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Kriegstrommeln und fahle Friedenstauben über Venezuela

Eingereicht on 1. November 2018 – 18:38

Aram Aharonian. Die verfassungsmässig eingesetzte Regierung Venezuelas steht den imperialistischen Interessen, die auf die Kontrolle über die Region gerichtet sind, im Wege; sie soll gegen eine gefügigere ausgetauscht werden.  Entsprechend werden in den USA und Kolumbien die Kriegstrommeln gerührt, während gleichzeitig auch Versuche eines Dialogs, der zu einer politischen Lösung führen könnte, vernehmbar sind.

Vom Triumph des rechtsextremen Jair Bolsonaro in Brasilien optimistisch angerührt, versuchen die Oppositionsführer, einen Kandidaten mit dem gleichen faschistischen Profil zu finden, aber alle Namen, die auf den Tisch gelegt wurden, zeichnen sich durch eine ausgesprochene Unpopularität aus. Die Suche zielt nun nach einem Außenseiter, bestenfalls einem ehemaligen Militär.

Die Einmischung von außen wäre eine andere Option; dies wäre zweifellos eine Verletzung des Völkerrechts, aber in Wirklichkeit haben die Vereinten Nationen ihre schwache Fähigkeit zur Durchsetzung ihrer eigenen Charta bewiesen; währenddessen werden vom Ausland aus Kanäle des Dialogs gesucht, die –nach einer Verfassungsreform – zur Forderung nach Neuwahlen führen würden, eine These, die die die radikale venezolanische Opposition nicht befriedigt; diese hofft vielmehr, dass die Regierung ihr von etwaigen ausländischen Aggressoren übergeben wird.

Der ehemalige kolumbianische Präsident Ernesto Samper warnte vor einer kriegerischen Eskalation zwischen Kolumbien und Venezuela, und forderte eine «Entwaffnung der Geister», um Konflikte zu vermeiden. «Jetzt hört man Kriegstrommeln auf der kolumbianischen und venezolanischen Seite», sagte Samper bei einem Forum in der Casa de América in Madrid.

Es war eine Warnung aus konkretem Anlass: Der kolumbianische Präsident Ivan Duque kündigte den Einsatz von fast 5.000 Soldaten in der Krisenregion Catatumbo an der Grenze zu Venezuela unter dem Vorwand der Bekämpfung des Drogenhandels und illegaler bewaffneter Gruppen an. Und jetzt sucht er die Zusammenarbeit mit dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro, um Maduro zu stürzen, obwohl er bekräftigte, er suche immer «den friedlichen Weg zur Lösung von Problemen».

Trotz der radikalen Opposition des Episkopats versicherte Aldo Giordano, apostolischer Nuntius in Venezuela, dass die katholische Kirche bereit sei, sich an einem möglichen Verhandlungsprozess zu beteiligen. «Wenn er das tut, sind wir bereit, Versöhnungsprozesse, Friedensprozesse zu unterstützen», sagte der Botschafter des Vatikans.

Im Moment schließen die meisten Beobachter eine bevorstehende Eskalation der direkten militärischen Intervention aus; dies scheint durch die jüngsten Erklärungen des US-Außenministers Mike Pompeo bestätigt zu werden, in denen darauf hingewiesen wird, dass die audländischen Maßnahmen auf der Ebene der wirtschaftlichen, finanziellen, psychologischen und medialen Kriegsführung weitergeführt werden, in dem Vertrauen, dass dies ausreichten, um das angestrebte Ziel zu erreichen.

«Wir sind uns in der Einschätzung der Wirkung von Sanktionen sehr sicher», so dass man daraus schließen könnte, dass diese ausgeweitet werden, obwohl er dazu keine weiteren Details angab: «Ich will nicht verraten, was wir morgen tun werden», fügte er hinzu. Vieles davon wird davon abhängen, was bei den Kongresswahlen in den USA passiert.

