DGB zum Antikriegstag: Zu den Waffen Kolleg*innen!
Suitbert Cechura. Kriegsmüdigkeit darf nicht aufkommen – so die Regierungslinie. Aber Aufrüstung ohne Augenmaß, ohne Wertebewusstsein und Berücksichtigung des sozialen Friedens darf auch nicht sein, pflichtet der DGB bei.
Aus ihrer Haltung zum Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung haben die DGB-Gewerkschaften nie einen Hehl gemacht und es in der Sache rückhaltlos unterstützt – bis hin zum Pakt der IG Metall mit der Rüstungsindustrie. Anlässlich des diesjährigen Antikriegstags am 1. September ist die DGB-Führung nun offenbar bestrebt, auch Mitglieder, die gegen diesen Kurs Bedenken geäußert haben – wie etwa die Initiative „Sagt nein!“ –, auf Linie zu bringen. Das geht natürlich nicht ohne einige Verrenkungen.
Menschen sterben, Werte nicht
Seinen Aufruf zum Antikriegstag beginnt der DGB mit einem Bekenntnis: „Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften setzen sich für eine Friedens- und Sicherheitsordnung ein, die im Rahmen der Vereinten Nationen multilaterale Konfliktlösungen mit den Mitteln der Diplomatie und wirksamer Krisenprävention ermöglicht. Das Fundament einer solchen Ordnung bildet das völkerrechtliche Gewaltverbot, ergänzt um die Prinzipien der souveränen Gleichheit von Staaten, der Selbstbestimmung von Völkern und freie Bündniswahl, der gegenseitigen Vertrauensbildung, der friedlichen Streitbeilegung und der Achtung der Menschenrechte.“ (Erklärung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Antikriegstag am 1. September 2025; Wortlaut u.a. beim Gewerkschaftsforum abrufbar.)
Eine wahrhaft zeitlose Erklärung – die auch in Erinnerung ruft, dass der DGB sich für diese Ziele bereits seit seinem Bestehen einsetzt. Da stört es ihn offenbar gar nicht, dass so gut wie alle Staaten mittlerweile das Völkerrecht verabschiedet haben, ebenso die Menschenrechte, aber dass diese eigenartige Rechtsordnung offenbar keinen Krieg und keine Folter verhindert hat. Alle seit der Verabschiedung dieser Regelungen stattgefundenen und stattfindenden Kriege haben den Kriegsgegner des Verstoßes gegen diese Ordnung beschuldigt – das behaupten selbst die USA, die sich bei Gelegenheit, auf dem Balkan oder im Nahen Osten, über eine enge Bindung ans völkerrechtliche Regelwerk erhaben und mehr dem Geist dieser Ordnung verpflichtet fühlen.
Mit diesen Werten ist es eben wie mit dem lieben Gott, der findet sich auch auf allen Seiten der Kriegsparteien, wo seine irdischen Vertreter die Waffen segnen. Seit dem Zweiten Weltkrieg haben pausenlos Kriege stattgefunden – so wurden 1948 die Palästinenser im Namen des Völkerrechts von ihrem Land vertrieben, um den Staat Israel zu gründen, im Korea- oder Vietnamkrieg musste die „freie Welt“ verteidigt werden, im Jugoslawien- oder Afghanistankrieg ging es gegen Kriegsverbrechen und Terrorismus – stets handelte es sich darum, höchste Werte wie Freiheit, Selbstbestimmung oder Menschenrechte zu verteidigen, wozu bekanntlich auch zahlreiche Putsche organisiert wurden; von Europa (Beispiel Griechenland) bis Lateinamerika (Beispiel Chile) zeigten hier die in den USA ausgebildeten Militärs, was sie konnten. Das hat offenbar diesen Werten keinen Abbruch getan, auch wenn sich der oberste Hüter der Menschenrechte mit Einrichtungen wie Guantanamo oder Abu Ghraib offen zu deren Verletzung bekennt.
