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Ausblick auf die Tarifrunde 2020 im Nahverkehr: «Wir haben großes vor!»

Eingereicht on 24. Juli 2020 – 15:46

“… Die Internationale Automobil-Ausstellung präsentiert mit Unterstützung der Bundesregierung ihre Vision der Mobilitätswende: SUVs, mehr PS etc. Dagegen wird am 14.September zu einer Demonstration aufgerufen. Zudem ruft Sand im Getriebe zu Aktionen zivilen Ungehorsams auf. Statt Automobilismus wird der Ausbau der Radinfrastruktur und des ÖPNV gefordert. Die IAA wird damit zu einem Kristallisationspunkt. Direkt durchsetzen wird man an diesem Tag nichts, aber ein Zeichen setzen, Öffentlichkeit schaffen, vielleicht viele zum Nachdenken bringen. Es wäre jedoch politisch fatal, wenn die Organisierung von Protesten zur jährlichen IAA auf Dauer sehr viele Aktive an sich binden würde. Punktuelle Mobilisierungen können nie Selbstzweck sein, sondern erfüllen ihren Zweck, wenn sie verbunden sind mit lokalen Aktivitäten und denen neuen Anschub verleihen. (…) «wo finden wir die (arbeitende) Klasse?», so kann ich antworten: Im Bus findet ihr sie, im Kollektivverkehr. Oft sind die Fahrpreise jedoch zu hoch, das Angebot nicht gut genug ausgebaut.

Hier kann man am Ort um Verbesserungen kämpfen. Denn die Mobilitätswende wird kommen – die Frage ist nur, wie sie aussieht und gegen wen sie sich richtet. (…) Die vergünstigten, gruppenbezogenen hessenweiten Jahrestickets führen bislang nicht zum Ausbau des Nahverkehrs. Im Gegenteil, sie führen letztlich zur Entsolidarisierung. So wie Studierende wegen der Semestertickets selten im Kampf um Fahrpreissenkung an vorderster Front stehen, wurden nun weitere Bündnispartner erstmal ruhiggestellt. Es gilt daher, für den Ausbau des ÖPNV und die Senkung der Fahrpreise bis hin zum Nulltarif lokale Initiativen mit Durchschlagskraft aufzubauen…” Artikel von Michael Heldt in der Soz Nr. 09/2019 

 mit dem Ausblick auf die Tarifrunde 2020 im Nahverkehr. Siehe dazu auch:

  • ÖPNV: ver.di und Fridays for Future gemeinsam / Soziale Verkehrswende – Fridays for Future will Tarifverhandlungen im Nahverkehr unterstützen 
    • Tarifrunde 2020 – ÖPNV: ver.di und Fridays for Future gemeinsam
      “ver.di und die Klimabewegung Fridays for Future haben eine Allianz für bessere Arbeitsbedingungen im öffentlichen Nahverkehr und für den Klimaschutz gebildet. Sie sind sich einig: Eine Verkehrswende kann nur mit attraktiven Arbeitsplätzen und mehr Personal funktionieren. Deshalb bekommt ver.di in der aktuellen Tarifbewegung für den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Unterstützung von den Klimaschützern. „Für Klimaschutz und eine echte Verkehrswende wird ein starker ÖPNV benötigt, dazu gehören auch gute Arbeitsbedingungen, hier treffen gemeinsame Interessen von ver.di und Fridays for Future aufeinander“, sagte die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Christine Behle in einer gemeinsamen Pressekonferenz am 22. Juli 2020. Die Arbeitsbedingungen im öffentlichen Nahverkehr sind bundesweit sehr verschieden. Es gibt keinen bundesweiten Tarifvertrag und auch kein einheitliches Tarifniveau. „Zuschläge, Belastungen und Einstiegsgehälter sind sehr unterschiedlich“, erläuterte Behle. Um parallel zu verhandeln, hat ver.di die 16 Landestarifverträge zum 30. Juni gekündigt, außerdem will ver.di bundesweite Mantelbedingungen in einem