Griechenland: „Die schlimmste Auswirkung der Syriza-Politik ist die Ratlosigkeit der Menschen“
Auf einer Rundreise durch Deutschland Ende September sprach Manos Skofouglou, Leitungsmitglied von OKDE-Spartakos, griechische Sektion der IV. Internationale, auf Veranstaltungen in 6 Städten. Zum Abschluss seiner Reise machte Avanti das folgende Interview mit ihm.
Manos, kannst Du uns die Vorgeschichte und den Formierungsprozess von ANTARSYA kurz skizzieren?
Manos Skofouglou: ANTARSYA (Antikapitalistische linke Zusammenarbeit für den Umsturz – die Abkürzung steht für das griechische Wort „Meuterei“) wurde im Frühjahr 2009 gegründet. Der Auslöser für ihre Gründung war die Jugendrebellion im Dezember 2008, als ein großer Teil der antikapitalistischen und revolutionären Linken, der aktiv in den Ereignissen interveniert hatte, erkannte, dass eine tatsächliche Einflussnahme auf die Klassenkämpfe nur über eine Bündelung ihrer Kräfte möglich war. Die globale kapitalistische Krise ließ folgenschwere Kämpfe erwarten.
In einer Versammlung auf einem Basketballplatz haben Tausende von Menschen (acht Organisationen und viele unorganisierte AktivistInnen) die Bildung einer gemeinsamen politischen Front der antikapitalistischen, revolutionären, kommunistischen und radikal ökologischen Linken beschlossen.
Es muss betont werden, dass das Konzept von Antarsya nicht aus heiterem Himmel fiel: Es war das Ergebnis einer langjährigen, engen Zusammenarbeit dieser Organisationen und AktivistInnen.
Seit den frühen 90er Jahren arbeiten sie gemeinsam in den verschiedenen antikapitalistischen sozialen Bewegungen, unabhängig vom reformistischen Milieu. An den Universitäten war es die Vereinigte Unabhängige Linke Bewegung, die in den letzten 25 Jahren in der Studentenbewegung präsent war. Und es gab Interventionsbündnisse von ArbeiterInnen wie auch eine gemeinsame Beteiligung an vielen Basisgewerkschaften, die den radikalen Flügel innerhalb der Gewerkschaftsbewegung darstellten.
In den verschiedenen Stadtteilen waren es die radikalen Bürgerinitiativen, in denen die Zusammenarbeit beispielhaft praktiziert wurde. Im Gegensatz zu anderen Vereinigungsexperimenten in Europa und Griechenland basierte unser Bündnis auf reichen, gemeinsamen, praktischen Erfahrungen. Diese Tatsache erklärt auch, warum Antarsya trotz der inneren Widersprüche und des Druckes, der auf sie ausgeübt wurde, stabil blieb.
Welchen Charakter hat diese politische Formation und welche strategischen Ansätze verfolgt sie?
Manos Skofouglou: Der Kerngedanke von Antarsya war und ist die Notwendigkeit der Schaffung einer unabhängigen, antikapitalistischen Linken, die politisch und organisatorisch getrennt von den reformistischen Parteien im Parament arbeitet. Diese strategische Ausrichtung ist während der Krise und den scharfen Klassenkämpfe notwendig; eine Radikalisierung existiert bereits innerhalb der Gesellschaft. Dieses Konzept sieht eben keinen Ausweg aus der Krise, ohne mit dem Kapitalismus, seinen Regeln und Institutionen, der EU und den imperialistischen Mechanismen zu brechen. Das Konzept trachtet nach Einheit der Strömungen der Arbeiterbewegung im Kampf, besteht jedoch auf einem unabhängigen politischen Ausdruck.
Die größte Gruppe von Antarsya ist die NAR (Neue linke Strömung), eine linke Abspaltung der kommunistischen Partei vom Ende der 80er Jahre, die auch mit den politischen Traditionen der KP gebrochen hat. Die zweitgrößte Gruppe ist die SEK (Sozialistische Arbeiterpartei), Mitglied der internationalen, sozialistischen Tendenz (IST). Unsere Gruppe, OKDE-Spartakos (Organisation der Kommunisten Internationalisten Griechenlands), griechische Sektion der IV. Internationale, war von Anfang an aktives Mitglied des Bündnisses. Es beteiligen sich noch ARIS (Linkes Bündnis), eine Jugendorganisation politisch orientiert an Althusser und dem europäischen Maoismus, EKKE (Revolutionary Communist Movement of Greece), eine kleine maoistische Organisation, und schließlich eine Kollektivgruppe der alternativen Ökologen. Die Koexistenz von verschiedenen Strömungen und Traditionen bietet Vielfalt, doch gleichzeitig schafft sie auch relevante Widersprüche. Aus diesem Grund denkt OKDE-Spartakos nicht an ihre Selbstauflösung.
