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Wo sind die politischen Alternativen zum Chavismus?

Eingereicht on 19. Dezember 2017 – 16:43

Basuca & azozomox. Die Regierungspartei PSUV (Partido Socialista Unido de Venezuela – Sozialistische Einheitspartei Venezuela) ist aus den Regionalwahlen vom 15. Oktober als überragender und vor allem überraschender Sieger hervorgegangen. Entgegen aller Prognosen und Erwartungen gewann sie in 18 der 23 Bundesstaaten; ein wahrhaftes Wahldebakel für das Oppositionsbündnis MUD (Mesa de la Unidad Democràtica – Tisch der Demokratischen Einheit), das nur 3 Monate zuvor 7,1 Millionen Wähler*innen in einem selbstorganisierten Referendum gegen die Einsetzung der vom Präsidenten einberufenen, verfassungsgebenden Versammlung mobilisiert haben will.

Das Oppositionsbündnis hat zuletzt bei den Parlamentswahlen im Dezember 2015, bei einer Wahlbeteiligung von 74%, mit 7,7 Millionen Wähler*innenstimmen (56,3%) eine 2/3 Mehrheit gewonnen; eine klare Absage der venezolanischen Wähler*innenschaft an die Regierung Maduro, auf deren Parteienkoalition 5,6 Mio Stimmen (40,9%) entfallen waren.

Bei den Regionalwahlen vom 15.Oktober, mit einer Wahlbeteiligung von 61,03%, entfielen 5,8 Millionen Stimmen (52,69%) auf die Regierungspartei und ihre Verbündeten und 4,9 Millionen (45,16%) auf das Oppositionsbündnis.

Der Stimmenverlust der Opposition im Vergleich zu ihrem letzten grossen Wahlsieg in den Parlamentswahlen 2015 beläuft sich auf 2,8 Millionen Stimmen. Wenn man die seit nunmehr vier Jahren anhaltende Wirtschaftskrise mit ihrer extrem hohen Inflation, der Verknappung von Grundnahrungsmitteln und Medikamenten, dem Zerfall der Infrastruktur in den Bereichen Gesundheit, Elektrizität, Transport und Kommunikation, sowie die menschliche Not, die sich aus ihr ergibt, in Betracht zieht, die Präsident Maduro’s Regierung mehr als nur Sympathien gekostet hat, stellt sich die Frage, weshalb die Opposition in den Regionalwahlen so schlecht abgeschnitten hat und welches die Faktoren sind, die zur ihrer Wahlniederlage beigetragen haben.

Politik der Eindämmung

Zunächst muss bemerkt werden, dass die Regionalwahlen mit zehnmonatiger Verspätung und unvollständig durchgeführt worden sind, insofern lediglich die Gouverneur*innen der 23 Bundestaaten gewählt wurden, nicht aber die Abgeordneten der jeweiligen Länderparlamente, die sich seit den letzten Wahlen von 2012 in ihrer absoluten Mehrheit noch aus der Regierungspartei PSUV zusammensetzen.

In der Verspätung der Regionalwahlen drückt sich nur einer der vielen Aspekte einer von der Regierung seit ihrer Wahlniederlage in den Parlamentswahlen 2015 systematisch betriebenen ‚Politik der Eindämmung‘ mit allen Mitteln aus, die zum Ziel hat, das von der Opposition beherrschte Parlament vollständig zu neutralisieren, da dieses mit seiner Zweidrittelmehrheit u.a. Dekrete des Präsidenten ablehnen, Volksabstimmungen zu Gesetzesprojekten und Verfassungsreformen veranlassen, Richter am Obersten Gerichtshof sowie den Generalbundesanwalt abberufen, und die Initiative für ein Abwahlreferendum des Präsidenten einleiten kann.

Das Hauptinstrument zur Neutralisierung des Parlaments ist dabei der Oberste Gerichtshof (TSJ), dessen regierungsloyale Richter und Stellvertreter in einem Schnellverfahren und unter Missachtung gesetzlicher Vorschriften eine Woche nach Ende der Legislaturperiode, am 23. Dezember 2015, vom scheidenden, noch regierungsbeherrschten Parlament, ernannt wurden. Am 30. Dezember 2015 wurden die Mandate von vier Abgeordneten des Bundesstaates Amazonas, davon drei der Opposition, vom TSJ im Rahmen einer einstweiligen Verfügung wegen angeblichen Wahlbetrugs für ungültig erklärt. In dem nachfolgenden, monatelangen Tauziehen zwischen Parlament und TSJ verlor die Opposition ihre Zweidrittelmehrheit, nachdem der TSJ diejenigen Beschlüsse des Parlaments für nicht rechtskräftig erklärte, die unter Beteiligung der fraglichen Abgeordneten verabschiedet wurden, woraufhin diese zurücktreten mussten, wollte das Parlament funktionsfähig bleiben. Der Wahlbetrug wurde nie nachgewiesen und es fanden bis heute keine Neuwahlen in Amazonas statt, womit dieser Bundesstaat ohne parlamentarische Vertretung blieb.