Rahmentarifvertrag festlegen. Dazu hat die Gewerkschaft die Vereinigung kommunaler Arbeitgeber zu Verhandlungen für die Beschäftigten in den kommunalen ÖPNV-Unternehmen aufgefordert. „Der Fokus liegt bei unseren bundesweiten Verhandlungen auf dem Thema Entlastung“, kündigte Behle an. Aber auch elementare Standards sollen bundesweit vereinheitlicht werden. Bisher schwankt beispielsweise die Zahl der Urlaubstage zwischen 26 und 30 pro Jahr. (…) Die Corona-Krise habe deutlich gemacht, dass die Beschäftigten im ÖPNV zu den Unverzichtbaren gehören, sagte Christine Behle. Trotz Infektionsgefahr seien sie täglich für die Fahrgäste unterwegs. Wegen der Pandemie sei die Tarifrunde unterbrochen worden, jetzt starte die Tarifbewegung #tvn2020 neu. ver.di fordert eine einheitliche Regelung von 30 Tagen Urlaub bei einer 5-Tage-Arbeitswoche und weitere individuelle Entlastungstage, eine neue Überstundenregelung, keine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten und die Vergütung von Fahrzeugverspätungen ab der 1. Minute. Für die Nachwuchsförderung müsse dringend etwas getan und die Ausbildungszeit soll anerkannt werden. 100 Prozent Jahressonderzahlung soll es für alle geben. Zuschläge bei Wechselschichten sollen auf der individuellen Gehaltsstufe bezahlt werden. Und auch im Fahrdienst muss es Schicht- und Wechselschichtzulagen geben. (…) Helena Marshall von Fridays for Future, FFF, sagte, der Ausbau des ÖPNV werde nur mit guten und besser bezahlten Arbeitsplätzen gehen. Es gehe um mehr als um einen Tarifstreit, es gehe darum, wie Klimaschutz mit sozialen Fragen verbunden werde. Für die nächsten Tage kündigte sie gemeinsame Aktionen in zehn Städten an. Und sollte es zu Streiks im ÖPNV kommen, werde sich FFF mit den Beschäftigten solidarisieren. „Als Fridays for Future stellen wir uns solidarisch hinter die Beschäftigten im ÖPNV und werden gemeinsam streiten für eine dringend nötige klimagerechte Verkehrswende und gute Arbeitsbedingungen in den Jobs der Zukunft.“Beitrag von Marion Lühring vom 22.07.2020 bei ver.di 
    • Soziale Verkehrswende – Fridays for Future will Tarifverhandlungen im Nahverkehr unterstützen
      “Damit soll jetzt Schluss sein. »Die Coronakrise hat deutlich gemacht, dass die Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr zu den Unverzichtbaren gehören. Wegen der Krise wurde die Tarifrunde unterbrochen, jetzt muss sie aber wieder ins Rollen gebracht werden«, so Behle. Es gäbe kein Interesse daran, von den ursprünglichen Forderungen abzuweichen. Zum 30. Juni hat die Gewerkschaft alle 16 Flächentarifverträge in den Ländern gekündigt und die Arbeitgeber ab Mitte August zu Verhandlungen für über 87 000 Beschäftigte in 130 ÖPNV-Unternehmen aufgefordert. (…) Verdi plant nun, in allen Bundesländern mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden neue Tarifverträge auszuhandeln. Hier sollen die Löhne verhandelt werden. Darüber hinaus sollen Rahmenbedingungen in einem bundesweit einheitlichen Tarifvertrag festgelegt werden. Neben der geforderten Entlastung soll in den Bereichen, in denen Belastungen unvermeidlich sind, etwa beim Schichtdienst, die Bezahlung besser werden. Gleichzeitig sollen elementare Standards wie Urlaubstage oder Sonderzahlungen wie Weihnachtsgeld bundesweit vereinheitlicht werden. Aktuell schwanke die Zahl der Urlaubstage zwischen 26 und 30 pro Jahr. Auch die Wochenarbeitszeit ist