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Der Zionismus, Mißgeburt der Arbeiterbewegung

Eingereicht on 28. Mai 2019 – 16:00

Le Brice-Glace, (Frühjahr 89). Bis zur Ausbreitung der kapitalistischen Produktionsweise im 18. Jahrhundert waren die Juden in Europa und im Mittelmeer-Raum eine der wenigen vorkapitalistischen Gemeinschaften, die ihre geographische Verlagerung überlebt hatten. Diese Gemeinschaft hatte sich auch deshalb lange halten können, weil sie sich zum gesellschaftlichen Agenten des Waren- und Geldhandels in der europäischen Feudalgesellschaft machte und so die äußere Grundlage für den vorkapitalistischen Produktionsprozeß war. Gestützt auf diese Basis konnten die Juden als prekäre Insel inmitten der sie umgebenden Gesellschaft ihr Gemeinschaftsleben mit seiner relativ autonomen inneren Organisation aufrechterhalten.

Als der Kapitalismus zur in Europa vorherrschenden Produktionsweise wurde, hatte die Totenglocke der jüdischen Gemeinschaft geläutet. Der Wert war nun dem Produktionsprozeß nicht mehr äußerlich, sondern durchtränkte die ganze Gesellschaft. In gleichem Maße verloren die Juden die materielle Grundlage für ihre Reproduktion als Gemeinschaft außerhalb der Gesellschaft. Die Kapitalisierung der europäischen Gesellschaft zwang die Juden, sich zu integrieren und wohl oder übel den Klassen der neuen Gesellschaft anzupassen: Proletariat, Kleinbürgertum, Bourgeoisie.

Juden im Osten – die unmögliche Integration

Der Prozeß der Zerstörung ihrer Gemeinschaft wurde nicht nur hingenommen, sondern das ganze 18. Jahrhunderts über von den Juden in der Haskalah auch freiwillig angenommen – einer reformistischen Bewegung der „jüdischen Aufklärung“, die die Emanzipation, die Integration der Juden in die moderne Gesellschaft forderte. Auf diese Forderung antwortete die Französische Revolution von 1789, die die historische Notwendigkeit der Zerstörung der jüdischen Gemeinschaft zur Kenntnis nahm und die politische Emanzipation der ansässigen Juden verfügte. Die Konvention von 1792, welche die politische Emanzipation der Juden verfügte, schrieb in ihrer Willenserklärung die Zerteilung der Gemeinschaft in atomisierte Individuen fest: »Den Juden als Individuen alles gewähren, ihnen nichts gewähren als Nation!« Das ist haargenau das Prinzip der Atomisierung der Individuen in der Geschäftskonkurrenz, der eigentlichen Grundlage der demokratischen Gesellschaft.

Aufgrund der Widersprüchlichkeit des Kapitals gelang diese Integration der Juden in die europäische Gesellschaft jedoch nicht überall. In Westeuropa, wo der Kapitalismus in vollem Wachstum stand, war die Gesellschaft dynamisch genug, um einen Ort für die Juden zu schaffen. Das ganze 19. Jahrhundert über löste sich die Gemeinschaft tatsächlich auf, die Juden assimilierten sich rasch, und ihr „Judentum“ war nur noch die Privatreligion atomisierter Individuen.

In Osteuropa dagegen (einschließlich der östlichen Regionen des österreichisch-ungarischen und russischen Reiches und Polens) war die Integration nicht möglich, da das Kapital hier auf dieselbe Weise eingedrungen war, mit der es später die Dritte Welt schaffen sollte. Das Gesetz des Geldes hatte sich in der ganzen Gesellschaft durchgesetzt, hatte die traditionelle Lebensweise zersetzt, aber wegen dem Konkurrenzdruck der fortgeschritteneren Nationen konnte sich die neue Produktionsweise nicht ausreichend entwickeln, um die Gesamtheit der entwurzelten Massen zu integrieren.

Diese Situation galt besonders für die jüdischen Massen im russisch-polnischen „Siedlungsgebiet“ und im Norden Österreich-Ungarns, die damals 2/3 der jüdischen Weltbevölkerung ausmachten.

Da das Geld zum inneren Bestandteil des Produktionsprozesses geworden war, verloren die Juden in diesen Gegenden, wie im übrigen Europa, die traditionelle Basis für ihr Überleben als Gemeinschaft. So erklärt sich die Stärke, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Haskalah bekam, die den Auszug aus den Ghettos und die Integration in die Gesellschaft predigte.

Genausowenig wie aus obigen Gründen diese Assimilation möglich war, konnte die Gemeinschaft aufrechterhalten werden. Das Drama der europäischen jüdischen Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert wurzelt in dieser widersprüchlichen doppelten Unmöglichkeit. Die neue Produktionsweise war in der Tat zu eng, um gleichzeitig mit den ruinierten „einheimischen“ Bauernmassen die jüdischen Massen zu integrieren, die man um ihr auf den Wert begründetes traditionellen Existenzmittel gebracht hatte. Ein in den Massen verbreiteter Antisemitismus diente nun dazu, die jüdische Arbeitskraft aus den Fabriken auszuschließen[1].

Das Ergebnis des unlösbaren Widerspruchs war jene wahrhaft historische „Anomalie“, das hartnäckige Überleben der jüdischen Gemeinschaft in schrecklichem Elend, obwohl dieses Überleben in der Gesellschaft des Kapitals objektiv unmöglich geworden war, und bestraft durch Verfolgungen und Pogrome.

Dieses ebenso unabwendbare wie anachronistische Überleben erklärt den Rückfluß der rationalistischen Bewegung der Haskalah im Laufe des 19. Jahrhunderts in den Ghettos Osteuropas und gleichzeitig den massiven Erfolg des Hassidismus, einer Auferstehungsbewegung der Kabbale und der kommunitären Mystik, aus der die Juden die Kraft schöpfen sollten, das Elend und die Verfolgungen zu ertragen. Die Lebensbedingungen der Juden im 19. Jahrhundert und bis zur nazistischen „Endlösung“ im 20. Jahrhundert waren in diesem Teil Europas nur die ganz und gar negativen von Menschengemeinschaften, die auf der Erde überflüssig geworden waren.

Die Massenverelendung führte offensichtlich zur Herausbildung eines zahlenmäßig starken jüdischen Proletariats, das aber, da es aus der einheimischen Industrie praktisch ausgeschlossen war, in der Gemeinschaft bleiben mußte ohne Möglichkeit, sie hinter sich lassen zu können, und es blieb ihm nur die Arbeit in der Heimindustrie für den Profit der jüdischen Bourgeois.

Der jüdische Sozialismus

Erst als gegen Ende des 19. Jahrhunderts das jüdische Handwerkertum durch die Konkurrenz der Industrie allmählich verschwand, war das Proletariat gezwungen, eine andere Lebensweise anzunehmen um zu überleben, und es befreite sich von der rabbinischen Orthodoxie und dem Kult der Passivität. Dies ist die Zeit, in der besonders die jüdischen Proletarier Osteuropas beginnen, sich dem Marxismus und der Idee einer proletarischen Revolution anzuschließen. Sie finden sich auch unter den ersten Proletariern Osteuropas, die sozialistische Organisationen gründen[2].

Der Sieg des Sozialismus schien in der Tat die einzige Lösung zu sein für den vom Kapital verursachten Widerspruch, welche die Integration in den Produktionsprozeß und die Aufhebung des antisemitischen Ausschlusses erlaubte. Die jüdische sozialistische Bewegung forderte im Grunde die wahrhafte Verwirklichung der Integration der Juden in die moderne Gesellschaft. Darin war sie die moderne Erbin der Haskalah. Die gesellschaftliche Integration der massenhaft proletarisierten Juden begann also mit ihrer Integration in den Klassenkampf des europäischen Proletariats.

Haargenau wie die Haskalah stieß jedoch die jüdische sozialistische Bewegung auf die Unmöglichkeit, die Grenzen der Gemeinschaft zu überschreiten, deren Existenzbedingungen indes völlig brüchig geworden waren. Der weiter oben erwähnte Grund spielte dabei eine Rolle: die moderne Produktionsweise war in Osteuropa zu eng, um die jüdischen Proletarier zu integrieren. Später wurde die einheimische Arbeiterklasse von einem chronischen Antisemitismus ergriffen, der dazu diente, diese konkurrierende Arbeitskraft auszuschließen.

Die jüdischen Proletarier, die in einem sterbenden Handwerk verstreut oder zu Massenarbeitslosigkeit und Emigration gezwungen waren, hatten so, bis auf eine Minderheit, keine Möglichkeit, sich in die einheimischen Klassenkämpfe einzureihen. So erklärt sich das autonomistische und separatistische Abdriften des Bund[3], was dazu führt, daß das jüdische Proletariat das große Rendevous mit der Oktoberrevolution verpaßt, obwohl doch im Ausschluß der proletarisierten jüdischen Gemeinschaft ein großer Sprengsatz lag. Diese unmögliche Integration der jüdischen Proletarier Osteuropas in den Klassenkampf (die die Zweite Internationale nie wirklich zu bekämpfen versucht hat) ist zweifellos das erste große Versagen des proletarischen Internationalismus; ein Versagen, an dem man ermessen kann, wie sehr die europäischen Proletarier in ihre jeweiligen Nationen integriert waren und das den proletarischen Bankrott vor dem Weltkrieg ankündigt. Dieses Versagen schafft die Bedingungen für das Entstehen des Zionismus.

Ursprünglich gab es zwei Arten von Zionismus: einen typisch kolonialistischen „Bourgeois“-Zionismus und einen „Arbeiter“-Zionismus, der die Verlängerung der jüdischen sozialistischen Bewegung Osteuropas war. So oder so waren beide das Ergebnis der jüdischen Frage in Osteuropa: der Arbeiter-Zionismus direkt, als Ergebnis des Ausschlusses der jüdischen Proletarier aus der europäischen Arbeiterbewegung, der Bourgeois-Zionismus indirekt, als Antwort auf die durch die Massenauswanderung der jüdischen Proletarier verursachte Destabilisierung der Region.

Verjagt durch den Zusammenbruch ihrer Lebensbedingungen emigrierten vier Millionen jüdische Proletarier zwischen 1880 und 1929 in die entwickelten Nationen Westeuropas und die USA. Im Gepäck brachten sie die jüdische Frage Osteuropas mit und trugen damit zu ihrer weltweiten Verbreitung bei. Während sich die US-Gesellschaft in voller Expansion befand und bis zur Krise von 1929 anpa sungsfähig und dynamisch genug blieb, um die Einwanderer ohne größere Probleme zu integrieren, war die Gesellschaft in Deutschland, Österreich und Frankreich zu starr für eine unproblematische Integration.

Im Gegensatz zu den einheimischen Juden dieser verschiedenen westlichen Länder sind die jüdischen Proletarier, die in Wellen hereinströmen, nicht atomisiert. Sie kommen in diesen Ländern an mit der Tradition einer lebendigen Gemeinschaftsbindung, die schwer assimilierbar ist, und einem sozialen Zusammenhalt, einer Kraft, die von vornherein die Bourgeoisie und ihren Staat beunruhigt. Diese Gemeinschaftsbindung überschreitet sogar die Grenzen Frankreichs, Deutschlands und Österreichs und bewahrt ihre Wurzeln in Osteuropa. Sie macht aus den Juden wahrhaft internationale Proletarier. Als mobile und rückhaltlose Proletarier, von denen eine beträchtliche Anzahl offen ist für den Marxismus, bilden sie ein Potential revolutionärer Radikalisierung, was sich übrigens in ihrer Beteiligung an den radikalsten Fraktionen der revolutionären Bewegungen der zwanziger Jahre konkretisiert. Welches Echo sie hatten, kann man an den wiederholten Warnungen der deutschen und österreichischen Konterrevolutionäre und Sozialdemokraten in den heißen Nachkriegsjahren (1918 bis 1923) gegen die Präsenz von »polnischen jüdischen Flüchtlingen« innerhalb der Arbeiterbewegung ablesen[4].

Die Staaten Westeuropas hatten zwar nach 1870 ihre Grenzen für diese Proletarier geöffnet, damit sie mit den einheimischen Arbeitern konkurrieren – das Prinzip kapitalistischer Handhabung der Einwanderung. Aber bald beunruhigte breite Fraktionen der Bourgeoisie zunehmend das Bild eines internationalen und politisierten Proletariats, das diese Einwanderer vermittelten. Dieses Bild stand der Politik der Integration der Arbeiter Europas in ihre jeweilige Nation entgegen, die das Kapital betrieb, um die Bedingungen für den Weltkrieg zu schaffen. Ebenso mußte sich integrierteste Schicht der Arbeiterklasse, die ihre Privilegien aus dieser Integration zog, diesem Bild widersetzen, das die eingewanderten jüdischen Proletarier verkörperten.