Obwohl unsere Vertreter in mehreren Stadt-und Regionalräten in weiten Teilen des Landes sitzen, bleibt der Schwerpunkt von Antarsya auf der Aktion auf der Straße und außerhalb der bürgerlichen Institutionen.
Die Wahlergebnisse von Antarsya in den Parlamentswahlen waren einerseits größer als die üblichen Ergebnisse der radikalen Linken, anderseits bewegten sie sich lediglich zwischen 0,4 bis 1,2%.
Doch das tatsächliche Umfeld an SympathisantInnen ist ungleich höher. In mehreren Gewerkschaften (Lehrer, Gesundheit, Kommunalbereich, Ingenieure und Techniker, Druck und Papier, Prekariat) ist die Präsenz von Antarsya entscheidend. Es ist bezeichnend, dass in der Gewerkschaftsführung von ADEDY (nationaler Dachverband der Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor) Antarsya 2 der 17 Stellen innehat, gleich viel wie die der KP und nur eine weniger als die Syriza-Volkseinheit. Die gewerkschaftliche Organisierung im Industriebereich wird traditionell von der Sozialdemokratie und der KP kontrolliert, während die Präsenz von Antarsya in der Jugend und an den Universitäten von Bedeutung ist. Antarsya hat heute 2 500 Mitglieder. Den größten Anteil macht die Jugend aus. Die Mitglieder sind in lokalen Ortsgruppen organisiert, die nationale Führung wird vom Kongress gewählt. Die Organisationen behalten dabei ihre Selbstständigkeit, das bedeutet, dass jedes Mitglied eine doppelte Zugehörigkeit hat.
Was war die Politik der griechischen KP (KKE) während der gesamten Periode der Krise in Griechenland?
Manos Skofouglou: Die KP in Griechenland ist eine Massenpartei mit Wurzeln in der ArbeiterInnenklasse und mit einer linkeren Rhetorik als die meisten KPen in Europa. Dennoch ist sie eine bürokratisch-reformistische Partei. Immer wieder hat sie eine rechte Volksfrontstrategie verfolgt, die zu kurzen Koalitionsregierungen mit den Konservativen (neue Demokratie) und der Sozialdemokratie (PASOK) im Zeitraum von 1989 bis 1990 geführt hat. Wir können die Logik ihrer Politik kurz zusammenfassen: Wer nicht mit uns ist, ist unser Feind. Seit dem Ausbruch der Krise hat die KP einige Mobilisierungen initiiert, einige davon waren sogar Massenmobilisierungen. Trotzdem hat sie kategorisch jede gemeinsame Aktion mit anderen Strömungen der Arbeiterbewegung abgelehnt. Sie hat den Aufstand vom Dezember 2008 verurteilt sowie die Mobilisierungen der Hunderttausenden „Empörten“ im Sommer 2011. Der KP wurde Linksradikalismus vorgeworfen, weil sie es abgelehnt hat, über eine linke Regierung mit Syriza zu verhandeln und weil sie beim Referendum zur Enthaltung aufgerufen hat.
In Wirklichkeit ist diese Kritik nicht korrekt, denn der angebliche Linksradikalismus der KP verdeckt eine tief konservative reformistische Strategie. Im Dezember 2008 wurde ihr von den Rechten für die „verantwortungsvolle“ Position, die sie gegenüber dem Aufstand eingenommen hatte, gratuliert. Im Oktober 2011 als eine große Menge von DemonstrantInnen versucht hatte, das Parlamentsgebäude zu stürmen, hatte die KP aktiv die Verteidigung und den Schutz des Gebäudes mitorganisiert und durchgeführt. Direkt danach hat sie – genau wie SYRIZA auch – die Ausschreibung der Wahlen gefordert, ohne die geringste Rücksichtnahme auf die Selbstorganisierung zu nehmen. Der Aufruf zur Enthaltung beim Referendum war in Wirklichkeit ihre Methode den Kleinbürgern ihre Angst vor einem eventuellen Austritt aus dem Euro zu nehmen. Aus diesem Grund und trotz der in vielen Punkten richtigen Kritik an SYRIZA hat die KP seit 2012 fast die Hälfte ihrer parlamentarischen Stärke verloren.
