«Lockerung»: Bundesrat und Kapitalisten riskieren zweite Welle!
Dersu Heri. Der Bundesrat hat am Donnerstag die Lockerung der Corona-Massnahmen beschlossen. Es wird gar nicht verheimlicht, dass es in allererster Linie darum geht, «die Wirtschaft» wieder zum Laufen zu bringen.
In den vergangenen Tagen und Wochen hatten die Wirtschaftsbosse und ihre politischen Vertreter der SVP und FDP vermehrt Druck ausgeübt und ihre Interessen geltend gemacht. Einmal mehr wird deutlich, dass die Regierung, der Staat und die Kapitalisten die Profite über die menschliche Gesundheit stellen.
Damit riskiert der Bundesrat, dass ab dem 27. April eine zweite Virus-Welle über die Schweiz hereinbricht. Dieses Risiko wird jedoch bewusst in Kauf genommen, schliesslich steht der Schweizer Kapitalismus am Anfang seiner schlimmsten Krise aller Zeiten. Dies geben die Schweizer Kapitalisten auch offen zu, besonders deutlich durch ihre inoffizielle Sprecherin Magdalena Martullo Blocher: «Sogar in einem Extremszenario, wenn wir uns wieder breit anstecken würden, könnte man ja wieder zur Schliessung greifen. Das wäre dann wie jetzt. Wenn es aber funktioniert, vermeiden wir Lohneinbussen, Arbeitslosigkeit und Konkurse.» (Tagesanzeiger, 12.4.20)
Bundesrat eilt Kapitalismus zur Hilfe
Was die Kapitalisten uns damit damit sagen ist, dass erneut Zehntausende erkranken und Tausende sterben sollen, damit die kapitalistische Wirtschaft nicht zugrunde geht. Der Bundesrat schlägt zwar sanftere Töne an und baut auf vorsichtige Floskeln wie «so schnell wie möglich, so langsam wie nötig». Doch in Wahrheit setzt die Regierung im Grossen und Ganzen jene lebensgefährliche Lockerung um, welche die Kapitalisten rund um Martullo-Blocher fordern.
Die Wirtschaftsverbände und der Bundesrat behaupten, dass ausreichende Sicherheitsmassnahmen und Kontrollen in den Betrieben und Geschäften eingeführt werden könnten. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass dies eine dreiste Lüge ist: Überall hagelt es Berichte von völlig unzureichendem Corona-Schutz, beispielsweise im Detailhandel, in der Pflege, auf dem Bau und im Transport. Auch die Kontrollmechanismen sind lächerlich: Auf dem Bau stehen schweizweit 28 Kontrolleure für Zehntausende Baustellen und 350’000 ArbeiterInnen zur Verfügung. Für alle anderen Sektoren sind momentan gar keine Schutzmassnahmen vorgesehen.
Der Bundesrat hat keinen wirklichen Plan, wie die Lockerung im Einklang mit der Sicherheit und Gesundheit der Bevölkerung vonstatten gehen soll. Doch die gigantische Wirtschaftskrise zwingt ihn zum Handeln. Die Kosten für die Rettung der Firmen und die Kurzarbeit explodieren. Zudem gefährdet die stark steigende Arbeitslosigkeit den sozialen Frieden. Der Kapitalismus muss gerettet werden, der Bundesrat eilt zur Hilfe.
Pflegepersonal, Arbeiterklasse: Wir sind kein Kanonenfutter!
Dabei setzt die herrschende Klasse auf das Schweizer Gesundheitssystem, das im Vergleich zu anderen Ländern der Coronakrise bisher gut standgehalten hat und somit gemäss Bundesrat und Martullo-Blocher auch eine zweite Welle schaffen würde.
Diese Rechnung hat allerdings einen zutiefst menschenverachtenden Preis. Es wird auch bei einem relativ funktionierenden Gesundheitssystem Corona-Kranke und Corona-Tote geben. Menschenleben sind für den Bundesrat also Kanonenfutter! Dies gilt auch für die Situation innerhalb der Spitäler.
Das Pflegepersonal wird in vielen Städten mit der Lockerung weiter massiv überstrapaziert. 12.5-Stunden-Schichten und Engpässe beim Material sind vielerorts Alltag. Als Dank für diesen unglaublichen Einsatz in den vergangenen Wochen riskiert der Bundesrat nun eine zweite Virus-Welle! Wenn es hart auf hart kommt, sind die Profite wichtiger als die Gesundheit. Was im Kapitalismus immer der Fall ist, wird aktuell brutal entblösst.
Steinreiche Schweiz
Natürlich wünschen wir uns alle eine Lockerung der Massnahmen und ein Zurück in die Normalität. Doch DIESE Lockerung des Bundesrats dient eben nicht dem Allgemeinwohl, sondern dem Wohl der Profite. In unserem Sozialleben sollen weiterhin strikte Vorschriften mit Polizeikraft durchgesetzt werden. Gleichzeitig sollen alle wieder arbeiten gehen, damit die Profite reinkommen – obwohl erwiesen ist, dass die meisten Ansteckungen am Arbeitsplatz (oder auf dem Weg dahin) erfolgen.
