Wahl in Italien: Eine Perspektive für die Arbeiterklasse
Peter Schwarz. In der italienischen Parlamentswahl, die am kommenden Sonntag stattfindet, konzentrieren sich die Probleme, mit denen Arbeiter und Jugendliche in ganz Europa konfrontiert sind.
Die Wahl findet vor dem Hintergrund einer tiefen sozialen Krise statt. 8 Prozent der Bevölkerung leben laut offiziellen Zahlen in „absoluter Armut“, 14 Prozent in „relativer Armut“, sie verdienen weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 11, unter Jugendlichen über 30 Prozent. Millionen Menschen, die ohne feste Beschäftigung eine kärgliche Existenz fristen, tauchen in diesen Zahlen nicht auf. Mit 58 Prozent hat Italien eine der niedrigsten Erwerbsquoten in der Eurozone.
Der zweite Faktor, der bedrohlich über der Wahl schwebt, ist die wachsende Kriegsgefahr. Die USA, die führende Macht in der Nato, bedrohen China und Russland mit Krieg. Die Europäische Union, zu deren Gründungsmitgliedern Italien gehört, bereitet sich unter deutscher und französischer Führung darauf vor, selbst als Großmacht aufzutreten und große Kriege in Afrika, dem Nahen Osten, Osteuropa und Zentralasien zu führen. Europa brauche „eine gemeinsame Machtprojektion in der Welt“, schwadronierte der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel kürzlich auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Dabei dürfe es nicht auf militärische Mittel verzichten, „denn als einziger Vegetarier werden wir es in der Welt der Fleischfresser verdammt schwer haben“.
Gegen beides, soziale Ungleichheit und Krieg, gibt es in Italien massive Opposition. Die Klassenbeziehungen sind zum Zerreißen gespannt. Die italienische Arbeiterklasse verfügt über eine militante Kampftradition, die bis auf die Resistenza, den aufopfernden Widerstand gegen Mussolinis Faschismus, zurückgeht. Gegen den Irakkrieg waren noch vor 15 Jahren allein in Rom drei Millionen auf die Straße gegangen. Doch im derzeitigen Wahlkampf findet diese Opposition keinen politischen Ausdruck.
Der Hauptgrund dafür liegt im Rechtsruck der Parteien und politischen Tendenzen, die sich einst als „links“ oder „sozialistisch“ bezeichneten. Die horrende Arbeitslosigkeit und Armut sind weitgehend das Produkt sogenannter Mitte-Links-Regierungen. Während sich die rechten Regierungen unter Silvio Berlusconi durch hemmungslose Korruption und Selbstbereicherung auszeichneten, sind die Namen der Mitte-Links-Regierungschefs Romano Prodi, Massimo D’Alema und Matteo Renzi untrennbar mit Sozialabbau und Haushaltskürzungen zu Lasten der Arbeiterklasse verbunden.
Eine besonders üble Rolle spielten dabei Parteien wie Rifondazione Comunista und Sinistra Ecologia Libertà (SEL), die sich aus Teilen der früheren Kommunistischen Partei, kleinbürgerlichen Protestparteien und der Gewerkschaftsbürokratie rekrutierten. Während sie sich bemühten, die Proteste gegen Sozialabbau und Krieg zu dominieren, stellten sie sich stets hinter Staat und Regierung, wenn diese unter Druck gerieten. 2006 trat Rifondazione sogar der verhassten Regierung Prodi bei.
Über 25 Jahre Erfahrung mit diesen Tendenzen, die sich immer wieder neu gruppierten und umbenannten, haben unwiderruflich gezeigt, dass es sich nicht um linke oder sozialistische Organisationen der Arbeiterklasse handelt, sondern um rechte Vertreter der oberen Mittelklasse und der bürokratischen Apparate, die die kapitalistische Ordnung gegen jede Bedrohung von unten verteidigen.
Einige von ihnen treten nun unter dem Namen Potere al Popolo (Die Macht dem Volke) zur Wahl an. Es handelt sich um ein Bündnis politischer Bankrotteure, dessen Hauptaufgabe darin besteht, den Sozialismus zu diskreditieren. Zu seinen Vorbildern zählt – neben der spanischen Podemos, der deutschen Linkspartei und La France insoumise von Jean-Luc Mélenchon – die Syriza des griechischen Regierungschefs Alexis Tsipras, der der Arbeiterklasse das brutale Sparprogramm der Troika aufgezwungen hat. Die Liste hat allerdings kaum Chancen, die 3 Prozent der Stimmen zu erreichen, die für den Einzug ins Parlament nötig sind.
Der Bankrott der angeblichen Linken ist der Grund für den Aufstieg des Movimento 5 Stelle (M5S) des Komikers Beppe Grillo. Es gewann 2013 ein Viertel der Stimmen, nachdem Mario Monti, ein weiterer von den Mitte-Links-Parteien unterstützter Premierminister, die Folgen der globalen Finanzkrise mittels brutaler Sparmaßnahmen auf die Arbeiterklasse abgewälzt hatte. Grillo verdankte seinen Erfolg vor allem der Tatsache, dass er unermüdlich und lautstark über die Korruption der herrschenden Eliten schimpfte.