Wie erklärst du den Aufstieg von SYRIZA und ihren Wahlsieg vom 25. Januar 2015?
Manos Skofouglou: Prinzipiell herrscht im Ausland der Eindruck, dass SYRIZA der Ausdruck der Bewegung gegen die Sparpolitik in Griechenland ist. Diese Meinung ist aber nicht korrekt und basiert auf einer journalistischen Art der Analyse. SYRIZA kam tatsächlich an die Macht, indem sie den Hoffnungen der Menschen auf ein Ende der Sparpolitik Ausdruck verlieh, aber gleichzeitig nährte sie die Illusion, dass dies einfach mit Wahlen zu erreichen wäre.
So gesehen, gab es schon einen parlamentarischen Ausdruck der Bewegung, doch gleichzeitig zeigten sich auch seine Grenzen. Oder anders gesagt: Dieses Merkmal der Bewegung charakterisierte die Phase des Rückzugs und nicht die des Aufschwungs.
Um diese Frage konkret zu beantworten, müssen wir zum einen die organische Beziehung zwischen SYRIZA und den Bewegungen untersuchen und zum anderen klären, ab wann sie in den Meinungsumfragen zulegte. In Wirklichkeit war SYRIZA nie eine Massenpartei. Bestenfalls hatte sie über einige Monate 30 ´000 Mitglieder , die meisten waren kaum aktiv, und dies nur kurz vor der Regierungsübernahme. Ihre Präsenz in den Gewerkschaften übersteigt kaum die der antikapitalistischen Kräfte und ist deutlich geringer als die der Kommunistischen Partei.
Nach der Abspaltung der Volkseinheit hat sie die Mehrheit ihrer Gewerkschafter und Jugend verloren. Seit ihrer Gründung, 2004, hat SYRIZA das Konzept verfolgt, die sozialen Bewegungen zu „vertreten“, nicht sie aufzubauen. Das heißt, das Verhältnis zu den sozialen Bewegungen war der Versuch, sie parlamentarisch zu vertreten.
Die AktivistInnen in Griechenland wissen, dass SYRIZA nie der praktische Organisator der großen Bewegungen war. Wie aber kam es dazu, dass eine reformistische Partei wie SYRIZA zum richtigen Zeitpunkt in der Lage war, die Regierungsmacht zu übernehmen? Zuerst müssen wir feststellen, dass die griechische Arbeiterbewegung in den letzten 5 Jahren zwei verschiedene Phasen durchlaufen hat.
Die erste – seit der Einführung des ersten Memorandums der Troika im Oktober 2010 bis Anfang 2012 – war gekennzeichnet durch explosive Kämpfe: mehr als 20 Generalstreiks, Demonstrationen, die manchmal bis zu einer halben Million Menschen erreichten, Besetzungen von öffentlichen Gebäuden (Rathäusern, Ministerien, etc.).
Auf dem Höhepunkt dieser Bewegung, kam es zu einer raschen Radikalisierung der ArbeiterInnen und der Jugend. Die AktivistInnen begannen sich zu fragen, wie die Strukturen von Selbstorganisierung aussehen könnten und wie die Organisation der Gesellschaft ohne die unechte Demokratie des Parlaments und ohne die Logik des kapitalistischen Profits funktionieren könnte (siehe die Besetzung des Syntagmaplatzes).
In dieser Phase hatte SYRIZA kaum 10 000 Mitglieder und die Wahlergebnisse waren sehr niedrig. SYRIZA erlebte ihren Aufschwung im Februar 2012, als die Bewegung in die zweite Phase eintrat, die bis heute andauert. Die Kämpfe dauern zwar noch immer an, erreichen aber nicht mehr das Niveau der ersten 2 Jahre.
Auch das Niveau der Selbstorganisierung ist jetzt viel niedriger. Mit anderen Worten, SYRIZA stieg auf, als die Bewegung nachließ. Diese Resignation der Menschen war natürlich auch darauf zurückzuführen, dass die riesigen Mobilisierungen nicht in der Lage waren, die Maßnahmen der Troika zu verhindern. Trotzdem ist das keine ausreichende politische Erklärung. Wir müssen auch den Einfluss der Führungen der parlamentarischen, reformistischen Linken, besonders von SYRIZA, berücksichtigen, die massiv bei den Menschen die Hoffnung verbreitete, dass ein Wechsel durch eine Regierung der Linken möglich sei.
