgerichtet, die politischen Zielsetzungen der Großmächte zu verdeutlichen. Dabei geht es uns u. a. darum, die Verbindung zwischen dem sozialen Krieg der verschiedenen Bourgeoisien gegen die Arbeiter*innen und dem Krieg gegen die Völker herauszustellen. Und es geht um die Verbindung zwischen der globalisierten Konkurrenz und den Rivalitäten der Großmächte auf der internationalen Ebene. Wir prangern den vorgeblichen Kampf der westlichen Mächte gegen den Terrorismus und den radikalen Islamismus an, der nur zum Krieg führt, und wir prangern genauso den religiösen Fanatismus an, der darauf abzielt, die Bevölkerungen zu unterdrücken.
Ganz unmissverständlich prangern wir diese Kräfte an und bekämpfen sie, wir sind mit den progressiven Bewegungen solidarisch, die gegen diese angehen oder Widerstand leisten, während wir gleichzeitig die Propaganda der Großmächte anprangern, die einen neuen „Zusammenprall der Zivilisationen“ behaupten, um ihre Politik zu rechtfertigen. Unsere Solidarität hat rein gar nichts mit der Politik der herrschenden Staaten gemein. Unser Kampf für Frieden, Demokratie und das Recht der Völker ist untrennbar mit unserem Kampf für den Sozialismus verbunden.
14.
In diesem Zusammenhang des Aufstiegs reaktionärer Kräfte, die sich aufgrund der Auswirkungen der kapitalistischen Globalisierung entwickeln, kommt dem Kampf der Frauen für die Gleichstellung und Gleichberechtigung der Geschlechter eine besondere Bedeutung zu. Er wird zu einem bestimmenden revolutionären Faktor. An diesem Kampf beteiligen wir uns auf allen Ebenen, am Arbeitsplatz, in den Wohnvierteln, in der Ausbildung. Wir unterstützen die demokratischen Forderungen gegen männliche Vorherrschaft und gegen die patriarchale Familie, welche eine Konsequenz des Privateigentums und eine Form der Unterdrückung und Beherrschung der Frauen und der Jugend ist, die immer weniger mit der heutigen Welt und sozialem Fortschritt in Einklang zu bringen ist.
Die Frauen sind die ersten Betroffenen der Ausbeutung wie auch der verheerenden Folgen der kapitalistischen Globalisierung für die ganze Gesellschaft. Ihr Kampf ist der Kampf aller Ausgebeuteten und Unterdrückten. Die Unterdrückten dürfen nicht gegeneinandergestellt werden und der Kampf der Frauen darf nicht dem der Männer gegenübergestellt werden. Wir engagieren uns dafür, dass die gesamte Arbeiterbewegung sich die Kämpfe der Frauen für politische und soziale Emanzipation zu eigen macht. Die beiden Kämpfe bilden ein gemeinsames Ganzes. Wenn die Frau die Proletarierin des Mannes ist, dann kann dieser seine Ausbeutung nur abschütteln, wenn er die Frau als gleichberechtigt ansieht.
Der Kampf für die Gleichheit der Geschlechter ist mit dem Kampf gegen den Fundamentalismus und die religiös begründeten Vorurteile verbunden, schließlich rechtfertigen und verteidigen alle Religionen die Unterdrückung der Frauen.
15.
Unsere Solidarität mit den Völkern kann sich nicht auf die vorgebliche „Völkergemeinschaft“ beziehen, und auch nicht auf die UNO, deren schwindende Funktion darin besteht, der Politik der Großmächte ein demokratisches Mäntelchen umzuhängen. Im Gegensatz dazu betonen wir unermüdlich die notwendige Solidarität der Arbeiter*innen und Völker untereinander, die als allein einen Ausweg aus der aggressiven und militaristischen Politik der Großmächte bietet, die mit ihren Manipulationen die Völker gegeneinander aufhetzen.
Unser Internationalismus ist Ausdruck unseres ständigen Bemühens um eine von der Bourgeoisie unabhängige Politik der Arbeiterklasse, einer Politik, die mit dem Kampf gegen die eigene Bourgeoisie verknüpft ist.
16.
Die Erfahrungen und die Bilanz der strategischen Zielsetzung des Aufbaus „breiter Parteien“ ohne klare programmatische und strategische Abgrenzung veranlassen uns, diese Zielsetzung zur Diskussion zu stellen. Diese Strategie basierte auf den Neu- und Umgruppierungsprozessen, die durch den Zusammenbruch der UdSSR und der Kommunistischen Parteien ausgelöst worden waren. Sie stellt nicht die neuen Bedingungen dieser Periode in Rechnung, egal wie wir diese Veränderungen einschätzen.
Die gegenwärtige Entwicklung verstärkt den Grundgedanken, dass für einen Sturz der bestehenden Gesellschaftsordnung die Arbeiterklasse sich organisieren und den Kapitalismus in seiner Gesamtheit, als System, bekämpfen und sich für eine revolutionäre Transformation der Gesellschaft einsetzen muss. Die Erfahrungen der Arbeiterbewegung aus mindestens anderthalb Jahrhunderten lehren uns, dass für diesen Kampf eine radikale und politisch gut gerüstete Partei erforderlich ist, die die marxistische Herangehensweise aufgenommen hat, kurz: eine revolutionäre, sozialistische, kommunistische Partei. Es gibt keinen dritten Weg.
