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China: Zehntausende in Beijing auf die Straße geworfen

Eingereicht on 29. November 2017 – 18:02

Wolfgang Pomrehn. Im Namen der Gebäudesicherheit werfen Beijings Behörden Wanderarbeiter aus ihren Wohnungen und exponieren sie der Polizeirepression.

Dass Menschen gnadenlos mit Polizeigewalt aus ihren Wohnungen vertrieben und in die Obdachlosigkeit gestoßen werden, passiert offensichtlich nicht nur in Berlin, sondern auch im boomenden China. Die in Hongkong erscheinende Tageszeitung South China Morning Postschreibt über repressives Vorgehen der Behörden gegen Wanderarbeiter in Chinas Hauptstadt Beijing (Peking).

Die Zeitung berichtet, dass in den letzten Tagen zehntausende Wanderarbeiter aus ihren Wohnungen vertrieben worden seien. Sie hätten innerhalb weniger Tage ihre Sachen packen müssen, zum Teil seien sie nur Stunden vor der Räumung informiert worden. In Beijing herrschen derzeit Temperaturen um den Gefrierpunkt. Nachts sinkt das Thermometer unter Null Grad.

„Kampagne für Sicherheit“

Hintergrund der Aktion ist ein Brand in einem unzulänglichen Wohngebäude letzte Woche, bei dem 19 Menschen ums Leben kamen. Seitdem werde eine Kampagne durchgeführt, mit der die Sicherheit in „nicht lizensierten“ Wohnhäusern erhöht werden soll. Eine Rolle mag aber auch das Bestreben der Beijinger Behörden spielen, die Einwohnerschaft der Metropole zu beschränken, die derzeit bei 21,7 Millionen liegt und allein zwischen 2010 und 2015 um zwei Millionen zugenommen hatte.

Bemerkenswert an dem Vorgehen der Behörden ist nicht nur, dass so viele Bürger zu Beginn des Winters einfach auf die Straße gesetzt werden, sondern auch, dass offensichtlich Hilfsangebote unerwünscht sind. Die Autorin der South China Morning Post berichtet von einem Beijinger, der ein kleines Zentrum zur Unterstützung von Wanderarbeitern betrieb.

Als er Betroffenen öffentlich anbot, sie könnten ihr Hab und Gut bei ihm unterstellen und auch in den Räumen übernachten, bekam er Besuch von der Polizei. Er musste nicht nur seine Ladenräume schließen, sondern schließlich auch seine darüber gelegene Wohnung verlassen.

In diversen Fällen seien außerdem ähnliche Hilfsangebote von Bürgerinitiativen aus den sozialen Netzwerken gelöscht worden. Dabei handelt es sich zumindest zum Teil um regulär registrierte Organisationen, denen dieser Status offenbar in diesem Falle nichts genutzt hat.

Repressiver Kurs

Die Autorin bringt den Vorgang mit einer Tendenz zur verstärkten Kontrolle und Gängelung unabhängiger Organisationen in Verbindung. Das ist seit der Amtsübernahme des derzeitigen chinesischen Präsidenten und Parteichefs Xi Jinping vor fünf Jahren zu beobachten, wobei sich der repressive Kurs nach diversen Berichten zunehmend verschärft.

Möglich werden die Zwangsräumungen auch, weil China traditionell keine Freizügigkeit kennt. Den Bürgern wird nach dem sogenannten Haushaltsregistrierungssystem (Hukou) ein Ort, meist der Geburtsort, zugewiesen. Dennoch leben in den Städten nach unterschiedlichen Angaben rund 280 Millionen Wanderarbeiter.

Ähnlich Systeme gibt es auch in einigen ostasiatischen Nachbarländern der Volksrepublik, und die Anfänge dieses Systems reichen mehrere Jahrtausende zurück. Seit mindestens zwei Jahrzehnten gibt es immer wieder Diskussionen über Lockerung oder gar Abschaffung des Systems. Widerstand gibt es unter anderem von den Behörden der großen Städte, die dann Mehrausgaben für soziale Sicherungssystem und Bildung hätten.

Bildung von Slums verhindern

Die häufigste heutzutage zu hörende Begründung für das System ist, dass es die Bildung von Slums verhindern soll. Ein Vergleich mit vielen anderen Entwicklungsländern zeigt, dass diese tatsächlich weitestgehend gelungen ist. Allerdings müsste China inzwischen die Ressourcen haben, allen Bürgern in den Städten ausreichenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Aktuell kann man oft ein Hukou, das heißt, ein Niederlassungsrecht, für eine Stadt erwerben, wenn man über das nötige „Kleingeld“ verfügt. Es hat auch Fälle wie den der Megametropole Chongqing am mittleren Lauf des Yangtse gegeben, in der zeitweise die Hukous sehr großzügig verteilt wurden. In den letzten Jahren gab es einige Verbesserungen und im Zuge der angestrebten weiteren Urbanisierung des Landes sind vermutlich weitere zu erwarten.

In der Praxis bedeutet das Fehlen des formellen Niederlassungsrechts bisher, dass Wanderarbeiter an ihrem effektiven Wohnort nur begrenzten oder gar keinen Zugang zu den kommunalen sozialen Leistungen wie etwa Arbeitslosenunterstützung haben. Auch können sie ihre Kinder meistens nicht auf öffentliche Schulen schicken. Diese müssen daher bei Verwandten auf den Dörfern leben – ein Bericht des britischen Senders BBC sprach im letzten Jahr von 61 Millionen zurückgelassenen Kindern – oder Privatschulen besuchen.

Quelle: Telepolis… vom 29. November 2017

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