unterschiedlich, ebenso das Einstiegsgehalt. Das liegt laut Gewerkschaftsangaben für Bus- und Bahnfahrer*innen in Brandenburg bei 2166,90 Euro, in Hessen bei 2295,25 und in Nordrhein-Westfalen bei 2418,91 Euro. Unterstützung bekommen die Beschäftigten nun aus der Klimabewegung. Fridays for Future kündigte am Mittwoch an, zukünftig die Tarifverhandlungen mit Aktionen zu begleiten. »Wir streiten gemeinsam für eine dringend nötige klimagerechte Verkehrswende und gute Arbeitsbedingungen in den Jobs der Zukunft«, sagte Helena Marschall von Fridays for Future. Beides hänge eng zusammen, so die Sprecherin, wichtig sei es, die soziale Sicherheit und den Kampf gegen die Folgend es Klimawandels zu verzahnen. (…) Am Freitag sind erste Aktionen und Demonstrationen in zehn Städten geplant – darunter Hannover, Bochum, Leipzig und Berlin. Zudem gebe es bereits rund 30 lokale Bündnisse, um vor Ort Unterstützung für einen möglichen Streik der Busfahrer*innen zu organisieren und gleichzeitig die Forderung nach einer Verkehrswende auf die Straße zu bringen.“Artikel von Haidy Damm vom 22.07.2020 in neues Deutschland online 
  • Tarifrunde Nahverkehr – Corona spitzt zu, woran das Verkehrssystem krankt 
    “… Noch im Februar trafen sich Fridays for Future und Vertrauensleute bundesweit. Ende März wollten die Tarifkommissionen offiziell ihre Forderungen der Öffentlichkeit präsentieren. Doch stattdessen kam – Corona. Ver.di verkündete in Abstimmung mit den Tarifkommissionen, dass die Tarifkampagne #tvn2020 erstmal ausgesetzt wird. Dabei spitzt Corona die Lage weiter zu. Wie im Brennglas wird deutlich, woran das Verkehrssystem krankt. (…) Nun sind die ArbeiterInnen in den Verkehrsbetrieben noch wertvoller. Inzwischen wurden in den meisten Verkehrsbetrieben Schutzmaßnahmen gegen eine Ansteckung ergriffen, wie es der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Ver.di gemeinsam gefordert haben. Einstieg nur noch hinten, kein Fahrtkartenverkauf im Bus, regelmäßige Reinigung, soweit wie möglich werden große Busse eingesetzt… Wo das nicht von allein passierte, wie etwa in Remscheid, haben Vertrauensleute nachgeholfen. Dort gab es Ende März zuerst nur Flatterband zum Schutz der Fahrer. Das Problem: Davon lassen sich nicht alle Fahrgäste abhalten und das vordere Fenster sorgt durch den Unterdruck nicht für Durchlüftung. Mit einer Unterschriftenliste forderten sie daher kurzerhand die vollständige Abschirmung der Fahrer durch eine Folie. Innerhalb einer Woche unterschrieben über 90 der etwa 130 Fahrer­Innen. Ver.di übergab die Petition an den Arbeitgeber und drei Tage später war der erste Bus umgerüstet. (…) «Die öffentliche Mobilität ist in akuter Gefahr», heißt es in einer Pressemitteilung von Ver.di. Wäre das also der beste Zeitpunkt die Tarifrunde durchzuziehen? Ver.di und die Tarifkommissionen haben sich dagegen entschieden. (…)«Wir verfolgen im Moment daher den Ansatz, eine Diskussion darüber zu führen, dass auch der ÖPNV zu den systemrelevanten Bereichen gehört und dass die Krise als Chance für eine sozial-ökologische Transformation und eine Verkehrswende genutzt werden muss. Es geht auch darum, daraus zu lernen, was wir in der Krise 2007/2008 nicht geschafft haben. Die Frage ist doch, wer für diese Krise zahlen wird. Deshalb müssen wir auch die Finanzierungsfrage stellen und die Zusammenhänge deutlich machen, die sich durch die Einführung des Wettbewerbs ergeben haben, nicht nur im ÖPNV. Wir dokumentieren daher jetzt alles, was wir erleben. Und streikfähig sind wir auch danach noch.»…“ Artikel von Violetta Bock in der Soz 04/2020 