Entweder die organisierten Arbeiter*innen und die Jugend sind sich nicht nur der Gefahren bewusst, die mit der Fortexistenz des Kapitalismus für die gesamte Menschheit einhergehen, sondern auch der Notwendigkeit und der Möglichkeit, dass die Arbeiterklasse die Entscheidungsgewalt durchsetzt und bestimmen kann, wohin sich die Gesellschaft entwickelt, mit anderen Worten die Macht erobern kann, oder aber die Gesellschaft wird in der Falle der verschiedenen Sackgassen des Reformismus gefangen bleiben, wie wir das oft genug erlebt haben – was den reaktionären und rechtsextremen Kräften den Weg öffnet.
Eine revolutionäre Partei kann nicht proklamiert werden. Sie entsteht in den Kämpfen und wird nur dann eine bestimmende Rolle spielen, wenn sie eine Massenpartei sein und die politischen und organisatorischen Mittel haben wird, eine konsequente revolutionäre Orientierung zu bieten, Massenkämpfe zu organisieren und der fortgeschrittenste Teil bedeutender Sektoren der Arbeiterklasse zu sein. Wenn die Kämpfe und die Mobilisierungen die notwendigen Voraussetzungen für das Wachstum der revolutionären Kräfte bilden, so erfordert diese Entwicklung auf der anderen Seite aber auch die Existenz eines organisierten Kerns, vereint auf der Grundlage eines gemeinsamen Bewusstseins, das auf einer Vision von der Zukunft der menschlichen Gesellschaft basiert, kurz: auf der Vorgehensweise eines Übergangsprogramms.
Wir sind uns sehr wohl bewusst, dass diese Massenpartei nicht das Ergebnis eines linearen Wachstums einer kleinen Organisation sein wird, ganz gleich, um welche es sich dabei handeln mag. Deshalb sind wir bestrebt, die revolutionären Kräfte, Organisationen und Aktivist*innen zusammenzubringen, die gegen das Kapital und die bürgerliche Gesellschaftsordnung, für die Abschaffung des kapitalistischen Systems und für den Sozialismus, kämpfen. Wir kennen den Preis, den die ausgebeutete Klasse aufgrund der reformistischen Illusionen bezahlt hat, und die Gefahren, die die verschiedenen Varianten des Reformismus darstellen, einschließlich die des linken Populismus. Wir wissen, dass das Proletariat die Erfahrungen mit den Sackgassen des reformistischen Wegs immer teuer bezahlt hat. Folglich dürfen unsere Anstrengungen für politische und organisatorische Umgruppierungen auf gar keinen Fall irgendwelche Missverständnisse aufkommen lassen: Eine Verbindung, ein Zusammengehen von revolutionären und reformistischen Kräften kann im Endeffekt nur die Kraft unseres Programms und unserer Intervention schwächen. Im besten Fall können daraus zentristische Organisationen entstehen, die aber auch nicht in der Lage sind, eine revolutionäre Partei aufzubauen, die bereit ist, den Kampf um die Macht voranzutreiben. Mangels Kraft und Bereitschaft, eine revolutionäre Perspektive zu skizzieren, passt sich eine solche Organisation elektoralistischer Politik an und läuft damit Gefahr, unser Ziel des Sturzes des kapitalistischen Systems auf den Sankt Nimmerleinstag zu verschieben.
Die Erfahrungen mit den sogenannten breiten Parteien (die also revolutionäre und reformistische Kräfte umfasst) haben nirgendwo zum Aufbau einer revolutionären Partei geführt, was eine unabdingbare Voraussetzung für den entscheidenden Kampf der Arbeiterklasse ist. Klar und unmissverständlich zu sein in dem, was wir wollen, ist eine Bedingung, um in der Lage zu sein, revolutionäre Kräfte zusammenzubringen, Kader heranzubilden, neu politisierte Kräfte zu überzeugen und größere Kräfte davon zu überzeugen, in gemeinsamen Fronten, in neuen Organisationen und – später – in einer revolutionären Massenpartei zusammenzugehen. In dieser Richtung voranzugehen, impliziert, dass wir die zentralen Elemente eines Übergangsprogramms für das 21. Jahrhundert definieren und seine Anpassung für die unterschiedlichen Regionen der Welt entwickeln, insbesondere für Europa, und ‒ darauf aufbauend ‒ die Grundlagen und den Rahmen entwickeln, mit denen wir den Organisationsaufbau mit Initiativen für eine Umgruppierung der Antikapitalist*innen und Revolutionär*innen verbinden können.
Dies ist eine politische und programmatische Arbeit, die nur kollektiv zu bewältigen ist und die Zeit und Energie erfordert, aber es ist eine unentbehrliche und unumgängliche Arbeit.
