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Schweizer Imperialismus: Eine marxistische Interpretation

Eingereicht on 3. Januar 2021 – 12:28

Willi Eberle. Um die politische Mechanik in einem kapitalistischen Land zu verstehen, ist ein Imperialismusbegriff notwendig. Gerade für die Schweiz. Ist die Schweiz imperialistisch? Ein Land, in dem ein Selbstbild der humanitären Tradition, des vernünftigen Ausgleichs, des Pazifismus und der politischen Neutralität hochgezüchtet wird, in dem es scheinbar allen gut geht, eine starke «Mittelschicht» dafür sorgt, dass alles im Lot bleibt? Ein Land, das sich gerne als «Erfolgsmodell» sieht? Im Folgenden wollen wir dieser Frage nachgehen. (1)

Imperialismustheorien und die Schweiz

Ab dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts fand eine nachhaltige und tiefgehende Veränderung des Kapitalismus statt: Die moderne Staatenbildung akzentuierte sich. Die politischen Strukturen bildeten sich heraus, um die internationale Konkurrenz und den Klassenkonflikt politisch auf neue Grundlagen zu stellen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts wurden diese Veränderungen auch von bürgerlichen Theoretiker:innen noch offen und unverblümt debattiert. Damals standen diese Veränderungen auch im Zentrum der marxistischen Debatten um revolutionäre politische Strategien. In der Schweiz, die bereits damals eine besondere Rolle in der sich herausbildenden imperialistischen Ordnung der Mehrwertaneignung und -verwaltung spielte, wurde dies beispielsweise durch den bürgerlichen Ökonomen Richard Behrendt 1931 und durch den Kommunisten Pollux, Georges Baehler, in den 1940er Jahren geleistet.

Die Schweizer Industrie produzierte bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts mehr für den Export als für den Binnenmarkt. Die Schweizer Handelsgesellschaften hatten seit längerem eine solide Verankerung rund um den Globus und Teile der Industrie und die Banken begannen zunehmend, international eine herausragende Rolle zu spielen. Die Arbeiter:innenklasse war kämpferisch wie anderswo. Diesem Kampfgeist wurde durch die Unternehmer:innenschaft einerseits mit Repression, andererseits mit Kooptation begegnet. Und – ebenfalls wie andernorts in Europa und den USA – wurde mit der geförderten Immigration von billigeren Arbeitskräften die Löhne gedrückt.

Was die Schweiz aber bereits damals von den führenden imperialistischen Staaten – Grossbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Russland, Belgien, den USA und anderen – unterschied, war, dass der Militarismus innenpolitisch zwar eine wichtige Rolle spielte, sie aber über keine Kolonien verfügte. Die politischen Eliten beriefen sich seit fast fünf Jahrhunderten auf die politische Neutralität. Ab dem späten 19. Jahrhundert hatten die Banken innenpolitisch die Führung übernommen. (2) Zudem waren die grossen Organisationen der Arbeiter:innenbewegung über ihre Führungen spätestens seit dem Ersten Weltkrieg in die politische Ordnung der Klassenzusammenarbeit eingegossen. Das heisst, die Gewerkschaftsführungen und die Sozialdemokratie setzten auf Möglichkeiten von Vereinbarungen mit den Unternehmer:innen und deren Organisationen und nicht auf die Stärkung der Kampfkraft der Arbeiter:innenbewegung. Die revolutionären Erhebungen seit dem Ersten Weltkrieg in Europa scheiterten letztendlich an dieser politischen Grundkonstellation der Hegemonie des Reformismus. Ähnliches spielte sich in allen wichtigen Staaten Europas ab, aber in der Schweiz wurden die Fäden der Klassenzusammenarbeit besonders dicht und tief in das gesellschaftliche und politische Funktionieren hineingewoben. Dies vor dem Hintergrund eines äusserst stabilen inneren Zusammenhaltes der Bourgeoisie, der sich darauf stützt, dass die Schweiz von den Zerstörungen und tiefen Krisen, wie sie andere Staaten im 20. Jahrhundert durchlebt hatten, verschont blieb.

Quelle: sozialismus.ch… vom 3. Januar 2021; Dieser Aufsatz ist in antikap 13, der Zeitschrift der Bewegung für den Sozialismus, erschienen.

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