  • Klima- und Arbeitskampf vereint: Bald könnte Verdi erstmals bundesweit zu einem großen Streik im öffentlichen Nahverkehr aufrufen. Fridays for Future unterstützt die Gewerkschaft 
    “… „Unser Ziel ist, gemeinsam mit ihnen Druck zu machen für mehr Klimaschutz und für die Verkehrswende“, sagt Christine Behle, stellvertretende Vorsitzende von Verdi. „Die Verkehrswende wird es nur mit mehr Beschäftigten im ÖPNV geben, und die kann man nur gewinnen, wenn sich die Arbeitsbedingungen verbessern“, ist Behle überzeugt. Rund 130.000 MitarbeiterInnen sind laut Verdi derzeit bundesweit bei öffentlichen Verkehrsunternehmen beschäftigt, etwa die Hälfte von ihnen sind als FahrerIn von Bussen und Bahnen tätig. JedeR Zweite wird bis 2030 in Rente gehen. Im selben Zeitraum soll aber der ÖPNV massiv ausgebaut werden, die Zahl der Fahrgäste soll um 30 Prozent steigen. Das ist zumindest das erklärte Ziel der Bundesregierung. (…) Nach Angaben des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen haben die Betriebe zunehmend Schwierigkeiten, Mitarbeiter zu gewinnen. „Kleine Gehälter und ungünstige Arbeitsbedingungen, das will kein Beschäftigter“, sagt Gewerkschafterin Behle. Löhne und Bedingungen werden in 17 verschiedenen Tarifbezirken ausgehandelt, die Unterschiede zwischen den Regionen sind groß. (…) Auch VertreterInnen der Bewegung Fridays for Future sind überzeugt, dass es ohne bessere Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten im ÖPNV keine Verkehrswende und keine Reduzierung des Co2-Ausstoßes im Verkehr geben wird. „Wer die Abkehr vom Individualverkehr will, muss Alternativen aufbauen“, sagt Rhonda Koch von der Fridays-for-Future-Arbeitsgruppe Gewerkschaftsdialog. (…) Im April will die Gewerkschaft die Kampagne beginnen, die den kommenden Arbeitskampf flankieren soll. Verdi hat zum 1. Juli erstmals die Tarifverträge in allen Bundesländern zum selben Zeitpunkt gekündigt, um bundesweit synchron verhandeln und nötigenfalls streiken zu können. Das verleiht der Gewerkschaft ein hohes Druckpotenzial. „Der ÖPNV ist einer der am besten organisierten Bereiche von Verdi“, sagt Behle. Zwischen 50 und 90 Prozent der Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder. (…) Verdi zieht ausdrücklich auch Streiks in Betracht, um die Forderungen durchzusetzen. „Es wird große Streikaktivitäten geben, wenn sich die Arbeitgeber nicht bewegen“ (…) Für die AktivistInnen von Fridays for Future ist der anstehende Arbeitskampf ein neues Projekt, das ihnen möglicherweise weiteren Schub gibt. In etlichen Städten gibt es Überlegungen, Aktionen der ÖPNV-Beschäftigten lokal zu unterstützen, berichtet Rhonda Koch: „Wir erwägen, für den Juni oder Juli zu einem bundesweiten ‚Verkehrs-Friday‘ aufzurufen.“Artikel von Anja Krüger vom 3. März 2020 bei der taz online, siehe dazu noch:
    • Arbeitskampf für Klimaschutz – Gelungene Kombination: Die kommende Tarifrunde für den ÖPNV verbindet die Gewerkschaft mit der Klimakrise
