Frankreich: Die Bewegung der Gelben Westen: Was tun?
Manon Boltansky. Die Bewegung der Gelben Westen (GJ: gilets jaunes) stellt uns nach wie vor vor viele Fragen und Herausforderungen. Und da diese Bewegung ihrem Wesen nach einzigartig und neu ist, stellen ihre Mobilisierungsformen und ihre Handlungsmöglichkeiten auch Herausforderungen für uns dar.
Die Orte, an denen diese Mobilisierung stattfand, konzentrierten sich – ihrer Auslösung durch die Erhöhung der Treibstoffsteuern gemäss – auf die Orte, an denen Autos benutzt werden: Mautstellen, Kreisverkehre, Autobahnen, etc. Sie wurde schnell zu einem festen Bestandteil dieser Gebiete, die sich teilweise mit den Wohngebieten der mobilisierten GJs überschneiden (hauptsächlich ländliche und peri-urbane Gebiete und gelegentlich große städtische Gebiete für die Mobilisierungstage am Samstag).
Neue Bewegung, neue Handlungsmöglichkeiten?
Diese Handlungsmöglichkeiten liegen sicherlich nicht ganz außerhalb der Praktiken der traditionellen Arbeiterbewegung. «Blockaden» oder «freie Maut» sind beispielsweise nicht neu und hätten bereits bei der letzten Rentenbewegung oder während des Streiks der Eisenbahner durchgeführt werden können.
Aber es gibt zwei wichtige Unterschiede: Die GJs begannen mit dem Blockieren, entschieden sich aber schnell, zu bleiben und die Blockadeplätze zu besetzen und machten sie so zum lebendigen Zentrum ihrer Mobilisierung. Es wurden echte Lager eingerichtet, in denen sie sich Tag für Tag und Woche für Woche abwechselten. Zweitens sind diese Blockaden nicht mit der etablierten Arbeiterbewegung verbunden, und stehen noch weniger im Zusammenhang mit einem Streik. So kam es beispielsweise zu Blockaden von Tanklagern, ohne dass sie mit einem Streik der Raffineriearbeiter verbunden waren.
Die andere Besonderheit dieser Bewegung ist das Fehlen von Gewerkschaften oder politischen Parteien. Sie entwickelte sich nicht nur außerhalb der Arbeiterbewegung, sondern auch in deren Ablehnung und ihrer Mobilisierungsformen, insbesondere des Streiks. Der Beginn der Bewegung war geprägt von einer offenen Ablehnung der als unnötig erachteten Gewerkschaften, aber auch der «Politik», die insbesondere durch die Verantwortung der traditionellen Parteien bei der Bewältigung der Krise und der Durchführung der Sparpolitik motiviert war. Die GJs scheinen hauptsächlich nicht-gewerkschaftliche Mitglieder und Erstaktivisten zu sein.
Dies gilt insbesondere, wenn wir die Organisation der Bewegung betrachten, insbesondere die Seltenheit der Generalversammlungen oder der breiten und regelmäßigen demokratischen Entscheidungsstrukturen innerhalb der Bewegung. Tatsächlich gibt es keinen Rahmen für Zentralisierung und nationale Politikentwicklung. Manchmal existiert nicht einmal eine Koordinierung auf lokaler oder regionaler Ebene.
Keine Gewerkschaften, keine Streiks
Das Fehlen von Gewerkschaften und Parteien bestimmt natürlich weitgehend die von der Bewegung gewählten Handlungsmöglichkeiten. Ohne sie keine Streiks, aber auch keine angemeldeten Demonstrationen, keine zentralisierte Organisation von Mobilisierungstagen. Die ersten Aufrufe (Akte I und II) erwähnten die Demonstrationen nicht oder selten. Sie erwähnten Versammlungsorte, an denen es in der Tat schnell zu gewaltsamen Zusammenstößen mit der Polizei kam, dann entwickelten sie sich oft zu wilden und massiven Demonstrationen, die aus einer Vielzahl von unkoordinierten Gruppen zusammengesetzt waren. Diese Vorgehensweise hat sich im Laufe der Wochen zur Norm entwickelt.
Während diese Handlungsweisen für uns fremd oder unbekannt sind, so geben sie für uns doch wesentliche Hinweise für unsere Beteiligung an dem Aufstand.
