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Rassistische Sozialpolitik – Spaltungsversuche von oben.

Eingereicht on 16. März 2018 – 9:29

BFS Basel. Der Sozialabbau in der Schweiz geht in die nächste Runde. Einer nach dem anderen schnüren die Kantone massive Sparpakete. Der Widerstand dagegen muss solidarisch und frei von Diskriminierung sein.

Die Kantone sparen an allen Ecken und Enden – insbesondere im Sozialbereich und bei den öffentlichen Dienstleistungen – und gefährden damit nicht nur den Bildungszugang und die gesellschaftliche Teilhabe vieler Menschen, sondern auch deren soziale Sicherheit. Der Kanton Zürich beschloss im Dezember 2016 im Rahmen einer sogenannten „Leistungsüberprüfung“ ein Sparpaket in der Höhe von 1.8 Mrd. bis 2020 – betroffen davon werden insbesondere das Gesundheitswesen, das Bildungswesen und der öffentliche Verkehr sein. Im Kanton Luzern sieht das „Konsolidierungsprogramm 2017“ Einsparungen von 330 Mio. in den nächsten 3 Jahren vor und der Kanton Bern plant jährliche Einsparungen in der Höhe von 185 Mio., wobei davon wiederum insbesondere das Gesundheits- und das Sozialwesen betroffen sind.

Sozialhilfe ist nicht gleich Sozialhilfe

Der Sozialabbau trifft wie so oft Menschen mit geringem Einkommen am härtesten. Gespart wird dort, wo zwar nicht viel zu holen ist, wo’s aber richtig weh tut. Die Sparpakete bringen Einsparungen bei den Prämienverbilligungen, im Asylwesen und bei verschiedenen sozialen Beratungs- und Anlaufstellen für benachteiligte und prekarisierte Menschen. Dass diejenigen, die ohnehin schon am Existenzminimum leben, besonders betroffen sind, zeigt ein Beispiel ganz besonders: die Kürzung der Sozialhilfe, die der Kanton Bern angekündigt hat. Mit einer Senkung des Grundbedarfs um 8% hält der Kanton Bern neu einen der tiefsten Sozialhilfeansätze schweizweit.

Während viele Kantone (noch) zögern, die „normale“ Sozialhilfe bzw. die Sozialhilfe für „Normale“ anzurühren, wurden Kürzungen bei der Asylsozialhilfe in den letzten Jahren bereits in allen Kantonen durchgesetzt. Die Asylsozialhilfe ist ein spezieller Sozialhilfeansatz für Asylsuchende und Menschen mit einer vorläufigen Aufnahme (ohne Flüchtlingsstatus) – einem sogenannten F-Ausweis. Im Zuge der Asylgesetzrevision wurde 2016 bundesgesetzlich festgeschrieben, dass der Ansatz für diese Personen zwingend unter dem normalen Sozialhilfeansatz zu sein hat.[1] Vor diesem Hintergrund senkten alle Kantone, zuletzt Basel-Stadt per Januar 2018, die Sozialhilfe für vorläufig Aufgenommene. Die Ansätze unterscheiden sich teils massiv von der normalen Sozialhilfe: Im Kanton Luzern liegt der Ansatz um 60% unter dem normalen Grundbedarf bei Fr. 411.50.-/Monat anstatt Fr. 986.-/Monat [2], im Kanton St. Gallen beträgt die Differenz knapp 50% bei Fr. 450.-/Monat anstatt Fr. 977.-/Monat [3], in Basel-Stadt 20% bei Fr. 788.-/Monat anstatt Fr. 986.-/Monat [4]. Diese Sparmassnahme trifft Menschen, die es auf dem Arbeitsmarkt ohnehin schwierig haben und finanziell meist schon schlechter gestellt sind. Da es an einer einflussreichen Lobby fehlt, die sich für die Rechte vorläufig Aufgenommener und Asylsuchender einsetzt, wurden die Sozialhilfesenkungen in den meisten Kantonen ohne viel Gegenwehr eingeführt.

Rassistische Praxis der kantonalen Behörden

Die Sozialhilfeansätze orientieren sich grundsätzlich an den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Diese berechnet jährlich einen Grundbedarf, der als Basis dient. Der Grundbedarf der SKOS sagt in etwa aus, wie viel finanzielle Mittel monatlich pro Person notwendig sind (exklusive Mietkosten u.ä. Fixkosten), um in der Schweiz ein menschenwürdiges Leben zu führen. Viele Sozialämter richten ihre Sozialhilfeansätze nach den SKOS-Richtlinien. Dass gewisse Menschen – vorläufig Aufgenommene und Asylsuchende – (noch) weniger erhalten, ist vor diesem Hintergrund nicht haltbar, denn es gibt keine objektiven Gründe, wieso diese Personen weniger Geld für das Existenzminimum benötigen sollten als alle anderen. Der Fall liegt eher umgekehrt: Vorläufig Aufgenommene werden auf dem Arbeitsmarkt systematisch diskriminiert. Sie waren bis vor Kurzem verpflichtet, neben der Quellensteuer eine jährliche Sonderabgabe zu leisten und von Prämienverbilligungen können sie nach wie vor frühestens sieben Jahre nach Einreise profitieren. Arbeitgebende müssen für die Einstellung einer vorläufig aufgenommenen Person ein Gesuch stellen und Verwaltungsgebühren bezahlen, was die Stellensuche schwierig macht. Die Anforderungen an die „Integration“ von vorläufig aufgenommenen Personen steigen stetig, während die öffentlichen Gelder für Integrationsmassnahmen im Zuge des Sozialabbaus immer weiter zusammengekürzt werden. Die Kürzung der Asylsozialhilfe ist eine Massnahme unter vielen, die zur Prekarität vieler Betroffener beiträgt.

