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Spanien: Franquistische Dreiteilung vor den Wahlen

Eingereicht on 29. April 2019 – 11:16

Raul Zelik. Bei den anstehenden Parlaments- und Kommunalwahlen in Spanien ist ein deutlicher Rechtsruck zu erwarten. Zwar werden der sozialdemokratischen PSOE Zugewinne und ein Ergebnis um 30 Prozent vorhergesagt, aber da gleichzeitig Podemos ein Drittel ihrer Wähler*innen verlieren dürfte, wird der Rechtsblock aus Partido Popular (PP), Ciudadanos und Vox am Ende wohl vorn liegen. Dass die Bildung einer Rechtsregierung nach dem 28. April trotzdem eher unwahrscheinlich ist, liegt an den katalanischen und baskischen Parteien, die erneut zum Zünglein an der Waage werden dürften. Möglich wäre nach neueren Umfragen allerdings auch eine Koalition aus PSOE und rechten Ciudadanos, die auch vom Regierungschef Pedro Sánchez bevorzugt wird.

Die Neuzusammensetzung der spanischen Rechten

Für große Verunsicherung sorgt der Aufstieg der rechtsextremen Vox. Die erst 2013 gegründete faschistische Partei, die vor allem unter Männern, Polizist*innen und Militärs überdurchschnittlich stark vertreten ist, könnte ein zweistelliges Ergebnis einfahren.

In den Medien wird die katalanische Unabhängigkeitsbewegung für das Erstarken der extremen Rechten verantwortlich gemacht – die Forderungen nach einem katalanischen Selbstbestimmungsrecht hätten eine ultranationalistische Reaktion provoziert. In dieser Logik wäre dann allerdings auch die Frauenbewegung am Erfolg von Vox schuld, denn Antifeminismus wirkt für die Rechtsextremen ebenso mobilisierend wie die Verteidigung der spanischen Einheit.

In Wirklichkeit hat das Vox-Phänomen sehr viel mehr mit der Krise der langjährigen Regierungspartei PP zu tun, die bisher als Sammelbecken auch der extremen Rechten fungierte. Wie weit rechts der PP steht, zeigt ein Blick in ihre Gründungszeit. Als Adolfo Suárez, Generalsekretär der faschistischen Regierungspartei Movimiento Nacional, nach dem Tod von Diktator Franco 1975 die politische Öffnung einleitete, bemühte sich der rechte Flügel der Eliten um die Verteidigung seiner Machtpositionen in Justiz, Sicherheitskräften, Medien und Wirtschaft. Aus dieser Strömung, die Zugeständnisse an die Linke ablehnte, ging 1976 die Alianza Popular und wenig später der Partido Popular hervor. Diese Verankerung im rechtsextremen Milieu war denn auch der Grund, warum der PP sieben Anläufe brauchte, bis sie 1996 erstmals die spanischen Wahlen gewinnen konnte.

Unzählige Korruptionsskandale und die illegale Finanzierung der Partei durch Bestechungsgelder der Bauindustrie haben der PP zuletzt jedoch in eine tiefe Krise gestürzt. Der Aufstieg von Vox ist eine direkte Reaktion auf diese Krise des PP: Meinungsumfragen zufolge rekrutiert sich die Anhängerschaft der Rechtsextremen zum größten Teil aus den Reihen enttäuschter PP-Wähler*innen.

Zentrale Anliegen der neuen Rechtspartei sind Antifeminismus, Migrationsbekämpfung, die Legalisierung des privaten Waffenbesitzes und die Stärkung des spanischen Zentralismus. Bei diesem Vorhaben erhält die Partei auch aus dem Ausland Unterstützung. In den Gründungsjahren 2013/2014 bezog Vox fast zwei Millionen Euro von den Volksmudschahedin, einer iranischen Exilorganisation, die im Kampf gegen das Mullah-Regime ihrerseits aus allerlei dubiosen Quellen finanziert wird.

