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Spaniens Podemos: Die ängstliche Seele schlägt das linke Gesicht

Eingereicht on 25. August 2015 – 15:49

Seit Ihrer Gründung im Januar 2014 bis zu den Regional- und Gemeindewahlen von Ende Mai 2015 hat die neue spanische Partei Podemos (Wir können) die politische Landschaft verändert, wie dies seit dem Sturz der Franco-Diktatur und der Übergangsperiode in ein Zwei-Parteien-System von 1976 bis 1982 nie mehr geschehen ist; seit jener Zeit haben die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) und die Volkspartei (PP) das politische Leben dominiert.

Der Aufstieg von Podemos erfolgt nach dem Einbruch der 2008-2009 Krise, als die Arbeitslosenrate im ersten Quartal von 2013 auf ein Allzeithoch von 27 % stieg. Zudem entstanden Bewegungen gegen die Vertreibung aus den Wohnungen und Häusern, die Märsche für die Würde und Millionen von Menschen – als «Indignados» bekannt geworden -, besetzten im Mai 2011 im ganzen Lande öffentliche Plätze. All dies trug zu einem Wachstum von Podemos auf heute 375´000 Mitglieder bei.

Im folgenden am 9. August auf La Marea erschienen Artikel beschreibt Antonio Maestre, wie Podemos trotz der politisch immer ausgeprägteren Bewegung nach rechts, trotz der Bemühungen von Parteiführer Pablo Iglesias und seiner Umgebung, jede sprachliche Anspielung zu vermeiden, die sie mit der radikalen Linken in Verbindung bringen könnte, die Medien und die Unternehmer nun zum Angriff auf Podemos übergegangen sind und die Partei mit Erfolg als radikal links darstellen. In den Augen der Mehrheit der Spanierinnen und Spanier gilt Podemos denn auch trotz dieser Anstrengungen der Parteiführung aber weiterhin als radikal links. [Übersetzung maulwuerfe.ch]

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Die neueste Umfrage [von anfang August 2015] des CIS [Zentrum für soziologische Forschung] zeigt auf, dass 52 Prozent der Spanierinnen und Spanier Podemos als eine Partei der extremen Linken betrachten.

Somit ist Podemos an einem ihrer zentralen Ziele gescheitert: sich von der Linken zu distanzieren. Seit ihrer Entstehung hat dieses geistige Kind von Pablo Iglesias dafür gekämpft, nicht als eine linke Partei betrachtet zu werden, sondern vielmehr als eine Partei des Volkes, als ein breites politisches Gebilde, das Leute jeglicher politischen Überzeugung aufnimmt und offen gegenüber allen politischen Ideologien ist. Pablo Iglesias hat die Linke immer schon als gefährlichen Ort in der spanischen Politik angesehen, da es dort unmöglich ist, Wahlen zu gewinnen.

Gemäss der neuesten Umfrage des CIS ist ihm diese Aufgabe nicht gelungen. Die 52 Prozent der Spanierinnen und Spanier, die Podemos als radikale linke Partei einschätzen, ist der höchste Prozentsatz seit dem Oktober 2014, als Podemos in CIS Umfragen über die ideologischen Positionen der Leute überhaupt erst auftauchte.

Alle Mitglieder und Sprecher der Partei haben versucht, sich am Grundsatz zu orientieren, dass sie zum politischen Zentrum gehörten, dass sie gemässigt und frei von Ideologie seien. Dies im Versuch, ängstliche Wählerinnen und Wähler anzuziehen, die ein eher linkes Auftreten ablehnen würden. Seit Podemos in den Europawahlen vom Mai 2014 fünf Sitze gewann, hat die Parteiführung ihre Methoden und ihre Botschaften mit dem Ziel gemässigt, diese vollständig den heutigen sozialdemokratischen Ideen anzugleichen; nicht denjenigen der 1980er Jahre, sondern denjenigen, für die Pablo Iglesias seit Anbeginn gekämpft hat. Das anlässlich der Europawahlen von Podemos präsentierte Minimal-Programm wurde mittlerweile denn auch bis zur Unkenntlichkeit verwässert.