Trotz all dieser Widerwärtigkeiten entdeckt der DGB die Schönheit seiner angestrebten Ordnung in der Zeit des Kalten Krieges, der bekanntlich nicht heiß, sondern von vielen diplomatischen Aktivitäten begleitet war: „In Verbindung mit dem völkerrechtlichen Anspruch auf Selbstverteidigung und den Verpflichtungen des humanitären Völkerrechts sind es diese Grundsätze und ihre Durchsetzung, die vor acht Jahrzehnten den Ausschlag für die UN-Gründung gegeben und die vor nunmehr 50 Jahren Eingang in die KSZE-Schlussakte von Helsinki gefunden haben. Aus gewerkschaftlicher Sicht sind diese Prinzipien als Pfeiler einer regelbasierten internationalen Ordnung unantastbar.“ Nur weil es die UN gibt und die Schlussakte von Helsinki, sind die darin formulierten Grundsätze jedoch nicht die Basis, die irgendetwas regelt. Welche Regeln gelten, hat auch zu dieser Zeit im Wesentlichen die überlegene Macht der USA bestimmt.
Wenn dann der DGB enttäuscht feststellt, dass es zur Zeit zahlreiche Kriege mit vielen Toten gibt – wie in der Ukraine oder in Gaza –, dann will er keineswegs festhalten, was es mit diesen schönen Werten auf sich hat und warum es diese Kriege gibt, sondern er entdeckt ein neues Denken.
Die Geisterstunde des DGB
„Wir erleben die Wiedergeburt einer verhängnisvollen Denk- und Handlungslogik in den internationalen Beziehungen. Sie setzt nicht mehr auf die Stärke des Völkerrechts, sondern auf das Recht des Stärkeren.“ Man muss sich manchmal fragen, in welcher Welt die DGB-Oberen leben. Auch zur Zeit des Kalten Krieges gingen die Politiker nicht mit Gesetzesvorschriften auf einander los, sondern mit Waffen, bedrohten sich gegenseitig damit und führten, wenn es sein musste, zahlreiche Stellvertreterkriege, so etwa in Afrika. Doch das Hirngespinst, das der DGB entfaltet, dient eben wie immer, wenn es um Werte geht, der Klärung der Schuldfrage: „Maßgeblichen Anteil an dieser bedrohlichen Entwicklung hat die Großmachtkonkurrenz zwischen USA, China und Russland.“
Die EU kommt da gar nicht vor, ist offenbar kein Bestandteil dieser Konkurrenz, auch wenn Frau von der Leyen und Bundeskanzler Merz ihren weltpolitischen Anspruch angemeldet haben. Die EU ist quasi Opfer: „Für die Europäerinnen und Europäer stellt sich zusätzlich die Herausforderung, dass auf das Schutzbündnis mit den USA kein Verlass mehr ist. Auch die Europäische Union und die europäische NATO-Staaten laufen deshalb immer stärker Gefahr, zum Spielball rivalisierender Großmachtinteressen zu werden.“ Für nationalistische Gewerkschafter ein unhaltbarer Zustand! Haben Deutschland und Europa jahrelang gemeinsam mit den USA die Regeln bestimmt, auf denen die Welt basierte, so droht jetzt, dass sie dieser herausgehobenen Position verlustig gehen könnten. Für einen ordentlichen deutschen Gewerkschafter ist es ein unerträglicher Zustand, wenn die eigene Nation in der Staatenkonkurrenz die zweite Geige spielt. Also ist Aufrüstung das Gebot der Stunde: „Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sehen deshalb durchaus die Notwendigkeit, in Deutschland und Europa die gemeinsame Verteidigungsfähigkeit zu stärken.“
Als bedingungslose Unterstützung der „Kriegstüchtigkeit“ der Regierung soll man das jedoch nicht verstehen: „Die dafür auf dem NATO-Gipfel in Den Haag beschlossene, horrende Erhöhung der Rüstungsausgaben auf fünf Prozent des BIP betrachten wir als willkürlich und bewerten sie äußerst kritisch.“ Die politische Absicht, die mit diesem Programm verbunden ist, Deutschland zur führenden Militärmacht in Europa und Europa zu einer potenten Weltmacht werden zu lassen, nimmt der DGB dabei nicht kritisch ins Visier. Kritikabel erscheint ihm, dass der Aufrüstungsbeschluss nicht aus eigener Einsicht erfolgt ist, sondern auf Druck der USA, womit sich die eigene Nation und damit ihr Bündnis in Europa offenbar erniedrigt haben. Darüber hinaus sehen die Gewerkschafter durch diese enorme Aufrüstung auf Kredit andere staatliche Ziele bedroht.
Kriegstüchtig, aber richtig!