Der permanente „Krieg“ gegen das Parlament mit der wiederholten Annullierung der parlamentarischen Beschlüsse gipfelte Ende März 2017 in der Usurpation seiner Kompetenzen durch den TSJ und der Aufhebung der Immunität der Parlamentarier*innen. Damit allerdings lag ein so eklatanter Verfassungsbruch vor, dass sich die inzwischen ins Ausland geflohene Generalbundesanwältin Luisa Ortega Díaz zum Einspruch genötigt sah, und somit heftige Reaktionen im In- und Ausland den Präsidenten zwangen, den TSJ zur Rücknahme dieses Urteilsspruches aufzufordern – was auch umgehend geschah, und was vom Präsidenten als „Beweis für die Unabhängigkeit der Gewalten“ in Venezuela gefeiert wurde. Fortan richtete sich der Krieg des TSJ auch gegen die Bundesanwaltschaft, umso mehr, als die Generalbundesanwältin von grossen Teilen der Opposition zur neuen Leitfigur erkoren wurde.

Ein weiteres Instrument in Händen der Regierung zur Eindämmung des Parlaments und seiner Initiativen ist der Nationale Wahlrat (CNE), der nicht nur das ab Anfang Mai 2016 von der Opposition auf den Weg gebrachte Abwahlreferendum gegen den Präsidenten in einen regelrechten Hindernislauf verwandelte und es im Oktober desselben Jahres, auf Betreiben von vier Landgerichten, wegen “Unregelmässigkeiten bei der Unterschriftensammlung” auf unbestimmte Zeit zum Stillstand brachte, sondern auch die für Dezember 2016 fälligen Regional- und Kommunalwahlen willkürlich auf das Folgejahr verschob. Als diese dann im Oktober 2017 stattfanden, verhinderte der Nationale Wahlrat in den Wochen zuvor das Ersetzen von Kandidaturen, die zugunsten anderer zurückgetreten waren und veranlasste nur wenige Tage vor der Wahl die Verlegung von Hunderten von Wahllokalen. Im Bundestaat Bolivar jedoch prangert der Oppositionskandidat Andrés Velásquez, der die Wahl um 1471 Stimmen gegen den Regierungskandidaten Justo Noguera Petri verloren haben soll, einen direkten Wahlbetrug an. Er machte geltend, dass er im Besitz von Wahlunterlagen sei, die in 8 Wahllokalen aufzeigen, dass die Wahlergebnisse dort zu seinen Ungunsten vom CNE um 1829 Stimmen manipuliert worden seien. Zudem wies er darauf hin, dass er nach Angaben des CNE, bekanntgegeben noch am Wahlabend und nach 98% der ausgezählten Stimmen, einen Vorsprung von 5000 Stimmen hatte, zwei Tage später jedoch, also erst am Mittwoch – völlig unklar, warum für die letzten 2% der Stimmen 48 Stunden benötigt worden sind, jedoch hinten lag. Andrés Velásquez zieht hierfür politische Gründe ins Feld: “…Die Leute, die durch Geschäfte Privilegien erlangt haben, wollen diese nicht verlieren: Bergbau, Goldhandel, Benzinhandel, Koltanhandel. Die Mafias, die die Geschäfte mit Aluminium, Zement, Granit, Moniereisen kontrollieren, haben mit den Bewaffneten Streitkräften und der Regierungspartei PSUV zu tun“.

Warum ?

Wenn es also, ausser in dem Bundesstaat Bolivar, keinen massiven Wahlbetrug gegeben hat und das veröffentlichte Ergebnis tatsächlich im Grossen und Ganzen der Stimmung der Wähler*innen entspricht, stellt sich die Frage: Warum haben trotz der anderslautenden Umfragen im Vorfeld und den objektiv schlechten Bedingungen im Land so viele für den Chavismus und so wenige für die Opposition gewählt? Was waren die Beweggründe ?

Demotivierte Wähler*innenschaft

Die unerbittliche Eindämmung und progressive Eliminierung der Befugnisse des Parlaments seitens des TSJ und seine Reduktion auf ein deklaratives, real ohnmächtiges Organ, in Kombination mit einer fehlenden Einheitsstrategie des Oppositionsbündnisses, den Herausforderungen effektiv und konsequent zu begegnen, hat zweifelsohne zur Demotivierung wenn nicht Resignation eines grossen Teils ihrer Wähler*innenschaft beigetragen, was sich nun im Ergebnis der Regionalwahlen niederschlägt, aus welchen die Opposition mit nur fünf Gouverneur*innen hervorgegangen ist. Am 23. Oktober haben sich vier der fünf gewählten Gouverneur*innen der Opposition vor der umstrittenen, Verfassunggebenden Versammlung (Asamblea Nacional Constituyente, ANC) eingeschworen: Ramon Guevara (Mérida), Laidy Gomez (Táchira), Alfredo Díaz (Nueva Esparta), Antonio Barreto Sira (Anzoátegui). Präsident Maduro liess verlautbaren, dass die ehemaligen Kandidaten der Regierungspartei, die in den fünf Staaten gegen die Opposition verloren haben, zu „Beschützern des Volkes“ (Protector del Pueblo) ernannt werden sollen. Die Figur der „Protektorate“ ist in der Vergangenheit erfolgreich vom Chavismus als Mechanismus eingesetzt worden, um sich über gewählte Oppositionsfunktionäre hinwegzusetzen und eine parallele Kontrollinstanz zu errichten. Ein weiterer Faktor, der im Rahmen der ‚Politik der Eindämmung‘ zur Entmutigung vieler Wähler*innen führen kann, an den ausstehenden Bürger*innenmeisterwahlen oder auch sogar den Präsidentschaftswahlen Ende 2018 teilzunehmen.

