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Die Rolle der NATO – das Konzept 2030

Eingereicht on 10. Juni 2023 – 10:44

Peter Brandt, Michael Müller und Reiner Braun. Nehmen wir die Begründer der NATO beim Wort: Das nordatlantische Verteidigungsbündnis wurde am 04.04.1949 von zwölf Staaten gegen die damals stalinistische Sowjetunion gegründet, die ihr System bis an die Elbe ausgedehnt hatte.

Seitdem hat sich die NATO stetig erweitert, mit der Aufnahme von Finnland und Schweden auf nunmehr 32 Staaten. Die NATO befehligt 3,3 Millionen Soldat:innen, davon entfallen auf die USA allein 1,35 Millionen.

Neue Beitrittskandidaten sind aktuell Bosnien, Herzegowina, der Kosovo und Georgien. Hinzu kommt die »Partnerschaft für den Frieden« mit Irland, Österreich, der Schweiz, Malta, Serbien, Georgien, Moldau und der Ukraine. Außerdem gibt es einige globale Partnerschaften unter anderem mit Australien, dem Irak, Japan, der Mongolei, Neuseeland und Südkorea. Die Frage ist: Welche Rolle spielt die NATO heute – nach der Auflösung des Warschauer Pakts vor drei Jahrzenten? Ist sie auf dem Weg zu einem offensiv expandierenden, weltweit operierenden Militärbündnis?

Die Allianz vor einer Neuorientierung

Die NATO steht vor einer Neuordnung und Umorientierung, die in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt ist und nur in kleinen Kreisen debattiert wird. Vor dem NATO-Gipfel 2021 sagte ihr Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Ziel der Tagung, die NATO-Mitgliedsstaaten müssten eine gemeinsame Politik gegenüber einem zunehmend aggressiven China entwickeln: »China teilt nicht unsere Werte.« Sorge bereite ihm nicht nur die wachsende militärische Stärke der Atommacht China, sondern auch ihr

»Einsatz von modernen Technologien, sozialen Netzwerken und Gesichtserkennung zur Überwachung der Bevölkerung in einem bislang nicht gekannten Maß.«18

Stoltenberg kündigte damit eine Neuorientierung der NATO an. Doch in den Parlamenten und der Öffentlichkeit der Mitgliedsstaaten gab es keine wirkliche Debatte über die Konsequenzen, die sich daraus ergeben.

Die Weichen dafür werden mit dem Konzept »NATO 2030« gestellt, das auf dem NATO-Gipfel vom 28. bis 30.06.2022 in Madrid beschlossen wurde. Es liefert einen Teil der Erklärung, warum in den NATO-Staaten eine Aufrüstung stattfindet. Die Ausweitung der NATO-Zuständigkeit in den indopazifischen Raum ist eine deutliche Erweiterung, denn bisher ist die Allianz – wie in der Gründung vorgesehen – eine euro-atlantische Organisation. Doch der wirtschaftliche und politische Aufstieg Chinas und die zunehmende Rivalität zwischen China und den USA erhöhen vor allem seitens der westlichen Führungsmacht den Druck auf eine Erweiterung der NATO.

Auf dem Gipfel in Brüssel am 14.06.2021 wurde China als »destabilisierende Kraft« und »systemische Herausforderung« bezeichnet, deren Handeln die »regelbasierte internationale Ordnung« bedrohe. Verstöße gegen eine »regelbasierte Außenpolitik« liefern die Legitimation der erweiterten NATO-Politik.

Auf dem Gipfel 2022 wurde ein »Leitdokument« für den Umgang mit China beschlossen, dessen Aufstieg die NATO vor neue Herausforderungen stelle: insbesondere der wachsende Einfluss des Landes auf die digitale Infrastruktur westlicher Länder, die zunehmenden Investitionen Chinas in Europa (vor allem in Häfen und Transportsysteme), die Schaffung wirtschaftlicher Abhängigkeiten (insbesondere das Projekt der Neuen Seidenstraße) und die neue Nähe zu und Zusammenarbeit Chinas mit Russland. Angeführt wird die Beteiligung von 3 000 chinesischen Soldaten im Jahr 2018 an der russischen Truppenübung »Wostok-18«.