17.
Der große weltweite Umschwung ist keine leere Formel. Er vollzieht sich auf dramatische und blutige Weise und zwingt uns, alles zu überdenken. Wie können wir zur Herausbildung einer revolutionären Bewegung auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene beitragen? Diese Frage stellt sich uns unter neuen Vorzeichen.
Es geht darum, eine Strategie der Umgruppierung der Antikapitalist*innen und der Revolutionär*innen zu entwickeln, die auf einem Programm der revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft basiert und von den Grundbedürfnissen der Ausgebeuteten ausgeht: garantiertes Einkommen, eine menschenwürdige Rente, die Beseitigung der Erwerbslosigkeit mittels Verteilung der Arbeit auf alle Hände, die Verteidigung der Öffentlichen Dienste und schließlich die Stellung der Machtfrage, um die Schulden zu annullieren, eine Öffentliche Monopolbank zu schaffen und die große Industrie- und Handelskonzerne zu vergesellschaften.
Diese Strategie und dieses Programm sind den Ländern und Situationen entsprechend anzupassen, aber sie folgen einer Übergangslogik, die die Frage der Macht der Arbeiter*innen und der Bevölkerung stellt, um die Schulden aus der Welt zu schaffen und die Banken und Konzerne außerstande zu setzen, weiteren Schaden anzurichten.
Wir müssen in der Lage sein, aus den Niederlagen der Vergangenheit wie auch aus den gegenwärtigen Umwälzungen die Elemente herauszuarbeiten, die in Richtung einer revolutionären Transformation der Gesellschaft weisen, um uns in die Lage zu versetzen, bei der unabhängigen Organisierung der Arbeiterklasse zu helfen, damit sie fähig ist, die sozialen, demokratischen und ökologischen Forderungen der anderen Gesellschaftsklassen, der ganzen Gesellschaft, zu unterstützen.
Während die reaktionären Kräfte als Reflex auf die Verheerungen der Globalisierung mit der Verzweiflung und den Ängsten der unteren Gesellschaftsschichten spielen, um ihre fremdenfeindliche und nationalistische Propaganda zu verbreiten, müssen wir ‒ auf der Gegenseite, im Lager der Arbeiter*innen ‒ an der Umgruppierung arbeiten, am Bruch mit dem Kapitalismus und seinen Institutionen.
Wir wollen auf die Einheit der ausgebeuteten Klassen und ihrer Organisationen hinwirken, und zwar auf der Basis dieser Klassenunabhängigkeit.
Wir sind uns sehr wohl der Schwierigkeiten der aktuellen Periode bewusst, die sich aus dem Zusammenbruch der alten Parteien ergeben und die für Demoralisierung, Desorientierung und Ratlosigkeit sorgen, während die bürgerlichen und reaktionären Kräfte in der Offensive sind. Aber wir denken, dass in diesem Kontext der Zersplitterung der antikapitalistischen und revolutionären Kräfte die IV. Internationale eine wichtige Rolle zu spielen hat.
Auf den Aufbau einer neuen Internationale hinwirken, die Antikapitalist*innen und Revolutionär*innen vereinigt
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Genauso wenig wie die anderen internationalen Gruppierungen kann die IV. Internationale beanspruchen, dass sie allein die Zukunft der revolutionären Bewegung darstellt. Sie muss auf neue Sammlungen hinarbeiten, um Marksteine für eine neue revolutionäre Internationale zu setzen.
Die Zukunft hängt von denen ab, die in der Lage sein werden, an der Sammlung der revolutionären Kräfte in einer gemeinsamen Bewegung mitzuwirken und dabei mit den sektiererischen und antidemokratischen Praktiken der Vergangenheit zu brechen, die die revolutionäre Bewegung zersplittert haben.
Die große Instabilität, die heute in der Welt herrscht, eröffnet über kurz oder lang neue Möglichkeiten, bei denen die antikapitalistische und revolutionäre Bewegung sich die Mittel verschaffen muss, um darauf reagieren zu können. Wir allein können nicht den revolutionären Internationalismus verkörpern. Wir müssen bestrebt sein, die Revolutionär*innen aus verschiedenen Traditionen zusammenzubringen, ausgehend von einer Annäherung in der Sicht auf die Lage und die Aufgaben.
Um uns in die Lage zu versetzen, bei der Sammlung der Kräfte, die sich auf den revolutionären Marxismus berufen, behilflich zu sein, müssen wir uns um die Ausarbeitung strategischer und programmatischer Antworten für die gesamte Bewegung bemühen und die Diskussion eines sozialistischen, revolutionär-kommunistischen Programms auf die Tagesordnung setzen.
Unabhängig von den unterschiedlichen Taktiken, die die Revolutionär*innen beim Aufbau ihrer Partei entsprechend den Bedingungen und Situationen in den einzelnen Ländern anwenden, bleibt der Aufbau von revolutionären Parteien, von Parteien für die Machtergreifung, für den Sozialismus und den Kommunismus die strategische Zielsetzung.
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