Fehler und Uneinigkeit der Oppositionsführung in Fragen der Strategie

Das Oppositionsbündnis hat auf die rasch aufeinanderfolgenden Herausforderungen ohne eine kohärente Strategie reagiert und permanent seine Methoden geändert, die von der Erzwingung des Rücktritts von Maduro, der Anzweiflung seiner venezolanischen Staatsangehörigkeit, einer Verfassungsänderung bis hin zum Abwahlreferendum reichten, wobei letztere die einzige Methode war, die eine breite Resonanz in der Bevölkerung erzeugte.

Die von März bis Juli 2017 wieder aufgenommene Strassenbarrikaden- und Konfrontationsstrategie der Opposition, die sogenannte “Guarimba”, die ihre Anhänger*innen zum Widerstand und Durchhalten gegen die Regierung mit dem Ziel aufrief, die als illegal erachtete Wahl der Abgeordneten zur Einsetzung einer Verfassunggebenden Versammlung (ANC) (siehe Artikel 347 der Verfassung) am 30 Juli zu verhindern, ist wegen ihrer verheerenden Bilanz auf Ablehnung gestossen: über 156 Tote, Hunderte von Verletzten und Verhafteten, sowie Sachschäden an öffentlicher Infrastruktur wie Transport und Kommunikation in den meisten Grossstädten.

Die “Guarimba”, führte zu monatelangen Blockaden von Strassen in grossen Teilen des Landes, nicht zum Zweck des Schutzes von anderen militanten Aktionen, sondern einzig deshalb, um die Menschen daran zu hindern, sich fortzubewegen. Betroffen von den Blockaden war im Allgemeinen die arbeitende Bevölkerung, die stundenlange Fussmärsche in Kauf nehmen musste, um an ihre Arbeitsplätze oder nach Hause zu gelangen, und in den seltensten Fällen Vetreter*innen der regierenden Clique. Angriffsobjekte waren, neben der einen oder anderen staatlichen Bank, vor allem öffentliche Massentransportmittel und Einzelhandelsläden. Auch wenn die Guarimba zumindest zu Beginn bei vielen auf Sympathie gestossen war, weil mit ihr die Hoffnung auf einen baldigen Sturz der Regierung verbunden war, wurde sie im Verlauf der Wochen selbst für ihre anfänglichen Verfechter*innen zum reinen Terror. Niemand lässt sich gerne von “einem vermummten jugendlichen Rotzlöffel” Geld abknöpfen, um zum nächsten Laden gehen zu dürfen. Die Guarimba war, weit davon entfernt, den Rücktritt Maduros zu erzwingen, ein Schuss in den eigenen Fuss. Sie wurde de facto von der Opposition organisiert und zum Teil bezahlt, doch am Ende spielte sie der Regierung Maduro in die Hände, da sie die Basis der Opposition gegen ihre eigenen Führer*innen aufbrachte. Nachdem die Wahl zur ANC nicht verhindert werden konnte; brach danach die Strassenkonfrontation abrupt ab.

Dazu kam, dass die Führung der MUD fast sämtliche möglichen politischen Fehler begangen hat, um geschwächt aus dieser Regionalwahl hervorzugehen. Unfähig, sich auf einen gemeinsamen Kurs zu einigen, begann – unbegreiflicherweise für viele Anhänger*innen und Aktivisten*innen der Opposition – die Diskussion um eine mögliche Teilnahme an den Regionalwahlen. Die einen riefen dazu auf, sich nach dem manifesten Wahlbetrug am 30. Juli bei der Wahl zur ANC, an keiner weiteren Wahl zu beteiligen, um der Regierung keine Legitimation zu geben, während andere ihre Stunde witterten und ihre Kandidat*innen zur Regionalwahl einschrieben.

Die radikalsten Parteien im Bündnis haben die Teilnahme an den Regionalwahlen abgelehnt (Vente Venezuela, zunächst auch Voluntad Popular) mit der Begründung, die Opposition legitimiere dadurch ein “diktatorisches” Regime und seine illegalen Machenschaften, nur um dann doch an denselben teilzunehmen, wie dies Voluntad Popular tat.

Indem die gleichen Politiker*innen, die über viele Monate vertreten hatten, dass der Offizialismus jeden legalen Rahmen verlassen habe und nur noch mit Hilfe gewaltsamer Proteste beseitigt werden könne, plötzlich eine Kehrtwende machten und ihren Anhänger*innen empfohlen, den Institutionen der “Diktatur” noch einmal zu vertrauen, verloren sie die letzte Glaubwürdigkeit.

Andere haben dagegengehalten, man könne der Regierung das Feld nicht kampflos überlassen und müsse sich in allen, nämlich auch in den de facto geschaffenen, ‚paralegalen‘ Strukturen einen Spielraum verschaffen (Parteien Acción Democrática, Primero Justicia, Un Nuevo Tiempo).