Der moderne Antisemitismus

Nach dem Abflauen der revolutionären Wogen waren alle Bedingungen beisammen für das Entstehen eines massenhaften Antisemitismus in den entwickelten Nationen, polarisiert von einer nationalistischen extremen Rechten, die einen wichtigen Teil der einheimischen Arbeiterklasse mit sich riß. Das Urbild des „Ju den“ als Wucherer und Ausbeuter wurde wiederbelebt und in allen Tonlagen gesungen. Damit wollte man die einheimischen Arbeiter davon überzeugen, daß die Einwanderer, weil sie Juden waren, nichts mit dem (nationalen) Proletariat zu tun hätten, und so die Gefahr der revolutionären Ansteckung neutralisieren. In der Verschärfung der Krise 1929 radikalisierte sich dieser Arbeiter-Antisemitismus[5]. Ein Teil der Arbeiterklasse klammerte sich in seiner bedrohten Lage verzweifelt an die Zugehörigkeit zur Nation und wies die Vorstellung von einem internationalen Proletarier immer stärker von sich. Die Verschärfung der Arbeitslosigkeit machte aus den neu gekommenen Proletariern Konkurrenten, die es zu beseitigen galt.

Nach der Zerschlagung der internationalen proletarischen Revolution in den zwanziger Jahren triumphierte der Massen-Antisemitismus in seiner Verkörperung durch den Nazismus. Die Bourgeoisie stand trotz ihres Sieges immer noch unter dem Schock, daß beinahe eine internationale Revolution gesiegt hätte, und ließ der antisemitischen Maßlosigkeit der Nazis freien Lauf, um das Gespenst des proletarischen Internationalismus endgültig auszutreiben. Interessanterweise beginnt die politische Karriere von Hitler 1919, mitten in der revolutionären Phase in Europa. In seiner ersten großen Rede am 13. August 1920 erklärt er, er sei ein überzeugter Antisemit geworden, weil »die Juden international sind, die Gleichheit aller Völker und die internationale Solidarität predigen, (und) es ihr Ziel ist, die Rassen zu entnationalisieren.«[6]

Seit dieser Rede vertritt Hitler die Notwendigkeit, die Juden aus dem Innern des deutschen Volkes zu eliminieren, noch ohne die Methode zu präzisieren, die dann folgen sollte. Und offensichtlich ist seit dieser Zeit die eigentliche Zielscheibe des Angriffs auf den „Juden“, mitten in der revolutionären Situation, das internationale und kommunistische Proletariat. Die von den Nazis nach dem Abschluß ihrer Eroberung Europas systematisch organisierte Vernichtung ging in die Richtung: endgültig die nicht-assimilierbare jüdische Gemeinschaft in Osteuropa zu liquidieren, weil sie ein „Vivarium“ mobiler, internationaler Proletarier war[7].

Der Schrecken, den das internationale Proletariat der Bourgeoisie versetzt hatte, muß so groß gewesen sein, daß er zum Grauen des Genozids an den Juden führte.

Mit ihrem systematischen Vernichtungsunternehmen fanden die Nazis wirklich die „Endlösung“ für die historische Anomalie, die das Überleben der proletarisierten jüdischen Gemeinschaft Osteuropas darstellte. Ihr wirkliches Ziel dabei war, die Auslöschung der Vorstellung eines internationalen Proletariats, das sie verkörperten, um die Integration der Proletarier Europas in ihre Nationen auf immer festzuschreiben. Sie operierten im Interesse der gesamten „Zivilisation des Kapitals“ und genossen bei ihrem Unternehmen die aktive Kollaboration der Bourgeoisien der besetzten Länder und das objektive Komplizentum der Alliierten[8].

»Die Vernunft hat immer existiert, aber nicht immer in vernünftiger Form« (Marx). Der furchtbare Fluß der Weltgeschichte hat in der Tat immer wieder Perioden der „Unvernunft“ und der „Maßlosigkeit“ mit sich geführt. Die Produktion dieser Unvernunft hatte leider immer eine in der Geschichte liegende Rationalität, und es ist genau Aufgabe der revolutionären Kritik, den rationalen Kern dieser Produktion zu verstehen. Diese Rationalität in der kapitalistischen Produktionsweise können wir vom Marx’schen Standpunkt aus nur verstehen, wenn wir vom antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Proletariat ausgehen. Wenn wir die nazistische Unvernunft rational angehen, können wir sagen, daß der große Schrecken, den die revolutionäre Formierung eines internationalen Proletariats in den zwanziger Jahren der Bourgeoisie, dem Kleinbürgertum und dem integrierten Teil der Arbeiterklasse eingejagt hat, sich durch eine Art makabre Katharsis in den maßlosen antisemitischen Haß des Nazismus verkehrt hat. All die „Missetaten“ des proletarischen Internationalismus wurden auf die Juden projiziert. Gleichzeitig beschuldigte man sie in offensichtlich widersprüchlicher Weise, Agenten des Kapitalismus zu sein, um zu verhindern, daß die „nationalen“ Proletarier gemeinsame Punkte mit ihren internationalen Brüdern erkennen. Der Haß zielte jedoch vor allem auf letztere.

Immerhin hat der Nazi-Staat einen wesentlichen Teil der Rüstungsausgaben abgezogen, um diese Vernichtung erfolgreich zu beenden, und diese Entscheidung könnte man schon als „unvernünftig“ bezeichnen[9]. Aber die Nazis waren keine kalten und vernünftigen Technokraten: dies ist nicht das Personal, das die Bourgeoisie braucht, wenn in „apokalyptischen“ Zeiten revolutionäre und konterrevolutionäre Leidenschaften herrschen. Die Nazis waren Leute, die „ganze Arbeit“ machten, die quer standen zur Zivilisation des Kapitals und elektrisiert waren von der Angst vorm Proletariat. Nachdem die Arbeit vollendet und für lange Zeit revolutionäre Regungen zurückgeschlagen waren, konnten wieder die kühlen und vernünftigen Technokraten zur Macht zurückkehren und die „dreckige Bestie“ verurteilen.

Die „Unvernunft“ der Nazis war indessen rational genug, um das Kapital von der Last einer Gemeinschaft nicht-assimilierbarer Proletarier zu befreien. In seinem politischen „Testament“, das er kurz vor seinem Ableben verfaßt hatte, spricht Hitler auf seine Art von den Schulden, die die Zivilisation des Kapitals beim Nazismus gemacht hat: »In einer Welt, die immer mehr vom Gift der Juden verseucht ist, wird ein dagegen immunisiertes Volk endlich wieder zu seiner Überlegenheit finden. Unter diesem Aspekt wird man dem Nationalsozialismus ewig dankbar sein, weil ich die Juden Deutschlands und Mitteleuropas vernichtet habe«[10]. (Hervorhebungen vom Autor)

Geburt des Zionismus

Wenn wir nun auf unsere Analyse der Ursachen des bürgerlichen und kolonialistischen Zionismus zurückkommen, müssen wir uns vorhergehende Entwicklungen merken, denn die massive Auswanderung jüdischer Proletarier aus Osteuropa universalisierte die jüdische Frage und zerstörte die Grundlagen der zuvor gelungenen Integration der Juden Westeuropas, und das löste einen massenhaften Antisemitismus aus. Der jüdischen Bourgeoisie Westeuropas war diese Gefahr sehr früh bewußt und vor allem nach dem Eklat der Dreyfus-Affäre begann sie ernsthaft, für den Zionismus zu trommeln. 1897 wurde unter Führung von Theodor Herzl eine weltweite Organisation gegründet, deren Ziel die Schaffung einer nationalen jüdischen Heimat in Palästina unter der Protektion der großen europäischen Kolonialmächte war.

Erklärtes Ziel des Unternehmens war es, den Migrationsstrom jüdischer Proletarier aus Osteuropa nach Palästina umzulenken, um die Integration der Juden Westeuropas zu schützen. In Wirklichkeit bedeutete die Wahl Palästinas der jüdischen Bourgeoisie wenig. Sie hätte auch eine andere territoriale Lösung akzeptiert, wenn sie damit ihre Glaubensbrüder aus dem Osten losgeworden wäre. So schlug Theodor Herzl 1903 der zionistischen Bewegung als zukünftige jüdische Heimat ernsthaft Uganda vor, das großzügigerweise das britische Königshaus angeboten hatte. Aber die Wahl konnte nur auf Palästina fallen bei den Juden in Osteuropa, wo eine kulturelle Tradition überlebt hatte, in der Zion und das Land Israel einen wichtigen Platz einnahmen.

Das Geschäft war einfach: Es ging darum, einer großen Kolonialmacht im Austausch für die Protektion der Siedler die Bestellung und Ausbeutung der Ländereien Palästinas zu deren Profit zu liefern. Eine solche Lösung war bereits ausprobiert worden mit der Gründung der Jewish Colonization Assoziation im Jahre 1891 unter dem Hirtenstab der Barone Hirsch und Rothschild. Dieses Kolonialunternehmen funktionierte folgendermaßen: Mit Hilfe des Bourgeois-Kapitals wurden den abwesenden arabischen Großgrundbesitzern Ländereien abgekauft und dort jüdische Siedler aus Osteuropa angesiedelt. Letztere ließen für deren Profit die palästinensischen Fellachen den Burnus vollschwitzen, die nun von der Nutznießung von Feldern enteignet waren, die sie seit Generationen bebauten. Das jüdische Kapital begann, auch in den Städten Fuß zu fassen, um frisch entwurzelte palästinensische Proletarier auszubeuten.

Mittels des Kolonialismus erschlossen Ende des 19. Jahrhunderts die entwickelten Nationen die vorkapitalistischen Gebiete Afrikas und Asiens für die Kapitalakkumulation. Er gründete auf der Ausbeutung ganzer Völker und verwandelte die traditionelle Bauernschaft in ein unterbezahltes Landarbeiterproletariat.

Der „erste“, bürgerliche, Zionismus entsprach völlig dieser Definition des Kolonialismus. Auf diese Etappe des Zionismus trifft der Vorwurf des Kolonialismus voll zu, wie er von Seiten der PLO erhoben wird. Aber hätte es den Zionismus nur in dieser Form gegeben, wäre er nie als israelische Nation, als Staat Israel entstanden; in Algerien ist ja auch kein Staat der pied-noir[11] entstanden. In einer Kolonialordnung können die Siedler nicht für sich allein eine nationale Basis bilden. Sie tragen nur zur Ausbeutung einer (existierenden oder sich bildenden) Nation bei, auf deren Boden sie selbst Fremdkörper bleiben. Und von dem Moment an, in dem die Nation sich als solche begreift und diesen Anspruch einfordert, sich gegen ihre Ausbeutung erhebt und sie unhaltbar macht, untergräbt sie die Existenzgrundlage der Siedler, die keine andere Wahl haben, als in ihre Herkunftsmetropole zurückzukehren[12].

In Palästina war es aber gerade nicht so, denn der Zionismus war nicht einfach ein Unternehmen, das auf der jüdischen Ausbeutung palästinensischer Bauern beruhte. Die Dritte-Welt-„Marxisten“, die in Israel einen „Schwarzfuß-Staat“ sehen, verdecken die historische Wirklichkeit unter einem falschen Propaganda-Radikalismus. Diese Sichtweise vergißt den „zweiten“ Zionismus, der eine wirkliche nationale Befreiungsbewegung war, und wie wir gleich sehen werden, die direkte Verlängerung der sozialistischen Bewegung der jüdischen Proletarier in Osteuropa.

Der sozialistische Zionismus – Ersatz für die unmögliche Integration

Für das jüdische Proletariat in Osteuropa war die Teilnahme an den Kämpfen der einheimischen Proletarier und damit der Versuch einer Emanzipation über die internationalen Kämpfe unmöglich. Mit Ausnahme der Emigranten konnte sich nur eine Minderheit aus dem Ghetto losreißen, wo die Masse der jüdischen Proletarier eingeschlossen war, und sich in die „einheimischen“ russischen oder polnischen Parteien integrieren. Aber der gesellschaftliche und politische Ausschluß dieses Proletariats beförderte auch die Herausbildung einer anderen kämpferischen Fraktion, die dem Ghetto verhaftet blieb und unter dem Eindruck der Pogrome nach einer eigenen sozialistische Lösung suchte: einem jüdischen „Sozialismus“, einem nationalen Sozialismus, der sich auf den Zionismus gründete. Damit war der „zweite“ Zionismus geboren.

Da sich die jüdischen Proletarier nicht integrieren und als Klasse in der Produktionsbasis Osteuropas kämpfen konnten, propagierten die Zionisten die Eroberung einer anderen Basis (in Palästina), wo sie ihren Sozialismus und ihre Emanzipation verwirklichen wollten, und wo das jüdische Volk endlich „ein Volk wie alle anderen“ werden sollte – integriert in den Produktionsprozeß.