Für den Politikwissenschaftler Leopoldo Puchi sind die Worte von Pompeo («Ich hoffe, dass das venezolanische Volk die Demokratie in seinem Land wiederherstellen wird. Wenn sie Maduro wählen, nun, das wäre die Entscheidung der Venezuelaner») kann als die Wiederaufnahme von Verhandlungen über die Durchführung von Wahlen interpretiert werden, basierend auf den Vereinbarungen, die in der Dominikanischen Republik bereits vorangetrieben wurden, die aber gerade auf Druck von Washington nicht zustande kamen.

Für die USA sind die Themen, um die sich diese Verhandlungen drehen müssten, weiterhin ein neuer Nationaler Wahlrat, Bedingungen für die Aufhebung der Sanktionen und der Umfang einer Verfassungsreform, die die Ansetzung von Neuwahlen erleichtern würde. Andernfalls wird es ohne eine Verhandlungslösung sehr schwierig sein, vor 2024 neue Präsidentschaftswahlen durchzuführen.

Bisher waren die vier Stufen der US-amerikanischen (und sogar europäischen) Wirtschaftssanktionen gegen die Regierung und ihre Beamten gerichtet, aber Außenminister Mike Pompeo tönte an, dass Trump Teilstrafen gegen die Rohölproduktion und Versicherungsgesellschaften, die den Transport von Rohöl übernehmen, in Betracht zieht. Im vergangenen Jahr verbot Washington den US-Banken die Kreditvergabe an PDVSA, die venezolanische staatliche Ölgesellschaft.

Zur Überraschung vieler (insbesondere der venezolanischen Opposition) sagte Kurt Tidd, Admiral und Leiter des U.S. Southern Command, Anfang dieser Woche, dass die Lösung der Krise in Venezuela diplomatisch sei und dass sein Land zur Verfügung stehe, um der Region bei der humanitären Hilfe beizustehen.

Zudem gaben mehrere hochrangige US-Beamte zu, dass sie sich mit venezolanischen Offizieren getroffen hätten, die vorschlugen, Maduro abzusetzen; sie hätten aber letztendlich beschlossen, so die New York Times, keinen Staatsstreich zu unterstützen, weder logistisch noch militärisch. Zwei jüngste Versuche, das Regime zu stürzen, sind gescheitert: eine militärische Verschwörung im Mai und ein Drohnenangriff auf Maduro im August.

Die anhaltenden Drohungen haben ihre Ursache in den Kongresswahlen der USA, aus denen die Demokraten gestärkt mit einer Mehrheit in beiden Häusern hervorgehen könnten. Trump, der Venezuela als sein Hauptziel benutzt hatte, hat nun in mittelamerikanischen Migranten eine weitere Ausrede gefunden, um den Amerikanern Angst einzujagen, während seine Hauptgegner (darunter Obama und die Clintons) in New York mit Bomben bedroht wurden.

Unmögliches Vorhaben?

Jim Tull, ein in Harvard-ausgebildeter Konfliktlösungsexperte, versucht, den politischen Dialog in einem polarisierten Venezuela auszubauen, während die USA mit mehr Sanktionen und militärischen Maßnahmen den Sturz von Präsident Nicolas Maduro herbeiführen wollen. Das Vorhaben wird von der Boston Group organisiert, einem informellen Netzwerk von US-amerikanischen und venezolanischen Parlamentariern aus dem gesamten politischen Spektrum (Demokraten, Republikaner, Sozialisten).

«Es gibt viele, die sich dafür engagieren und vor Ort wird sich gleichwohl nichts ändern», sagte Tull in einem Interview. «Aber wenn man die richtigen Leute einbezieht und sie immer wieder anspricht, dann erhöht man die Chancen, dass etwas Gutes passiert».

Die Sondierungsgespräche wurden von Senator Bob Corker organisiert, einem republikanischen Vorsitzenden des U.S. Senate Foreign Relations Committee. Maduro selbst war Mitglied der Boston Group, als er nach dem Staatsstreich von 2002 im Parlament sass.

Die konservative spanische Tageszeitung ABC weist darauf hin, dass die US-Regierung in Venezuela an einem Übergangsplan arbeitet, in dem Wissen, dass die humanitäre Krise im Land zum Sturz des Regimes führen könnte. Hochrangige zivile und militärische Beamte haben Trump geraten, einen Vorschlag für eine Intervention im Land auszuarbeiten, da die Situation bald zu einem Militärputsch, einer Volksrevolte oder einem Vorstoss einer bewaffneten Koalition führen könnte, fügt er hinzu.

