Politische Lehren aus dem Bankrott des Maoismus
Peter Symonds. Vor 70 Jahren, nach der Machtergreifung der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh), rief Mao Zedong auf dem Tiananmen-Platz die Volksrepublik China aus.
Das derzeitige KPCh-Regime unter der Leitung von Präsident Xi Jinping nutzte diesen Anlass für eine riesige Militärparade in Beijing und extravagante Feiern mit Gesang, Tanz und Feuerwerk. Xi hielt auf dem Platz des Himmlischen Friedens eine Rede, die vom chinesischen Nationalismus gesättigt war und seinen „Traum“ von der nationalen Verjüngung und der Wiedererstarkung Chinas darlegte.
Die Chinesische Revolution war ein monumentaler gesellschaftlicher Umbruch, der die imperialistische Unterwerfung Chinas beendete, das Land vereinte, die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbesserte und vieles, was kulturell und sozial rückständig war, eliminierte. Die politischen Erben von Mao Zedong können jedoch nicht erklären, wie und warum die Träume und das Streben der Werktätigen nach einer sozialistischen Zukunft, für die vor 70 Jahren so viele Opfer gebracht wurden, in die Sackgasse des Kapitalismus geführt haben.
Das gewaltige Wirtschaftswachstum in China in den letzten drei Jahrzehnten hat zu einer riesigen und immer größer werdenden sozialen Kluft zwischen einer winzigen Schicht von milliardenschweren Oligarchen, die von der KPCh vertreten werden, und der Masse von chinesischen Arbeitern und Bauern geführt, die in einer von Profit und Markt dominierten Gesellschaftsordnung ums Überleben kämpfen.
Für die internationale Arbeiterklasse, insbesondere für die Arbeiter in China, ist es wichtig, dass die politischen Lehren aus dem Verrat gezogen werden, den Mao und die KPCh an der Idee des Sozialismus begangen haben. Jeder Kampf für den Sozialismus muss heute zwangsläufig die Frage beantworten: Warum endeten die Revolutionen des 20. Jahrhunderts, vor allem in Russland und China, in der Restauration des Kapitalismus?
In beiden Fällen liegt die Antwort in Entstehung und Aufstieg der stalinistischen Bürokratie in der Sowjetunion, die die Macht der Arbeiterklasse an sich gerissen hat. Sie gründete ihre Privilegien auf der reaktionären nationalistischen Perspektive des „Sozialismus in einem Land“. Dies war dem sozialistischen Internationalismus, der die russische Revolution unter Lenin und Trotzki im Oktober 1917 bestimmte, diametral entgegengesetzt.
In China sorgte Stalin dafür, dass sich die neu gegründete Kommunistische Partei Chinas der nationalistischen Kuomintang (KMT) unterordnete – mit verheerenden Folgen. In den revolutionären Umwälzungen der Jahre 1925-27 wandten sich Chiang Kai-shek und die KMT im April 1927 gegen die KPCh und schlachteten Tausende von Arbeitern und Kommunisten ab, als diese die Kontrolle über Shanghai übernommen hatten. Einen Monat später begann die so genannte „linke“ KMT, von der Stalin behauptete, sie stelle einen fortschrittlichen Flügel der chinesischen Bourgeoisie dar, eine Welle von Morden an Vertretern der Arbeiterklasse. Als die revolutionäre Flut zurückging, stürzte Stalin die angeschlagene KPCh in eine Reihe von Abenteuern, die alle mit tragischen Folgen für die Arbeiterklasse und die Bauernschaft scheiterten.
Leo Trotzki hatte vor den Gefahren gewarnt, die mit der Unterordnung der KPCh unter die Kuomintang verbunden waren, und seine Analyse der Politik Stalins fand Unterstützung bei KPCh-Mitgliedern und Führern, die aus der Partei ausgeschlossen wurden. Nach Trotzkis Theorie der permanenten Revolution, die der Russischen Revolution zugrunde lag, war die Bourgeoisie in Ländern mit einer verspäteten kapitalistischen Entwicklung wie China nicht in der Lage, die demokratischen und sozialen Hoffnungen und Bestrebungen der Massen zu erfüllen. Diese Aufgaben würden der Arbeiterklasse obliegen, die mit Unterstützung der Bauernmassen gezwungen sei, die Macht in die eigenen Hände zu nehmen und sozialistische Maßnahmen umzusetzen.