Dies war die These von Borohow (1881- 1917), des Haupttheoretikers des sozialistischen Zionismus. Seiner Meinung nach war die Auswanderung der proletarischen Juden nach Palästina revolutionär, denn sie schuf im Gegensatz zur Auswanderung nach Westeuropa und in die USA mit Notwendigkeit eine neue Gesellschaft, wenn jüdische Proletarier bei der Errichtung der Nation die Führung übernehmen und in Palästina planmäßig eine sozialistische Gesellschaft aufbauen.

Der sozialistische Zionismus war so von Anfang an in energischem Widerspruch zum bürgerlichen Zionismus.[13] Das Prinzip des sozialistischen Zionismus war laut Borohow: »Die Befreiung des jüdischen Volkes wird das Werk der jüdischen Arbeit sein oder sie wird nie sein.«[14]

Der sozialistische Zionismus fand schnell großen Zulauf in der osteuropäischen Gemeinde, weil er den jüdischen Proletariern einen politischen Ausweg anbot, der auf der Hand zu liegen schien und in ihrem sozialistischen Bewußtsein auf Widerhall stieß. Die Juden Osteuropas bildeten die bei weitem größten Bataillone, während die sozialistischen zionistischen Parteien bald die vollkommene politische Hegemonie über die zionistische Weltorganisation erwarben. Wären die Bedingungen für den Aufbau eines jüdischen Staates gemäß den Prinzipien des sozialistischen Zionismus Anfang dieses Jahrhunderts gegeben gewesen, hätte sich ein großer Teil der proletarisierten jüdischen Gemeinde Osteuropas ohne Zögern dorthin begeben, das ist fast sicher.

Die Marxisten hatten leichtes Spiel, den sozialistischen Zionismus als ideologische Abweichung anzuprangern. Das Problem war jedoch nicht rein ideologischer Natur: die jüdischen Proletarier stießen auf die strukturelle Unmöglichkeit, sich in die europäischen Kämpfe einzureihen. Da die Internationalisten dies nicht verstanden und die Lage der proletarischen Juden abstrakt betrachteten, konnten sie ihnen auch nicht aus dieser Klemme helfen.

Bekanntlich leistete die Zweite Internationale kaum Widerstand gegen die Ausschluß-Politik der polnischen Gewerkschaften gegenüber den jüdischen Proletariern. Und die österreichische Sozialdemokratie zeigte sogar großen Gefallen am „volkstümlichen“ Antisemitismus. Dieses Scheitern des proletarischen Internationalismus öffnete den Weg für die sozialistische zionistische „Lösung“. Die Errichtung des Staates Israel ist die direkte Folge des Scheiterns des proletarischen Internationalismus in Europa.

Der sozialistische Zionismus im Dienste eines Proletariats gegen ein anderes

Dank ihrer politischen Hegemonie bewirkten die zionistischen sozialistischen Parteien eine radikale Neuorientierung des Zionismus. Erstens waren sie nicht wie die bürgerlichen und kolonialistischen Zionisten passiv gegenüber den europäischen Großmächten. Jene hatten sich damit begnügt zu warten, daß eine dieser Mächte den Juden einen Staat unter ihrer Protektion „bewilligte“ ganz so wie ihnen das republikanische Frankreich die staatsbürgerliche Emanzipation von oben gewährt hatte.

Die Zionisten-Sozialisten predigten im Gegenteil die nationale Selbstbefreiung; die Juden müßten sich selbst, durch die „jüdische Arbeit“, die Grundlagen ihrer Nation schaffen, ohne auf den guten Willen der Großmächte zu warten. Sie verwandelten so den Zionismus in eine wirkliche nationale Befreiungsbewegung.

Zweitens stürzten die zwei großen, von den sozialistischen zionistischen Parteien geleiteten proletarischen Einwanderungswellen, die sich zwischen 1904 und 1923 nach Palästina ergossen, die koloniale Struktur des Yichouv {die jüdische Gemeinschaft in Palästina} um. Von nun an setzte sich die Idee durch, nach der es das erste Ziel des Kampfes der jüdischen Arbeiterklasse Palästinas ist, der jüdischen Bourgeoisie die „jüdische Arbeit“ aufzuzwingen. Eine Ökonomie, die auf der kolonialen Ausbeutung der arabischen Bauern und Arbeiter beruht, sei abzulehnen, stattdessen müsse eine nationale Ökonomie durchgesetzt werden, die auf der Arbeit der jüdischen Arbeiterklasse beruht und von ihr geleitet wird. Dieser Kampf wurde mit voller sozialistischer Überzeugung geführt, war doch das angestrebte Ziel gegen den Kolonialismus und die Ausbeutung der arabischen Palästinenser gerichtet. Tatsächlich führte er von Anfang an zur Proletarisierung besagter Araber, die zunehmend von den Ländereien vertrieben wurden, die sie seit jeher bebaut hatten.

In der vorhergehenden kolonialen Phase des Yichouv hatte man mit dem Kapital der jüdischen Bourgeoisie den abwesenden Großgrundbesitzern Ländereien abgekauft; die palästinensischen Halbpächter, die diese Böden bebauten, taten dies nun weiter als Landarbeiter. Um die jüdische Arbeit zu stärken, war von nun an der Kauf von Ländereien mit Kapital der zionistischen Weltorganisation verbunden mit der Vertreibung der palästinensischen Halbpächter und ihrer Ersetzung durch jüdische Arbeiter. Der Zionismus setzte sich, mit den besten „proletarischen“ und „antikolonialen“ Absichten der Welt, dafür ein, das palästinensische Volk von seinem Land zu entwurzeln, es zu proletarisieren, und dies alles, um ihm die Möglichkeit zu nehmen, sich in die moderne Produktionsweise, in die Lohnarbeit zu integrieren. Die Vertreibung von ihren Ländereien mit dem Fortschreiten der zionistischen Besiedlung verwandelte die palästinensischen Bauern in Mittellose, in authentische Proletarier.

Der Industriesektor, der sich in Palästina unter britischem Mandat entwickelte, gehörte größtenteils zur jüdischen Ökonomie, beruhte auf jüdischer Arbeit und schloß die palästinensische Arbeit aus. Nur einer Minderheit palästinensischer Proletarier gelang die Anstellung als Lohnarbeiter bei britischen Unternehmen wie den Erdölraffinerien von Haifa und den Docks.

Die zionistische Besiedlung schuf so in den Dörfern Palästinas eine hohe Arbeitslosigkeit. Das war der Ursprung des Generalstreiks und der Revolte, die 1936 das Land in Brand setzte, bevor sie von der britischen Armee zerschlagen wurde, und die nie wieder einen ähnlichen Umfang annehmen sollte bis zum Ausbruch der Revolte der Steine im November 1987. Die Ironie des Schicksals wollte es, daß die jüdischen Proletarier, die sich in die kapitalistische Produktionsweise integrieren wollten, dahin gelangten, mehr und mehr das gesamte palästinensische Volk in eine Situation zu stürzen, wegen der sie gerade Osteuropa verlassen hatten: die einer Gemeinschaft von Proletariern, die auf ihrem eigenen Boden „überflüssig“ und nicht-assimilierbar in die Gesellschaft um sie herum sind.

Wir werden später auf diese Frage zurückkommen. Im Moment wollen wir nur unterstreichen, daß das antikolonialistische Prinzip der jüdischen Arbeit, wie es der sozialistische Zionismus umsetzte, die Schaffung der ökonomischen Infrastruktur einer jüdischen Nation erlaubt, die auf der Zerschlagung der Strukturen der vorhergehenden Nation beruht, nämlich auf der Vertreibung der Palästinenser.

Trotz dieser Vertreibung, die als solche schäbig und unmenschlich war, brachte eine wichtige Minderheit von jüdischen Proletariern, die zwischen 1904 und 1923 nach Palästina auswanderten, doch eine kommunistische Utopie mit, die über den „realpolitischen“ Horizont der sozialistischen zionistischen Parteien hinausging und eine konkrete Form in der Lebensweise des Kibbuz (hebräisch für: „Gemeinschaft“) fand. Die jüdischen Proletarier hatten in Osteuropa die Erfahrung des radikalen Ausschlusses von den Bedingungen der Bürger wie der Arbeiter gemacht. Deshalb wollte ein großer Teil von ihnen solche Bedingungen auf palästinensischem Boden nicht reproduzieren, da das eine wie das andere für sie gleichermaßen entfremdend war. Die jüdischen Proletarier waren im Gegenteil besessen von dem Mythos, mit ihren eigenen Händen eine radikal neue Welt zu schaffen, die auf kommunistische Prinzipien gründet. Kaum waren sie aus den Schiffen ausgestiegen, reformierten sie die Gemeinschaften, legten ihre Existenzmittel zusammen – den Tageslohn, den die am meisten vom Glück Begünstigten verdienen konnten – und warteten, daß die zionistische Organisation ihnen Land gab zum Urbarmachen, Bebauen und Verteidigen. Und auf diesem Land schufen sie ein Kibbuz, eine Mikro-Gesellschaft ohne Geld, die für sie das revolutionäre Modell war, nach dem die ganze Gesellschaft neu aufgebaut werden sollte.

Die Historiker des Zionismus bezeichneten diese Pioniere vom Anfang des Jahrhunderts als Idealisten. Sie waren in der Tat so verblendet, daß sie glaubten, auf der Vertreibung der Palästinenser eine neue Welt aufbauen zu können. Der kommunistische Idealismus der Kibbuzniks beweist gleichwohl, daß die Strömung des Zionismus, die den Aufbau eines Staates erlaubte, das –wiederholen wir es – entfremdete Nebenprodukt der europäischen revolutionären Bewegung war, deren Schatten über ihr schwebte. Dieser Schatten hätte sich sicherlich in Licht ver- wandelt, und aus diesem Zionismus wäre eine menschliche Lösung herausgeströmt, wenn das Proletariat in den zwanziger Jahren über den Kapitalismus gesiegt hätte.

1921 ließen sich übrigens Pioniere der Kibbuzim von der revolutionären Unruhe in Europa und der Gründung der III. Internationale zum Nacheifern anregen. Sie legten ihre nationalistischen Scheuklappen ab und gründeten die Palästinensische Kommunistische Partei, die von dem Ziel, einen separaten jüdischen Staat zu schaffen, abging, und die gemeinsame revolutionäre Aktion der jüdischen und palästinensischen Proletarier propagierte. In derselben Bewegung gründete der anarcho-religiöse Philosoph Martin Buber zur gleichen Zeit die Vereinigung Brith Shalom (die Allianz für den Frieden), die einen gewissen Einfluß hatte und sich, zusammen mit anderen, heftig den chauvinistischen Orientierungen der sozialistisch-zionistischen Führung des Yichouv widersetzte und die Schaffung einer jüdisch-arabischen bi-nationalen Bewegung auf der Basis des Sozialismus und der Organisation im Kibbuz forderte.

Der Kibbuz, das Grab des Traums von der Gemeinschaft

Die Geschichte sollte der Entwicklung dieser Strömung im Yichouv keine Zeit lassen. Die sozialistischen zionistischen Parteien beteiligten sich an der Repression, die damals auf alle Revolutionäre Europas niederprasselte und verfolgten mit Hilfe der Engländer ab 1923 die „Bolschewiki“ des Yichouv und verboten ihre Einwanderung nach Palästina; was danach übrigblieb, walzte die Stalin’sche Dampfwalze nieder.[15]

Überdies hatten die palästinensischen Araber im Wesentlichen ein Stammesdenken bewahrt, das von vornherein Fremden gegenüber feindlich und nicht fähig war zu einer revolutionären und brüderlichen Vereinigung mit den Juden. Sie setzten weiterhin alle Juden gleich mit dem Enteigner in Gestalt der Yichouv-Leitung und ließen sich so, fanatisiert wie sie waren, leicht für die religiöse, nationalistische und rassistische Bewegung des Mufti von Jerusalem, El Husseini, rekrutieren.

Schließlich lief alles zusammen, um die Verdammung des Nationalismus durch die jüdischen Proletarier in Palästina scheitern zu lassen und die mögliche Verbindung mit den palästinensischen Proletariern zu verhindern. Seitdem widmet sich der idealistische Eifer der Kibbuz-Pioniere ausschließlich der Kultivierung nicht (unmittelbar) rentabler Ländereien in Galiläa und im Negev –Ländereien, die ein allein auf der Suche nach unmittelbarem Profit beruhender kolonialistischer Zionismus nie nutzbar gemacht hätte. Der Idealismus der Pioniere ermöglichte auch die Schaffung, schnelle Ausdehnung und Konsolidierung der territorialen Grundlage des zukünftigen jüdischen Staates.