Sehr viel war der Opposition sowieso nicht geblieben, nachdem sie trotz jahrelangen Kampfs gegen den Chavismus nie einen kohärenten Vorschlag machen konnten, wie das Land aus der Krise geführt werden könnte. Viele Bekannten haben uns gesagt, sie seien vollkommen enttäuscht von der Regierung Maduro, aber die Oppostionskandidaten seien ja noch viel weniger wählbar. Die MUD ist nach diesem Debakel noch geschwächter als zuvor, mit miserabler Prognose für kommenden Wahlprozesse.

Auf der anderen Seite hat der Chavismus seine ganze massive Wahlmaschine ins Feld gefahren, von der Verteilung von Lebensmittel – Kisten (CLAP) wenige Tage vor der Wahl, über die beeindruckende Logistik zur Mobilisierung seiner Anhänger*innenschaft, bis hin zur massiven Nötigung der staatlichen Angestellten und Empfänger*innen von staatlichen Hilfen, für “ihre” Partei zu wählen, wie zum Beispiel dem Zwang, ein Foto von sich in der Wahlkabine mit ausgedrucktem Stimmzettel an den zuständigen Verantwortlichen der Partei zu schicken. Ausser der nach wie vor grossen Gruppe von authentischen Unterstützer*innen des “revolutionären Prozesses” gibt es auch es eine grosse Anzahl von Menschen, die die aktuelle Misere einer Situation vorziehen, wo sie der Willkür einer politischen Clique ausgeliefert wären, die ihre Verachtung für die arbeitende Bevölkerung in der Vergangenheit immer wieder manifestiert hat. Und dazu kommt eine sehr grosse Gruppe, vielleicht die Mehrheit der Wählerschaft der PSUV, die aus Angst vor Repressalien oder dem Verlust kleiner Privilegien weiter mitmachen, obwohl sie im Alltag nichts anderes tun, als gegen das verhasste Regime zu wettern. Daher vielleicht die verzerrte Wahrnehmung vor der Wahl, es gebe eigentlich nur noch Regierungsgegner*innen in Venezuela.

Von dieser tristen Realität auf ein Wiedererstarken des Basischavismus zu schliessen, wie es aus Kreisen des “real existierenden Internationalismus” jetzt tönt, ist allerdings weit hergeholt.

Es gibt keine Aufbruchstimmung in den Strassen von Venezuela, eher eine Atmosphäre dumpfer Resignation. So lange die fortschrittlichen Linken im Land es nicht schaffen, eine Alternative zum “Zweiparteiensystem des 20. Jahrhunderts” zu formulieren, die anstatt der Auswahl zwischen zwei miteinander konkurrierenden populistischen Mafias einen realistischen Weg hin zu einer funktionierenden solidarischen Wirtschaft aufzeigt, wird sich hier nicht viel ändern.

Ein zunehmender Teil der venezolanischen Bevölkerung beginnt sich inzwischen davon zu überzeugen, dass weder die Regierung noch die Opposition eine ernstzunehmende Lösung der Probleme des Landes anbieten, und sich in einem fruchtlosen Machtkampf aneinander abreiben. Die Zahl derjenigen, die sich nicht den polarisierenden Parteien zuordnen, wird inzwischen auf zwischen 25% und 40 % geschätzt.

Jenseits der vorherrschenden politischen Polarisierung haben sich zwar seit geraumer Zeit Bewegungen und Gruppen gebildet, wie Plataforma para la Defensa de la Constitución (Plattform für die Verteidigung der Verfassung von 1999), Marea Socialista, Unidad Política Popular 89, Movimiento Político Alternativo, um nur einige zu nennen) die sich aus dem sogenannten kritischen Chavismus zusammensetzen und u.a. ehemalige Minister aus der Regierung Chávez zu ihren Sprechern zählen, die jedoch (noch) nicht im Spektrum der politischen Parteien rangieren, zum Teil aufgrund ihrer systematischen Ausgrenzung durch den Nationalen Wahlrat CNE, wie im Fall von Marea Socialista, die 2015 als Partei nicht zugelassen worden waren.

Marea Socialista ruft dazu auf, die Verfassung von 1999 und die Demokratie zu verteidigen und eine politische Alternative zu entwickeln, sowie sich für ökonomische, soziale, ökologische und kulturelle Rechte einzusetzen. Sie fordern die komplette Offenlegung und Transparenz der Auslandsschulden und aller Zahlungen und Ausgaben der öffentlichen Hand. Aber diese demokratischen und ökonomischen Kämpfe würden die Notwendigkeit erfordern, “einen neuen politischen Raum zu schaffen, eine Alternative zu konstruieren, die wieder den Kurs für den Kampf um Emanzipation aufnähme”.

Wer auch immer diese sich neu zu formierende politische Kraft sein wird, dass sie entstehen wird, ist zwingend. In einer Situation, wo sich ein Drittel der Bevölkerung von den etablierten Parteien politisch nicht vertreten fühlt, wird sie sich ihren eigenen organisatorischen Ausdruck schaffen.

Was sind die Prognosen für den Ausgang des Konflikts? Grundsätzlich kann man nur darüber spekulieren, wie lange die Regierung Maduro sich noch halten kann – Wochen oder gar Jahre? Dass sie ihren “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” langfristig konsolidieren könnte, wie sie es immer noch beansprucht, halte ich für ausgeschlossen. Ihr Projekt ist gescheitert. Wann bricht es endgültig zusammen? Mehrere Faktoren sind für diese Prognose wichtig.

