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Ungarn: Auf dem Weg zum landesweiten Streik

Eingereicht on 7. Januar 2019 – 17:57

Matthias István Köhler. Für den Samstag hat in Budapest ein breites Bündnis von Organisationen erneut zu Protesten gegen die seit dem 1. Januar gültige Novelle des ungarischen Arbeitsrechts aufgerufen. Zu der Demonstration auf dem Heldenplatz mobilisiert haben verschiedene Gewerkschaften und liberale Oppositionsparteien, aber auch die neofaschistische Partei Jobbik. Das neue Gesetz sieht unter anderem vor, die mögliche Anzahl der jährlichen Überstunden von 250 auf 400 anzuheben. Zudem haben Unternehmer die Möglichkeit, die Mehrarbeit ihrer Beschäftigten nicht innerhalb eines Jahres, sondern binnen dreier zu verrechnen.

Die Gewerkschaften sehen in der Kundgebung einen ersten Schritt hin zu einem landesweiten Streik, sollte die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orban nicht auf eine Liste mit vier Forderungen reagieren, die von einer nach Weihnachten gegründeten Arbeitsgruppe erstellt wurde. Wie die sozialdemokratische Tageszeitung Nepszava am Donnerstag berichtete, verlangen sie, dass die neue Überstundenregelung zurückgenommen, der Mindestlohn erheblich angehoben und auch das Streikrecht neu verhandelt wird. In einem gesonderten Punkt drängen die Gewerkschafter auf eine Neuregelung des Renteneintritts.

Es wird erwartet, dass die Forderungen bei der Kundgebung von dem Vorsitzenden des ungarischen Gewerkschaftsbundes Maszsz, Laszlo Kordas, vorgetragen werden. Gegenüber Nepszava sagte er, die Gewerkschaften könnten mit dem Katalog nun endlich die Streikbereitschaft unter ihren Mitgliedern klären.Der Vorsitzende des mit der Maszsz konkurrierenden »Kooperationsforums der Gewerkschaften«, Andras Földiak, sagte am Mittwoch dem Sender Inforadio, dass er die landesweiten Streiks bereits für Anfang Februar erwarte. Es sei aber unklar, wie viele sich diesen anschließen werden, sagte Földiak, dessen Organisation vor allem die Interessen von Beschäftigten in Bildungs- und Kultureinrichtungen, aber auch im Gesundheitswesen und in der staatlichen Verwaltung vertritt. Er gehe aber von einer großen Beteiligung aus, denn so starke Proteste wie zuletzt selbst außerhalb Budapests habe es in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben: »Die Unzufriedenheit ist wirklich sehr groß.«

Der Wochenzeitung Heti Vilaggazdasag zufolge hatten Anfang des Jahres bereits zwei Gewerkschaftsvertreter erklärt, dass Unternehmen in mehreren Fällen Tarifverträge gekündigt und Neuverhandlungen angesetzt hätten, um vor dem Hintergrund der neuen Gesetzesregelungen die bisher geltenden Arbeitszeitregeln auszuhebeln. Die Namen der Unternehmen wollten die Gewerkschafter nicht nennen.

Auch die Oppositionsparteien versuchen, die Empörung über die Arbeitsrechtsnovelle für sich zu nutzen. Am Donnerstag hatten sie eine außerordentliche Parlamentssitzung zu dieser Frage initiiert. Die Parteien der Regierungskoalition erschienen jedoch nicht. Trotzdem nutzten die anwesenden Abgeordneten die Möglichkeit, um zur Demonstration am Samstag aufzurufen und Forderungen nach einer freien Justiz und unabhängigen Medien sowie zur Rücknahme der Arbeitsrechtsänderungen vorzutragen, bevor der stellvertretende Parlamentspräsident die Beratung beendete, da das Plenum nicht beschlussfähig war. Ein Regierungssprecher kritisierte das Verhalten der Minderheitsfraktionen. »Anstatt der Interessen Ungarns hat die Opposition nur kurzfristigen, politischen Lärm und das Übernehmen der Macht im Sinn«, hieß es am Donnerstag laut der ungarischen Nachrichtenagentur MTI. Die Regierungsgegner hätten sich schon im Dezember mit »schwachen schauspielerischen Leistungen« als Opfer darstellen wollen.

Noch kann das Regierungslager auf großen Rückhalt in der Bevölkerung zählen. In Umfragen von Ende November und Anfang Dezember, also noch vor der großen Protestwelle, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut »Idea«, dass zwar sowohl die Regierungspartei Fidesz als auch die neofaschistische Jobbik leicht an Zustimmung verloren habe. Beide würden bei Neuwahlen jedoch weiter die stärksten Parteien im ungarischen Parlament bleiben.

Quelle: jungewelt.de… vom 7. Januar 2019

 

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