Der Eifer und die Gemeinschaftsstruktur des Kibbuz bildeten eine Kraft, die zum großen Teil den Sieg des Yichouv in seinem Unabhängigkeitskrieg zuerst gegen die britische Armee (1945-1948) und dann gegen die Koalition der arabischen Armeen (1948) erklärt. Nach 1948 ist dieser Eifer im Innern der israelischen Gesellschaft offensichtlich nach und nach zurückgegangen. Der Kibbuz ist heute eine kalte Gemeinschaft; er hat seine Dimension als kämpfende Gemeinschaft verloren, die offen war für eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft, die ihm die frühen Pioniere verliehen hatten. Er ist inzwischen bestenfalls eine Arbeitsgemeinschaft, in der die Individuen gesellschaftlich nur als unterschiedslose Arbeiter existieren, eingeschlossen in eine fast administrative Routine eine geschlossene Gesellschaft, die obendrein eine verbürgerlichte Lebensweise pflegt. Bezeichnend ist, daß die Kibbuzim heute, um ihr Einkommensniveau zu verteidigen, keine Arbeitslosen aufnehmen, die vom „Paradies“ ohne Geld des Kibbuz angezogen werden.

Das Kibbuz ist nicht mehr als eine kapitalistische Kooperative, wo garantierte Arbeiter ihre Privilegien verteidigen. Nur eine kommunistische Revolution könnte die kommunitäre Grundlage des Kibbuz wiederbeleben und seinen Mitgliedern die Leidenschaft zurückgeben, aus der ganzen menschlichen Gesellschaft ein einziges Kibbuz zu machen – eine Lebensgemeinschaft. Die gemeinschaftliche Lebensweise könnte insbesondere unter den von allem ausgeschlossenen palästinensischen Proletariern, die in den Flüchtlingslagern verkommen, neue Kräfte schöpfen; so wie sie ihre ursprüngliche Kraft aus dem Ausschluß der jüdischen Gemeinde in Osteuropa schöpfte.

* Zweiter Teil Le Brise-Glace Sommer 90

Die Grundlagen einer jüdischen nationalen Ökonomie in Palästina wurden unter der Führung der sozialistischen zionistischen Parteien geschaffen, auf den ideologischen Prinzipien des Staatskapitalismus. Ihre Errichtung erfolgte nicht durch Pri vatinvestitionen gemäß den Gesetzen des Marktes, sondern war das Werk der Histadrut, der 1920 gegründeten jüdischen Arbeitergewerkschaft, die bis heute der größte Arbeitgeber in Israel ist.

Die Histadrut schuf und organisierte eine jüdische Industrie, die auf dem Monopol der „jüdischen Arbeit“ beruht, wo sie das Lohnniveau der europäischen Facharbeiter durchsetzte, das die jüdischen Proletarier aus Osteuropa als qualifizierte Handwerker beanspruchen konnten. Diese jüdische Industrie, die die Beschäftigung der unqualifizierten und billigen Arbeitskraft der palästinensischen Arbeiter ablehnte, entwickelte sich also unter Bedingungen der Nicht-Rentabilität, total konträr zu den Marktgesetzen und undenkbar, wäre der Zionismus ein einfacher bürgerlicher Kolonialismus gewesen.

Nachdem sie das Monopol der „jüdischen Arbeit“ durchgesetzt hatte, setzte die Histadrut auch das Monopol des „jüdischen Handels“ durch und organisierte so die jüdische Bevölkerung in einer Konsumkooperative. Die Hegemonie der sozialistischen und Arbeiterideologie im Zionismus erlaubte es, die landwirtschaftliche und industrielle Grundlage einer Nation zu schaffen, und dabei auf die Gesetze der kapitalistischen Konkurrenz zu pfeifen.

Dies bedeutete natürlich nicht, daß der sozialistische Zionismus in irgendeiner Art antikapitalistisch gewesen wäre. Als Produkt der Niederlage der proletarischen Revolution in Europa war der sozialistische Zionismus historisch die erste doktrinäre Formulierung der Theorie des Sozialismus in einem Lande. Ohne dem Buchstaben nach Stalinismus zu sein, liefert er das Beispiel einer proletarischen sozialistischen Bewegung, die sich in ihrer Erstarrung (antibürgerlich, gegen die Konkurrenz gerichtet) in die Weltlogik des Kapitals einordnete.

Im Gegensatz zum Stalinismus konnte der sozialistische Zionismus der Gesellschaft Palästinas keinen „reinen“ Staatskapitalismus aufzwingen. Er mußte tatsächlich seine nationale Basis quasi „kaufen“, bevor er sie umwandeln konnte, und um dies zu tun, benötigte er die Kapitalien der jüdischen Bourgeoisie im Westen (die ein Interesse am Gelingen dieser Operation hatte, um die explosive Frage der Juden in Osteuropa zu entschärfen). Um dies zu erlangen, mußte es der sozialistische Zionismus um jeden Preis vermeiden, sie zu verschrecken, genauso wie der Staat Israel es sich heute nicht leisten kann, die USA zu verschrecken, da er Dollars braucht, um seine Wirtschaft über Wasser zu halten. Er mußte also im Innern der im Aufbau befindlichen Gesellschaft der Konkurrenzbourgeoisie einen Platz überlassen. Die soziale Basis dieser Bourgeoisie lieferten die Bürger und Kleinbürger, die in den dreißiger Jahren vor den antisemitischen Verfolgungen in Europa nach Palästina geflüchtet waren. So bildete sich also parallel zum Sektor der „Arbeiterökonomie“ der Histadrut ein Privatsektor heraus.

Die politische Führung des Zionismus blieb dennoch bis zur Unabhängigkeit hauptsächlich in den Händen der Sozialisten, da einzig der Sozialismus fähig war, dem Projekt der Schaffung eines Staates durch die jüdische Arbeiterklasse Kraft zu geben.

Die historische Wurzel des sozialistischen Zionismus liegt letztendlich in dieser entfremdeten sozialen Bewegung, die durch die Schaffung einer Nation ausgeschlossenen Proletariern eine Integration in der kapitalistischen Gesellschaft als Arbeiter anbot.

In diesem Sinne und im Gegensatz zu dem, was die Naiven immer noch glauben, hatte der Zionismus niemals das Ziel, die jüdische Gemeinschaft zu retten, die in Osteuropa und in der islamischen Welt bis zum Beginn dieses Jahrhunderts überlebt hatte, als wahrhaftige Gemeinschaft von Menschen. Diese war sicherlich begrenzt und entfremdet, aber sie gründete sich auf authentisch gemeinschaftliche Beziehungen zwischen den Individuen, die sie bildeten. Der Zionismus war im Grunde nur die nationalistische Verlängerung der im 19. Jahrhundert erlangten staatsbürgerlichen Emanzipation.

Die Zivilisation des Kapitals zerstört unwiederbringlich die vorkapitalistischen menschlichen Gemeinschaften und zwingt ihnen überall als Modell das atomisierte Individuum auf die Grundlage der Demokratie, das nur durch die abstrakte, einigende Vermittlung des Geldes, der Arbeit und des Staates gesellschaftlich existiert.

Die von der Französischen Revolution gewährte staatsbürgerliche Emanzipation der Juden, ihre Vernichtung in der vom Nazismus organisierten Zwangsarbeit und die vom Zionismus realisierte Integration der Juden in die Arbeit erscheinen, von ihrem angestrebten Ziel her, als radikal entgegengesetzte Politik. Im Grunde zielten alle drei auf ihre Weise auf die Verwirklichung desselben kapitalistischen Programms: die letzte vorkapitalistische menschliche Gemeinschaft Europas auszumerzen.

Die Nation im modernen Sinne ist keine Gemeinschaft, sondern sie gründet im Gegenteil auf dem Tod jeglicher Gemeinschaft. Auf ethnischen, geographischen oder historischen Gesichtspunkten beruhend ist die Nation vom Wesen her ein Nationalstaat, der atomisierten Individuen von außen eine abstrakte „nationale Identität“ zuschreibt, die sie vom Rest der Menschheit trennt und sie in der Konkurrenz des Weltmarkts den anderen Nationen entgegenstellt. Die nationale Identität, die scheinbar die Individuen vereint, verläuft in Wirklichkeit weit über ihren Köpfen und ihrem unmittelbaren Leben, denn sie beruht tatsächlich auf der ihnen aufgezwungenen Atomisierung und Konkurrenz. Sie stellt also nur eine formale, abstrakte Bindung dar, die von einer äußeren Macht aufgezwungen werden muß – dem Staat.

Die lebendige Identität in einer vorkapitalistischen menschlichen Gemeinschaft ist dagegen unmittelbar und konkret. Die Individuen, aus denen sie sich zusammensetzt, finden ihre Bestätigung in dieser Identität, die aus unmittelbaren und spontanen Beziehungen gegenseitiger Hilfe und Solidarität erwächst, die das Leben selbst dieser Individuen ausmachen. Gewiß trennt diese Identität von sich aus die Mitglieder der Gemeinschaft von den anderen Menschen, aber diese Trennung ist schon fast natürlich; die anderen sind einfach die, mit denen man nicht seit jeher sein Leben gemeinsam verbringt und gegen die man gegebenenfalls die Gemeinschaft verteidigen muß, wenn sie zu ihren Feinden werden. Aber im unmittelbaren Leben der Gemeinschaft, werden sie einfach ignoriert; die Trennung von ihnen beruht nicht auf einer feindlichen Beziehung der Konkurrenz wie im Fall der nationalen Identität.

In der Zivilisation des Kapitals ist die Identität vor allem negativ bestimmt über den Ausschluß des anderen. Ausgeschlossen sind die, denen der Nationalstaat kein Recht auf garantierte Integration in den Prozeß der nationalen Reproduktion zugesteht oder auch nur die Forderung danach zuläßt. Die Einheimischen verfügen immer über mehr formale Rechte und konkrete Mittel als die Fremden, um ihren Platz in diesem Reproduktionsprozeß zu verteidigen. Sie sind gewiß selbst auch atomisierte Individuen und liefern sich untereinander eine unerbittliche Konkurrenz auf dem nationalen Markt, aber als Einheimische sind sie dafür besser gewappnet.

Vom Entstehen einer Nation an verherrlichen deshalb im allgemeinen alle gesellschaftlichen Klassen, die sie bilden (und darin eingeschlossen die „nationale“ Arbeiterklasse), eifrig ihre nationale Identität, denn sie hoffen, darin die formale Garantie für ihre gesellschaftliche Reproduktion zu finden. Das Proletariat ist die Klasse, die in sich die Potentialität einer internationalen revolutionären sozialen Bewegung trägt, denn in den weltweiten Krisen droht ihm der Ausschluß aus allen Nationen. Die nationale Identität bietet ihm also keine wirkliche Garantie der Reproduktion. Solange jedoch die Arbeit das wesentliche Moment des Reproduktionsprozesses bleibt – was bisher das Ergebnis aller Revolutionen war – haben die Proletarier die Möglichkeit, sich ihrer Integration zu versichern, indem sie ihre Nation auf die Arbeit, um ihre Arbeit herum neu zusammensetzen.

Trotz der Tendenz zur Formierung eines internationalen Proletariats während der Krisen des Kapitals hat sich aus diesem Grunde der Einschluß der Proletarier in ihre jeweiligen Nationen in den proletarischen Bewegungen der Vergangenheit so hartnäckig gehalten. Während solcher Krisen entstehen immer wieder nationalistische Bewegungen, die das Gespenst eines internationalen Proletariats vertreiben und das Risiko des „Ausschlusses“, das die Krise mit sich bringt, auf die ausländischen Proletarier und die ausländischen Nationen übertragen wollen. Wie wir gesehen haben, ist der Zionismus entstanden als Bewegung von Proletariern, die darauf abzielte, ihre gesellschaftliche Reproduktion zu garantieren durch die Bildung einer auf der Arbeit beruhenden jüdischen Nation. Damit, und in reinster nationalistischer Logik, konnten diese Proletarier den gesellschaftlichen Ausschluß, dessen Opfer sie in Osteuropa geworden waren, nun auf andere übertragen – in diesem Fall auf das palästinensische Volk. Die nationale Identität, die der Zionismus begründete, konnte nur als Ausschlußmaschine funktionieren.