Mittlerweile ist offensichtlich, dass das M5S auch nur eine rechte, bürgerliche Partei ist. Das zeigt nicht nur sein Einstimmen in den Chor der Flüchtlingshetze, sein Zusammengehen mit der britischen UKIP und der deutschen AfD auf europäischer Ebene und seine Verwicklung in Korruptionsskandale in Rom und anderen Städten, in denen es regiert. Zwei Tage nach Bekanntwerden des Wahltermins hat es auch das Verbot, Koalitionen mit anderen Parteien einzugehen, aus seiner Satzung gestrichen.
„Es ist Zeit, an die Regierung zu kommen“, erklärte der Spitzenkandidat des M5S Luigi Di Maio. „Wir werden Italien nicht dem Chaos überlassen und noch am Wahlabend einen Appell an alle politischen Kräfte richten und Konsultationen einleiten.“ Di Maio ließ offen, wer sein bevorzugter Partner ist. Doch im Prinzip kommen alle Parteien in Frage, einschließlich der rechtsextremen Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia.
Wenn sich das M5S mit knapp 30 Prozent trotzdem weiter an der Spitze der Umfragen halten kann, dann nur, weil es keine ernsthafte linke Opposition gibt, die die Arbeiterklasse für ein sozialistisches Programm gegen Kapitalismus und Krieg mobilisiert.
Die soziale Empörung und Wut ist enorm. Aus diesem Grund haben alle Parteien die Hetze gegen Flüchtlinge und Immigranten zum zentralen Thema des Wahlkampfs gemacht. Die Flüchtlingshetze soll die Arbeiterklasse spalten und den Hass der Ausgebeuteten und Unterdrückten auf die noch schwächeren Flüchtlinge ablenken. Gleichzeitig stärkt sie rechte und offen faschistische Kräfte, die immer frecher ihr Haupt erheben.
Die Lega führt ihren Wahlkampf unter der Parole „Italiener zuerst!“ Ihr Führer Matteo Salvini droht, eine halbe Million Migranten zu deportieren, falls seine Partei an die Regierung kommt. Die Forza Italia des 81-jährigen Silvio Berlusconi, der als verurteilter Steuerbetrüger nicht selbst kandidieren darf, hat ein Bündnis mit der Lega und den faschistischen Fratelli d’Italia geschlossen, das in den Umfragen derzeit führt. Es profitiert von der fremdenfeindlichen Politik der amtierenden Regierung der Demokraten (PD), die in Libyen Milizen bewaffnet und Konzentrationslager finanziert, um Flüchtlinge an der Überfahrt nach Italien zu hindern.
Vor allem seit ein Lega-Anhänger im Städtchen Macerata Anfang Februar willkürlich auf Migranten feuerte, wird der Wahlkampf von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Rassisten und Antifaschisten geprägt. Am letzte Sonntag demonstrierten allein in Rom 100.000 gegen Rassismus und Faschismus, während sich in Mailand 50.000 zu einer ausländerfeindlichen Kundgebung versammelten.
Die Wahl vom 4. März wird die soziale und politische Krise Italiens weiter verschärfen. Während die Demokraten, ihre Verbündeten sowie in geringerem Maße auch Berlusconis Forza Italia und das M5S die Europäische Union und deren Austeritäts- und Kriegspolitik unterstützen, greifen die Lega und die faschistischen Gruppen die EU vom Standpunkt des italienischen Nationalismus an. Beides führt in eine Sackgasse und beinhaltet enorme Gefahren.
Die Kriegsgefahr, der Aufstieg der Rechten und Faschisten und die Angriffe auf soziale und demokratische Rechte können nur durch eine Bewegung bekämpft werden, die das revolutionäre Potential der italienischen, europäischen und internationalen Arbeiterklasse mobilisiert.
[… Das bedeutet die Arbeit am Aufbau einer revolutionären marxistischen Organisation in Italien. Ein solches politisch-organisatorische Projekt orientiert sich an einem marxistischen Programm des sozialistischen Internationalismus gegen die Sozialdemokratie, den Stalinismus und ihre zentristischen Unterstützer und mischt sich ein in den Kampf für ein sozialistisches Programm, das den Widerstand gegen Krieg, Faschismus und Sozialabbau mit dem Kampf gegen ihre Ursache, den Kapitalismus, vereint. Ohne die Banken, großen Konzerne und Superreichen zu enteignen und das Wirtschaftsleben nach den gesellschaftlichen Bedürfnissen statt nach deren Profitinteressen zu organisieren, kann kein einziges gesellschaftliches und politisches Problem gelöst werden. Ein solches Projekt hält sich ausdrücklich fern von allen Ansätzen des Zentrismus, die die radikale Linke seit Jahrzehnten zersetzen und zu Katastrophen für die Arbeiterklasse führen, wie unter den linken Regierungen in Lateinamerika und in Griechenland mit Syriza.]
Quelle: wsws.org… vom 28. Februar 2018 mit einer Änderung durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Arbeiterbewegung, Breite Parteien, Italien, Neoliberalismus, Strategie
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