Seit dem Frühjahr 2012 gab es eine Periode der Wahlerwartung und der Mandatierung. So wurde ein leichter Sieg von SYRIZA im Januar 2015 möglich, und zwar mit einem bereits gemäßigten Programm, das die Beendigung der Sparpolitik ohne den Bruch mit dem System und mit der EU versprach.
Dieses Programm wurde nach wenigen Monaten des Regierens zu einem neuen, noch schlimmeren und noch nie da gewesenen Sparprogramm umgewandelt. Es ist jetzt an der Zeit, dass die Periode der Parlamentarischen Illusionen zu Ende geht und eine neue Massenbewegung entsteht.
Wieso ist es den linken Gruppierungen innerhalb von SΥΡΙΖΑ nicht gelungen, die scharfe Wende der Partei bzw. von Tsipras und seiner Truppe abzuwenden?
Manos Skofouglou: Die Linke innerhalb von SYRIZA hatte bis zum letzten Moment die Illusion, dass sie den Umwandlungsprozess zu einer Partei der bürgerlichen Interessen aufhalten könnte. Sie glaubte, dass die Wende der Führung von Tsipras mit Empörung innerhalb der Partei zurückgewiesen werden könnte und ein entschiedener Widerstand gegen ein drittes Memorandum mit dem dazugehörigen Sparpaket aus den eigenen Reihen kommen würde. Sie hatten aber zwei wichtige Punkte nicht berücksichtigt:
- a) SYRIZA war eine Partei mit sehr lockeren innerorganisatorischen Strukturen, das wiederum bedeutete, dass seine Führungsriege weitestgehend autonom handelte. Die Regierung konnte nicht von der Partei kontrolliert und die Parteiführung nicht von der Basis überwacht werden.
- b) Die Autorität der Tsipras-Führung war inzwischen gefestigt und konnte die Wählerbasis ohne Rücksichtnahme auf die innerorganisatorischen Entscheidungsprozesse stark beeinflussen.
Aber es war auch der politische Charakter der linken Gruppierungen in SYRIZA, der ihnen nicht erlaubte, den Degenerierungskurs der Partei aufzuhalten und dementsprechend einen Anziehungspol aufzubauen, der SYRIZA von links hätte gefährlich werden können.
Einige linke Tendenzen hatten die Mehrheitsplattform von Tsipras unterstützt, in der Hoffnung, dass sie diese ändern könnten. Doch das Resultat war, dass die einen sich anpassten und die anderen sich auflösten. (z. B. der Lieblingsminister der Troika, Tsakalotos, der selber Mitglied der linken Tendenz der „53+“ war).
Die meisten versammelten sich unter der Führung von Lafasanis in der Linken Plattform. Der Einfluss der TrotzkistInnen innerhalb der Linken Plattform war sehr gering, im Gegensatz zu dem, was behauptet wurde. Die Linke Plattform hatte mit sehr viel Verspätung angefangen, eine schüchterne Oppositionspolitik zu betreiben.
Sie hat einstimmig die Koalitionsregierung mit der nationalistischen Rechten, der ANEL unterstützt. Sie hatte auch die Kandidatur des rechten Pavlopoulos bei der Präsidentschaftswahl mitgetragen – diesmal ohne die Stimme der TrotzkistInnen. Pavlopoulos war als Minister von Nea Demokratia für die Unterdrückung des Aufstandes im Dez. 2008 verantwortlich.
Bis zum Sommer 2015 hatte die Plattform kein einziges Mal gegen die Führung von Tsipras gestimmt.
Der neoliberalen Wende von SYRIZA hatte sie nur das Programm von Thessaloniki entgegenzusetzen. Doch dieses Programm war bereits sehr gemäßigt und hatte z. B. der Nationalisierung der Banken und allen radikalen Maßnahmen abgeschworen. Das Programm versprach nur einige Linderungsmaßnahmen, die den allerärmsten Schichten zugutekommen sollten – letztendlich machte das eine erneute europäische Finanzierung erforderlich.
Die Linke Plattform und später die Volkseinheit hatten in der Öffentlichkeit keine wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zu SYRIZA.
Wie deutest du die letzten Wahlergebnisse sowohl von SYRIZA und Volkseinheit als auch von ANTARSYA?