In ihrer traditionellen Gemeinschaft waren sie Juden aus sich selbst heraus, spontan, natürlich. In der Welt des Zionismus ist es der jüdische Staat, der über die Köpfe der atomisierten Individuen hinweg definiert, „wer Jude ist“, und das heißt vor allem, „wer nicht Jude ist“, wer ausgeschlossen ist vom jüdischen Privileg, von der jüdischen nationalen Garantie der Integration in den Produktionsprozeß. Dies hat nichts zu tun mit der gemeinschaftlichen Garantie gegenseitiger Hilfe, die die Juden innerhalb der traditionellen Gemeinschaft vereinte. Der Zionismus ist nicht die Fortsetzung der Gemeinschaft, sondern deren historische Liquidation.

Früher lebte die traditionelle Gemeinschaft ohne Territorium ihre Einheit jenseits geographischer Grenzen. Die jüdischen Gemeinschaften Europas waren in permanenter Verbindung, in einem Gefühl brüderlicher Zusammengehörigkeit. Wenn z.B. ein Jude aus Marokko seine Brüder in Polen besuchte, konnte er einer ungeteilten, kostenlosen Gastfreundschaft sicher sein.

Gegen den ideologischen Anschein gründet der Zionismus nicht auf solch ein gemeinschaftliches Prinzip. Die historische Zielsetzung des sozialistischen Zionismus war die Integration einer Fraktion des Weltproletariats in die Zivilisation des Kapitals, die jeder menschlichen Gemeinschaft entgegensteht. Historisch hat er diese Garantie auf Integration nur einer Kategorie von Proletariern gegeben: den Juden aus Osteuropa. Sein Ziel war, ihnen durch die Schaffung einer Nation in Palästina ein europäisches Lohnniveau zu garantieren. Mit dem Schutzschild der Nation hat er denen, die nach Palästina eingewandert sind, eine gestärkte Position in der weltweiten Konkurrenz gegeben.

Wie wir gesehen haben, war dies das Ziel der Politik der „jüdischen Arbeit“, die der sozialistische Zionismus betrieb. Folge dieser Politik war der Sturz des kolonialen Zionismus und der Ausschluß der Palästinenser aus der jüdischen (prä-)nationalen Ökonomie, dem Vorspiel zur Vertreibung von ihrem Land.

Damit waren die jüdischen Proletarier unter den Schutz vor der Konkurrenz dieser unqualifizierten und billigen (zum „Kolonial“-Preis erhältlichen) Arbeitskraft gestellt. Nicht erwartet hatte man, daß diese antipalästinensische Politik der „jüdischen Arbeit“ auch antisephardisch[16] werden würde. Auf scheinbar paradoxe Weise traf sie die orientalischen Juden und zeigte damit, daß die Errichtung der jüdischen Nation die Negation jeder wirklichen jüdischen Gemeinschaft ist.

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Das zionistische Unternehmen fand sehr früh ein breites Echo in den sehr traditionellen sephardischen jüdischen Gemeinschaften Jemens und – in geringerem Maße – Nordafrikas hervorgerufen. In diesen zu Beginn des Jahrhunderts noch sehr lebendigen Gemeinschaften (das Kolonialkapital hatte noch nicht die Zeit gehabt, die vorkapitalistische Gesellschaft durch seine „Zivilisation“ zu ersetzen) lebte die Mehrheit der Bevölkerung sehr dürftig vom Hausieren, vom Kleinhandwerk oder einer traditionellen Landwirtschaft. Das Eindringen des Kapitals und die Verallgemeinerung der Geldwirtschaft stürzten dennoch diese Aktivitäten nach und nach in die Krise und bedrohten die Grundlagen der Reproduktion der Gemeinschaften. Die Juden wurden wie die arabische Bevölkerung um sie herum vom kolonialen Ausbeutungssystem gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sich zu proletarisieren. Die Gemeinde als vorkapitalistische Form gemeinschaftlichen Lebens war historisch vom Untergang bedroht.

1880 wurde die Bedrohung für die jemenitischen Juden deutlicher, als das Osmanische Reich den Jemen militärisch besetzte. Von der Finanzschuld an die europäischen Kolonialmächte erdrückt, bürdete das Reich die ganze Last den Bevölkerungen auf, die es unterwarf, insbesondere den weniger geschützten wie den jüdischen Gemeinschaften. Es öffnete nun sein Territorium für zerstörerische Investitionen des europäischen Kapitals. Die Juden im Jemen waren also an einem beunruhigenden Wendepunkt ihrer Geschichte, als sie den Ruf des zionistischen Aufbauunternehmens einer jüdischen Nation in Palästina vernahmen.

Die jüdische Gemeinde Jemens schöpfte wie alle traditionellen sephardischen Gemeinschaften ihren Zusammenhalt aus glühender Religiosität, die auf die messianische Hoffnung auf die Rückkehr aus der Diaspora ins Land Israel ausgerichtet war. So mußte die Nachricht vom Palästina-Unternehmen in der Gemeinde starke Emotionen auslösen und als Beginn der messianischen Zeiten verstanden werden. Sie wurde also die erste sephardische Gemeinschaft, die sich massiv für den Zionismus mobilisierte. Zwischen 1881 und 1918 emigrierten 40 000 jemenitische Juden nach Palästina, die ersten paar tausend völlig spontan, noch vor der Gründung einer jemenitischen Sektion der zionistischen Weltorganisation.

Dieser massive Zusammenhalt ist verständlich aus der Zuversicht, die bedrohte Gemeinschaft durch die Umsiedlung nach Palästina retten zu können. Offensichtlich entbehrte diese Hoffnung jeder Grundlage, da der Zionismus, weit entfernt, die Rettung der Gemeinschaft zu garantieren, der Agent seiner Auflösung in die Zivilisation des Kapitals war.

Seit die sozialistischen zionistischen Parteien sich 1904 der politischen Führung der zionistischen Weltorganisation bemächtigt hatten, förderten sie die Einwanderung der jemenitischen Juden. Zu dieser Zeit waren die Einwanderer aus Osteuropa noch nicht zahlreich genug, um die koloniale Struktur der jüdischen Ökonomie umzustürzen. Sie bildeten keine ausreichend starke Basis von Proletariern, um die Politik der jüdischen Arbeit durchzusetzen. Die jüdischen Pflanzer (die Boazim) waren also weiter auf unmittelbaren Maximalprofit aus und beschäftigten palästinensische Fellachen, statt den langfristigen Erfordernissen des Aufbaus einer jüdischen Nation zu entsprechen.

Um die zukünftigen Chancen dieses Aufbaus zu schützen, ließen die sozialistischen Zionisten eine jüdische Arbeitskraft nach Palästina kommen, die den unmittelbaren Interessen der Pflanzer entsprach, damit endlich mit der Anwendung des Prinzips der jüdischen Arbeit und dem Ausschluß des palästinensischen Volkes begonnen werde. Nun war aber das „Profil“ der Einwanderer aus dem Jemen fast identisch mit dem der palästinensischen Bauern: unqualifizierte Arbeitskraft, die aus gesellschaftlich „rückständigen“ kolonisierten Gebieten stammte und der man miserable Löhne aufzwingen konnte. Ihr Vorteil war ein doppelter: sie waren Juden und gleichzeitig ausbeutbar auf die koloniale Art… wie Araber!

Darüber hinaus konnte man leichter im Namen der Einheit der Juden und des Aufbaus einer jüdischen Nation Menschen in dieses Ausbeutungssystem pressen, die voller Illusionen und messianischer Hoffnungen waren, als palästinensischen Bauern, denen man gerade erst ihr Land geraubt hatte. Die jemenitischen Juden, die nach Palästina gekommen waren, um ihre Gemeinschaft zu retten, fanden sich wieder in einer brutalen und verachtenden Ausbeutung, die organisiert war von anderen Juden, die aus Osteuropa kamen und die sie für ihre Brüder gehalten hatten. Viele von ihnen kehrten enttäuscht vor 1914 in den Jemen zurück. Einer von ihnen[17] beschrieb die grausame anti-gemeinschaftliche Realität des zionistischen Unternehmens: »Wenn hier im Jemen das Exil ist, dann ist in Eretz Israel das innere Exil. Wenn hier das Exil inmitten der Nationen ist, dann ist dort das Exil in Israel.«

Der Zionismus war nicht nur die Verlängerung des Exils der Juden, er war auch dessen Zuspitzung. Im „Exil inmitten der Nationen“ konnte sich die Gemeinschaft trotz allem aufrechterhalten und als solche behaupten (zumindest für einen traditionellen jemenitischen Juden im Jahr 1914). Im zionistischen Palästina dagegen beutet der Jude brutal den Juden aus: dies ist das innere Exil. Der Zionismus als Produkt des Kapitalismus verwirklicht das Ende der Gemeinschaft.

Der anti-gemeinschaftliche und anti-sephardische Aspekt des „realen“ Zionismus verschärfte sich in dem Maß, wie die Zahl der jüdischen Proletarier aus Osteuropa in Palästina anwuchs, vor allem ab 1910. (1914, am Vorabend des Krieges, waren sie etwa 30 000 von insgesamt 100 000.) Die sozialistische zionistische Bewegung hatte damit bereits die notwendige Basis, um die koloniale Struktur des Yichouv zu zerstören und unerbittlich all diejenigen zu beseitigen, die mit der „aschkenasischen“[18] jüdischen Arbeit konkurrierten: Araber oder orientalische Juden.

1910 wurden die jemenitischen Juden von den aschkenasischen „Pionieren“ brutal aus dem Gebiet des Tiberias-Sees vertrieben. 1912 entschied die sozialistisch-zionistische Führung, die Einwanderung aus dem Jemen, die ständig weiterging, völlig zu stoppen: »Schmuel Yavniéli, der mit der Organisation der Einwanderung aus dem Jemen beauftragte zionistische Delegierte, empfing ein Telegramm der lokalen zionistischen Führer in Palästina, das ihn aufforderte, die Einwanderung einzustellen. Der Grund für diese Änderung der Haltung seitens der zionistischen Führer war die Feindseligkeit der zionistischen Pioniere, die fürchteten, daß die Einwanderer aus dem Jemen auf dem Arbeitsmarkt die jüdischen Löhne herunterdrücken würden.«[19]

Bis zur Unabhängigkeit des Staates Israel 1948 wurden die jemenitischen Juden systematisch vom Histadrut, der Gewerkschaft der „jüdischen“ Arbeiter, aus der Entwicklung der zionistischen Ökonomie ausgeschlossen und in den Status eines Subproletariats verbannt, das vom Rest des Yichouv verachtet wurde. Die sephardischen Massen aus dem übrigen Orient mit dem gleichen Profil wie die jemenitischen Juden wurden ebenfalls vom Aufbau der Nation ausgeschlossen. So erklärte 1926 ein zionistischer Führer aus Frankreich während einer Propagandatournee in Marokko:

»Seid beruhigt, Juden Marokkos, wir verlangen von euch nicht, daß ihr nach Palästina geht: die große Frage des Zionismus ist es nicht, Palästina zu bevölkern, sondern die Juden zu unterstützen, die bereits dort sind und die noch zahlreicheren, die nach so vielen Jahren in Osteuropa dorthin zurückkehren wollen.«[20]

Deutlicher geht es nicht. Mit verblüffender Naivität enthüllt der Sprecher das wahre Ziel des sozialistischen Zionismus: das nationale „Privileg“ ausschließlich für die aschkenasischen Proletarier durchzusetzen. Ganz so, wie die Politik der jüdischen Arbeit die Vertreibung der palästinensischen Araber von ihrem Land vorbereitet hat, hat sie die Sephardim in der israelischen Gesellschaft marginalisiert. Deren Vertreibung und Ausschluß sind zwei Seiten derselben Politik des Ausschlusses und der Zerstörung der traditionellen Gemeinschaften.

Gewiß hat der junge Staat Israel nach der Unabhängigkeit im Laufe der fünfziger und sechziger Jahre seine Grenzen geöffnet für sephardische Einwanderungswellen aus Afrika oder Asien. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig. Da die proletarisierte Gemeinschaft Mitteleuropas von den Nazis vernichtet worden war, konnte Israel nur auf diese Weise seine Bevölkerung entwickeln (um unter anderem der Feindseligkeit der arabischen Welt zu widerstehen). Die Politik der Priorität der aschkenasischen jüdischen Arbeit, die vom sozialistischen zionistischen Yichouv vor 1948 verfolgt wurde, hatte dennoch den gesellschaftlichen Rahmen ausreichend vorbereitet, in dem ihre Ansiedlung in Israel geschehen sollte. Diese Politik hat dazu beigetragen, daß die dominierenden Stellungen in der israelischen Gesellschaft für die Aschkenasim und ihre Abkömmlinge reserviert waren: die Bourgeoisie, die Arbeiteraristokratie und ihre politischen Eliten sollten fast ausschließlich Aschkenasim sein; die Arbeitskräfte, auf denen die Hauptlast der kapitalistischen Ausbeutung ruht, sollten Sephardim sein. Der Zionismus hat so eine ethnischen Spaltung zustandegebracht, die dem Mythos einer egalitären Gesellschaft, welcher die ersten Pioniere erfüllte, endgültig die Totenglocke geläutet hat.