      “Was für ein geschickter Schachzug: Bei der kommenden Tarifrunde von Verdi für die Beschäftigten im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) verbindet die Gewerkschaft erstmals deren Lage mit einem höchst aktuellen allgemeinpolitischen Thema: der Klimakrise. Der Gedanke der GewerkschafterInnen ist richtig. Wer eine ökologische Verkehrswende und deshalb viel mehr Busse und Bahnen als heute haben will, muss auch dafür sorgen, dass es genug Menschen gibt, die die Fahrzeuge fahren. Dazu müssen Löhne und Arbeitsbedingungen erheblich besser werden, als sie es heute sind. Verdi will aus diesem urgewerkschaftlichen Thema ein gesellschaftliches machen – und liegt damit genau richtig. Denn wer etwas gegen die Klimakrise unternehmen will, muss den Autoverkehr eindämmen und den öffentlichen Verkehr attraktiver machen – für NutzerInnen und Beschäftigte. Die Strategie der GewerkschafterInnen ist vielversprechend. Sie suchen den Schulterschluss mit AkteurInnen wie den SchülerInnen von Fridays for Future, die das Anliegen-Dreieck Klimaschutz – Verkehrswende – gute Ar­beits­bedingungen zu ihrem eigenen machen. Der Zeitpunkt ist günstig, nicht nur, weil die Klimakrise zurzeit viel Aufmerksamkeit genießt. Zum ersten Mal ist die Gewerkschaft bundesweit im ÖPNV streikfähig, weil sie es geschafft hat, alle Manteltarifverträge gleichzeitig zu kündigen. Das gibt Verdi neue Macht und ein Mobilisierungspotenzial, das die Gewerkschaft für die AktivistInnen aus der Klimabewegung interessant macht…”Kommentar von Anja Krüger vom 3. März 2020 bei der taz online 
  • ÖPNV – Klassenkampf und Klimaschutz: »Wir haben großes vor!« 
    Damit die Klimabewegung gewinnen kann, muss sie sich auch auf die Macht der Beschäftigten stützen. Warum die bundesweite Tarifbewegung 2020 im ÖPNV die ideale Gelegenheit dazu ist, erklärt Mira Ball von ver.di (…) Einerseits häufen sich Verlautbarungen, insbesondere aus der Bundespolitik, wie die Ankündigung von Modellprojekten zum kostenlosen ÖPNV oder die Forderung, alle Busflotten zu elektrifizieren. Andererseits geht man überhaupt nicht auf die Situation in den Betrieben und die Lage der Beschäftigten ein. Der ÖPNV ist kommunale Aufgabe und seit der Öffnung des europäischen Marktes vor über 15 Jahren einem rigiden Spardiktat unterworfen. Da ein großer Teil der Betriebsanlagen und Gleisanlagen aus den 1970er und 80er Jahren stammt, ist ein Sanierungsstau von etwa 6 Milliarden Euro entstanden. Zugleich haben sich Bund und Länder aus der Finanzierung zurückgezogen. Die Unterfinanzierung ist ein Thema, auf das ver.di und die Betriebs- und Personalräte seit Jahren öffentlich hinweisen. Zudem ist natürlich beim Personal gespart worden. Während die Anzahl der Fahrgäste seit dem Jahr 2000 um 24 Prozent gestiegen ist, arbeiten nun 18 Prozent weniger Beschäftigte im ÖPNV. (…) Mit der »Kasseler Erklärung« machen die Betriebs- und Personalräte klar, dass der ÖPNV einen ganz bedeutenden Anteil an der notwendigen Reduzierung der CO2–Emissionen haben muss. Damit der ÖPNV Teil der Lösung sein kann, müssen jedoch auch die bestehenden Probleme ernsthaft angegangen werden. Wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur und neue Fahrzeuge, einen ernst gemeinten Ausbau und vor allem eine solide Finanzierung des Betriebes sowie wieder deutlich mehr Geld für das Personal. Solange das nicht Teil der politischen Debatte ist, sind alle Anforderungen und Ankündigungen das Papier nicht wert auf dem sie stehen. (…) [Frage: Im Juni 2020 werden nun bundesweit alle Tarifverträge im Nahverkehr gekündigt und neu verhandelt. Damit ist es ver.di