Manos Skofouglou: Der Wahlsieg von SYRIZA war eine Wiederholung vom Januar 2015 doch diesmal unter einem anderen Vorzeichen. Das Wahlergebnis vom Januar drückte die Hoffnung (und gleichzeitig die Illusion) auf eine Beendigung der Sparpolitik aus. Im September hat das gleiche Stimmenergebnis die Ratlosigkeit der Bewegung und auch das – hoffentlich nur vorläufige – Hinnehmen der „Alternativlosigkeit“ ausgedrückt.
Nach der Niederlage im Sommer waren die Menschen wie betäubt. Das Volk hatte massiv mit „OXI“ abgestimmt, trotzdem wurde das neue Sparpaket innerhalb von wenigen Tagen beschlossen.
Bei den Wahlen hatte nur gut eineR von zwei WählerInnen teilgenommen, denn die Menschen hatten begriffen, dass das Wählen keinen Sinn macht, da auf jeden Fall die Politik umgesetzt werden sollte, die sowieso schon feststand.
Diejenigen ArbeiterInnen, die zur Wahl gingen, haben mehrheitlich für SYRIZA gestimmt, zum Teil als Stimme gegen die verhasste Rechte, z. T., weil sie akzeptierten, dass es keine Alternative gab.
Die schlimmsten Auswirkungen der SYRIZA-Politik auf die Gesellschaft waren noch nicht einmal die neuen Maßnahmen, sondern vielmehr die jetzt entstandene defätistische Einstellung der Menschen. Trotzdem gibt es keinen Grund, zu glauben, dass diese Ratlosigkeit für immer anhalten wird.
Schon bei der Durchführung der Maßnahmen wird SYRIZA nicht in der Lage sein, der Wut der ArbeiterInnen und der Jugend zu entgehen.
Die Volkseinheit hielt es für sicher, dass sie ins Parlament kommen würde; sie musste ihre unzureichende Differenzierung von SYRIZA teuer bezahlen.
Die Volkseinheit präsentierte sich als die authentische SYRIZA. Sie war nicht mit dem neuen Sparpaket einverstanden, hinterfragte aber nicht die Strategie, die dazu geführt hat, nämlich eine Regierungspolitik zu betreiben, die zwar gegen die Sparpolitik ist, ohne jedoch in Konflikt mit dem Kapitalismus geraten zu wollen. Doch genau dieses Konzept hat sich als undurchführbar erwiesen.
Die Führung der Volkseinheit wurde von Bürokraten, Parlamentariern und Ministern der SYRIZA beherrscht, die für viele der reaktionären Entscheidungen verantwortlich waren (Unterzeichnung des Militärabkommens mit Israel, diplomatische Kontaktpflege mit dem Al-Sisi-Regime in Ägypten, Ausweitung der COSCO-Privatisierung des Hafens von Piräus, usw.).
In meinem Wahlkreis benannte die Volkseinheit einen früheren Polizeichef zum Kandidaten der Parlamentswahl! Auf die reaktionären Angriffe der Medien bezüglich ihrer Positionierung gegenüber dem Euroaustritt reagierte sie kleinmütig und ohne politisch zu argumentieren.
So hat die Volkseinheit nicht überzeugend darlegen können, dass sie eine wirkliche Alternative ist.
ANTARSYA war die einzige linke Kraft, die gestärkt aus den Wahlen hervorging (sowohl prozentual als auch in absoluten Zahlen). Die 0,86%, obwohl bisher eines der besten Ergebnisse der antikapitalistischen Linken in Griechenland, ist eindeutig unzureichend für die aktuellen Anforderungen und zeigt auf, dass wir noch keine führende Rolle auf der politischen Ebene spielen.
Aber es ist ein ordentliches Ergebnis, das zumindest ANTARSYA sichtbar gemacht hat, trotz der Spaltung vor der Wahl, als etwa 15 – 20% unserer organisierten Mitglieder der Volkseinheit beigetreten sind. Der Wahlkampf von ANTARSYA war recht gut und hat uns eine größere Öffentlichkeit erreichen lassen.
Kannst du erklären, warum ANTARSYA nicht mit der Volkseinheit zusammengegangen ist? Immerhin hat die Letztere versucht, sich als gesellschaftliche Front des OXI zu präsentieren. Wäre es nicht richtig gewesen, wenn in diesem Fall beide politischen Kräfte zusammengearbeitet hätten?
Manos Skofouglou: Die Zusammenarbeit zwischen ANTARSYA und der Volkseinheit war politisch und programmatisch unmöglich. Die Volkseinheit bestand auf der Notwendigkeit einer Partei nur gegen die Sparpolitik und den Neoliberalismus, nicht aber gegen den Kapitalismus. Sie wollte eine „demokratische, patriotische, Antimemorandums“-Front, und das mit einer reichlich nationalistischen Rhetorik.
