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Von der sozialdemokratischen PT zum Faschisten Bolsonaro

Eingereicht on 19. November 2018 – 12:41

Rick Kuhn. Die Arbeiterpartei (PT) mit ihrer Massenbasis in der Arbeiterklasse trägt als größte politische Organisation Brasiliens eine gewisse Verantwortung für den Sieg des Faschisten Jair Bolsonaro bei den Präsidentschaftswahlen am 28. Oktober.

Die Stagnation der brasilianischen Wirtschaft und der Zusammenbruch der Zentrumsparteien und Rechten veranlassten die Bourgeoisie, sich nach der ersten Wahlrunde vom 7. Oktober hinter Bolsonaro zu stellen. Bolsonaro gelang es, die Unterstützung der Massen bei den Wahlen zu gewinnen, indem er sich als Außenseiter ausgab und eine Agenda für eine harte Orientierung auf Recht- und Ordnung versprach, die in einem Land mit einer sechsmal höheren Mordrate als die Vereinigten Staaten Resonanz fand.

Der neue Präsident setzt sich für eine neoliberale Wirtschaftsagenda ein – nach dem Vorbild der Diktatur von General Pinochet nach dem blutigen Staatsstreich von 1973 in Chile – und für die Unterdrückung der Arbeiterklasse, der Linken, der Frauen, der Indigenen, der Schwarzen und Mischlinge, die eine Mehrheit der Bevölkerung bilden. Er hat seine Feindseligkeit gegenüber jeder Form von Demokratie deutlich gemacht. Seine vordringlichsten Massnahmen im Dienste der Reichen sind die Untergrabung der Rentenansprüche, die Öffnung des Amazonasbeckens für die Ressourcen- und landwirtschaftliche Nutzung und einer durchgehenden Privatisierung.

In einem parlamentarischen Staatsstreich setzte die brasilianische Rechte 2016, darunter ehemalige Koalitionspartner der Arbeiterpartei (PT, Partido dos Trabalhodores), die PT-Präsidentin Dilma Rousseff wegen Korruptionsvorwürfen. Andere Beamte aus der PT waren wirklich korrupt, aber die Korruption war in den Parteien, die sie angeklagt haben, viel endemischer.

Der Interimspräsident Michel Temer von der brasilianischen demokratischen Bewegung griff den Lebensstandard der Arbeiterklasse an, strich die Ausgaben für Gesundheit, soziale Sicherheit und Bildung zusammen und senkte den Mindestlohn. Angesichts der Korruptionsvorwürfe und von Massenstreiks und Protesten ließ er die Bemühungen zur Einschränkung des Zugangs zum und der Zahlungen aus dem Rentensystem fallen.

Temer jedoch stand nicht am Anfang des Übergangs zu Neoliberalismus und Austeritätspolitik.  Diese wurde vielmehr unter der Präsidentschaft von Luiz Inácio Lula da Silva, dem Vorsitzenden der PT, der von Januar 2003 bis Dezember 2010 im Amt war, intensiviert, als er von Dilma abgelöst wurde. Lula sitzt jetzt mit einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren im Gefängnis, nachdem Dilma wegen falscher Korruption und Geldwäsche verurteilt wurde. Brasilianische Gerichte werden von reaktionären Richtern beherrscht.

Die 1980 gegründete PT ging aus Massenkämpfen unter der Militärdiktatur hervor, die das Land von 1964 bis 1985 regierte. Lula, der sein Berufsleben als Schuhputzer begann und später Leiter der Stahlarbeitergewerkschaft von Sao Bernardo do Campo und Diadema in Sao Paulo wurde, spielte eine wichtige Rolle in der Streikwelle. Drei Jahre später war er ein herausragendes Gründungsmitglied des PT und der CUT, dem wichtigsten Gewerkschaftsverband des Landes.

Während die PT progressive soziale und vor allem gewerkschaftliche Kämpfe unterstützte, konzentrierte sie sich überwiegend auf die Wahlaktivitäten. Ihr Gründungsprogramm setzte sich für den Sozialismus ein und forderte Verstaatlichungen, Landumverteilung, Ausweitung der Sozialfürsorge und der Rechte der Lohnabhängigen. Auf dieser Grundlage wurde sie in Kommunal-, Landes- und Bundesparlamenten vertreten. Obwohl die PT ihre Positionen etwas gemässigt hatte, proklamierte der Parteitag 1993 noch ihren „revolutionären und sozialistischen Charakter“.

Aber um einen größeren Wahlerfolg zu erzielen, begann sie ihre Rhetorik nach den Präsidentschaftswahlen 1994 zu verwässern, die von Fernando Henrique Cardoso von der brasilianischen Sozialdemokratischen Partei gewonnen wurde, der 54 Prozent der Stimmen verglichen mit Lulas 27 Prozent.

Innerhalb weniger als 20 Jahren wiederholte die „revolutionäre“ PT die jahrzehntelange Entwicklung der europäischen Sozialdemokratie vom revolutionären Marxismus zu einer Verpflichtung, den Kapitalismus zu verwalten und die Rentabilität der Wirtschaft zu erhalten.

Lulas Kampagne von 2002 hat im Kontext einer stagnierenden Wirtschaft und massiver internationaler Verschuldung den Bezug zum Sozialismus fallen gelassen und den neoliberalen Göttern der Preisstabilität und der Haushaltsüberschüsse Gefolgschaft versprochen.