Interessant an der Ausdifferenzierung der spanischen Rechten ist, dass PP, Ciudadanos und Vox in gewisser Hinsicht die alten Strömungen des Franquismus repräsentieren, der sich auf ein Bündnis von klerikalen Rechten, faschistischer Falange und Wirtschaftstechnokratie stützte. Diese Dreiteilung scheint nun wieder hergestellt: Während der PP den Rechtskatholizismus und Vox den alten, in den Sicherheitskräften nach wie vor präsenten Rechtsextremismus repräsentieren, stehen die Ciudadanos innenpolitisch für einen technokratischen Neoliberalismus, bei dem »internationalistische« Bekenntnisse zu Europa in einem auffälligen Widerspruch zur nationalistischen Haltung in innerspanischen Fragen stehen.

Podemos: rasanter Anpassungsprozess

Erklärt werden muss der Aufstieg von Vox aber auch mit dem Glaubwürdigkeitsverlust der Linken. Vor allem die »Bewegungspartei« Podemos hat in den fünf Jahren ihres Bestehens einen rasanten Anpassungsprozess hingelegt und die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuscht. Die tiefe Krise der Partei manifestierte sich zuletzt im Austritt von Íñigo Errejón, der langjährigen Nummer 2 von Podemos. Zu den Wahlen in der Autonomiegemeinschaft Madrid wird er nun mit einer eigenen Liste antreten.

Hinter den Zerwürfnissen stehen persönliche Eitelkeiten, aber auch grundlegende politische Differenzen. Während die »Errejonistas« der Parteiführung vorwerfen, sich nicht entschlossen genug in der politischen Mitte positioniert zu haben, kritisieren Bewegungslinke die Reduktion des Parteiprojekts auf die Beteiligung an Wahlen. Für die deutsche Debatte interessant ist vor allem der Umstand, dass die Entwicklung von Podemos die Grenzen der populistischen Strategie deutlich macht. Die Fokussierung auf Führungspersonen und die programmatische Unschärfe, mit der Podemos in alle Richtungen anschlussfähig bleiben wollte, ermöglichten der Partei zwar zunächst ein rasantes Wachstum und Umfragewerte von bis zu 30 Prozent, führten aber mittelfristig zu einer Entpolitisierung des Projekts. Seit 2015 wird in der Partei eigentlich nur noch über Personal und PR-Strategien diskutiert, während soziale Kämpfe oder lokale Verankerung – in der katalanischen und baskischen Linken beruht die Parteiarbeit auf dem Aufbau von sozialen Zentren mit Kneipenbetrieb – kaum noch eine Rolle spielen. Als fataler Fehler erwies sich auch die Entscheidung, der bei internen Wahlen siegreichen Liste sämtliche Sitze im Parteivorstand zu überlassen. Auf diese Weise hat sich die »Bewegungspartei« Podemos eine extrem autoritäre Struktur geschaffen, innerhalb derer der Vorsitzende Pablo Iglesias mehr oder weniger nach Gutdünken entscheiden kann. Selbst die offenen Online-Abstimmungen über Grundsatzentscheidungen haben sich als zweischneidiges Schwert erwiesen. Durch das digital-demokratische Verfahren wurden bei Podemos jene Politiker*innen gestärkt, die am häufigsten im Fernsehen auftauchten, während die Basis auch weiterhin wenig Einfluss auf die Politik der Partei besitzt.

Linke Stadtregierungen stehen vor ihrer Abwahl

Auch die linken Stadtregierungen von Madrid und Barcelona werden im Mai vermutlich abgewählt. Die Madrider Bürgermeisterin Manuela Carmena ist zwar nach wie vor populär, hat aber praktisch die gesamte Legislatur gegen die eigene Fraktion, das Linksbündnis Ahora Madrid, regiert und sich völlig von den sozialen Bewegungen der Stadt entfremdet. Der »pragmatische« Kurs der Bürgermeisterin drückt sich u.a. in der Zustimmung zum umstrittenen Immobilienprojekt »Operación Chamartín« aus, in dessen Rahmen große Flächen im Norden Madrids Konzernen überlassen werden. Auch diese Beobachtung ist interessant: Obwohl Ahora Madrid als radikaldemokratisches Projekt startete und die Listenplätze in offenen Vorwahlen vergeben worden waren, fällt die Bilanz der Madrider Stadtregierung bescheidener aus als beispielsweise die des rot-rot-grünen Senats in Berlin.