Mit dem Konzept der breiten Front dieses Typs wurde wiederholt in vielen Ländern experimentiert, hat aber immer wieder versagt: die Rifondazione Comunista in Italien, die brasilianische Arbeiterpartei, SYRIZA in Griechenland. Alle diese breiten anti-neoliberalen Parteien haben zum Schluss entweder selbst oder in Koalition mit bürgerlichen Regierungen eine liberale Politik betrieben. Der Grund ist einfach: Der Kapitalismus erlaubt heute kein fortschrittliches oder arbeiterfreundliches Management.
Wenn ein linke Partei nicht bereit ist, den Bruch mit dem System zu wagen, wird sie sich alsbald gezwungen sehen, eben diese Sparpolitik gegen das eigene Volk durchzusetzen.
Programmatisch hat die Volkseinheit den Bruch mit der imperialistischen EU nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Sie hat nur die Frage des Euro thematisiert, hat aber Forderungen, wie die der Nationalisierung der Schlüsselindustrien ohne Entschädigung und unter Arbeiterkontrolle oder die der Legalisierung aller Flüchtlinge oder der Auflösung aller Spezialeinheiten der Polizei und ihrer Abrüstung vermieden. Das aber sind wesentliche programmatische Kernpunkte von ANTRASYA.
Gleichzeitig ist der Loslösungsprozess von SYRIZA nicht vollständig erfolgt. In den Gewerkschaften ist die Volkseinheit noch immer Teil des Regierungslagers.
In der Athener Region und in einigen Kommunen gibt es Mitglieder der Volkseinheit, die dem Regierungsflügel angehören. Also gibt es praktische Fragen, die uns trennen: Wird die Volkseinheit Mobilisierungen der ArbeiterInnen unterstützen oder wird sie den gemeinsamen Strukturen mit SYRIZA gehorchen?
Letztendlich hatte das Angebot der Volkseinheit überhaupt keinen Raum für eine eventuelle Zusammenarbeit mit anderen Kräften gelassen. Der Name, die Führung und das Programm waren bereits ohne jede demokratische Prozedur beschlossen worden. Die ersten Plätze auf den Stimmzetteln waren den ehemaligen Parlamentariern vorbehalten. Nur, wenn sie ins Parlament gekommen wären, hätten die anderen eine Chance gehabt, was wiederum einen viel höheren Prozentsatz erforderte, als die optimistischen Prognosen voraussagten.
Wir müssen noch erwähnen, dass eine Partei, die sich nur auf das OXI stützt, ein schlechter Ausgangspunkt ist. Das OXI war eine soziale Bewegung und eine soziale Bewegung sollte nicht mit einer Partei identifiziert werden.
In diesem Fall würde die Partei entweder autoritär Entscheidungen für die Bewegungen treffen und so jede andere Strömung ausschließen, oder aber sie würde alle Widersprüche und Gegensätze die in einer breiten Bewegung existieren, in sich vereinen, was aber bedeuten würde, dass die Partei keinen politischen Charakter mehr hätte.
In jedem Fall wäre der praktische Gewinn aus dieser Zusammenarbeit sehr gering und der Nutzen kleiner als die Kosten. Unter Umständen wären dann 8 anti-neoliberale Abgeordnete ins Parlament gekommen, die bereits früher schon dort waren. Sie würden nicht in der Lage sein, etwas gegen die neue Sparpolitik auszurichten. Die antikapitalistische Linke hätte ihren systemoppositionellen Charakter verloren und würde einer reformistischen, bürokratischen Führung folgen.
Wäre es mit der Wiedereinführung der Drachme eventuell möglich, die heutige brutale Sparpolitik – und sei es nur teilweise – aufzuhalten?
Manos Skofouglou: Das ist tatsächlich die Position der Volkseinheit. Es ist wahr, dass der Euro als ein internationales Instrument der Austerität funktioniert. Es ist auch wahr, dass Staaten mit einer niedrigeren Arbeitsproduktivität, wie Griechenland, nicht in der Lage sind, gegen Staaten mit einer höheren Arbeitsproduktivität (etwa Deutschland) zu konkurrieren, wenn sie die gleiche Währung haben.
Doch die kapitalistische Krise, insbesondere die Krise der Staaten in der Peripherie (und Griechenland ist ein solcher Staat auf dem Balkan und im östlichen Mittelmeerbereich) ist viel mehr als eine Währungskrise.
