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Die tapferen Wäscherinnen von Marsens

Eingereicht on 20. März 2015 – 16:39

Willi Eberle. Jeder der wenigen, allzu wenigen sozialen Kämpfe in der Schweiz hat seine Eigenheiten, seine eigenen Schwierigkeiten, seine besonderen Umstände. Aber alle tragen in sich den Keim der Lösung, um im durch die Unternehmer immer brutaler geführten Klassenkampf bestehen zu können: Selbst einzugreifen und niemandem zu trauen, vor allem nicht den Unternehmern und ihrem Staate. Wie stellt sich dies beim Kampf der tapferen Angestellten der Wäscherei von Marsens vom 6. bis zum 14. März 2015 dar?

Am 15. Februar wurde der Vertrag zum Verkauf der «buanderie de Marsens» (BEM) an  «Les Blanchisseries Générales SA» (LBG) unterzeichnet. An der Pressekonferenz vom 25. Februar hob die verantwortliche Fribourger Staatsrätin Anne-Claude Demierre (SPS) ihre «soziale Verantwortung» hervor. Diese Privatisierung sei «die bestmögliche Lösung, um die 15 Arbeitsplätze zu erhalten» wurde von der Leiterin des Gesundheits- und Sozialdepartements und ihrem Regierungskollegen Georges Godel (CVP), Leiter des Finanzdepartementes, betont (La Liberté, 26.02.2015).

Die LBG ist ein auf die Wäsche der Spitäler und Heime spezialisiertes Unternehmen in der Romandie, deren Mehrheitsaktionär der Kanton Waadt ist. Der Waadtländer Regierungspräsident Yves Maillard, Gallionsfigur der SPS-Linken, ist Verwaltungsratspräsident der LBG.

«Verschlechterungen auf der ganzen Linie»

Mit der Übernahme der BEM auf den 1. Oktober 2015 sollten deren 15 Angestellten in die LBG übertreten. Sie werden dann den Bedingungen des Gesamtarbeitsvertrages der Branche (ARENIT) unterstellt und fallen aus dem Fribourger Personalgesetz (LPers) heraus. Dieser Übergang würde massive Verschlechterungen mit sich bringen. So müssten einige Wäscherinnen beispielsweise mit einer Lohneinbusse von über 1‘000 Franken rechnen. Dazu kommen weniger Ferien, längere Arbeitszeiten, kein Kündigungsschutz usw.

Der VPOD der Region Fribourg schreibt am 6. März dazu unter anderem: «Die Lohneinbussen wären gross. … ist dies die ‹soziale Verantwortung›, die Frau Demierre meint?». Es handelt sich um «Verschlechterungen auf der ganzen Linie».

Aber die Wäscherinnen unterstehen vorderhand noch dem Fribourger Personalgesetz. Dieses schreibt in Artikel 47 vor, dass im Falle einer Aufhebung der Stelle der oder die Angestellte an eine äquivalente Stelle im Geltungsbereich dieses Gesetzes transferiert wird. Und genau dies ist die Forderung der Streikenden.

«Jetzt kämpfen wir alle zusammen»

Seit dem 6. März wird die Wäsche nicht mehr gewaschen, nicht mehr ausgeliefert. Die Streikenden durchliefen einen Prozess des gemeinsamen Widerstandes, der sie nun zusammen schweisst. Die regionale Sektion des VPOD «stellt sich voll und ganz hinter diesen Kampf».

Eine Wäscherin, die seit über 35 Jahren in der Wäscherei arbeitet, erzählt: «In der Wäscherei …. gab es vorher viele Konflikte. Seit der Regierungsrat aber angekündigt hat, die Wäscherei zu privatisieren, sind wir uns bewusst geworden, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Das hat uns zusammengebracht und jetzt kämpfen wir alle zusammen, bis auf unsere Forderung eingegangen wird».