Er ergänzt, dass 11 republikanische Senatoren und Demokraten ein Gesetz entworfen hätten, um die USA auf die bevorstehende Veränderung vorzubereiten, wobei 55 Millionen an Hilfsmitteln und Krediten für den Wiederaufbau Venezuelas vorgesehen wären. Ihre erklärten Ziele sind «die Wiederherstellung von Recht und Demokratie, die Freilassung politischer Gefangener, die Bereitstellung humanitärer Hilfe und die Schaffung der Voraussetzungen für freie und demokratische Wahlen».

Parallel dazu hat Trump den Druck auf Kuba zu erhöht, aus Überzeugung, dass das Einzige, was Nicolás Maduro an der Macht hält darin besteht, «dass der kubanische Geheimdienst dazu beiträgt, die mit ihm unzufriedenen Elemente unter Kontrolle zu halten und die Initiative ergreifen könnte, Maduro abzusetzen». Wie ABC berichtet, sollen laut Washington 22.000 Kubaner venezolanische Institutionen infiltriert haben.

Die Opposition, die USA und Kolumbien

Die venezolanische Opposition hätte eine andere Politik, verantwortungsbewusster und unter Achtung der Verfassung und der demokratischen Institutionen betreiben können. Sie zog es aber vor, die Rechtsstaatlichkeit ausser Acht zu lassen; dies führte sie in die aktuelle Handlungsunfähigkeit, sagt der ehemalige Vizepräsident José Vicente Rangel.

Die Parteien Primero Justicia, Voluntad Popular und La Causa R lehnten das Vorgehen der Regierung ab und wiederholen die Argumente von Federica Mogherini und des Europäischen Parlaments, dass in Venezuela «keine Voraussetzungen für eine fruchtbare Vermittlung bestehen, die zur demokratischen Befreiung des venezolanischen Volkes führen».

Sicher ist, dass man nicht von einer neuen US-amerikanischen Position sprechen kann. Die Regierungen unter George W. Bush, Barack Obama oder Donald Trump  verhalten sich gleich und versuchen, die Regierungen der Bolivarischen Revolution zu destabilisieren und ihre Führer zu eliminieren, in der Überzeugung, dass alle, die nicht wie sie denken, als Feind qualifiziert werden sollte.

Die Öffnung von Dialogkanälen wurde von ihnen nie unterstützt, vielmehr auf deren Schließung gedrängt (wie in der Dominikanischen Republik im vergangenen Jahr). Es sei daran erinnert, dass Bush den Putsch gegen Chávez am 11. April 2002 gefördert hat; Obama ordnete an, dass Venezuela eine ungewöhnliche Bedrohung für die Sicherheit seines Landes sei, Trump greift jeden Tag mündlich die venezolanische Regierung an und droht weiterhin mit einer bewaffneten Invasion.

Und heute sind sich sowohl die radikale Opposition (angeführt und finanziert von Washington und Bogotá) als auch die Trump-Regierung bewusst, dass sie durch die angekündigten Fristen zu Entscheidungen gezwungen sind, und dass die innere Situation des Landes für sie nicht günstig ist: Die politische Opposition hat sich selbst zerstört und deaktiviert, die Regierung hat trotz Kooptations- und Bestechungsversuchen weiterhin die Unterstützung der Streitkräfte.

Auch die Realität eines Risses an der Außenfront (einschließlich der Lima-Gruppe) trägt nicht dazu bei, dass der permanente terroristische Feldzug und die Drohung mit Invasionen durch die monopolisierten Medien fortgesetzt werden; dies trotz der theatralischen Auftritte des Prokonsuls Luis Almagro, Generalsekretär der OAS, der beim Verlassen der mexikanischen Kanzlei sicherlich von dem Mexikaner Luis Videgaray darin abgelöst wird.