Sie lässt sich nicht einfach mit geldpolitischen Operationen korrigieren, wie die Abwertung zur Stimulation der Exporte und des Tourismus. Vielleicht stimmt es, dass eine schwache Währung die Exporte wettbewerbsfähiger macht, doch gleichzeitig stimmt es auch, dass dies die Importe verteuern würde. Das Rezept der Volkseinheit ist eine keynesianische Politik, die aber der Kapitalismus nicht haben will.
Der nationale Kapitalismus hält das Lohnniveau absichtlich niedrig. Er könnte über Lohnerhöhungen die Binnennachfrage bzw. die griechische Wirtschaft stärken, was er aber nicht tut, weil seine Profite stark unter Druck geraten sind. Solange die Kapitalisten die wirtschaftliche und politische Herrschaft ausüben, ist es ihnen gleichgültig, mit welcher Währung die Sparpolitik durchgesetzt wird. Die ArbeiterInnen werden immer für die Krise bezahlen müssen.
Doch das bedeutet nicht, dass uns die Eurofrage nicht interessiert. ANTARSYA fordert den Bruch mit dem Euro und der EU auf einer anderen Ebene. Der Euro und die EU sind kapitalistische und imperialistische Instrumente, die die Machterhaltung der griechischen herrschenden Klasse garantieren. Die Stabilität des Euro war eine Erpressungspolitik, um die Austeritätsmaßnahmen durchzusetzen. Im Rahmen dieser Mechanismen gibt es keinen Platz für die Rechte der ArbeiterInnen.
Um unsere Rechte zu schützen und um den Reichtum, den die ArbeiterInnen schaffen und den das Kapital stiehlt, zurückzugewinnen, müssen wir den Bruch mit diesem System vollbringen.
Außerhalb des Euro wird die Situation nicht leicht sein, doch es gibt Mittel und Wege, und ANTARSYA hat bereits einige Vorschläge gemacht.
Doch im Endeffekt, damit die ArbeiterInnen gewinnen, müssen die Kapitalisten verlieren. Egal mit welcher Währung: Es gibt keine gemeinsame Lösung. Also schlagen wir den Bruch mit dem Euro, der EU und zwangsläufig dem kapitalistischen System vor.
Wird es für die Regierung von SYRIZA leicht werden, die notwendigen Gesetzesänderungen, die das dritte Memorandum verlangt, ohne größere soziale Unruhen durchzusetzen? Oder wird das eine Chance sein, für die Initiierung von neuen Kämpfen? Eine wichtige Frage ist heute, wie die Menschen die tiefe Verzweiflung überwinden und eine Widerstandsfront aufbauen können. Könntest du die künftige strategische Linie von ANTARSYA kurz beschreiben?
Manos Skofouglou: Wie ich bereits erwähnt habe, wird es SYRIZA schwer haben, der Wut des Volkes etwas entgegenzusetzen. Die neuen Maßnahmen werden noch brutaler als die bisherigen sein. Wir hatten bereits einen ähnlichen Präzedenzfall mit der Regierung von PASOK. Im Jahr 2009 wurde PASOK mit überwältigender Mehrheit gewählt. Sie hatte versprochen, dass es „genug Geld“ für Löhne und Sozialleistungen gebe.
Im Jahr 2010 bescherte uns der Internationale Währungsfonds das erste Sparpaket. Kurz danach folgten Kommunal- und Regionalwahlen, die die PASOK erfolgreich bestritt. Doch wenige Monate später, als das Ausmaß der Maßnahmen sichtbar wurde, kam es zum Zusammenbruch der Partei.
Es muss nicht genauso ablaufen, trotzdem bin ich optimistisch! Die Kampferfahrungen, die die Arbeiterklasse bereits gesammelt hat, werden eine historische Niederlage nicht erlauben. Es wird wahrscheinlich neue große soziale Kämpfe geben.
Als Erstes muss heute der Kreis der Wahlerwartung und der Mentalität der Mandatierung geschlossen werden. Die ArbeiterInnen, die Arbeitslosen und die Jugend müssen wieder auf die Straße gehen, Streiks, Demos und Besetzungen organisieren.
Wir müssen uns von der Illusion trennen, dass uns die Arbeit von welcher Regierung auch immer, abgenommen wird. Keine Regierung wird uns retten, wenn wir uns nicht mobilisieren und die Macht für uns beanspruchen.