Können die Guarimbas die Regierung stürzen?

So gut wie ausgeschlossen. Die Regierung wird nicht gehen, weil auf den Strassen keine Autos mehr fahren können, sondern weil sie gehen müssen. Ob das Land vollkommen zum Erliegen kommt, ist ihnen eigentlich nicht so wichtig, solange sie in ihren Vierteln nicht angegriffen werden.

Erstens ist das Land dank ihrer selbstzerstörerischen Wirtschaftspolitik, die jede Eigeninitiative unterdrückt und eigentlich bestraft, sowieso fast paralysiert. Sehr viel kann man da nicht mehr runterfahren.

Zweitens ist die Guarimba objektiv eine Strategie, die der Regierung zugutekommt. Sie greift in erster Linie die normalen Bürger in der Ausübung ihrer alltäglichen Tätigkeiten an, und erzeugt selbst bei überzeugten Anhänger_innen der Opposition Frustration. Im Windschatten der Kämpfe werden immer wieder beliebige Läden geplündert, Busse angezündet, Unbeteiligte verletzt oder getötet. Wenn ich es nicht besser wüsste, müsste ich vermuten, die Guarimberos seien von der Regierung bezahlt und infiltriert. Die Oppositionssprecher_innen behaupten das auch immer wieder. Aber es stimmt nicht. Die Guarimberos sind authentische Kämpfer_innen für ihre Sache, beseelt von einem tiefen Klassenhass und einem vollkommen unreflektiereten Sendungsbewusstsein. Sie meinen es ernst. Die Friedfertigen in ihren Reihen verachten sie zutiefst. Tatsächlich wäre ja bei einer Ablehnung der Regierung durch ca. 80% der Bevölkerung eine friedliche Strategie, der sich alle anschliessen könnten, etwa nach Vorbild der Montagsmärsche 89, viel effizienter. Aber die Opposition ist so sehr in zerstrittene Fraktionen aufgespalten, dass so eine Strategiedebatte gar nicht ernsthaft geführt werden kann.

Drittens hat die Regierung eine entscheidende Karte bisher noch gar nicht gezogen, um ihr Image nicht noch weiter zu beschädigen: die Armee. Die GNB gehört zwar formal der Armee an, ihr Aufgabenbereich ist aber die innere Aufstandsbekämpfung, vergleichbar der Länderpolizei in Deutschland. Ich zweifle aber keinen Moment daran, dass die Regierung auch die reguläre Armee einsetzen würde, wenn die Sicherheitslage unkontrollierbar würde. Ob die Armee dann, wie viele aus der Opposition hoffen, aus lauter Patriotismus die Waffen niederlegen würde, ist allerdings zu bezweifeln. Es gibt zwar immer irgendwelche anständigen Leute, selbst unter Soldaten, aber die Regierung hat in den letzten Jahrzenten Unsummen von Geldern und Privilegien unter die Militärs verteilt, die es sehr unwahrscheinlich machen, dass sie die Seiten wechseln. Wohl eher erst im letzten Moment, wenn die Würfel schon gefallen sind, um sich der nächsten Regierung anzudienen. Nicht umsonst richtet die Regierung ein Hauptaugenmerk auf die Linientreue ihrer Truppen, und immer wieder gibt es Reinigungsaktionen, wo verdächtige Elemente eines Komplotts “überführt” werden.

Könnte die “schweigende Mehrheit” die Waagschale zum Kippen bringen?

Grundsätzlich schon. Ich denke, dass die Opposition in ihrer jetzigen Ausdrucksform nicht die Kraft hat, den Chavismus zu stürzen. Es sähe anders aus, wenn die Masse enttäuschter Chavisten, die bisher keine organisatorische und politische Vertretung haben, aktiv würden. Zum einen, weil es viele sind, wahrscheinlich die Mehrheit. Zum anderen, weil sie aus den Leuten besteht, die in der jetzigen Situation am meisten leiden und wirklich etwas zu gewinnen hätten: der arbeitenden Bevölkerung. Obwohl sich Maduro als Arbeiterpräsident bezeichnet, sind die Profiteure seiner Regierung doch alle anderen ausser den Arbeiter_innen. Wer in Venezuela irgendeine auch nur halbwegs produktive Betätigung ausübt, um sich über Wasser zu halten, ist in diesem “Arbeiterparadies” wirklich bestraft. Er oder sie hat weniger Möglichkeiten, stunden- bis tagelang in Schlangen zu stehen, um mal ein billiges subventioniertes Lebensmittel zu ergattern. Sein oder ihr Arbeitslohn reicht nicht für den Lebensunterhalt. Der Mindestlohn, den hier die meisten Lohnabhängigen bekommen, reflektiert gerade mal einen Fünftel des notwendigen Geldes, um eine Kleinfamilie auch nur zu ernähren, geschweige denn Kleidung, notwendige Dienstleistungen, Konsumgüter zu erwerben oder gar etwas zu sparen. Ausserdem sind es immer die Arbeitenden, die die notwendige Selbstlosigkeit aufbringen, um Opfer in der Gegenwart zu bringen für eine bessere Zukunft. Der Mittelschicht ist sowas eher nicht zuzutrauen.

