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Revolutionäre Theorie und Praxis nach dem «Ende der Ideologien»

Eingereicht on 14. Januar 2020 – 17:46

Matias Maiello. In vorangegangenen Artikeln haben wir die Beziehung zwischen Revolte und Revolution aus verschiedenen Blickwinkeln der Entwicklung des aktuellen Zyklus des Klassenkampfes erörtert. Der letzte Artikel war dem heutigen internationalistischen Kampf gewidmet. In diesen Zeilen werden wir uns auf die Bedeutung der revolutionären Theorie für diese Kämpfe konzentrieren.

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Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben

Der Satz, der diesen Abschnitt betitelt, entstammt einer bekannten Aussage von Lenin in der Schrift Was tun? (1902), aber lässt sich leicht bis zu den Ursprüngen des Marxismus mit Marx und Engels zurückverfolgen. Um ihn zu bekräftigen, fügte Lenin hinzu, dass dieser Gedanke «nicht genug betont werden» kann. Dies ist heute nicht weniger bedeutend, nach Jahrzehnten der revolutionären Diskontinuität und ideologischen Reaktion, in denen die Postmoderne als «Geist der Epoche» die Idee der Revolution und sogar die Existenz einer «objektiven» Realität über den Text hinaus zu verbannen suchte; begleitet von den vielfältigen Theorien vom Ende «der Ideologien», «der Geschichte» (des Klassenkampfes), «der Arbeit», usw.

Der gegenwärtige Zyklus des Klassenkampfes auf internationaler Ebene mit seinen verschiedenen Momenten innerhalb jeden Prozesses ist einer der ausgedehntesten und bedeutendsten – wenn nicht sogar der bedeutendste – seit dem Ende des letzten Jahrhunderts. Jetzt findet er nach mehr als drei Jahrzehnten ohne Revolution (wenn auch nicht frei von wichtigen Aufständen, revolutionären Tagen und Prozessen, die einer Revolution nahe kamen, wie Ägypten 2011) statt, nachdem es der Bourgeoisie gelungen war, den Kapitalismus in Ländern definitiv wiederherzustellen, in denen das Kapital im 20. Jahrhundert enteignet wurde, wie der UdSSR, Osteuropa, China, Vietnam usw.. Dies waren Jahrzehnte des Rückzugs, in denen die Arbeiter*innenbewegung mit ansehen musste, wie ihre traditionellen Organisationen sich gegen sie selbst wandten und sich der neoliberalen Offensive und – im Falle der ehemaligen bürokratischen Arbeiter*innenstaaten – der kapitalistischen Restauration beugten.

Es sind 30 Jahre vergangen seit dem Fall der Berliner Mauer, aber auch 11 Jahre seit dem Fall von Lehman Brothers – Symbol der Krise von 2008. Heute nimmt ein neues internationales Szenario Gestalt an. Es eröffnet die Möglichkeit eines Wiederauflebens der revolutionären Bewegung im 21. Jahrhundert, für die es unerlässlich ist, die subjektiven Bedingungen nach Jahrzehnten der kapitalistischen Offensive zu erneuern. Der Kampf um den Aufbau revolutionärer Parteien auf nationaler und internationaler Ebene nimmt eine grundlegende Bedeutung an, und die revolutionäre Theorie ist ein entscheidender Faktor in diesem Kampf. In diesem Sinne möchten wir kurz und begrenzt auf fünf Probleme hinweisen, die wir derzeit für entscheidend halten: 1) Hegemonie und Selbstorganisation; 2) Theorie der permanenten Revolution; 3) konkrete Analyse von Situationen; 4) Strategie; 5) die kommunistische Perspektive.