Damit die Mobilisierung in die Tat umgesetzt wird, schlägt ANTRASYA eine gemeinsame kämpferische Front vor, und zwar allen, die gegen die neuen Maßnahmen vorgehen wollen: KKE, Volkseinheit, Anarchisten und Autonome, sonstige Organisationen der extremen Linken und auch AktivistInnen innerhalb von SYRIZA, die mit der Regierungspolitik nicht einverstanden sind.
Diese gemeinsamen Aktionen sind sicher effizienter mit der Bildung von Bündnissen und Kollektivstrukturen auf lokaler Ebene und mit einer entsprechenden Zentralisierung der Koordination. ΑΝΤΑRSIΑ hat solche Initiativen ins Leben gerufen, die auch teilweise erfolgreich waren, aber durch die Wahlen zum Stillstand gekommen sind. Vielleicht kann man sie (auch in abgeänderter Form) wiederbeleben.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Koordinierung der Basisgewerkschaften und der Kollektivstrukturen zur Verteidigung des Hafens von Piräus gegen die Privatisierung. Bei diesem Bündnis beteiligen sich fast alle linken Kräfte, sogar die KP, die sonst sehr selten bei solchen Anlässen mitmacht.
Auf jeden Fall und im Rahmen einer breiten Bewegung müssen ANTARSYA und die revolutionäre/antikapitalistische Linke ihre politische Unabhängigkeit bewahren, indem sie ein Übergangsprogramm des Bruches mit dem Kapitalismus propagiert. OKDE-Spartakos versucht, dieses Programm zu bereichern und den Aufbau einer revolutionären Partei in Griechenland voranzutreiben.
Kannst du uns zum Schluss noch ein paar Worte zu dem Flüchtlingsdrama in Griechenland sagen und wie dieses Phänomen die griechische Gesellschaft beeinflusst?
Manos Skofouglou: Die Frage der Solidarität mit den Flüchtlingen in Griechenland ist für uns alle Pflicht. Da die Flüchtlinge die geschlossenen Landesgrenzen und die von Griechenland gezogene Mauer von Evros an der griechischen Nordgrenze zur Türkei nicht überwinden können, versuchen sie die Ägäis in kleinen Booten zu überqueren. Obwohl SYRIZA versprochen hatte, dafür zu sorgen, dass diese Mauer niedergerissen wird, steht sie noch immer! Es vergeht kein Tag, an dem nicht Kinder, Frauen und Männer in der Ägäis ertrinken.
Inzwischen leben Zehntausende von Flüchtlingen unter menschenunwürdigen Umständen in Stadien, auf Plätzen und in Konzentrationslagern. Sie sind konfrontiert mit der aggressiv rassistischen Politik der EU und des griechischen Staates.
Die rassistischen Aktionen der Nazipartei „Goldene Morgenröte“ sind zahlreich und brutal.
Die Flüchtlinge werden von verschiedenen Schwarzhändlern und Schiffsgesellschaften ausgebeutet: U. a. werden sie gezwungen, horrende Preise für die Tickets zu bezahlen. Im Großen und Ganzen aber muss man sagen, dass die Solidarität unter der Bevölkerung mit den Flüchtlingen überwiegt. Es gibt überall Bürgerinitiativen für die Sammlung von Nahrungsmittel, Bekleidung usw.
Es wurde ebenfalls leerstehender Wohnraum für die Flüchtlinge besetzt. Viele Basisgewerkschaften, in denen die antikapitalistische Linke mitarbeitet, versuchen, die Solidaritätsarbeit auf nationaler Ebene zu koordinieren.
ΑΝΤΑRSYΑ versucht, die politische Dimension dieses Problems aufzuzeigen. Sie beschuldigt die EU und die griechische Regierung, die wirkliche Verantwortung für die vielen Toten an den Grenzen zu tragen. Sie fordert das Niederreißen der Mauer von Evros, die Schließung der Konzentrationslager sowie eine menschenwürdige Versorgung mit dem Nötigsten. Außerdem fordert sie die Gewährung von Asyl für alle Flüchtlinge (bisher hat Griechenland niemandem Asyl gewährt); damit fordert die antikapitalistische Linke die Aufhebung der Illegalität.
OΚDΕ-Spartakos vertritt eine Schlüsselforderung: Offene Grenzen, denn nur so können die täglichen Todesopfer gestoppt werden.
Übersetzung aus dem Griechischen: K. K.
Quelle: www.rsb4.de vom 3. November 2015
Tags: Breite Parteien, Griechenland, Strategie
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