Theoretisch also gäbe es das Potential. Aber es gibt ein Problem. Die meisten der Leute, die früher mal den Chavismus unterstützt haben, haben Skrupel, einfach so zu den Rechten überzulaufen. Es gibt da ja keinen Zweifel, was für ein Gesellschaftsmodell die wollen: Freier Markt ohne staatlichen Eingriffe, und ansonsten das gleiche wie die Chavisten: eine von der Erdölrente abhängige Importwirtschaft, nur dass die davon profitierende Clique ausgetauscht wird. Es müsste also ein neuer politischer Ausdruck sein, dem sie sich anschliessen könnten. Ein Sozialstaat, aber ohne die Korruption und Ineffizienz der derzeit herrschenden Mafia (Sozialismus, also Vergesellschaftung der Produktionsmittel, will und wollten hier sowieso noch nie so viele). Nun gibt es zwar die eine oder andere politische Gruppe, die in diese Richtung arbeitet. Ehemalige Funktionäre des Chavismus, die sich losgesagt haben, Abspaltungen des Chavismus wie “Marea Socialista”, oder Parteien wie die PSL, die sich nie in den Chavismus integriert hatten. Allen aber fehlt die notwendige Attraktivität, und alle werden von der Regierung durch Repression und diverse juristische und ökonomische Machenschaften bisher unter Kontrolle gehalten. Aber wir haben ja schon Situationen gesehen, wo die historische Situation ihre Organisationen quasi aus dem Boden gestampft hat. Überraschungen sind immer möglich.

Wird eine externe Militärintervention, z.B. von den USA, die Regierung stürzen?

Falls es sie gäbe, hätte sie ein leichtes Spiel. Die Venezolaner_innen sind nicht für einen längeren regulären oder Guerillakrieg bereit. Die Armee wäre in einer Woche kurz und klein bombardiert, und die famosen Milizen, die nach kubanischem Vorbild den Guerillakrieg im Falle einer Invasion führen sollten, sind nur eine Karikatur des Originals. Wahrscheinlich würden die meisten von ihnen ihre Gewehre an örtliche Kriminelle verkaufen und nach Hause gehen. Aber ist eine Invasion plausibel? Warum sollten die USA Geld und Personal opfern für etwas, was sie sowieso schon haben? Der Erölhandel läuft so reibungslos wie immer, und US-Firmen wie Halliburton machen heute bessere Geschäfte in Venezuela als vor Chàvez. Ausserdem wird gerade der sogenannte Arco Minero del Orinoco an Meistbietende verscherbelt, um Geld in die leeren Kassen zu bekommen. Eine prima Gelegenheit, langfristige Verträge über ungeahnte Mineralvorkommen im bisher naturgeschützten Regenwald zu bekommen. Und dann ist das Fiasko von Maduro doch ein wunderbarer Propagandaschlager, dass Sozialismus nicht funktioniert, und auch noch gratis. Warum also eingreifen?

Fazit

Auch wenn die grossen Medien weltweit immer wieder behaupten, das Maduro-Regime stünde kurz vor dem Sturz, ist das für mich nicht ausgemacht. Objektiv hätte die Opposition zwar die Möglichkeit, die Regierung zu kippen, aber real ist sie dazu nicht in der Lage. Ein Eingreifen von aussen ist nicht zu erwarten. Die Regierung dagegen wird sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln an die Macht klammern – nicht nur aus ideologischen Motiven, sondern schlicht aus Angst vor der Rache der Rechten, und vor der Strafe für die gigantische Plünderung öffentlicher Gelder unter ihrer Regie. Ihre Strategie ist einfach nur, Zeit zu gewinnen. So ist ihr derzeitiges Projekt, die Verfassung neu zu schreiben, ja nichts anderes als ein Manöver, um auf unabsehbare Zeit keine Wahlen abhalten zu müssen.

Die jetzige Patt-Situation könnte sich verändern, wenn ein neuer Mitspieler das Feld betreten würde: die Arbeiter_innen. Sie hätten die Kraft und die moralische Glaubwürdigkeit, die herrschende Mafia davonzujagen – schliesslich wird die Macht ja in ihrem Namen ausgeübt. Dass das geschehen könnte, ist derzeit allerdings nicht absehbar.

Aber auch ein anderes Szenario ist vorstellbar: ein fortschreitender Zerfall der Hegemonie des Chavismus ohne eine definitive Abgabe der Macht, hin zu syrischen Verhältnissen. Das ist wahrscheinlich auch die Entwicklung, wie sie von den USA und ihrem kolumbianischen Vasallen bevorzugt würde. Eine Spielwiese für arbeitslose kolumbianische Paramilitärs und Guerillas, ein dauerhaft geschwächtes Land, das weiterhin sein Erdöl in den Norden liefert, ein Vorwand für ständige US-Präsenz in der Region. Jede andere Auflösung des venezolanischen Konflikts wäre da vorzuziehen.

Wer kämpft hier eigentlich gegen wen und warum? Ich will im Folgenden die verschieden Positionen grob skizzieren.