Für John Bolton, Trumps Nationalen Sicherheitsberater, sind die ständigen Angriffe Trumps auf den Internationalen Strafgerichtshof, vor dem Argentinien, Kanada, Kolumbien, Chile, Paraguay und Peru die Verbrechen Maduros gegen die Menschlichkeit angeprangert haben, ein Hindernis für die Verhängung weiterer Sanktionen gegen Venezuela und Kuba. Mehrere Senatoren haben dem Weißen Haus geraten, sich diesen Forderungen anzuschließen, anstatt das Gericht zu boykottieren.

Aber in diesem Krieg (vorerst mit Mikrofonen und Sanktionen) ist Washingtons wichtigster Partner die kolumbianische Regierung, die sie mehr als ein Jahrzehnt lang finanziert und bewaffnet hat (die USA haben mehrere Militärbasen auf kolumbianischem Gebiet errichtet). Der kolumbianische Präsident Ivan Duque bestand darauf, dass sein Land keinen Botschafter in Venezuela haben wird, solange Maduro Präsident ist.

Die kolumbianische Vizepräsidentin Marta Lucía Ramírez beschuldigte Maduro für alles, was mit María Corina Machado passiert, einer selbsternannten Kandidatin für die «erste Präsidentin des Übergangs». Sie wurde mit Schlägen und Steinen in Upata im Bundesstaat Bolivar angegriffen. Machado, die häufig nach Washington seit der Zeit von George Bush reist und Koordinatorin von Vente Venezuela ist, gab bekannt, dass sie «den Ungehorsam organisiert».

Washingtons Stimme

Diego Arria, ehemaliger Präsidentschaftskandidat, ehemaliger Minister, ehemaliger Gouverneur von Caracas und ehemaliger Präsident des UN-Sicherheitsrates während der Regierungszeit von Carlos Andrés Pérez, weist darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit einer ausländischen Militärintervention sehr hoch ist, solange Venezuela zu den Staaten gezählt werde, die den Terrorismus fördern und von Drogenhändlern regiert werden.

Und er stimmt ein in die Anschuldigungen von Trump und gibt vor, dass «terroristische Gruppen und Narko-Terroristen wie die Dissidenten der FARC, der ELN, Hisbollah Fraktionen, die zweifellos eine Gefahr darstellen, sich auf seinem Gebiet angesiedelt haben. Es ist eine gewisse Bedrohung für Kolumbien, das gerade erst einen Friedensprozess eingeleitet hat, dass die Elemente der Gewalt in Venezuela untergebracht sind. Und dies in einer besorgniserregenden Phase, sagt der informelle Sprecher Washingtons.

Er spricht von einem kybernetischen Krieg, von der Lähmung des gesamten Kommunikationssystems der venezolanischen Streitkräfte, von der Unterbrechung der militärischen Systeme, der Radare, um die militärische Führung zu desorganisieren. Sie können das gesamte Bankensystem stören, fügt Arria in einem Interview mit Juan Carlos Zapata hinzu.

Venezuela ist zur Plattform für die russische und chinesische Durchdringung des Kontinents geworden und dazu eine sehr reiche Plattform; ein Reichtum, der jede Operation in die Zukunft abschirmen kann, sagt Arria und fügt hinzu, dass es in Venezuela keine Handlungsmöglichkeiten gäbe, wenn « man nicht auf die am stärksten betroffenen Länder, Kolumbien und in geringerem Maße Brasilien, zählen könnte».

Er schlägt die gleichen Trommeln wie die Krieger in Washington und Bogotá. Dies ist nicht neu. In der Zwischenzeit kündigt sich María Corina Machado – die tapfere «Patriotin», die mit George Bush ein Foto gemacht hat – als «erste Präsidentin des Übergangs» an und kann dabei auf die Hilfe ausländischer «Vermittler» rechnen, die einen neuen Dialog führen und vorbereiten, der eine politische Lösung ermöglichen soll.

Vielleicht hat Luis Britto García, der berühmteste Intellektuelle des Landes, Recht: In einem Interview mit der Zeitung Ciudad CCS wies er darauf hin, dass «in Venezuela ein Kampf des Ideenmangels stattfindet».

Quelle: rebelion.org… vom 1. November 2018; Übersetzung aus dem Spanischen durch die Redaktion maulwuerfe.ch

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