In den fünfziger Jahren befanden sich die anderen sephardischen Gemeinschaften Asiens und Nordafrikas (mit Ausnahme von Algerien) in einer ähnlichen Situation wie die jemenitischen Gemeinschaften zu Beginn des Jahrhunderts. Die Entkolonisierung, die diese Regionen für ein tieferes Eindringen der kapitalistischen Produktionsweise erschloß, untergrub die traditionelle Lebensweise dieser Gemeinschaften. In ihrem religiösen Empfinden sahen sie in der Geburt Israels das erwartete messianische Rendevous, das wunderbare Ereignis, durch das sie ihre bedrohte Lebensweise nach Israel hinüberretten könnten. Sie begingen den gleichen tragischen Irrtum wie ihre jemenitischen Brüder fünfzig Jahre zuvor!

Mit den sephardischen Einwanderungswellen der Jahre 1950-60 beginnt die letzte historische Phase des Zionismus als soziale Massenbewegung. Es ließen sich tatsächlich M’zab für M’zab, Mellah für Mellah, Dorf für Dorf eine Million Menschen in Israel nieder. Diese sephardische Einwanderungswelle rief natürlich eine gewisse Furcht, manchmal sogar Panik in der aschkenasischen Gesellschaft hervor, die gezwungen war, sie aufzunehmen. Als sie in Haifa an Land gingen, hatten die Sephardim noch die Bräuche und Sensibilität ihrer Gemeinde und ihre patriarchale Stammeskultur. Sie waren noch keine atomisierten, aseptischen Individuen. Diese gemeinschaftliche Lebendigkeit war vom Ansatz her unvereinbar mit den Prinzipien der Zivilisation des Kapitals, zu deren Herolden sich der Zionismus und die israelische Gesellschaft gemacht hatten. Die Sephardim hatten noch nicht die Ordnung des Staates und der Lohnarbeit, das unerbittliche und [bruder-]mörderische Gesetz der Konkurrenz verinnerlicht. Ihr massenhafter Einbruch in die junge und noch anfällige israelische Gesellschaft war ein Risiko. Er könnte eine Kollision zwischen zwei Welten hervorrufen und damit die kapitalistische gesellschaftliche Ordnung gefährden.

Deshalb setzte das zionistische Establishment von Anfang an alles daran, ihren gemeinschaftlichen Zusammenhalt systematisch zu vernichten. Es bemühte sich vor allem, die Sephardim herabzusetzen und zu erreichen, daß sie sich ihrer gemeinschaftlichen Kultur schämen, in der israelischen Gesellschaft anecken, sich marginalisiert fühlen und es nicht mehr wagen, ihre eigenen Werte hochzuhalten. Aus der Tiefe der aschkenasischen Gesellschaft entsprang also eine Bewegung der Diskriminierung, deren Inhalt Verachtung und wirklicher Rassismus ist, was nachdenklich stimmt, wenn man weiß, daß er von ehemaligen Opfern des Nazismus ausgeht. Folgender Artikel, der 1949 in einer großen israelischen Tageszeitung unter dem vielsagenden Titel Die Wahrheit über das Menschenmaterial veröffentlicht wurde, spricht für sich:

»Die Einwanderung aus Nordafrika wirft eine ernste und bedrohliche Frage auf. Es handelt sich hier um die Einwanderung einer Rasse, wie wir sie in unserem Land noch nicht kennen. (…) Es handelt sich um ein Volk von hochgradiger Primitivität (…) Nichts ist sicher vor diesem asozialen Element, und kein Schloß kann ihm widerstehen. (…) Eine nicht weniger ernstzunehmende Tatsache ist, daß ihnen alle Vorbedingungen für die Anpassung an das Leben des Landes fehlen. Sie sind vor allem chronisch faul und hassen die Arbeit. Fast ohne Ausnahme fehlt ihnen die geringste Qualifikation, und außerdem haben sie wohl auch kein Geld. (…) Und alle wollen sie ‘in der Stadt’ wohnen. Was sollen wir also mit ihnen machen? Wie sollen wir sie aufnehmen? Gewiß haben alle Juden das Recht einzuwandern, nicht weniger als andere, aber wenn wir dies nicht abhängig machen von unserer Aufnahmefähigkeit, werden sie uns aufzehren.«[21]

Der Zionismus formuliert hier wie in einem Lapsus seine nicht ausgesprochene Wahrheit: der Zionismus ist der Tod der jüdischen Gemeinschaft. Es war überdies natürlich, daß in den Augenblicken des Vergessens wieder ein typisch rassistisches Gedankengut an die Oberfläche kam, im Gegensatz zu dem, was bei den Sephardim von dieser Gemeinschaft noch lebendig war.

Außer erkennbarer Angst formuliert der Artikel die strategischen Fragen, die sich der aschkenasischen Gesellschaft stellten. Die Antwort, die man fand, war der Integrationsplan für die Sephardim. Bis zu Beginn der sechziger Jahre organisierte der Staat die Integration, indem er den Sephardim praktisch den Zugang zu den großen Städten verbot. Sie wurden von Amts wegen in die dürren Entwicklungsgebiete von Galiläa und dem Negev geleitet. Den Bauern wies der Staat individuelle Parzellen zu und machte sie zu Eigentümern, um den gemeinschaftlichen Zusammenhalt der Stammesfamilien zu brechen.

Während der fünfziger und sechziger Jahre wurden die Sephardim durch eine Politik knappen Wohnraums und endemischer Arbeitslosigkeit, mit ihren Folgen von Elend, mörderischer Konkurrenz, Prostitution und Verzweiflung atomisiert und marginalisiert. Diese Politik eines „aschkenasischen“ Staates führte immer wieder Revolten und Bewegungen der Sephardim; die letzte dieser Art war die Bewegung der „Schwarzen Panther“ 1973.

Heute bilden die Sephardim die große Masse des israelischen Proletariats und besetzen den wesentlichen Teil der unqualifizierten Arbeitsplätze in der Industrie und im Dienstleistungsbereich. Um sich für das schändliche Unrecht der Proletarisierung zu „rächen“, das sie der sozialistische Zionismus hat erleiden lassen, wählen die Sephardim eher die Partei der israelischen Rechten, den Likud, als die „Arbeiter“-Parteien – ein Votum aus Ressentiment, aber auch ein borniertes Votum (wie alle Wahlstimmen), denn es will nicht sehen, daß der Likud eine der Parteien des aschkenasischen Establishments ist.

Der Unterschied zwischen dem Durchschnittseinkommen der Aschkenasim und der Sephardim wird immer größer, wenn auch in geringerem Maße als in der Vergangenheit. Um den Zusammenhalt der jüdischen Nation bewahren zu können, zieht es das israelische Kapital vor, die Überausbeutung nicht mehr den Sephardim, sondern den 100 000 arabischen palästinensischen Arbeitern aus dem West- jordanland und Gaza aufzubürden, die täglich die Grenze überqueren, um unter sehr prekären Bedingungen in Israel zu arbeiten. (Die Erhaltung dieser sozial vorteilhaften Überausbeutung ist ein Grund, warum der Staat Israel die militärische Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens aufrechterhält.)

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Unsere historische Analyse des Zionismus bezeugt auf tragische Weise, daß es keine menschliche Emanzipation innerhalb der unmenschlichen Bedingungen der kapitalistischen Zivilisation geben kann. Die zionistische Emanzipation der Juden hat einerseits zur Zerstörung all dessen geführt, was ihren menschlichen Reichtum ausmachte: ihrer Gemeinschaft. Sie führte andererseits nur zur Verlagerung des strukturellen Ausschlusses der proletarisierten Gemeinschaft Osteuropas auf das palästinensische Volk, und insbesondere auf die Gemeinschaft, die sich in den vielen Flüchtlingslagern rings um Israel geschmiedet hat.

In dieser Gemeinschaft sind die Palästinenser Besitzlose ohne jede Möglichkeit der Integration ins Produktionssystem der umliegenden Gesellschaften so wie ihre jüdischen Brüder in Osteuropa zu Beginn dieses Jahrhunderts. Diese Gemeinschaft ist auch ein Vivarium internationaler Proletarier im Nahen Osten und in der arabischen Welt. Die Palästinenser suchen nämlich in der Emigration die Möglichkeit, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Viele von ihnen sind als Arbeiter in den erdölproduzierenden Ländern beschäftigt. Die palästinensische Gemeinschaft als internationale Realität kann also ein bedeutender Träger einer internationalen Revolution im Nahen Osten und der arabischen Welt sein genau wie die jüdischen Proletarier das internationale Proletariat in Europa verkörpert haben.

Wir haben in den siebziger Jahren gesehen, wie der subversive soziale Druck hunderttausender palästinensischer Besitzloser den libanesischen Staat zersetzt hat und die von den Großmächten, Israel und Syrien koordinierten Militärinterventionen aus der Sicht des Kapitals notwendig machte, um die Ordnung wiederherzustellen.

Die arabischen Staaten unterstützen die PLO, damit sie ihnen mehr schlecht als recht als Schutzschirm dient, indem sie den Kampf der PalästinenserInnen in einem nationalistischen Sinne alleine gegen den Staat Israel richtet, wo doch alle Staaten der Region auf die eine oder andere Weise an ihrem radikalen Ausschluß beteiligt sind.

Im Kontext der heutigen weltweiten ökonomischen Krise sind die palästinensischen Proletarier eine Gemeinschaft, die „überflüssig“ ist, nicht-assimilierbar in die sie umgebende Gesellschaft – so wie es die proletarisierte jüdische Gemeinschaft Osteuropas war. Der Gedanke, ihnen drohe das gleiche Schicksal der Vernichtung, ist durchaus nicht abgeschmackt. Wenn zum Leidwesen der Menschheit die Entwicklung der gegenwärtigen Krise zum Krieg treibt, folgt ziemlich sicher eine Situation von „Maßlosigkeit“, in der die palästinensische Gemeinschaft systematisch ausgelöscht werden könnte, weil sie nicht-assimilierbar ist, und weil die Kräfte des Kapitals die Figur des internationalen Proletariats auslöschen wollen, deren Träger sie in der Region ist. Durch den historischen Rückgriff können wir die Bedrohung durch Völkermord ermessen, die über den von der Gesellschaft ausgeschlossenen Palästinensern schwebt.

Im engen Rahmen des Nationalismus hat es niemals eine menschliche Lösung dieser Ausschlußsituation gegeben; nur zwei Alternativen, von denen die eine genauso unmenschlich ist wie die andere:

* Angenommen es gelingt der PLO, ihr Maximalprogramm zu verwirklichen: die Zerstörung Israels und die Ersetzung einer Nation durch eine andere. Die palästinensische Nation, die auf den Leichen oder der Zwangsemigration der Juden errichtet wird, wird den Mythos eines „laizistischen, freien und demokratischen Palästina“ weit hinter sich lassen. Sie wird die Integration der Palästinenser in die moderne Produktionsweise bewirken, was Zerstörung ihrer Gemeinschaft und ihrer Menschlichkeit bedeutet.

* Angenommen, in den von Israel besetzten Gebieten wird ein palästinensischer Operettenstaat gebildet (diese Lösung scheint sich anzubahnen) wie eine Art Bantustan unter der Kontrolle der israelischen Armee. Diese Lösung hat für Israel einen schätzenswerten Vorteil: sie kann nämlich dem palästinensischen Staat das zweifelhafte Privileg überlassen, die Revolte der Steine niederzuschlagen, mit der Israel nicht fertig werden konnte.

Ein palästinensischer Mini-Staat wird jedoch nur eine formale Autonomie haben. Da ihm die notwendige materielle Basis fehlt (in der Zeit der weltweiten Krise), um die Flüchtlinge zu integrieren, die in den Lagern im Libanon, Syrien und im Westjordanland vegetieren, wird er nur als Schlaf-Staat dienen für die 100 000 Proletarier, die weiterhin täglich nach Israel arbeiten gehen werden. Er wird den Ausschluß aus der Gesellschaft nicht lösen, dem diese proletarisierte Gemeinschaft unterliegt.

Im nationalistischen Rahmen, das heißt innerhalb der Zivilisation des Kapitals, gibt es folglich keine menschliche Lösung für das palästinensische Drama: ein einziges Land für zwei Nationen.

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Der sozialistische Zionismus ist heute überlebt. Er gründete auf die gesellschaftliche Integration der Juden Osteuropas durch die Arbeit, und war wie wir gesehen haben nur eine nationalistische Abweichung des Sozialismus und der europäischen Arbeiterbewegung.

