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kontertext: Rechts wuchert zusammen, was zusammenpasst

Eingereicht on 31. Juli 2019 – 13:12

Rudolf Walther. Die NZZ nähert sich der Sprache der rechten Populisten, Rechtsradikalen, der alten und neuen Rechten mehr und mehr an.

Terrorismus, Islamismus und Antisemitismus sind ernstzunehmende Gefahren für jede Demokratie. Aber Bange machen gilt nicht und geschäftsmässiges Bewirtschaften von Gerüchten schon gar nicht. Die grösste und wirkliche Gefahr für Demokratien entspringt der wachsenden Angleichung der politischen Positionen und Sprache von rechten Populisten, Rechtsradikalen, rechten Konservativen und neuen Rechten aus bürgerlichen Milieus – alle vereinigt im vielstimmigen Chor nationalistisch imprägnierter Parolen und wohlstands-chauvinistisch synchronisierter Interessen und Interessenten. Insbesondere rechte Populisten, konservative Rechte und neue Rechte gleichen sich deshalb vielerorts schleichend bis zur Ununterscheidbarkeit an. Man erkennt das am gemeinsamen Slang. Die Schlagwörter «biodeutsch» oder «urdeutsch» etwa waren bislang nur bei der AfD, Pegida und den Neurechten um Götz Kubitschek und seiner Zeitschrift Sezession zu hören. Jetzt erscheinen sie auch im NZZ-Vokabular (Michael Rasch in der NZZ vom 9.7.2019).

Die NZZ bildet ein Feld, auf dem der schleichende Angleichungsprozess rechter Stimmen unter der Flagge von Nationalismus und Besitzstandswahrung seit 2015 besonders gut zu beobachten ist. Das Jahr markiert den Wechsel in der Chefredaktion von Markus Spillmann zu Eric Gujer. Den Rechtskurs bekamen langjährige Mitarbeiter direkt zu spüren, aber auch Leser. Gujer profilierte sich als scharfer Beobachter und Kritiker der EU und der Bundesrepublik Deutschland. In der EU unterstellt er der BRD einen Drang zu einer hegemonialen Stellung, was freilich weniger für die Ambitionen deutscher Politik gilt, die in dieser Hinsicht unter der Kanzlerin Merkel entschieden vorsichtiger agiert als etwa unter den skrupelfreien Kanzlern Helmut Kohl (CDU) und Gerhard Schröder (SPD). Doch die Dominanz der deutschen Wirtschaft in der EU («Exportweltmeister») ist ein nicht zu bestreitendes Faktum.

Kampf gegen den „Mainstream von links“

Als scharfäugiger Beobachter und Kritiker der deutschen Innenpolitik und Binnenverhältnisse diagnostiziert Gujer eine Art linke «Gleichschaltung», räumt jedoch ein: «Gelenkt ist dieser Prozess aber nicht; er entsteht durch die gegenseitige Verstärkung unabhängiger Echokammern in den Medien, der Politik, der Wirtschaft, der Gewerkschaften. Oder einfacher gesagt: durch den Mainstream» (Gujers Kolumne «Der andere Blick» vom 12.4.2019). Alles in einen Sack und zumachen! Das Draufprügeln kann beginnen.

Das Wort von der ziemlich grossen «Echokammer», in der eigentlich nur die Kirchen und die Bundesliga fehlen, scheint sich an der Falkenstrasse «nicht gelenkter» redaktioneller Gleichschaltung zu verdanken. Was Gujer in der deutschen «Echokammer» vermisst, sind nicht etwa Kritiker der wirtschaftlichen Dominanz des Landes in der EU, sondern «populistische Positionen», die «in der Öffentlichkeit als nicht mehr sagbar gelten». Dass es im medialen Betrieb der BRD «nicht mehr» Sagbares gibt, ist freilich nur eine idée fixe, die exklusiv bei der AfD, bei Rechtsradikalen, konservativen Rechten und neuen Rechten anzutreffen war – und in der NZZ, die im vergangenen Jahr über 100 Artikel zum Thema «politische Korrektheit» mit immer gleichen Beispielen und gleichem Tenor veröffentlicht hat (Tages-Anzeiger v. 8.6.2019). Unter Gujers Chefredaktion berauscht sich ein Teil der Redaktion an der selbst gebastelten, rechten «idée fixe», eine nicht näher benannte linke Institution bestimme flächendeckend die mediale Agenda. Wie und warum aber, bitte sehr, hält sich das Thema der seit mindestens zwei Jahren fast völlig versiegten «unkontrollierten Masseneinwanderung» in allen rechtsradikalen, rechten und konservativen Medien, wenn angeblich Linke das öffentlich Sagbare verwalten? Die Gujer-NZZ belegt mit ihrer Dauerkampagne für das vermeintlich «Nicht-mehr-Sagbare» mit dem Refrain «politische Korrektheit» nur noch, wie sie sich im Windschatten der Rechten verfangen hat im Gestrüpp rechtsgestrickter Ressentiments und Ideen. Zu denen gehört auch, dass die Abschiebung geflüchteter Männer, Frauen und Kinder in vermeintlich sichere Länder wie Tunesien oder Algerien dazu beitragen sollen, zu verhindern, dass «ein Bleiberecht für alle» entsteht.