Die Präsidialverwaltungen der PT, die von der Arbeiterklasse und den Armen ins Amt gehievt wurden, führten Reformen durch, die der Basis der Partei zugutekamen. Das Sozialsystem wurde ausgebaut, insbesondere das Programm Bolsa Familia (Familienkorb; ein Subventionsprogramm für Güter des Alltagsbedarfes) für die Allerärmsten. Ihre Zahlungen sind davon abhängig, dass die Kinder der Familien geimpft werden und zur Schule gehen und den Grad von deren Unterernährung gesenkt wird – der größte Teil des Geldes wird für den Kauf von Lebensmitteln verwendet.

Zwischen 2005 und 2012 erhöhte die Regierung den Mindestlohn um 75 Prozent. Im Jahr 2012 setzte sich Dilma für ein Gesetz ein, das von den Universitäten verlangte, sowohl mehr Studenten afrikanischer Abstammung als auch Absolventen öffentlicher Schulen zuzulassen.

Doch die Ungleichheit der Verteilung des Reichtums verschärfte sich, es wurde nichts getan, um die Wirtschaftsmacht der brasilianischen Bourgeoisie oder die Drogenkartelle, die die Slums in Rio und Sao Paulo, den größten Städten des Landes, beherrschen, zurückzudrängen. Hingegen erhöhte die PT-Regierung auch die Budgets der Streitkräfte.

Wie Lecio Morais und Alfredo Saad-Filho im Buch Brasilien: Neoliberalismus gegen die Demokratie dargelegt haben, war die Wirtschaftspolitik der PT-Regierung oft regressiv, indem sie den Vorgaben des Internationalen Währungsfonds entsprach; sie war in vielem eine Fortsetzung der Sparpolitiken von Lulas Vorgänger, dem ehemaligen radikalen Soziologen Fernando Henrique Cardoso.

Lulas Neoliberalismus umfasste Kürzungen bei den Renten für Beamte, gegen die sich die PT seit zehn Jahren ausgesprochen hatte, die Erhöhung der indirekten Steuern, die überproportional die Geringverdiener betrafen und die Autonomie für die Zentralbank.

Die Wirtschaft erholte sich Mitte der 2000er Jahre dank eines Zuflusses von Auslandskapital und erweiterter Exporte von Agrarerzeugnissen (insbesondere Sojabohnen) und Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas, Eisenerz und Bauxit. Dies ermöglichte Steuervergünstigungen für die Exportindustrie und höhere Investitionen in die Infrastruktur zur Unterstützung der Wirtschaft (Stromerzeugung und Verkehr) sowie für Wohnen, Gesundheit, Bildung und Soziales, ohne dass die Verpflichtungen von Lula und Dilma zur Einschränkung der Staatsausgaben tangiert wurden.

Doch der Exportboom verlangsamte sich nach der globalen Finanzkrise und die Auslandsinvestitionen sanken nach 2014. Das BIP-Wachstum war seit 2011 rückläufig, und die brasilianische Wirtschaft trat in eine tiefe Rezession ein. Die PT blieb weiterhin auf dem Pfad einer „verantwortungsvollen Haushaltspolitik“ und der Pflege des brasilianischen Kapitalismus verpflichtet.

Weder die Partei noch die von ihr geführten Regierungen von Bund, Ländern und Gemeinden haben vernünftige Maßnahmen gegen die Kapitalistenklasse ergriffen – wie Verstaatlichungen und hohe Steuern für die Unternehmer und die Reichen -, um in nützlicher Frist mit den wirtschaftlichen und sozialen Problemen fertig zu werden.

Die Offensive der herrschenden Klasse durch Gerichte, Medien und körperliche und wirtschaftliche Einschüchterung gegen den Präsidentschaftskandidaten der PT 2018, Fernando Haddad, liefert keine genügende Erklärung für dessen Niederlage. Trotz Wahlpflicht haben sich 29 Prozent der Wähler, d.h. 42 Millionen Menschen, der Stimme enthalten oder ihre Stimmzettel ungültig eingelegt.

Der PT-Neoliberalismus mit menschlichem Antlitz, der viele Anhänger desillusionierte, ihre Korruption und ihre Beschränkung auf Wahlkampf und Legalität in einem manipulierten System führten zu keiner ausreichenden Mobilisierung der Bevölkerung an Arbeitsplätzen, auf der Straße oder an Wahlurnen, um die Rechte zu besiegen.

Mehr noch, der Verrat der PT der Hoffnungen und des Engagements der Masse der Bevölkerung führte dazu, dass ein Faschist einen Teil seiner Stimmen gewann.

Es wird zu Kämpfen gegen die Absichten von Bolsonaro und seiner Unterstützer geben, die kämpferischen Segmente der Arbeiterklasse zu zerschlagen, die Unterdrückten wieder an ihre Plätze zu verweisen und sogar die begrenzte Demokratie in Brasilien zu zerschlagen. Man kann nur hoffen, dass dies zu einem gemeinsamen Kampf der gesamten Linken führt. Auf jeden Fall werden diese Kämpfe den Revolutionären die Möglichkeit geben, Anhänger der PT und viele anderen für militante Massentaktiken zu gewinnen, und durch die Verteidigung der liberalen Demokratie und der bestehenden Rechte dem Ziel der Arbeitermacht näher zu kommen.

Quelle: redflag.org.au… vom 18. November 2018; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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