Das Problem bei der Besetzung eines Platzes besteht darin, dass, wenn dies außerhalb eines Arbeitsplatzes und insbesondere ohne Streik geschieht, nicht alle teilnehmen können. Um sich Zeit zu nehmen, ist es notwendig, die Maschine «anzuhalten»; dies ist ohne Streik für die Mehrheit der Arbeiterklasse unmöglich. Aber die Besetzung hat den Vorteil, ein Sammelpunkt zu sein, ein Ort des Austausches, der politischen Debatte und der Wiederherstellung einer kollektiven Erfahrung. Für alle, die keine Unternehmen besetzen können, sind diese Blockaden die Räume, in denen sich isolierte Proletarier und Proletarierinnen treffen, zusammenkommen und ihr Schicksal irgendwie in ihre Hände nehmen können.
Radikalisierung: wilde Demonstrationen und Zusammenstöße
An dieser Stelle ist es wichtig, die Parallele zur Bewegung gegen die Zerschlagung der Altersvorsorge und die Erfahrungen mit den organisierten Demos zu berücksichtigen. Bereits damals haben einige, die sich damals zum ersten Mal mobilisierten, dies außerhalb des traditionellen Rahmens der Arbeiterbewegung und insbesondere außerhalb des Rahmens gewerkschaftlicher und politischer Mobilisierungen taten.
Auch bei den GJs hat die völlig unverhältnismäßige Reaktion der Regierung auf polizeiliche und gerichtliche Repressionen das Pulverfass in Brand gesetzt. Zu Beginn der Mobilisierung wurden GJs, die zum ersten Mal zu einer ihrer Meinung nach einfachen Kundgebung nach Paris kamen, sehr schnell mit polizeilicher Gewalt konfrontiert. Gleiches galt in der Folge für die Kreisverkehre und die verschiedenen Sperrpunkte, die auf brutalste Weise im gesamten Gebiet geräumt wurden.
Diese Repression ging einher mit der Missachtung seitens der Regierung und einer lauthalsen Hetze gegen die Bewegung. All dies hat einen großen Teil der GJs von rechtlichen und «republikanischen» Lösungen abgehalten. Die Erfahrung des Klassencharakters des Staates bei der Verteidigung der Reichsten und der Illegitimität seiner Politik und seines bewaffneten Flügels ist keine geringe Leistung der Aktivisten und Aktivistinnen der Bewegung. Die Episode des Einbrechens der Türen des Ministeriums von Benjamin Griveaux ist ein krachendes Beispiel….!
Was können wir also tun?
Die Regierung ist nervös, sie hat sich sogar in mehreren Punkten zurückgezogen.
Aber um weitergehen und standhalten zu können, braucht diese Bewegung die Mobilisierung der traditionellen Arbeiterbewegung. Sie muss das Land wirklich «blockieren» und wird nicht um einen Streik herumkommen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Verantwortung der CGT und der anderen Gewerkschaftsverbände sehr gross, und auch wenn wir den Trend allein nicht umkehren können, ist es wichtig, dass wir versuchen, ihn zu beeinflussen. Wir müssen mit unseren Mitteln Wege vorschlagen, wie wir die GJs mit der traditionellen Arbeiterbewegung und ihren Aktivisten und Aktivistinnen verbinden können. Das Vorschlagen, Mitwirken und Organisieren, auch physisch, bei den Mobilisierungen, seien diese nun ordnungsgemäss deklariert oder nicht, von Demonstrationen, die während nationaler Mobilisierungen organisiert werden, ist in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe. Wir haben auch die Verantwortung, die Gewerkschaftsstrukturen, in denen wir tätig sind, zu beeinflussen, um ihre Teilnahme an den Aktionen der Bewegung zu fordern.
Die Herausforderung für uns besteht darin, die Spontaneität und Fülle dieser von der GJ-Bewegung geschaffenen Instrumente mit dem massiven und koordinierten Charakter zu verbinden, den eine groß angelegte Mobilisierung der Arbeiterbewegung durch den Aufbau zahlreicher sektoraler Streiks mit dem Ziel der Entwicklung eines unbefristeten Generalstreiks mit sich bringen würde.
Quelle: HEBDO L’ANTICAPITALISTE – 458… vom 14. Januar 2019; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Arbeiterbewegung, Arbeitskämpfe, Frankreich, Frauenbewegung, Neoliberalismus, Strategie, Widerstand
Neueste Kommentare