Im Gegensatz zum Kommunismus, der Selbstnegierung des Proletariats, tritt der Sozialismus, der die Verwirklichung einer Gemeinschaft der Arbeit anstrebt, die Verallgemeinerung der Lage als Produzent, die Bestätigung als Arbeiterklasse und folglich die Arbeit und ihre Ordnung als höchste Vermittlung des gesellschaftlichen Lebens bewahrt, nicht aus dem Rahmen der kapitalistischen Zivilisation heraus.

Solange historisch die Bedingungen des Kommunismus nicht gegeben waren, konnte man leicht im Sozialismus eine revolutionäre (oder revolutionär reformistische) Dimension sehen. Marx sah den Sozialismus als Vorbereitung für die Errichtung des Kommunismus durch die Befreiung der Produktivkräfte, die die Diktatur des Proletariats verwirklichen sollte. Diese revolutionäre Dimension war aber nur in weltweitem Maßstab vorstellbar.

Wie der sozialistische Zionismus waren alle sogenannten fortschrittlichen Befreiungsbewegungen der Dritten Welt nationalistische (und somit konterrevolutionäre) Abweichungen des Sozialismus. Wie er forderten sie die Integration der ausgeschlossenen Massen in die Arbeit.

Diese historische Perspektive ist aber heute veraltet. Tatsächlich ist im Zeitalter der Verallgemeinerung der Automation und der – wie Marx es genannt hat – reellen Herrschaft des Kapitals, die Arbeit nicht mehr das zentrale Moment des Produktionsprozesses. Wie Marx sagte, beruht die Produktion der gesellschaftlichen Reichtümer nicht mehr auf der Arbeit der Massen. Mehr noch, die moderne Entwicklung erlaubt es nicht mehr, ein Projekt der Integration der Massen in die Arbeit zu gründen, besonders im gesellschaftlichen Rahmen der Dritten Welt. Selbst wenn heute eine Nation die Produktionsbedingungen und die Reichtümer einer anderen Nation stehlen würde, indem sie diese von ihrem Land vertrieben, wäre sie bald durch die weltweite Konkurrenz gezwungen, sich moderne „kapitalistische“ Techniken anzueignen, die die Arbeit marginalisieren und unzählige Massen arbeitslos machen. Und wenn sie sich weigerte, diese Techniken anzuwenden, wäre ihre Ökonomie sehr schnell durch eben diese weltweite Konkurrenz disqualifiziert, und das Ergebnis wäre dasselbe: Ausschluß und massive Arbeitslosigkeit. In den entwickelten Zonen ist dieser strukturelle Ausschluß sicher nur ein Gespenst, eine tendenzielle Bewegung. Aber in der Dritten Welt ist der Ausschluß der Massen brutale, täglich erlebte Wirklichkeit.[22]

Der Sozialismus als Integrationsmodell hat heute jedes historische Ansehen verloren. Außer den Politikern hält es heute niemand mehr für möglich, im kapitalistischen Rahmen allgemeine Vollbeschäftigung zu garantieren. Der Sozialismus hat keine historische Zukunft mehr. Die nationalen Befreiungsbewegungen mit sozialistischem Anspruch haben bewiesen, daß die „Entwicklung“, die sie in ihren Gegenden freigesetzt haben, indem sie die Formen gemeinschaftlichen Lebens zerstörten, nicht die Integration der Armen ins Paradies des modernen Reichtums bedeutet, sondern ihren radikalen Ausschluß unter dem Druck der weltweiten Konkurrenz.

Diese historische Erfahrung hat im Augenblick keinen radikalen Bruch mit dem Kapital ausgelöst, sondern im Gegenteil eine vollkommen reaktionäre Bewegung entstehen lassen: die iranische „islamische Revolution“ und ihre Schockwelle, den moslemischen Integrismus, der sich in der ganzen arabischen Welt immer weiter ausbreitet.[23]

Diese Bewegung hat einen neuen Typ von Nationalismus in den Sattel gehoben, der die ideologische Karte der traditionellen Befreiungsbewegungen umdreht. Er integriert tatsächlich die extreme Verzweiflung der vom „Fortschritt“ ausgeschlossenen Massen. Weit entfernt, sich mit dem Putz des Progressismus zu schmücken, beruft er sich auf eine von Grund auf reaktionäre Ideologie; er glaubt, das Rad der Geschichte zurückdrehen und zu einem sozialen Zusammenhalt zurückkehren zu können, der existierte, bevor der „Fortschritt“ seine zersetzende Arbeit vollendet hatte. Er glaubt, die Gemeinschaft der vorkapitalistischen Epoche wiedererwecken zu können. Diese reaktionäre Utopie gaukelt den Massen der Mostazafin (Enterbte), die aus dem kapitalistischen Produktionsprozeß herausgehalten werden, die Möglichkeit vor, trotz ihres gesellschaftlichen Ausschlusses von der gegenseitigen Hilfe der vom Islam gepredigten Gemeinschaft zu profitieren.

Von verschiedenen Blickwinkeln scheint der islamische Nationalismus den Kapitalismus zurückzuweisen, die vom Kapital geschaffene moderne iranische Nation zu zerstören und zur Stammesepoche zurückzukehren. Dies ist eine Täuschung: Die „islamische Revolution“ läßt die kapitalistische Produktionsweise intakt. Der Kapitalismus ist ein weltweites System, von dem der Iran, ob islamisch oder nicht, inzwischen ein wesentlicher Teil ist und mit dem nur eine weltweite Revolution fertigwerden kann. Die Perspektive einer Rückkehr zu einer Gemeinschaft, die sich in verschärftem ethnischen oder religiösen Partikularismus abkapselt, bietet keinen antikapitalistischen Ausweg. Die Utopie einer „moslemischen Gemeinschaft“ erscheint eher als der verzweifelte Versuch von Millionen von Mostazafin, trotz ihres definitiven gesellschaftlichen Ausschlusses ihre Integration in den iranischen Nationalstaat zu retten.

Der Wille, diese Utopie zu realisieren, konnte nur die scheußliche Macht der Mullahs erzeugen. Fanatisch, despotisch, konterrevolutionär können die Mullahs gegen den totalen Ausschluß der Massen iranischer Proletarier nichts ausrichten. Um ihre Ohnmacht und die Unbeständigkeit der moslemischen Gemeinschaft zu verdecken, fanden sie keine andere Lösung, als die Arbeitslosen in das Gemetzel eines permanenten „heiligen Krieges“ gegen den „ungläubigen“ Nachbarn im Irak zu schicken. Nach Jahren des Abschlachtens hat diese Lösung in einem Bankrott geendet und den iranischen Kapitalismus ausgeblutet hinterlassen. Der Iran braucht eine Atempause, um seine Ökonomie wiederherzustellen [24] eine Ruhepause, die fatal sein könnte für das Regime der Mullahs, denn die enterbten Massen, zurückgekehrt in die harte Realität ihrer sozialen Lage, könnten erkennen, welches Täuschungsmittel die moslemische Gemeinschaft ist.

Wir haben den Umweg über den Iran gemacht, weil der Virus des religiösen Integrismus auch die israelische Gesellschaft anstecken könnte. Diese sieht den entwickelten europäischen Gesellschaften zum Verwechseln ähnlich, aber ihr Gleichgewicht ist sehr viel zerbrechlicher. Sie hält sich nur über Wasser, weil das amerikanische Kapital der lokalen Ökonomie unter die Arme greift. Falls sich die weltweite Krise in den nächsten zehn Jahren bis zu dem Punkt verschärft, daß die USA gezwungen sind, ihre Finanzhilfe drastisch zu reduzieren, dann kann das Kapital den jüdischen Proletariern die Härten einer Umstrukturierung nicht mehr ersparen. Massen von Juden wären zum ersten Mal dauerhaft aus dem Produktionsprozeß ausgeschlossen.[25] In der Art des islamischen Integrismus bereiten die jüdischen Integristen bereits ein nationalistisches Krisenmanagement vor, um einer kommunistischen Lösung den Rang abzulaufen. Sie versuchen, die Angst vor dem Zusammenbruch der Gesellschaft durch die Reaktivierung der Idee einer „jüdischen Gemeinschaft“, die genauso utopisch und reaktionär wie ihre islamische Schwester ist, auszutreiben und fangen so das historische Werk des sozialistischen Zionismus von hinten her an. Falls es ihnen gelingt, die israelische Demokratie zu bezwingen, wird – wie im Iran – ein permanenter Krieg die Folge sein.

Der Alptraum, den die Krise des Kapitals in der Region vorbereitet, ist also ein Krieg auf Leben und Tod zwischen den jüdischen und moslemischen Integristen[26], der es ermöglicht, die Masse der „Überzähligen“ die von der Arbeit ausgeschlossenen Proletarier ins Massaker zu schicken. Und um unsere Hypothese auf die Spitze zu treiben: Es ist vorstellbar, daß das Wiederaufleben der alten Religionskriege im Mittleren Osten dem Kapital die Gelegenheit liefert, einen Dritten Weltkrieg auszulösen.

Entgegen dieser Eventualität liegt die Chance des Kommunismus ebenfalls in der Krise des Kapitals, in der Perspektive ihrer Vertiefung. Auf lange Sicht wird die Krise niemanden aussparen. So können die Proletarier zu dem Bewußtsein gelangen, daß sie in allen Nationen derselben gesellschaftlichen Prekarität unterworfen sind.

Diese Erkenntnis ist außerdem die notwendige Bedingung für die Bildung einer internationalen Vereinigung der Proletarier, die alleine eine menschliche Lösung der Zersetzung der Gesellschaft bieten kann: der Kommunismus, das heißt die Schaffung dieser weltweiten menschlichen Gemeinschaft, in der das gesellschaftliche Leben der Individuen nicht mehr von ihrer Integration durch die Arbeit abhängt, sondern unmittelbar und kostenlos ist. In dieser Gemeinschaft, in der die Arbeit als Ordnung, die ihnen von außen aufgezwungen wird, abgeschafft sein wird, können die Individuen zum ersten Mal in der Geschichte zu Subjekten ihres gesellschaftlichen Lebens werden, engagiert in der gemeinschaftlichen Produktion der Menschheit.

Solange die Bedingungen für eine kommunistische Revolution nicht gegeben sind, werden die sozialen Bewegungen im Mittleren Osten oder anderswo nicht aus dem nationalen Rahmen heraustreten. Die Kommunisten können, während sie auf die Bedingungen warten, nur punktuell an diesen sozialen Bewegungen teilnehmen, an ihren universellen Elementen, wie z.B. dem Kampf der proletarisierten palästinensischen Gemeinschaft gegen die israelische Militärordnung und die Arroganz der integristischen und rassistischen israelischen Siedler der besetzen Gebiete; dem Kampf der jüdischen Kriegsdienstverweigerer, die es ablehnen, ihren Militärdienst in diesen Gebieten abzuleisten; usw. …

Unsere beste Vorbereitung auf die Zukunft ist es, die schwachen Versuche von Kampfzusammenschlüssen zwischen jüdischen und arabischen Proletariern zu unterstützen. In Palästina ist es bereits revolutionär, wenn man bekräftigt, daß nur die Logik der Ausbeutung und des Staates es Juden und Arabern verbieten kann, sich zu treffen, sich zu lieben, oder ihr Leben gemeinsam zu gestalten. Der Weg zum Frieden zwischen den Individuen führt über den Kampf gegen die Staaten und die Nationalismen.

*

Der sozialistische Zionismus existiert nicht mehr als Bewegung, weil sich die Frage der Integration einer proletarisierten jüdischen Gemeinde heute nirgends mehr stellt. Die Wahnvorstellung, die antike Gemeinschaft wiederzuerwecken, bleibt dennoch bei den Juden sehr lebendig. Sie existiert zum einen in Palästina, wo sie durch die ultra-reaktionären jüdischen Integristen aktiviert wird. Zum Andern in der Diaspora, und dies aus drei Gründen. Zuallererst unterstützt der Staat Israel alle Strömungen, die die Aufrechterhaltung der jüdischen Identität fördern und die die ideologische Basis der pro-israelischen Lobbies bilden, die er im Westen braucht.

Dann gibt es noch die, insbesondere französischen, Sephardim, die von der afrikanischen Gemeinschaftskultur einer noch nahen Vergangenheit erfüllt sind, und noch immer davon träumen, sie nach Europa zu versetzen. Schließlich gibt es noch eine Generation von Juden, die an der 68er-Bewegung beteiligt waren. Nach dem „Rückgang“ dieser Ideen und dem Verlust ihrer Identität fanden sie eine neue – als Jude wie andere als Bretone.

