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Protest für demokratische Rechte – gemeinsam mit Antidemokraten?

Eingereicht on 11. Mai 2020 – 11:13

us. Am Samstag fanden unter anderem in Berlin, Frankfurt und München Kundgebungen mit Hunderten, in Stuttgart mit Tausenden Teilnehmern statt. In Berlin gibt es schon seit einigen Wochen sogenannte „Hygienedemos“.

Viele Teilnehmer machen sich große Sorgen wegen der Einschränkung von im Grundgesetz verankerten Rechten und kritisieren dies. Ein Korrespondent berichtet von einer früheren Aktion in Stuttgart:

„Auf Plakaten wurde die Verteidigung der ersten 20 Artikel des Grundgesetzes und die ‚Beendigung der obrigkeitsstaatlichen Schikanen und des Notstandsregimes‘ verlangt. Es beteiligten sich auch verschiedene Bekannte aus fortschrittlichen Bewegungen – die Forderungen schienen ja völlig berechtigt.“

Corona-Krise nur inszeniert?

Doch vermischt sich der berechtigte Protest gegen die Einschränkung demokratischer Rechte auch mit der Ablehnung jeglichen Gesundheitsschutzes gegen die Corona-Pandemie. Ohne Mundschutz und dicht gedrängt stehen viele zusammen. Teilweise wird die Corona-Krise als aufgebauscht oder gar inszeniert angesehen, um damit Vorwände für Notstandsmaßnahmen und die Abwälzung der Krisenlasten zu schaffen.

Das ist auch durch rechte Verschwörungstheorien beeinflusst, die von den Organisatoren der Demonstrationen – in Stuttgart etwa die Plattform KenFM des Journalisten mit dem Pseudonym Ken Jebsen – verbreitet werden. Der Vertreter antisemitischer Verschwörungstheorien und bekennende Trump-Fan erklärt die Corona-Pandemie zu einer von Bill Gates initiierten Verschwörung. Nicht alle Teilnehmer waren einverstanden, dass Jebsen gestern in Stuttgart Hauptredner war. Aber dass Bill Gates hinter Corona steckt und allen mit einer Impfung einen Chip injizieren lassen will, ist verbreitete Meinung. 

Verschwörungstheorien zur Corona-Pandemie haben bei den Strippenziehern der „Hygienedemos“ Hochkonjunktur (Foto: Geralt / Pixabay)

Natürlich ist zu kritisieren, dass Bill Gates – der mit seiner Stiftung die Impfstoffentwicklung führend mitfinanziert – damit auch Profitinteressen verfolgt. Doch auf der Profitlogik beruht das ganze kapitalistische System. Deshalb die Erforschung von Impfstoffen und eine gegebenenfalls notwendige Impfpflicht abzulehnen, ist absurd. Impfstoffe haben wesentlich zum Fortschritt des Gesundheitswesens beigetragen und ein wirksamer, bezahlbarer Impfstoff gegen das Coronavirus könnte hunderttausenden Menschen das Leben retten.

Selbständige und kleine Unternehmer sehr besorgt

Unter den Demonstranten sind viele Selbstständige und Unternehmer, deren Existenz bedroht ist. Während die Regierung den großen Monopolen mit Milliarden-Subventionen und -Krediten hilft, gehen sie weitgehend leer aus. Statt das zu kritisieren und wirksame Hilfsmaßnahmen für Kleinbetriebe und Selbständige einzufordern, befürworten viele die Aufhebung sämtlicher Corona-Beschränkungen. Das wäre brandgefährlich. Schon nach den bisherigen „Lockerungen“ im Interesse der Industrie steigt die Reproduktionszahl1 wieder bedrohlich an.

Oft hört man: „Wir sind weder rechts noch links.“ Ein Motiv dafür ist häufig der Wunsch nach einem breiten Zusammenschluss. Allerdings wirkt hier auch die antikommunistische „Rechts gleich Links“-Propaganda und eine gefährliche Verharmlosung ultrareaktionärer, faschistoider und faschistischer Kräfte. Diese stellen sich als die eigentlichen Strippenzieher heraus, vielerorts sind es AfD-Politiker. In Aue rief ein NPD-Funktionär zur Kundgebung auf. In Berlin nahm an den „Hygienedemos“ der Faschist und Holocaust-Leugner Nikolai Nerling teil.