Dass das gewaltige Aufrüstungsprogramm der Bundesregierung den Mitgliedern der Arbeitervertretung einiges abverlangen wird, davon gehen die Gewerkschaftsführer*innen aus. Das Ganze kann man auch als Forderung formulieren: „Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften fordern die Bundesregierung anlässlich des bevorstehenden Antikriegstages am 1. September dazu auf, sicherzustellen, dass die zusätzlichen Rüstungsausgaben nicht zu Lasten des Sozialhaushalts, der Ausgaben für Bildung und Forschung und von Investitionen in öffentliche und soziale Infrastruktur gehen.“ Auch so kann man klarstellen, dass man die Aufrüstung unterstützt und die Absichtserklärungen in Sachen „Reform der Sozialsysteme“, wie die Kürzungsabsichten lauten, nicht zur Kenntnis nehmen will.
Mit dem politischen Streikverbot, dem sich die Gewerkschaften in Deutschland beugen, ist sowieso geregelt, dass sie die Schädigungen ihrer Mitglieder durch die Politik hinzunehmen haben. Mit der Sorge um Bildung und Forschung bekunden die Gewerkschafter gleichzeitig ihre Sorge um den Erfolg der Nation in der Konkurrenz der Staaten. Um die öffentliche Infrastruktur brauchte sich der DGB eigentlich keine Sorgen zu machen, hat die Regierung mit ihrem Sonderfonds für Infrastruktur doch bereits bekundet, dass sie alles tun wird, um diese zu erneuern, d.h. kriegstauglich zu machen.
Doch auch der effektiven Verwendung der Aufrüstungskredite gilt die Sorge der Arbeiterpolitiker. So fordern sie, „sich bei der Festlegung zusätzlicher notwendiger Verteidigungsausgaben nicht dauerhaft an der abstrakten, sachlich unbegründeten und völlig überhöhten NATO-Zielvorgabe von fünf Prozent des BIP zu orientieren. Stattdessen muss sich jede Ausgabensteigerung an den tatsächlich bestehenden Ausrüstungs- und Kapazitätsbedarfen bemessen. Zu rechtfertigen sind zusätzliche Rüstungsausgaben nur in dem Umfang, der die Bundeswehr wirklich dazu befähigt, ihren grundgesetzlichen Auftrag zur Landesverteidigung und ihre Bündnisverpflichtungen zu erfüllen.“
Eine seltsame Kriegsgegnerschaft, die bei der Rüstung in überflüssige und notwendige Kosten, bei den Kriegen in gute und schlechte zu unterscheiden weiß. Dabei hat die Regierung klargestellt, was der Maßstab für ihre Rüstung ist: die überlegene europäische Militärmacht zu werden – ein Anspruch, der wie die Kreditbewilligung bereits zeigt, maßlos in dem Sinne ist, dass er nach oben keine Grenzen kennt. Wenn der DGB sich auf die Landesverteidigung als Auftrag der Bundeswehr bezieht, müsste ihm auffallen, dass heutzutage alle Kriegsminister Verteidigungsminister heißen und noch jeder Krieg die Interessen eines Landes verteidigt. So verteidigt Russland sich gegen den Aufmarsch der Nato an seiner Westgrenze und die Ukraine die Freiheit des Westens, mit Truppen bis zur russischen Grenze vorzurücken. Israel verteidigt seine Sicherheit, indem es seine Nachbarn bombardiert und terrorisiert, die Hamas verteidigt den Anspruch der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Schon Hitler hat den Zweiten Weltkrieg begonnen, mit dem Befehl zurückzuschießen…
Deshalb ist es auch nicht mehr verwunderlich, wenn der DGB diejenigen, die das Aufrüstungsprogramm betreiben, auffordert, „die sich immer schneller drehende Aufrüstungsspirale zu stoppen“. Eine Spirale, die sich nach Ansicht der Gewerkschaft offenbar von selber dreht und nicht von denjenigen angetrieben wird, die jetzt ausgerechnet die Bremser sein sollen. Dabei bescheinigt der Aufruf doch selber den wachsenden Rüstungsausgaben ihre Berechtigung, damit Deutschland und Europa nicht zum Spielball der Großmächte werden, sich selber vielmehr für den Status einer Großmacht rüsten. Insofern haben diese Einwände etwas Verlogenes und Heuchlerisches. Wenn der DGB dann auch noch verstärkte diplomatische Bemühungen einfordert, übersieht er wohl die heftigen Reiseaktivitäten des Kanzlers und Außenministers, deren diplomatische Bemühungen durch verstärkte Aufrüstung untermauert werden sollen.