Diese Versicherung ist wie jede Suche nach Identität der entfremdete Ausdruck eines real verspürten Bedürfnisses der modernen Individuen: sich der unpersönlichen Vermassung und der Atomisierung zu widersetzen, die das kapitalistische Leben erzeugt. Wie alle Teilforderungen kann sie dennoch nur eine Täuschung sein. Wie alle Individuen sind auch die Juden heute in der merkantilen Gesellschaft total atomisiert. Die jüdische Gemeinschaft kann also nur in den Köpfen existieren, nicht in einer konkreten Lebensweise. Die „jüdische Gemeinschaft“ ist nur noch die abstrakte Behauptung einer „Kultur“, die von kalten und reaktionären „gemeinschaftlichen“ Institutionen verwaltet wird.

Aus Gründen, die wir weiter vorne gesehen haben, erleben wir heute eine Wiederbelebung der „jüdischen Kultur“, aber diese Erneuerung bleibt auf die einzig greifbare jüdische soziale Realität beschränkt: den Staat Israel. Die höchsten Werte dieser „Kultur“ reduzieren sich inzwischen auf die bedingungslose Verteidigung dieses Staates und die Apologie des jüdischen Nationalismus.

Interessanterweise stellt diese „kulturelle“ Entwicklung eine Verarmung dar gegenüber der prä-zionistischen traditionellen jüdischen Kultur. Gewiß gab es damals eine Teilströmung, die die jüdische Besonderheit und die religiöse Legitimation der Macht der rabbinischen Kasten über die Gemeinschaften verherrlichte. Diese Komponente findet übrigens heute ihre Verlängerung in der Apologie des Zionismus und der Behauptung eines nationalen und religiösen Partikularismus. Aber es gab eine andere Komponente, die durch den Messianismus der Kabbale gekennzeichnet war. Historisch hatte sich diese Komponente aber immer der Macht der Rabbiner widersetzt und unterschied sich durch eine millenaristische, universalistische und „anarchistische“ Vision der messianischen Erlösung. Das Reich Gottes, das auf der ganzen Erde errichtet werden sollte, sollte die Abschaffung aller Trennungen zwischen den Menschen sein, die Abschaffung aller Nationen, aller religiösen und politischen Gesetze, aller Staaten, aller gesellschaftlichen Fetische.[27] Wie in allen millenaristischen Strömungen, wurde Gott in der jüdischen Mystik als der ontologische Ort der von der menschlichen Gattung erreichten Einheit gefaßt, d.h. im Grunde als das Wesen, welches das historische Projekt einer universellen menschlichen Gemeinschaft begründet.

Diese universalistische Komponente der prä-zionistischen Kultur wurzelte in der gelebten Erfahrung einer Gemeinschaft, welche die Grenzen der Nationen überschritt, ohne sich in die Gesellschaft um sie herum zu integrieren. Im Gegensatz zu den anderen europäischen millenaristischen Strömungen war diese noch im 18. und 19. Jahrhundert lebendig und zwar insbesondere in Mitteleuropa, wo die Gemeinschaft anachronistisch überdauert hatte. Sie war die Bedingung dafür, daß mehrere Generationen von Juden ohne Übergang von der Welt des Ghettos zum Marxismus gelangen konnten, den sie im Grunde als Säkularisierung, als historische Verwirklichung der alten messianischen Utopie erlebten.

Lenin selbst irrte sich nicht, als er schrieb: »Wer direkt oder indirekt die Losung der jüdischen ‘nationalen Kultur’ aufstellt, der ist (mögen seine Absichten noch so gut sein) ein Feind des Proletariats, ein Anhänger des Alten und des Kastenmäßigen im Judentum, ein Helfershelfer der Rabbiner und der Bourgeois. Die jüdischen Marxisten dagegen, die sich in den internationalen marxistischen Organisationen mit den russischen, litauischen, ukrainischen und anderen Arbeitern zusammenschließen und so ihr Teil (in russischer wie jiddischer Sprache) dazu beitragen, die internationale Kultur der Arbeiterbewegung zu schaffen – diese Juden setzten entgegen dem Separatismus des „Bund“ eben durch ihren Kampf gegen die Losung der „nationalen Kultur“ die besten Traditionen des Judentums fort.«[28]

Die Dominanz des Zionismus über die moderne jüdische Welt geht einher mit einer Verdrängung dieser revolutionären Komponente. Wenn sie sich gegen den religiösen Integrismus stellt, würde eine kommunistische Bewegung in Palästina sicherlich die Rückkehr dieses revolutionären Verdrängten der jüdischen Kultur auslösen. Die Juden könnten dann von innen heraus die Subversion und die Überwindung des Judaismus leben. Wenn das separatistische Würgeeisen der jüdischen Identität erst einmal gebrochen ist, fände die Utopie der „universellen messianischen“ Erlösung, welche die alte jüdische Gemeinschaft transportierte, endlich ihre weltliche Verwirklichung in der Bildung des menschlichen Gemeinwesens.

Quelle: thekla…  vom 25. Mai 2019

[1] Bis zum Sturz des Zarenreichs verboten die polnischen Berufsgewerkschaften den jüdischen Proletariern die Beschäftigung in der Industrie.

[2] Der Bund, die jüdische sozialdemokratische Partei, wurde 1897 gegründet, ein Jahr vor der russischen sozialdem. Arbeiterpartei. 1903 hatte er bereits 40 000 Mitglieder.

[3] Der Bund votierte 1903 für ein autonomes jüdisches Gebiet in Osteuropa.

[4] Große Figuren der deutschen proletarischen Revolution sind nur der sichtbare Ausdruck dieser aktiven Beteiligung: Rosa Luxemburg und Leo Jogiches an der Spitze der Berliner Kommune, Eugen Léviné an der Spitze der bayrischen Räterepublik, aber auch Parvus, Arkadi Maslow, August Kleine, Karl Radek usw. In der Bewegung der Arbeiterräte Ungarns: Erwin Szabo, Erwin Sinko, Bela Balazs…

[5] Zwischen 1870 und 1933 gab es neben dem rechtsradikalen Antisemitismus einen linksradikalen Antisemitismus v.a. in Frankreich, Deutschland und Österreich. Er ging aus von bestimmten Arbeiterschichten: qualifizierten Arbeitern, die noch dem Handwerk nahe und in ihren Fabriken verwurzelt waren. Diese seßhaften und qualifizierten Arbeiter waren fähig, ihre Fabriken anstelle der Unternehmer zu leiten und erkannten sich völlig in der Ideologie der Arbeiterselbstverwaltung, oft nahe beim Anarchismus. Sie hatten keine Heimat außer ihrer Fabrik, ihre Arbeit machte ihre ganze Identität aus. Sie verteidigten teuer ihre Löhne, die an ihre Qualifikation gebunden waren. Diese in ihrer Erde verwurzelten Arbeiter konnten nur einen heiligen Schreck kriegen angesichts der eingewanderten jüdischen Proletarier, die ihnen ohne jede Arbeiter-„Würde“ schienen; daher der linksradikale Antisemitismus. Das bildete zusammen mit der Bodenständigkeit einen gemeinsamen Punkt mit der extremen Rechten, eine Parallele, über die viele Anarchisten nach und nach zu Faschismus und Zusammenarbeit mit den Nazis umschwenkten. In seinem „Arbeiter“-Aspekt integrierte der Nazismus den linken Antisemitismus in den Nationalismus und enthüllte so dessen konterrevolutionären Charakter.

[6] Siehe: E.Jäckel Hitler ideologue (Hitler als Ideologe), Calmann-Lévy 1973.

[7] Der sichtbare Aspekt dieses Fischteichs des proletarischen Internationalismus manifestiert sich auch in der überproportionalen Zahl von Führern der Arbeiterbewegung: außer den bereits erwähnten finden wir Namen wie Trotzki, Martow, Deutsch, Abramowitsch, Axelrod, Liber, Dan, Kamenew, Sinowjew, Swerdlow, Litwinow, Joffé, Borodine, Warszawski, Isaac Deutscher usw. …

[8] Obwohl sie seit 1933 von der Existenz der KZs wußten und seit 1943 über die absolute Lufthoheit verfügten, haben sie nie die Bombardierung der Zugangswege angeordnet, um zu versuchen, die Vernichtung zu stoppen.

[9] Der Generalstab der Wehrmacht protestierte dagegen, daß die europäischen Eisenbahnen für den Transport der Deportierten in die Lager benutzt wurden, zum Nachteil der Truppen- und Materialtransporte an die Front.

[10] Les chambres à gaz… S.269-270.

[11] „Schwarzfuß“; in Frankreich gängiger Begriff für die Algerien-Franzosen.

[12] Man könnte dem das Beispiel der rassistischen Nation Südafrikas entgegenhalten. Aber das ist im eigentlichen Sinne keine weiße Nation, sondern die spezielle Verlängerung eines Kolonialsystems: befreit von der Bevormundung ihrer früheren Metropole, beutet die weiße Gesellschaft weiterhin auf typisch kolonialistische Art die schwarze Arbeitskraft aus. Wenn diese Ausbeutung in Frage gestellt würde, löste sich die weiße Gesellschaft auf und die Weißen müßten anderswo Zuflucht suchen.

[13] Ahad Ha Am, ein überzeugter Antikolonialist unter den ersten Einwanderern, prangert die bürgerlichen jüdischen Siedler folgendermaßen an: »Sie benehmen sich zu den Arabern feindlich und grausam, greifen ohne jede Rechtfertigung in ihre Rechte ein, schlagen sie in beschämender Art ohne ausreichenden Grund, rühmen sich auch noch ihres Verhaltens. Und niemand stellt sich ihnen entgegen, um diese miserable und gefährliche Neigung zu beenden.« Zit. nach Schlomo Avinéri Histoire de la pensée sioniste.

[14] Ebenda.

[15] Leopold Trepper Le grand jeu.

[16] Sephardim sind die aus Spanien und Portugal eingewanderten Juden.

[17] Zitiert nach Mordecai Sussan L’eveil politique sepharade Aix, 1975.

[18] Aschkenasim sind die in Mittel- und Osteuropa beheimateten, jiddisch sprechenden Juden im Gegensatz zu den Sephardim im Mittelmeergebiet.

[19] Sussan, a.a.O., S.157.

[20] ebenda, S.157.

[21] Haaretz vom 22.April 1949, zitiert nach M. Sussan, a.a.O., S.255.

[22] Das heißt nicht, die subjektiven Bedingungen für eine kommunistische Revolution seien in der Dritten Welt reifer als anderswo. Im Gegenteil, die von der Entwicklung ausgeschlossenen Massen sind derart ins kapitalistische System integriert, daß sie noch andere Verantwortliche für ihr Elend finden können als ihre proletarische Lage: den „Imperialismus“, den Westen als Ganzes, alle Klassen vermischt, den „großen Satan“ und seine technische Logik. Die vorkapitalistische gemeinschaftliche Vergangenheit ist noch nahe genug, um ein zwar unrealistisches aber verlockendes Modell zu sein und konterrevolutionäre Lösungen wie die islamische Religion hervorzubringen. In einer revolutionären Situation könnten die Massen der entwickelten Länder sich nur gegen ihre proletarische Lage wenden. Die Atomisierung und Universalisierung der Individuen wurde zu weit geführt, als daß sich die Forderung nach Rückkehr zu den zu engen Gemeinschaften der Vergangenheit behaupten könnte. Die Suche nach einer Gemeinschaft könnte sich nur in die Zukunft richten, zum Projekt einer universellen, nicht totalitären Gemeinschaft, in der die Individuen auch als Individuen existieren. Außerdem würde es die Fähigkeit der Produktivkräfte erlauben, das kommunistische Projekt sogleich auf weltweitem Maßstab in Angriff zu nehmen.

[23] Die Beendigung des Krieges resultiert genauso aus dem Widerstand der iranischen Proletarier, deren Glaube in den heiligen Krieg gegen die Ungläubigen in dem Maße nachgelassen hat, wie das Gemetzel zunahm.

[24] Wie auch immer deren Rhythmus sein wird, dies ist auf jeden Fall die historische Zukunft der israelischen kapitalistischen Gesellschaft.

[25] Der Integrismus entwickelt sich unter den palästinensischen Massen, und es wäre nicht erstaunlich, wenn der aktuelle „Sozialismus“ der PLO von dieser Welle weggeschwemmt würde.

[26] Siehe: Emmanuel Levine Le Royaume de Dieu et le Royaume de César éd. Le Réveil, 1973, und Le Judaisme contestataire et révolutionnaire éd. Tsedek, 1974; Guerschom Scholem Le Messianisme juif éd. Calmann- Lévy, 1975; Michel lowy Rédemption et utopie PUF, 1988.

[27] S. gewisse Namen Gottes in der Kabbale wie Hamakom (Ort) und Adamkadmon (Mensch der Begründung).

[28] Lenin Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage in: Werke 20, S. 11.

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