Antidemokraten als Verteidiger von Grundrechten?

Mit der Verteidigung von Grundrechten haben diese Leute nichts, aber auch gar nichts am Hut. Sie wollen sich damit bei ehrlich besorgten Menschen anbiedern und sie für ihre zutiefst antidemokratischen Ziele missbrauchen. Wer dem Faschismus den Weg bereitet, bereitet der offen terroristischen Diktatur des Finanzkapitals den Weg, in der alle bürgerlich-demokratischen Rechte abgeschafft werden.

Dieser Instrumentalisierung entspricht auch das Organisationsprinzip der Kundgebungen. Es gibt keinerlei demokratisch organisierte Struktur. Völlig im Dunkeln bleibt, wer die zumeist professionelle Veranstaltungstechnik finanziert. Massiv gepuscht werden die Aktionen auch von mit dem russischen Imperialismus verbundenen Medien wie Russia Today Deutsch.

Reaktion auf Krise der AfD und faschistischen Kräfte

Die ultrareaktionäre, faschistoide AfD und Neofaschisten gerieten in den letzten Monaten in die Krise. Die antifaschistische Bewegung belebte sich in Verbindung mit dem Protest gegen die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) zum Ministerpräsidenten Thüringens mit AfD-Stimmen und dem faschistischen Anschlag in Hanau. In aktuellen Umfragen2 ist die AfD auf den niedrigsten Wert seit der Bundestagswahl 2017 gerutscht.

Die ultrareaktionären bis faschistischen Kräfte konzentrieren sich deshalb auf die Unterwanderung bzw. Initiierung solcher Proteste. Die neofaschistische Partei „Die Rechte“ führt in einem im Internet veröffentlichten Aufruf aus, „dass wir als Partei DIE RECHTE in den kommenden Wochen zunächst keine eigenen Versammlungen mehr anmelden werden, sondern … dazu aufrufen, sich an den … stattfindenden Protesten … im Zuge der Corona-Pandemie zu beteiligen“. Und man wolle diese „nicht nur als Zaungäste begleiten, sondern eigene Akzente und Inhalte setzen“.

Wirklicher Protest ist links

Die Vertrauenskrise in die Regierung, die zu Beginn der Corona-Pandemie stark überlagert war, bricht an immer mehr Fragen wieder auf. Die Herrschenden verfolgen diese Entwicklung mit Sorge. Reaktionäre und faschistische Kräfte bekommen für ihre Instrumentalisierung der Kritik der Massen am Krisenmanagement der Regierung viel Spielraum. So konnten bei den genannten Kundgebungen Hunderte und Tausende ohne Abstand und Mundschutz umherziehen und die Polizei greift nicht ein, lässt sogar unangemeldete oder nicht genehmigte Aktionen zu. Undenkbar bei linken Protesten.

Es gibt längst eine sich entwickelnde Bewegung, die sich auf antifaschistischer, demokratischer Grundlage für die verschiedensten Anliegen im Kampf gegen das Krisenmanagement der Regierung stark macht. Vorneweg zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen in ganz Deutschland am 1. Mai, Streikaktionen in Betrieben gegen die mutwillige Aufrechterhaltung der Produktion, Solidaritätsaktionen für Flüchtlinge und die Evakuierung ihrer Sammellager, Proteste von Hoteliers, Fremdenverkehrseinrichtungen und Gastwirten sowie zuletzt bundesweit Kundgebungen zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus. Auch die Montagdemo-Bewegung nimmt ihre regelmäßigen Kundgebungen wieder auf. […] Wer wirklich gegen das Krisenmanagement der Regierung und die Einschränkung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten protestieren will, ist hier richtig!

Quellen & Links

1 Lag diese am Mittwoch noch bei 0,65, ist sie inzwischen wieder auf 1,1 hochgeschnellt. Das bedeutet, dass ein Infizierter im Durchschnitt 1,1 Personen ansteckt.

2 Deutschlandtrend, 7.5.2020

Quelle: rf-news.de… vom 11. Mai 2020 mit einer leichten Kürzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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