Paradoxerweise wurde dieser Rutsch in das ideologische Zentrum – aber nicht in das Zentrum der politischen Debate – von den Leuten nicht als solcher wahrgenommen. Über die vergangenen Monate hat der Anteil der Personen, die Podemos in der äussersten Linken verorten, in allen öffentlichen Umfragen signifikant zugenommen. Im Oktober 2014 haben 39.2 Prozent der Spanierinnen und Spanier die rosa Partei (Rosa ist die Signetfarbe von Podemos) als Partei mit einer starken Linkstendenz wahrgenommen. Im Januar 2015 erreichte dieser Anteil bereits 42.6 Prozent und erhöhte sich im April 2015 auf 48.3 Prozent. In der neuesten Umfrage liegt dieser Wert um 13 Prozent höher als im Oktober, trotz der entschlossenen Anstrengungen von Podemos, dies zu vermeiden.

Die Positionierung von Podemos und die Mässigung des Diskurses

Pablo Iglesisas versucht den Ort im politischen Spektrum zu beschreiben, den Podemos einnehmen sollte. Gemäss seiner Auffassung muss Podemos den Gang der politischen Debatte bestimmen; diese steht für ihn nicht notwendigerweise in einem Zusammenhang mit den zentralen ideologischen Debatten. Für den Führer von Podemos muss heute die zentrale politische Forderung eine Beendigung der Austeritätspolitik sein.

«Um ideologisch entscheidend eingreifen und die Eckpunkte der Debatte für das Land bestimmen zu können, müssen wir die anderen Kandidatinnen und Kandidaten dazu zu bringen, zu den von uns aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. Diese zentrale politische Botschaft jedoch muss nicht notwendigerweise mit dem zusammenfallen, was in der Vergangenheit als ‹ideologisches Zentrum› bezeichnet wurde und das nur in einem Zusammenhang erklärt werden kann, in dem sich die Konservativen und die Sozialdemokraten gegenseitig abgegrenzt haben . Heute hingegen geht es darum, was ZP [José Luís Rodríquez Zapatero, der Führer der PSOE und ehemaliger spanischer Premierminister über zwei Amtsperioden von 2004 bis Ende 2011] betonte: ein Projekt der wirtschaftlichen Verteilungsgerechtigkeit gegen das Dogma der Austeritätspolitik.»

Dieser gegen die Austeritätspolitik gewandte Grundsatz fand in breiten Sektoren der Bevölkerung Rückhalt, die genug haben von Jahren der Entbehrungen und Kürzungen und die Podemos als Stimme ihrer Wünsche wahrnehmen. Doch nach den Europawahlen wurde Podemos durch eine Angstkampagne und das Auftreten anderer Akteuren wie Ciudadanos [einer von den Unternehmern unterstützte Partei des rechten Zentrums] in eine Ecke des politischen Spektrums gedrängt, die Pablo Iglesias um jeden Preis vermeiden wollte. In einem Artikel in der spanischen Tageszeitung Público im Mai 2015 warnte der Führer von Podemos vor der Gefahr, Zentrumspolitik mit anderen Arten von Politik gleichzusetzen:

«Besonders auffallend ist, dass sich über die vergangenen Monate eine neue Sichtweise in den politisierten Sektoren der Bevölkerung mit einer Sympathie für Podemos herausgebildet hat, die von einem gewissen Minderwertigskeitskomplex gegenüber Ciudadanos ausgeht. Für diese Sektoren scheint Zentrumspolitik mit Positionen identifiziert zu werden, die medienfreundlicher und ‹seriöser› sind, damit sie die Wirtschaftseliten und die konservativeren Teile der Bevölkerung nicht abschrecken, die kaum Veränderung wollen. Diese Auffassung von ‹Zentrumspolitik› steht der Idee des ‹ideologischen Zentrums› gefährlich nahe. Die Gefahr der Gestaltänderung von Begriffen beruht nicht auf einer negativen Einschätzung des ideologischen Raumes von ‹weder links noch rechts›, sondern eher auf der Beobachtung, dass Podemos auf diesem Gebiet nur verlieren kann».

Diese Analyse von Iglesisas wird durch die Tatsachen widerlegt. Seit den grossartigen Resultaten der Wahlen ins Europaparlament hat Podemos auf eine Menge von Massnahmen verzichtet, die sie vorher unterstützt hat und zwar genau aus dem Bemühen heraus, sich ein Image zu verschaffen, dass die Eliten nicht abschrecken sollte.