Die Fribourger Regierung weigerte sich lange, auf die Forderung der Wäscherinnen und der Gewerkschaft einzugehen und versuchte, den Streik zu brechen und die Wäsche an die LBG zu vergeben. Dies provozierte am 10. März eine Solidaritätskundgebung mit über 100 Teilnehmenden vor dem Regierungsgebäude und eine Protestnote an Yves Maillard, den Verwaltungsratspräsidenten der LBG. Die Gewerkschaft und die Streikenden riefen auf den 14. März zu einer nationalen Solidaritätsdemo auf, zu der sie Christian Levrat, SPS Präsident und ebenfalls aus dem Kanton Fribourg, als Redner einluden. Dieser aber winkte ab.

Ein noch unsicherer Erfolg des Streiks

Am Freitag 13. März kam die Regierung mit einem Angebot auf die Streikenden zu, in dem sie sich verpflichtete, «im Rahmen der Möglichkeiten» den Beschäftigten der BEM im Laufe der nächsten drei Jahre eine äquivalente Stelle beim Staat anzubieten. Damit ist die Hauptforderung des Streiks ungefähr erfüllt und er wurde beendet.

Die Zusicherung der Regierung beinhaltet aber noch einige Unsicherheiten, über die ursprünglich auf den 16. März Verhandlungen vereinbart wurden. Diese wurden aber durch die Regierung aus uns unbekannten Gründen auf den 26. März verschoben. Es scheint, dass die Regierung auf Zeit spielt, um die kämpfenden Angestellten der BEM zu zermürben.

Da diese den Streik beendet haben, verfügen sie momentan aber über keine Druckmittel mehr.

Das gescheiterte Modell der Sozialpartnerschaft

Seit ca. zwei Monaten sehen sich die Lohnabhängigen in der Schweiz mit noch härteren Angriffen auf ihre Arbeits- und Lebensbedingungen und die Löhne konfrontiert. Wie beispielsweise die Arbeiterinnen der BEM. Entweder wurden solche Massnahmen – unentgeltliche Arbeitszeitverlängerung, Kurzarbeit, Entlassungen, Lohnkürzungen, und ähnliches – bereits eingeführt oder dann aber angedroht. Dies betrifft gemäss einer Studie der Zeitschrift Bilanz über einen Drittel der Schweizer Wirtschaft. Zudem verstärkt sich der Druck, die Unternehmersteuerreform III und die Gegen-Reform der Altersversicherungen (Berset-Reform) nun  zügig voranzutreiben.  Noch nie seit den dreissiger Jahren konnten die Unternehmer einen so konzentrierten und einschneidenden Angriff führen.

Die Gewerkschaft Unia hat am 6. März, dem Tag des Streikbeginns in Marsens, ihre traditonelle Industriekonferenz abgehalten. Dabei rief sie die Unternehmer zu einem «Pakt für den Werkplatz Schweiz» auf. Sie besteht dabei auf den Regeln der Sozialpartnerschaft. Was dahintersteckt ist klar: sie wollen sozialpartnerschaftlich über solche Abbaumassnahmen «zum Schutz der Arbeitsplätze» verhandeln. Ein Modell, auf das die nationalen Gewerkschaftsführungen über die vergangenen Jahrzehnte immer wieder hingearbeitet haben. Dies hat die Arbeiterklasse in eine Lethargie und Wehrlosigkeit getrieben, die sich als immer fataler herausstellt.

Die Wäscherinnen von Marsens haben mit ihrer Unerschrockenheit und ihrem Kampfgeist den einzigen Weg gewiesen, um aus dieser Sackgasse hinauszufinden. Wie beispielsweise  auch die Arbeiter und Arbeiterinnen bei der Swissport am Genfer Flughafen von Anfang Februar, in der Exten in Mendrisio am 19. Februar und an wenigen anderen Orten, vor allem im Tessin. Dabei wurden sie von lokalen Gewerkschaftssektionen unterstützt, die von der nationalen Linie der unbedingten Sozialpartnerschaft loskommen und stattdessen an kämpferischen Basisaktivitäten ansetzen wollen. Dies ist der einzig mögliche Weg, um die Errungenschaften der vergangenen Periode verteidigen zu können.Erscheint im Vorwärts vom 27. März 2015

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