Die KPCh zog sich jedoch auf das Land zurück und stützte sich zunehmend nicht mehr auf die Arbeiterklasse, sondern auf bäuerliche Guerillatruppen. Ihre Perspektive basierte auf der diskreditierten „Zwei-Stufen-Theorie“ – zunächst sollte eine nationale demokratische Revolution unter Führung der Bourgeoisie stattfinden und in ferner Zukunft eine sozialistische Revolution. Diese nationalistische Perspektive beschädigte und deformierte die Chinesische Revolution, als sie 22 Jahre später tatsächlich stattfand.
Die Chinesische Revolution von 1949 war Teil eines weltweiten Aufbegehrens der Arbeiterklasse und der kolonialen Massen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Zwei Jahre lang nach der Niederlage Japans versuchte Mao, eine Koalitionsregierung mit Chiang Kai-shek, dem Schlächter von Shanghai, zu bilden, in Übereinstimmung mit Stalins Anweisungen an die kommunistischen Parteien auf internationaler Ebene. Um die Bourgeoisie und die Großgrundbesitzer nicht zu entfremden, blockierte die KPCh bewusst die zunehmenden Kämpfe der Arbeiter und schränkte den Umfang der Landreform ein. Chiang Kai-shek nutzte die Zeit, um seinen Einfluss in den Städten zu festigen und startete mit Waffen und Hilfe des US-Imperialismus eine militärische Offensive gegen die KPCh.
Erst im Oktober 1947 rief die KPCh schließlich zum Sturz der korrupten und gehassten KMT-Diktatur auf. Die Geschwindigkeit, mit der Chiang und sein Regime implodierten, machte deutlich, dass sie viel schneller hätten verdrängt werden können, wenn die KPCh von Anfang an die Arbeiter in den Städten mobilisiert hätte, anstatt sie anzuweisen, passiv auf ihre „Befreiung“ durch die Bauernarmeen der Partei zu warten. Die Feindseligkeit der KPCh gegenüber dem unabhängigen Kampf der Arbeiterklasse war denn auch das Hauptmerkmal ihrer Herrschaft in den letzten 70 Jahren.
Die 1949 von Mao ausgerufene Volksrepublik China basierte nie auf einem sozialistischen Programm, sondern auf seiner „Neuen Demokratie“ – der Umsetzung der ersten, bürgerlichen demokratischen Stufe. Die KPCh verstaatlichte nur die Unternehmen von „bürokratischen Kapitalisten“, die mit Chiang nach Taiwan geflohen waren, und schützte gleichzeitig die Gewinne und das Eigentum der Mehrheit der Kapitalisten. Maos Regierung basierte auf einer Koalition mit bürgerlichen Parteien, von denen einige hochrangige Posten besetzten.
Maos Perspektive eines autarken China führte schnell in die Sackgasse. Der US-Imperialismus, dessen Pläne zur Ausbeutung Chinas 1949 abrupt beendet worden waren, wollte den Koreakrieg 1950-1953 als Mittel nutzen, um das KPCh-Regime zu untergraben und schließlich zu stürzen. Folglich wurde Mao durch die US-Wirtschaftsblockade und die Kriegsgefahr gezwungen, ausländische und nationale Unternehmen zu verstaatlichen, die eine chinesische Aufrüstung sabotierten, und eine bürokratische Wirtschaftsplanung nach dem Vorbild der Sowjetunion einzuführen.
1955 kam die amerikanische Socialist Workers Party, damals die trotzkistische Partei in den USA, auf der Grundlage von Diskussion in der Vierten Internationale über die Pufferstaaten Osteuropas zu dem Schluss, dass China als deformierter Arbeiterstaat zu betrachten sei. Es handelte sich um ein Übergangsregime. Verstaatlichtes Eigentum und Wirtschaftsplanung war eingeführt worden, aber der neue Staat war von Anfang an deformiert und der Arbeiterklasse fehlte jede politische Stimme oder demokratische Rechte. Entweder würde China in Richtung eines echten Sozialismus voranschreiten, was den Sturz der maoistischen Bürokratie durch die Arbeiterklasse in einer politischen Revolution voraussetzte – wie von der trotzkistischen Bewegung befürwortet – oder eine Rückkehr zum Kapitalismus wäre unvermeidlich.