Bisher spielen die europäischen Länder der NATO mit Ausnahme von Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden, die eigene Flottenverbände in der indopazifischen Region stationiert haben, militärisch dort nur eine untergeordnete Rolle. Die Befürchtung ist, dass die NATO in den nächsten Jahren zu einem globalen militärischen Bündnis wird, dass China als Bedrohung für den Westen, besonders für die USA, definiert. Es ist das Bestreben Washingtons, seine imperiale und hegemoniale Vormachtstellung zu behalten. Deshalb ist es sowohl über die militärpolitische Annäherung Russlands und Chinas als auch über Pekings Aktivitäten in den euroatlantischen Raum hinein beunruhigt.

Der Ukraine-Krieg hat die Bedeutung der »China-Frage« zwischenzeitlich zurückgestuft. Die »Stärkung der Widerstandskraft an der Ostflanke des Bündnisses« war das beherrschende Thema in Madrid. Ungeachtet dessen liegt es vor allem im Interesse der USA, dass die NATO nicht mehr nur ein »nordatlantischer Verteidigungspakt« ist, sondern zur globalen Militärmacht wird.

Die globale NATO 2030

In dem Dokument NATO 2030 von Madrid schlägt die Führung der Militärallianz die bisher »größte Erweiterung« der »kollektiven Verteidigung der alliierten Streitkräfte« seit dem Ende des Kalten Krieges vor, die von ihnen »transformative Entscheidungen« genannt wird.19. NATO 2030 macht auf seine Weise deutlich, dass wir in einer Zeit tiefgreifender Umbrüche leben. Es stellt sich immer mehr die Frage, ob auf die Herausforderungen militärische oder zivile Antworten gegeben werden. Das strategische Konzept, das in Madrid verabschiedet wurde, ist nach dem NATO-Vertrag jetzt das zweitwichtigste Dokument de Bündnisses.

Im Zentrum des jüngsten NATO-Gipfels stand der Ukraine-Krieg. Deutschland und Frankreich warben für eine diplomatische Lösung. Das wurde nicht berücksichtigt. Die NATO wies die russischen Bedenken gegen die Osterweiterung formell zurück und bestätigte, die Ukraine und Georgien aufnehmen zu wollen. Die Beschlüsse spiegeln die Dominanz der USA wider. Sie sind das Gegenteil dessen, was die Welt braucht, nämlich einen Weg zu finden, auf dem die großen und kleinen Mächte der Welt zusammenarbeiten, um den globalen Bedrohungen zu begegnen.

Die Beschlüsse des NATO-Gipfels richten sich gegen China und Russland. Russland wird zur »bedeutendsten und direktesten Bedrohung« der »freien Welt« erklärt. Der Nordatlantik wird offiziell um die indopazifische Region erweitert. Beinahe heuchlerisch wirkt die Klage über das Schicksal des Rüstungskontrollregimes, wo doch Georg W. Bush und Donald Trump die Hauptsaboteure waren. Noam Chomsky merkte spöttisch an, der Gipfel sei erstmals um »asiatische Wachpostenländer« erweitert worden, die dafür mit modernsten Präzisionswaffen ausgestattet wurden.20

Mit einer Weltinnenpolitik hat das, was NATO 2030 fordert und in Gang setzt, nichts zu tun. Die Weichen werden vielmehr auf Konfrontation gestellt. Das UN-Konzept der gemeinsamen Sicherheit spielt wieder einmal keine Rolle. Die »NATOisierung« der Außenpolitik wird verstärkt. Aber es gibt auch Differenzen, vor allem zwischen den baltischen Staaten einerseits und Deutschland, Frankreich und Italien andererseits, die mehr europäische Unabhängigkeit verlangen.21 Ob das mehr militärisch oder mehr zivil gemeint ist, bleibt allerdings offen. Auch das zu klären, ist unabdingbar für die Selbstbehauptung Europas.

Quelle: overton-magazin.de…-2030/ vom 10. Juni 2023

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