Im November 2014 stellte die Partei von Iglesias einen Entwurf ihres Wirtschaftsprogrammes vor. In diesem Dokument nahm sie wichtige Modifikationen an Massnahmen vor, die den Argwohn der Eliten und einflussreicher Sektoren erregen könnten. So liess Podemos die Verstaatlichung von strategischen Wirtschaftssektoren fallen, eine Forderung, die im Programm für die Europawahlen einen zentralen Platz einnahm. Ebenso distanzierte sie sich vom Pensionierungsalter 60 und die Partei ersetzte das Programm für ein allgemeines Grundeinkommen mit einem Zuschuss an ein garantiertes Minimaleinkommen, so wie dies bereits in Spaniens autonomen Gemeinden praktiziert wird.

Zudem liess das Dokument vom November die Hauptforderung im Kampf gegen die Austeritätspolitik fallen, mit der die Partei die Umrisse der Debatte bestimmen wollte: einem Audit der Staatsschulden, um diese als illegitim zu erklären.

Diese sozialdemokratische Wende von Ende 2014 wurde vollzogen bevor noch Ciudadanos bei den Umfragen als ernstzunehmende Option aufgetaucht war. Das bedeutet, dass Podemos für diejenigen Wählerinnen und Wähler die einzige wählbare Option war, die nach einer Erneuerung der Politik suchten, die sich geschickt zwischen der Angst vor der äussersten Linken und dem Interesse einer Verdrängung der Sozialisten durchzumanöverieren weiss.

Im Frühjahr 2015 jedoch wurde das politische Bild durch eine Umfrage von Metroscopia für die Zeitung El País verändert. Die Umfrage der Tageszeitung zeigte auf, dass Cs [Ciudadanos] zum ersten Male mit 8 Prozent Stimmenanteil in der spanischen Wahlarena als politische Kraft ernstzunehmen war. Mit diesem Ergebnis in El Paìs begann die Partei von Albert Rivera [Führer von Ciudadanos und Parlamentsabgeordneter in Katalonien], in der Öffentlichkeit einen sehr wichtigen Platz einzunehmen, was ihr Wachstum bescherte, welches sie in den andalusischen Wahlen konsolidierte.

Sie steht also mit Podemos im Wettbewerb um das politische Zentrum und bedient sich dabei einer Rhetorik, die moderater, freundlicher und den Massenmedien noch willkommener ist. Dies führte unweigerlich dazu, die Partei von Pablo Iglesias in der äussersten Linke zu positionieren, so sehr deren Führung sich auch angestrengt hat, diese zu fliehen.

Die totale Kapitulation des griechischen Premierministers Alexis Tsipras vor der EU unmittelbar nach dem Referendum und die Unterzeichnung des folgenden Pro-Austeritätsabkommens hat Podemos ebenfalls nicht dabei geholfen, sich als Zentrum der politischen Debatte in Spanien zu profilieren. Die Verteidigung von Tsipras Unterzeichnung des neuen Memorandums seitens von Iglesias steht diesem eher im Wege, sich als zuverlässigen Opponenten der Austeritätspolitik aufzubauen. Zudem hat diese uneingeschränkte Unterstützung von Tsipras den Gegnern von Podemos erlaubt, die griechischen Probleme mit einer Politik der Angst in Zusammenhang zu bringen, die nun ihre Wirkung entfaltet.

Diese CIS-Umfrage von Anfang August, wie Podemos durch die Spanierinnen und Spanier wahrgenommen wird, ist für die Führung von Podemos schlimmer als der Rückgang der Wählerunterstützung um ein einziges Prozent. Die politische Landschaft, in die sich die Partei von Pablo Iglesias nun vor der Zielgeraden der nationalen Wahlen [später in diesem Jahr] versetzt sieht ist beängstigender und sehr ungünstig für die heutige Führung von Podemos.

Die Angst ist wirksamer, wenn die rechten Medien die Wählerinnen und Wähler überzeugen konnten, dass das was als Alternative dargestellt wurde, ein gefährlicher Weg der extremen Linken ist. Es scheint, dass die Rechte ihr Ziel erreicht hat.

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