Als Ergebnis seines nationalistischen Programms, das auf der antimarxistischen Perspektive des Sozialismus in einem Land basiert, bewegte sich das maoistische Regime von einer Krise zur anderen – vom katastrophalen Großen Sprung nach vorn in den 1950er Jahren über die chinesisch-sowjetische Entzweiung bis hin zur desaströsen Kulturrevolution in den 1960er Jahren. Angesichts einer stagnierenden Wirtschaft und der wachsenden Gefahr eines Krieges mit der Sowjetunion wandte sich Mao nur 22 Jahre nach der Revolution von 1949 an den US-Imperialismus. Während Deng Xiaoping immer als Urheber der marktfreundlichen Politik und kapitalistischen Restauration in China angeführt wird, setzte er einfach Maos Annäherung an US-Präsident Richard Nixon im Jahr 1972 konsequent fort.
Dengs „Reform und Öffnung“ von 1978 fiel zusammen mit der rasanten Entwicklung einer globalisierten Produktion, die von den USA und anderen kapitalistischen Mächten angeführt wurde. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989, das vor allem auf die Unterdrückung der rebellischen Arbeiterklasse abzielte, strömten ausländische Investitionen ins Land, um die nach der Revolution aufgebaute Infrastruktur und Rohstoffindustrie sowie die billigen, aber vergleichsweise gut ausgebildeten und streng kontrollierten Arbeitskräfte zu nutzen.
In seiner gestrigen Rede prahlte Xi mit den Errungenschaften Chinas, huldigte den maoistischen Revolutionären und erinnerte an seinen Traum, China seine Größe zurückzugeben – ein Traum, der die Ambitionen der aufstrebenden chinesischen Kapitalistenklasse repräsentiert. Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas ist jedoch konfrontiert mit einer von den Vereinigten Staaten dominierten imperialistischen Weltordnung. Die USA sind bereit, alle Mittel, auch militärische, einzusetzen, um zu verhindern, dass China die amerikanische Vormachtstellung in Frage stellt.
Xi und die KPCh-Bürokratie haben keine Antwort auf das amerikanische Kriegstreiben – sie suchen den Ausgleich, während sie sich gleichzeitig an einem Wettrüsten beteiligen, das die Gefahr von Konflikten nur noch erhöht. Ebenso reagiert der maoistische Apparat auf die wachsenden Anzeichen von Unruhen in der Arbeiterklasse, die insbesondere durch die Proteste in Hongkong angezeigt werden, indem man den Nationalismus zur Spaltung der Arbeiter schürt. Dies wird verbunden mit einer verstärkten polizeistaatlichen Repression.
Während die Bürokratie in Beijing mit US-Aggressionen in Form von Handelskrieg und dem Aufrüsten in Asien konfrontiert ist, fürchtet sie die Arbeiterklasse noch mehr. Sie gibt mehr für die innere Sicherheit aus als für das Militär.
Das Internationale Komitee der Vierten Internationale (IKVI) ruft die internationale Arbeiterklasse auf, die notwendigen politischen Schlussfolgerungen zu ziehen. Der Verrat des Maoismus hat eine Katastrophe nach der anderen verursacht, nicht nur in China, sondern durch seinen schädlichen Einfluss in ganz Asien und international. Inmitten einer tiefen Krise des Kapitalismus weltweit lautet die einzige Antwort auf Kriegsgefahr, faschistische Tendenzen und den Niedergang der Lebensbedingungen: Stützt euch auf das Programm des sozialistischen Internationalismus, das der Oktoberrevolution 1917 zugrunde lag und für das allein die trotzkistische Bewegung immer konsequent gekämpft hat.
[…] Um Arbeiter in China und auf der ganzen Welt für eine sozialistische Zukunft zu vereinen, ist es notwendig, eine revolutionäre Führung für die kommenden Klassenkämpfe aufzubauen, das heisst einer politischen Organisation, die sich auf die theoretischen und politischen Lehren des Kampfes gegen den Stalinismus in all seinen Formen, einschließlich des Maoismus, stützt. Dies ist nur im Rahmen der weiter entwickelten revolutionären Tradition von einigen Strömungen des Trotzkismus -beispielsweise des IKVI – möglich.
Quelle: wsws.org… 2. Oktober 2019 mit einer leichten Änderung durch Redaktion maulwuerfe.ch
Tags: Arbeiterbewegung, China, Neoliberalismus, Strategie, Trotzki
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