Konfliktparteien

Der derzeitige Kampf wird zwischen zwei Gruppen ausgetragen: Der Regierung mit ihrer Partei und den ihr verbliebenen Getreuen auf der einen Seite (laut Umfragen ca. 20 Prozent der Bevölkerung Venezuelas) und auf der anderen Seite die Opposition, die etwa 30 Prozent vertritt. Der grosse Rest, der zwar die Maduro – Regierung auch ablehnt, sich aber von der Opposition nicht vertreten fühlt, und mehrheitlich aus enttäuschten Chávez – Anhänger_innen besteht, hat keine sichtbare politische Vertretung. Es ist zu vermuten, und teilweise auch durch Umfragen belegt, dass diese Mehrheit lieber ein irgendwie geartetes sozialorientiertes Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell hätte als die neoliberale Alternative, die von der Opposition angestrebt wird.

Dass diese Gruppe, die ja rein rechnerisch die Mehrheit der Bevölkerung darstellt, keine eigene Vertretung hat, liegt in erster Linie daran, dass der Chavismus in den vergangenen 18 Jahren alle linken Alternativen entweder absorbiert oder kriminalisiert hat. Unter Chavez wurden die linken Gewerkschaften zerschlagen und regierungsunabhängige Aktivist_innen systemathisch an den Rand gedrängt.

Die MUD auf der anderen Seite, also die offizielle Vertretung der Opposition, hat natürlich auch kein Interesse daran, Initiativen zu unterstützen, die ihrem Regierungsanspruch gefährlich werden könnten. So ähnelt das Parteienspektrum den Modellen der meisten “Demokratien”: Zwei scheinbar antagonistische Blöcke, zwischen denen die einzelnen wählen dürfen, die aber im Wesentlichen das gleiche wollen. So wie die Wahl zwischen Pepsi und Coca. In Venezuela ähnelt dieses Zweiparteiensystem dem Konflikt zwischen zwei Mafias, die sich um das Platzrecht streiten.

Die kriegsführenden Truppen

Auf Regierungsseite haben wir natürlich sämtliche Repressionsorgane des Staates, von der normalen Polizei über die Aufstandsbekämpfungseinheiten der Armee (GNB) bis zu den Geheimdiensten. Dazu kommen die sogenannten “Colectivos”, also paramilitärische Gruppen (eigentlich präziser parapolizeiliche, denn ihre Funktion ist die der inneren Aufstandsbekämpfung), die von der Regierung bewaffnet und so gut wie möglich geleitet werden, die auf billigen chinesischen Motorrädern fahren und bei den Krawallen helfen, die schmutzige Arbeit zu erledigen. Diese Colectivos rekrutieren sich aus Jugendlichen aus armen Stadtteilen, mit einem grossen Anteil Kleinkrimineller ohne tiefergehende politische Motivation. In Mérida wird die Funktion der Colectivos allerdings grösstenteils von den Tupamaros übernommen, die durchaus einen politischen Hintergrund und eine linke Geschichte haben.

Auf Oppositionsseite sind es vor allem rechte Studentenorganisationen, die kämpfen, mit breiter Unterstützung von Jugendlichen aus der Mittelschicht. Diese kämpfenden kleinbürgerlichen Jugendlichen haben einen hohen Grad von politischer Ignoranz und einen mörderischen Klassenhass auf die “Terrudos”, also die Armen, die vom Chavismus profitieren, und deren wenn auch nur temporären sozialen Verbesserungen sie ablehnen. Dazu kommen vereinzelt Söldner aus kolumbianischen paramilitärischen Gruppen, sowie auch hier Banden von Kleinkriminellen. Gerade bei den “Guarimbas” 2014 waren es diese Banden, die nach ein paar Wochen, als die politischen Organisator_innen Ermüdungserscheinungen zeigten, die Barrikaden gegen Bezahlung von der Opposition übernahmen und ein lukratives Mautgeschäft betrieben.

Kampfformen

Das wichtigste Kampfmittel der Opposition auf der Strasse ist die Barrikade. Die Barrikaden dienen in erster Linie dazu, den Verkehr zu blockieren. Sie haben für gewöhnlich keine taktische Funktion, etwa um Angriffe oder Versammlungen vor Polizeiangriffen zu schützen. Gerade in Mérida werden einfach wild Strassen mit Barrikaden aus Müll und Reifen zugemacht, oft auch auf dem flachen Land. Diese Barrikaden werden selten bewacht, oder oft nur von zwei, drei Personen. Die Leute respektieren sie trotzdem, weil schon mehrfach Passanten erschossen worden sind, wenn sie sich darangemacht haben, eine Barrikade abzubauen, etwa um nachHause zu kommen. Freunde haben beispielsweise beobachtet, wie zwei Leute mit Auto innerhalb von 15 Minuten drei Barrikaden aus Reifen aufgebaut haben und sie dann alleine brennen liessen. Da die Polizei sich in der Regel sofort bei den ersten Anzeichen von Krawall zurückzieht, und nur mit grossen Kontingenten an strategischen Punkten eingreift, lässt sich so mit geringen Mitteln und Personal natürlich schnell ein flächendeckendes Ergebnis erzielen.

Es gibt natürlich auch andere Barrikaden. Gerade in Caracas, wo die Opposition es mittlerweile wieder schafft, grosse Massen auf die Strasse zu bringen und versucht, in die Stadtmitte zu gehen, wo sich die verschiedenen Abteilungen der Regierung befinden, kommt es immer wieder zu erbitterten Kämpfen, weil die Verwaltung von Caracas dort ein allgemeines Verbot für regierungskritische Demonstrationen (nicht so für die eigenen!) ausgesprochen hat und die Leute am Weitergehen hindert. Dort haben die Barrikaden dann tatsächlich eine taktische Funktion, um sich vor Angriffen der Polizei zu schützen.