Mit der Lockerung der Massnahmen werden vor allem die Profite der Kapitalisten gerettet. Das Wohl der ArbeiterInnen und ihrer Familien spielt dabei höchstens eine untergeordnete Rolle. Anders ist nicht zu erklären, dass ab dem 11. Mai die Schulen wieder geöffnet werden. Wenn die Eltern wieder arbeiten gehen, müssen die Kinder versorgt sein. Dass damit möglicherweise weitere breitflächige Ansteckungen in Kauf genommen werden, scheint den Bundesrat nicht zu interessieren.
Das grosse Problem ist: Eigentlich wäre in der steinreichen Schweiz genug Geld da, um alle nicht-existenziellen Arbeiten längerfristig einzustellen und den ArbeiterInnen einen vollen Lohn zu garantieren. Es wäre eigentlich genug Geld da, um einen tatsächlich sicheren Zeitpunkt für die Lockerung der Massnahmen abwarten zu können. Die einzige Hürde für dieses rationale Handeln ist der Profitzwang der Kapitalisten!
Es ist insofern schlicht lebensgefährdend und kriminell, dass die Kapitalistenklasse über die Methoden, die Mittel und den Rhythmus der Lockerung entscheiden. Der Profitzwang der Kapitalisten ist unvereinbar mit einem gesunden und sicheren Ausstieg aus der Coronakrise!
Arbeiterkontrolle!
Nur die ArbeiterInnen selbst können entscheiden, wann und wie die Betriebe und die Geschäfte wieder öffnen können. Die Arbeiterklasse hat keinen Profitzwang. Ihre Interessen sind sichere und gesunde Lebensbedingungen. In den existenziellen Betrieben sollten die ArbeiterInnen die Kontrolle über die Sicherheitsvorkehrungen, die Arbeitszeiten und die Schichten haben. Die ArbeiterInnen sorgen dafür, dass die Gesellschaft funktioniert. Sie sollen daher auch entscheiden, wie die Gesellschaft funktionieren soll!
Die Kosten für die Coronakrise sollen nicht mit Bundesgeldern finanziert werden, denn schlussendlich bezahlen die Lohnabhängigen für das Rettungspaket (siehe hier ab Zwischentitel «Rettungspaket»). Vielmehr sollen die Schlüsselindustrien und die Banken verstaatlicht und unter demokratische Kontrolle gestellt werden.
Genau diese Forderungen müssen die Organisationen der Arbeiterklasse in dieser Situation verteidigen. Doch die SP – die einzige nationale «linke» Massenpartei – versteckt sich grösstenteils kritiklos hinter den Massnahmen des Bundesrates, inklusive des Rettungspaketes.
Auch die lebensgefährlichen Lockerungs-Ankündigungen werden von der SP-Führung bisher grösstenteils unterstützt und gemäss Vize-Präsidentin Barbara Gysi als «wichtig für die Wirtschaft» angesehen. Damit versucht die SP-Führung, sich als fähige Retterin des Kapitalismus zu präsentieren. Sie wollen genau jene «Wirtschaft» retten, welche die aktuelle Krise verursacht hat.
Tausende Schweizer Unternehmen stehen vor dem Bankrott, alle Wirtschaftssektoren werden brutal hart getroffen. Die Kapitalistenklasse wird alles daran setzen, die Krise auf die Schultern der ArbeiterInnen und ihrer Familien abzuwälzen. Wir müssen uns auf Massenentlassungen, Lohnkürzungen und hohe Arbeitslosigkeit vorbereiten. Hinzu werden grosse Sparmassnahmen bei den Renten und weiteren Sozialleistungen kommen, um die Gelder aus dem Rettungspaket wieder hereinzuholen.
Die Aufgabe der SP in dieser heftigen Krisensituation ist es, die Arbeiterklasse zu verteidigen, nicht den kaputten Schweizer Kapitalismus vor dem Abgrund zu retten! Wenn die SP jetzt nicht für ein kämpferisches Programm einsteht, ist die Arbeiterklasse dazu verdammt, sich ohne Organisation gegen die Angriffe wehren zu müssen. Und die SP verschwindet endgültig in die Bedeutungslosigkeit.
Die Arbeiterklasse braucht jetzt ein revolutionäres Programm, das definitiv mit diesen kriminellen Kapitalisten und ihrem Staat bricht. Es ist das einzige Programm, welches kurz- und längerfristig gute Lebensbedingungen garantiert. Ausschliesslich die ArbeiterInnen selbst können dies erkämpfen. Sie müssen sich daher auf Grundlage des revolutionären Programms einen und geschlossen dafür kämpfen.
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Quelle: derfunke.ch… vom 21. April 2020 mit einer leichten Kürzung
Tags: Arbeitswelt, Covid-19, Gesundheitswesen
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