Noch absurder erscheint das Ganze, wenn man bedenkt, dass für vorläufig aufgenommene Personen, die ihre Familie aus einem Drittstaat in die Schweiz holen möchten, das Einkommen ausreichen muss, um die gesamte Familie zu finanzieren. Berechnet wird dies – natürlich – mit dem SKOS-Ansatz. Das heisst mit anderen Worten: Um zu prüfen, ob Familienmitglieder in die Schweiz kommen dürfen, muss ein vorläufig Aufgenommener mit seinem Einkommen den SKOS-Ansatz für alle Familienmitglieder erfüllen, um einer potentiellen Sozialhilfeabhängigkeit vorzubeugen. Wenn die Familie jedoch tatsächlich in der Sozialhilfe wäre, würde ihr dieses Geld gar nicht zustehen, sondern nur ein Bruchteil davon. Die Kantone versuchen mit dieser höchst fragwürdigen Praxis einen unerwünschten Nebeneffekt der Sozialhilfekürzungen zu kaschieren: Theoretisch müssten die finanziellen Anforderungen für einen Familiennachzug zusammen mit dem Asylsozialhilfeansatz sinken. Trotzdem ist es in den meisten Kantonen gängige Praxis, Familiennachzugsgesuche auf diese Weise zu prüfen – und allzu häufig abzulehnen. Die Praxis hat einen klaren politischen Hintergrund, steht doch der Familiennachzug im rechtskonservativen Lager seit Längerem unter Dauerbeschuss. [5]

Ein Spaltungsversuch von oben

Familiennachzug hin oder her – die Sozialhilfekürzungen treffen Migrant*innen unter den genannten Umständen besonders hart. Der Trend zur Hierarchisierung und Fragmentierung im Sozialhilfebereich geht nach der Einführung der Nothilfe mit der Asylsozialhilfe weiter. Mit früheren Revisionen des Asylgesetzes wurde bereits der Anspruch auf Sozialhilfe für Asylsuchende mit einem Nichteintretensentscheid (NEE) und mit einem negativen Asylentscheid beschnitten und stattdessen das Nothilferegime eingeführt. Die Nothilfe beschränkt sich auf wenige Franken im Tag, wenn möglich werden Sachleistungen vor Geldleistungen ausgerichtet. So soll verhindert werden, dass betroffene Menschen sich weiter in der Schweiz aufhalten. Nach ähnlichem Muster funktioniert auch der Ansatz der Asylsozialhilfe. Etwas höher als die Nothilfe, jedoch tiefer als die normale Sozialhilfe, hat sie jedoch das Ziel, „Anreize“ für vorläufig Aufgenommene und Asylsuchende zu schaffen und bedient sich dabei des Klischees des faulen, ausländischen Sozialschmarotzers.

Dass der Sozialabbau dort ansetzt, wo es am wenigsten Widerrede und Protest – keine „Lobby“ – gibt, ist an und für sich nichts Neues. Auch das Ausspielen verschiedener Menschen gegeneinander in ähnlichen Situationen aufgrund von Merkmalen wie Nationalität, Hautfarbe oder Geschlecht ist eine beliebte, neoliberale Strategie. Die zentrale Frage für eine linke Gegenperspektive ist deshalb, wie man die Solidarität zwischen den vielfältigen und in verschiedenster Weise vom Sozialabbau betroffenen Personen (wieder)herstellen kann. Eine Widerstandsbewegung gegen den Sozialabbau muss sich gegen jegliche Kürzungen in der Sozialhilfe, dem Bildungswesen, dem Gesundheitswesen und dem restlichen Service Publique richten. Rassistische Spaltungsversuche in Kategorien wie Nothilfebezüger*innen, Asylsozialhilfebezüger*innen und Sozialhilfebezüger*innen – auf dem Arbeitsmarkt in inländische Arbeitnehmende und ausländische Arbeitnehmende – wirken entsolidarisierend und verhindern eine breite Protestbewegung. Sozialabbau muss deshalb in jeder Form gemeinsam bekämpft werden, immer und überall.

Quelle: sozialismus.ch… vom 16. März 2018


[1] Art. 86 Ausländergesetz (AuG).

[2] Vgl. https://disg.lu.ch/-/media/DISG/Dokumente/Themen/Sozialhilfe/2018_LuzernerHandbuch_Version_75.pdf?la=de-CH (Stand 01.02.18).

[3] Vgl. https://www.stadt.sg.ch/home/gesellschaft-sicherheit/soziales/finanzielle-hilfe/sozialhilfe-fluechtlinge.html (Stand 01.02.2018).

[4] Vgl. http://www.sozialhilfe.bs.ch/-sozialhilfe.html?footeropen=law (Stand 01.02.2018).

[5] Vgl. z.B. Schlagzeilen wie „Jetzt kommen die Frauen und Kinder der Flüchtlinge“ im Blick vom 31.01.2018 (https://www.blick.ch/news/politik/jetzt-kommen-die-frauen-und-kinder-der-fluechtlinge-rekord-beim-familiennachzug-id7914360.html).-familiennachzug-id7914360.html).(AuGetz (AuG)@Art. 86 Ausländergesetz (AuG).

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