  1. Strategische Positionen, Hegemonie und Selbstorganisation

Jahrzehntelang wurde die Arbeiter*innenklasse für unwiederbringlich geschwächt oder fast ausgestorben erklärt. Als Grundlage wurden bestimmte Phänomene aus dem Gesamtbild isoliert, um ihnen eine unbegrenzte Bedeutung zu verleihen: die Prozesse der «Verlagerung» von Unternehmen in Westeuropa und den USA, ohne zu sehen, dass die Arbeiter*innenklasse anderswo, angefangen in China, stärker wurde; die größere Heterogenität der Klasse, wobei dabei außer Acht gelassen wird, dass dies ein Produkt ihrer wachsenden Ausdehnung war; der enorme Prozess der Zersplitterung, den sie erlitt, ohne zu bedenken, dass sie weiterhin die «strategischen Positionen» der Wirtschaft besetzt; usw.. Diese Art von Ideologie über die Arbeiter*innenklasse wurde nicht nur von Think-Tanks und der akademischen Rechten propagiert, sondern auch von Theorien, die den Sozialismus oder Kommunismus als ihr Ziel beanspruchten. Unter den meistgelesenen, reduzierten Laclau und Mouffe die strategische Debatte der Arbeiter*innenklasse auf ein Problem des «Klassenessentialismus», und Negri setzte sich dafür ein, dass der Begriff der «Multitude» sie ersetzen sollte. Alles in allem war es – und ist dies immer noch – eine sehr breite ideologische Offensive, die vielen der Strömungen, die sich als revolutionär-marxistisch verstehen, einen Schlag versetzte. Dies geschah auf zwei entgegengesetzte, aber sich ergänzende Weisen.

Auf der einen Seite gab es diejenigen, die in gewissem Maße der Parole nachgaben, dass die Arbeiter*innenbewegung nur eine weitere «soziale Bewegung» sei und dass der Kampf um ihre Hegemonie auf einen «Klassenessentialismus» zurückfalle. Daher wurde der Aufbau revolutionärer Parteien durch die Strategie von «Parteien der Bewegungen» oder «breiten Parteien» ersetzt, die kein revolutionäres Programm oder Strategie hatten, um sich oberflächlich an «den Bewegungen», so wie sie sind, zu beteiligen. Der emblematischste Fall ist vielleicht die französische NPA (Neue Antikapitalistische Partei), da sie aus der Selbstauflösung einer der wichtigsten Organisationen des Trotzkismus auf internationaler Ebene, der französischen Revolutionär-kommunistischen Liga (Ligue communiste revolutionnaire), hervorging. Daniel Bensaïd, der einer ihrer Hauptanführer war, hatte zu Recht darauf hingewiesen, wie in Bezug zu linken Intellektuellen wie Foucault und Deleuze «die auf Null reduzierte Strategie» erreicht worden war. Allerdings sollte er schließlich die Gründung einer Partei ohne Strategie vorantreiben. Unter den «breiten Parteien» können wir auch die brasilianische PSOL (Partei für Sozialismus und Freiheit) nennen.

Auf der anderen Seite gab es diejenigen, die sich auf eine Selbstbestätigung der Arbeiter*innenklasse außerhalb einer hegemonialen Politik beschränkten und eine routinierte und gewerkschaftliche Ausrichtung des friedlichen Zusammenlebens innerhalb der Arbeiter*innenorganisationen, wie sie sind, vertieften. Dies ist zum Beispiel bei Lutte Ouvrière in Frankreich oder der PSTU in Brasilien der Fall, die zu den wichtigsten gehören. Eine Zwischenvariante drückte die PO in Argentinien aus, indem sie einen Teil der Arbeiter*innenklasse, die Arbeitslosenbewegung, als neues Subjekt (“Piquetero-Subjekt”) aufrichtete, um sie später mit einer nicht-hegemonialen Politik in den Gewerkschaften zu verbinden.

Es ist kein metaphysisches «Wesen», das die Arbeiter*innenklasse zum zentralen Akteur im revolutionären Kampf für den Sozialismus macht. Sie ist vielmehr der Teil der ausgebeuteten und unterdrückten Massen, der die “strategischen Positionen” besetzt, die eine Gesellschaft zum Funktionieren bringt. Das gibt ihr unter anderem die Kraft, die Gesellschaft lahmzulegen. Eine Qualität, die nicht nur nicht verloren gegangen ist, sondern in der letzten Zeit sogar noch zugenommen hat, insbesondere mit dem Sprung in der Urbanisierung und der Bedeutung, die der städtische Transport in den Metropolen gewonnen hat, wie man heute im Streikprozess in Frankreich sehen kann. Die «strategischen Positionen» geben der Arbeiter*innenklasse eine privilegierte Stellung als Artikulator einer unabhängigen Macht, die in der Lage ist, die ausgebeuteten und unterdrückten Massen mittels ihrer Selbstorganisation und Selbstverteidigung zu vereinen, um den bürgerlichen Staat in die Knie zu zwingen. Die Kontrolle dieser Schlüsselpositionen für die gesellschaftliche Produktion und Reproduktion ist wiederum entscheidend für die Schaffung einer neuen (sozialistischen) Ordnung, die in der Befreiung der Gesellschaft von Ausbeutung und Unterdrückung voranschreiten kann.

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