Aber der übliche Krawall spielt sich in Mérida folgendermassen ab: Aus einer abgeschlossenen Residencia (das sind private umzäunte und gesicherte Wohnanlagen, wo hauptsächlich die Mittelschicht wohnt, und die als nichtstaatliche Bereiche angesehen werden), kommt eine Gruppe halbstarker “Guarimberos” und zieht den Müll auf die davorliegende Hauptstrasse. Nach einer Weile kommt die GNB und schiesst aus der Entfernung Tränengas auf die Randalierer. Irgendwann kommt eine Gruppe Motorradfahrer (sog. Colectivos) und wird von der GNB durchgelassen. Die Guarimberos ziehen sich in ihre Residencia zurück und verschliessen das Tor. Die “Colectivos” stürmen die Residencia und ruinieren die Autos auf dem Parkplatz, unter fleissiger Mitnahme der Autoradios. Von den Dächern der Gebäude wird auf die Angreifer geschossen.

Oft werden bei den Barrikaden Drähte in Halshöhe gespannt, damit durchfahrende Motorradfahrer geköpft werden (bei den Guarimbas 2014 kamen so drei unbeteiligte Motorradfahrer ums Leben.

Grad der Repression

Man kann ständig in venezolanischen wie internationalen Medien lesen, wie brutal die Regierung hier friedliche Demonstrationen niederschlägt. Die Menschenrechtsstandards bei der GNB sind auf jeden Fall minimal, die beteiligten Soldaten neigen zu Misshandlungen und Sadismus, ganz zu schweigen von der gesetzwidrigen Verurteilung verhafteter Randalierer durch Militärgerichte. Aber wenn man ihr Verhalten mit dem vergleicht, was beispielweise in Deutschland auf Demos üblich ist, und in Betracht zieht, dass regelmässig auf sie geschossen wird, wobei es immer wieder Tote auf ihrer Seite gibt, dann liegt das Repressionsniveau hier durchaus im üblichen Rahmen. Ich möchte zum Vergleich doch mal folgende Denkübung bemühen: Stellt euch mal vor, auf dem Kotti wird eine Barrikade gebaut. Die Bullen rücken an, um sie abzubauen. Die Randalierer_innen flüchten ins Betoncafé und eröffnen von dort das Feuer auf die Polizei, wobei sie einen töten und einen andern schwer verletzen. Die Bullen sammeln ihre Gefallenen ein und ziehen sich zurück. Das Betoncafé wird nicht gestürmt, ist ja schliesslich Privatbesitz. Und am nächsten Tag steht im Tagesspiegel, repressive Polizeikräfte hätten eine friedliche Versammlung angegriffen. So ähnlich passiert in Mérida 2014.

Bei den Klagen über das repressive Vorgehen der Sicherheitskräfte ist also viel scheinheiliges Gejammer dabei. Die Opposition redet grundsätzlich von friedlichen Demonstrationen, die von der GNB brutal aufgelöst würden, während es sich in Wirklichkeit um den Bau von Barrikaden handelt oder den Versuch, Polizeiabsperrungen zur Durchsetzung von Demonstrationsverboten in bestimmten Zonen militant zu überwinden. Tatsächlich friedliche Demonstrationen, auch die gibt es, die sich ausserhalb von den “verbotenen Bereichen” abspielen, werden in der Regel toleriert, selbst die auch sehr beliebten temporären Strassenblockaden durch Menschenketten, die eine Weile lang den Verkehr aufhalten, ihn dann aber in Intervallen auch wieder durchlassen.

Unterschiede zu 2014

Während 2014 die Guarimbas “befreite Gebiete” in ihren Hochburgen errichtet haben, so eine Art qBat-Spielwiesen, wo sie dann vor allem ihre eigenen Leute terrorisierten und zur Kasse baten, um ihre Residencias zu verlassen oder zu betreten, und vom Staat monatelang in Ruhe gelassen wurden, haben die jetzigen Guarimbas einen deutlich offensiveren Charakter. In kleineren Städten wie Mucurubá oder Tovar wurden auch schon GNB-Posten und Bürgermeisterämter teilweise zerstört. Diese Woche hatte ich das zweifelhafte Vergügen, bei Kämpfen in Ejido zwischen die Fronten zu geraten (eine symbolträchtige Position, die mir in diesem Konflikt generell zukommt) und ich kann bezeugen, dass der Mut und die Aggressivität der Guarimberos zu dem Härtesten gehört, was ich in meinem Leben gesehen habe. Durchaus südkoreanisches Niveau. Schaut euch mal die You-Tube-Filmchen an über den Panzer der GNB, der einen Demonstranten überfährt (ging gross durch die Presse, um die Brutalität der GNB zu denunzieren). Und dann schaut euch die Aufnahmen an, die dieser Überroll-Szene vorrausgehen: Da werden mehrere dieser Panzer von Vermummten in einer Vehemenz und Vernichtungswut angegriffen, die ihresgleichen suchen. Schade eigentlich, dass diese Kämper_innen auf der falschen Seite stehen…

Quelle: https://basuca.blackblogs.org/ vom 19. Dezember 2017

 

 

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