Damit rennt die NZZ Köppels Rechtspostille Weltwoche nach und reitet uralte Ressentiments, geschminkt mit Wörtern à la mode: «Der hässliche Deutsche trägt keinen Stahlhelm mehr – er belehrt die Welt moralisch» (Gujer). Gut zu wissen von einer Zeitung, die bis in die jüngste Zeit die kriminellen Geschäftsmodelle der Schweizer Banken verteidigte. Damit hat es ein jähes Ende genommen, aber zum Kalenderblatt für den Leipziger Rechtsprofessor Thomas Rauscher reicht es schon noch. Dieser behauptete von sich, «ich bin konservativ» und wünschte sich «ein weisses Europa brüderlicher Nationen». Marc Felix Serrao, NZZ-Büroleiter in Berlin, sah darin kein Bekenntnis eines astreinen Rassisten, sondern ein «zentrales Muster nationalkonservativer Einwanderungskritik» im Sinne der «scharfen Trennung zwischen ‘wir‘ und ‘die‘». Serrao zählt derlei zwar zur Kategorie «plumper Stereotype», spült diese aber gleich mit dem Hinweis weich, «gegen Gesetze verstossen sie nicht» (6.12.2017). Einen rechtsliberalen Zynismus auf intellektueller Schwundstufe erreicht Serrao mit der Versicherung, der Leipziger Juraprofessor habe nur als «Privatmensch politisiert». Ungefähr so sehen das Höcke, Gauland & Co auch, wenn sie den Nationalsozialismus zum «Vogelschiss» in der deutschen Geschichte und das Holocaust-Denkmal zum «Symbol der Schande» kleinreden.

Aushebelung des Staates

Wenn Gujer das Schweizer Fernsehen als «Staatsfernsehen» denunziert, spricht er dem abgemeldeten rechten Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maassen natürlich aus dem Herzen. Der liest die NZZ als «Westfernsehen» in der eingebildeten «Meinungsdiktatur» BRD und herzt damit den neuen NZZ-Kurs und die AfD gleichermassen.

Für die Ultras in der SVP ist der Service public bekanntlich «staatlich orchestrierter Diebstahl» – so Olivier Kessler in seiner Bewerbungsepistel als Vizedirektor des rechten Zürcher Think Tanks «Liberales Institut». Wenn oben von Berlin als «tiefrotem Labor des Staatssozialismus» (Gujer) die Rede ist, werden Jungschützen unten wie Lucien Scherrer munter und verspotten die BRD als «Nanny-Staat» (21.10.2017). Thomas Ribi übersetzt dann die Parole in den aktuellen NZZ-Speak, wonach der Staat auch «Verkehr, Bildung und Kultur dem Markt überlassen» soll. «Das ist radikal. Nur, es ist weder verfassungswidrig noch unanständig» (14.2.2018). Adam Smith hätte derlei unter den «sophistical speculations» verbucht.

Die «neue reaktionäre Linie der NZZ» (Daniel Binswanger) hat natürlich auch im Feuilleton Einzug gehalten, als René Scheu dort eintraf – ein «Athlet des freien Denkens» (Scheu), für das er sein Profil mit einem philosophischen Schulbubenstück schärfte, in dem er Sartre zum Wegbereiter von Rassismus und Islamismus frisierte (30.10.2017). Um seine Toleranz nach rechts zu dokumentieren, kauft Scheu oft abgehalfterte deutsche Kolumnisten von Reinhard Mohr über Bassam Tibi bis zu Cora Stephan aus der BRD ein. Aber für den strammen Rechtskurs und die Annäherung an AfD und neue Rechte bürgen auch «heimische» Schreibkräfte wie Marc Felix Serrao. Der liefert in regelmässiger Folge Porträts neuer Rechter und Rechtsradikaler, die er als «Rechtskonservative» einstuft. Dazu gehören ein rechtes Buchhändlerpaar mit offener Sympathie für Pegida ebenso wie der notorische Geschichtsrevisionist Rolf-Peter Sieferle oder der rechtsgestrickte Autor Uwe Tellkamp und die «Junge Freiheit», das Zentralorgan der neuen Rechten. Lucien Scherrer seinerseits übernahm es, den ehemaligen Sloterdijk-Assistenten und jetzigen AfD-Vorsänger und Hausesoteriker Marc Jongen zum «Rechtskonservativen» zu nobilitieren. Über solche Balzrufe ihrer «alten Tante» dürften sich wirkliche Konservative – je nach Temperament – ärgern oder wundern.

Quelle: infosperber.ch… vom 31. Juli 2019

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