Einem militärisch gestärkten Auftritt Deutschlands und Europas in der Welt kann der DGB einiges abgewinnen, nur möchte er dies mit einem Glorienschein versehen: „Dabei geht es auch darum, durch Deutschlands Beitrag Europas eigenständige Rolle als internationale Friedensmacht zu stärken – eine Friedensmacht, die sich geschlossen für eine Politik der Gewaltfreiheit und globale Kooperation einsetzt, aktive Ansätze zur diplomatischen Konfliktlösung vorantreibt und neue Abrüstungs-, Rüstungskontroll- und Rüstungsexportkontrollinitiative auf den Weg bringt.“ Frieden kann man nur mit Waffengewalt erzwingen, das hat die Friedensmacht Europa in Jugoslawien bereits demonstriert und einen eigenen Sachwalter in Sachen Frieden in Bosnien-Herzogownia installiert, der den dortigen Herrschern sagt, was sie dürfen und was nicht.
Viel Rüstung braucht es daher auch, um Abrüstungsverhandlungen zu führen, worüber sollte sonst verhandelt werden? Dem DGB ist kein Bild zu doof, um der stattfindenden Aufrüstung einen Heiligenschein zu verpassen. Und so kennt er auch schon die Kriegsgegner, gegen die sich diese Friedensmacht wenden muss: „Wir brauchen in Europa ein klares Bekenntnis, worum es uns bei der Stärkung der eigenen Verteidigungsfähigkeit eigentlich geht – nämlich um die Verteidigung unserer liberalen Demokratie und unseres Modells der sozialen Marktwirtschaft. Nach außen müssen wir dieses gemeinsame Modell nicht nur gegen die unmittelbare militärische Bedrohung durch Russland verteidigen, sondern auch gegen den autokratischen Staatskapitalismus Chinas und den Big-Tech-Radikalkapitalismus US-amerikanischer Prägung behaupten.“
Um zu einem klaren Bekenntnis bei dieser Frontbildung zu gelangen, muss zunächst eine Reihe von Regierungen in Europa auf Linie gebracht werden, die in der Konfrontation zu Russland für sich keinen Vorteil entdecken können. Das geht nicht ohne entsprechende Erpressungsmanöver ab. So funktioniert eben Liberalismus, der seine Gegner ausfindig gemacht hat. Das erfordert zudem, dass alles dafür getan wird, damit auch die Bürger auf Linie sind. Da sind Einsparungen beim Sozialen, die die Bürger nicht „mitnehmen“, möglicherweise kontraproduktiv. Und so bringt der DGB seine Version von Kriegstüchtigkeit auf den Begriff: „Rüstungsausgaben in einer Höhe, die massiv auf Kosten der öffentlichen Finanzierung all dieser (sozial-)staatlichen Aufgaben gehen, stärken nicht unsere Verteidigungsfähigkeit, sondern bewirken das Gegenteil: Sie erhöhen die Angreifbarkeit unserer Demokratie von außen und innen.“ Die Demokratie ist eben ein Gut, das über jeden Angriff – von außen wie von innen – erhaben sein muss, ein Anspruch, der im Fall des Falles über Leichen geht.
(K)ein Bündnispartner!
Der DGB will sich offenkundig in die Reihen derjenigen einreihen, die gegen die Aufrüstungspolitik demonstrieren oder ihre Verunsicherung angesichts der aktuellen Weltlage bekunden. Die Argumente im Aufruf sind aber ein einziges Dementi seiner Gegnerschaft zum staatlichen Aufrüstungsprogramm. Wer also meint, mit der Teilnahme des DGB an Antikriegsprotesten oder -tagen würde der Gegnerschaft gegen die Militarisierung der Gesellschaft ein größeres Gewicht verliehen, müsste durch den neuen Aufruf eines Besseren belehrt werden, Stellt sich der Verein doch hinter die Regierungslinie und bemüht sich, gerade auch mit Blick auf die sozialdemokratische Gewerkschaftstradition, Kritiker des Aufrüstungskurses zu vereinnahmen.
Quelle: overton-magazin.de… vom 6. August 2025
Tags: Arbeitswelt, Deutschland, Dritter Weltkrieg, Europa, Gewerkschaften, Imperialismus, Politische Ökonomie, Sozialdemokratie, Strategie, USA, Widerstand
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