In Barcelona sehen die Umfrage-Institute den Kandidaten der linksliberalen Unabhängigkeitspartei ERC klar vor der Bürgermeisterin Ada Colau. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die ERC mit Barcelona en Comú (der Liste von Ada Colau) eine Koalitionsregierung bilden wird. Wichtigster Gegenkandidat der Rechten in der Stadt ist der ehemalige französische Premierminister Manuel Valls, der in Frankreich Mitglied der Sozialistischen Partei ist, in Barcelona aber für die neoliberal-nationalistischen Ciudadanos antritt.

Der Rückgang der Unterstützung für Ada Colau hat viel mit dem parteipolitischen Taktieren der Bürgermeisterin zu tun. Auf der einen Seite verfolgte die Stadtregierung zwar wichtige Projekte – man ergriff Maßnahmen gegen Airbnb und Uber, förderte Genossenschaften und unterstützte Nachbarschaftszentren. Doch auf der anderen Seite versuchte auch Ada Colau, sich in der politischen Mitte zu profilieren, was sie schnell in Widerspruch zur eigenen Programmatik brachte. Zeitweise als Spitzenkandidatin für Podemos in Spanien gehandelt, versuchte Colau bei der Anhängerschaft der PSOE zu punkten, indem sie eine Koalitionsvereinbarung mit der spanischen Sozialdemokratie schloss und sich demonstrativ vom katalanischen Unabhängigkeitsreferendum 2017 distanzierte. Was von außen als eine sinnvolle Kritik am Nationalismus erscheinen mag, stellte sich vor Ort eher als Opportunismus dar. Denn während Millionen Katalan*innen den zivilen Ungehorsam praktizierten und Politiker*innen der bürgerlichen Parteien von der spanischen Polizei verhaftet wurden, kritisierte Colau das Referendum wegen seines illegalen Charakters. Absurd erschien diese Haltung auch deswegen, weil Ada Colau ein Referendum auch ohne Zustimmung des Zentralstaates immer als demokratisches Grundrecht befürwortet hatte. Faktisch hat sich die Bewegungslinke um Ada Colau selbst von bürgerlichen Politiker*innen wie dem katalanischen Regierungschef Puigdemont von links überholen lassen.

Krise ohne Ausweg

Egal wie die anstehenden Wahlen ausgehen werden: Eine Lösung der politischen Krise Spaniens ist nicht in Sicht. Seit den frühen 2000er Jahren hat es immer wieder Mitte-Links-Mehrheiten gegeben, mit denen die PSOE republikanische und föderale Reformen hätte durchsetzen können. Das Entstehen einer Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ab 2006 ist jedoch Ausdruck davon, dass die PSOE diese Reform nicht will, weil sie den postfranquistischen Elitenpakt von 1978 selbst mit ausgehandelt hat und weder Monarchie und Zentralismus noch die neoliberale Wirtschaftspolitik für ein Problem hält.

Vor diesem Hintergrund wird verständlicher, warum die PSOE nach den Wahlen wohl am ehesten mit den rechten Ciudadanos koalieren wird. Deren spanischer Nationalismus jedoch dürfte die territorialen Spannungen erneut anfachen. Die katalanische Unabhängigkeitsbewegung wirkt im Moment erschöpft, doch das Problem bleibt bestehen: Spanischer Nationalismus, die franquistische Kontinuität und das neoliberale Wirtschaftsmodell sind in der Architektur des Zentralstaats eng miteinander verzahnt. Genau diese Verbindung provoziert aber nicht nur sozialen Protest, sondern auch den massiven Widerstand Kataloniens und des Baskenlands.

Quelle: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 648… vom 29. April 2019

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