gelungen, aus einem Flickenteppich mit unterschiedlichen Laufzeiten eine Vereinheitlichung zu erreichen, um bundesweit koordiniert in Tarifverhandlungen zu treten. Welche Beschäftigten sind alles betroffen?] Die Tarifbewegung umfasst alle 87.900 Beschäftigten der öffentlichen Verkehrsunternehmen in allen 16 Bundesländern. Die Fahrerinnen und Fahrer stehen zwar besonders im Fokus der öffentlichen Wahrnehmung, aber in den Unternehmen arbeiten auch Zehntausende in Werkstätten, Verwaltung und Service. Sie alle zusammen befördern täglich über 13 Millionen Fahrgäste. Ein gemeinsames Vorgehen in diesem Umfang hat es im ÖPNV seit über zwei Jahrzehnten nicht gegeben. (…) Sie haben unter dem Motto »Klima schützen heißt ÖPNV unterstützen« auch das Thema gute Arbeitsbedingungen aufgenommen und die Voraussetzungen für kostenlosen ÖPNV klar benannt. Am Tag des Klimastreiks sind sie in die Busse und Straßenbahnen gegangen und haben den Fahrerinnen und Fahrern für ihren Beitrag zum Klimaschutz gedankt. Das kam irre gut an. Genauso wie die Rede von Fridays for Future auf dem ver.di-Bundeskongress im September. Und gerade angesichts der Enttäuschungen des Klimapakets, das weder Anreize zum Umstieg in den ÖPNV noch ernsthafte Lösungen für die aktuellen Probleme im Nahverkehr beinhaltet, werden wir gemeinsam an diesem Thema weiterarbeiten. Es geht um unsere gemeinsame Zukunft, wie wir leben und arbeiten wollen. Das ist nicht zu trennen.“Interview von Martin Haller mit Mira Ball vom 14.11.2019 bei Marx21, Mira Ball ist Leiterin der Fachgruppe Busse und Bahnen bei ver.di im Fachbereich Verkehr, siehe dazu im LabourNet Germany Kasseler Erklärung von Betriebs- und Personalräten aus 110 Nahverkehrsunternehmen: Öffentlicher Personennahverkehr als unverzichtbarer Bestandteil einer nachhaltigen Klimapolitik
  • Ausblick auf die Tarifrunde 2020 im Nahverkehr im Artikel von Michael Heldt in der Soz Nr. 09/2019“… Ganz neu könnten sich die Karten 2020 mischen. Am 30.Juni 2020 werden bundesweit alle Tarifverträge im Nahverkehr (TVN) gekündigt und neu verhandelt. Damit ist es Ver.di gelungen, aus einem Flickenteppich mit unterschiedlichen Laufzeiten eine Vereinheitlichung zu erreichen, um bundesweit koordiniert in Tarifverhandlungen zu treten. Es soll dabei nicht nur um mehr Geld, sondern auch um wesentliche Entlastungen für die Beschäftigten im ÖPNV gehen. Dass Fahrpersonal fehlt, ist schon lange bekannt. Ohne Personal wird es keinen Ausbau des ÖPNV geben. Aber ohne Verbesserung der Arbeitsbedingungen auch nicht mehr Personal. Die Interessen von Nutzern und Fahrerinnen sind daher in diesem Punkt identisch und bieten zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine klassenorientierte Verkehrspolitik. Im Juni 2019 verabschiedeten 110 Betriebs- und Personalräte aus Nahverkehrsunternehmen die «Kassler Erklärung» zu Klimaschutz und Arbeitsbedingungen. Hier fordern sie umfassende Investitionen in Personal und Ausbau, energieeffiziente und emissionsfreie Fahrzeugflotten sowie eine solide Finanzierung. Dem Nulltarif für alle stehen sie offen gegenüber, spürbar ist jedoch die Sorge, dass dieser auf dem Rücken der Beschäftigten finanziert wird. Beim Punkt Finanzierung wird vor allem darauf hingewiesen, dass die Kommunen die Kosten nicht allein stemmen können, dafür müssen auch die Unternehmen besteuert werden. Das ist sehr zu begrüßen und sehr viel progressiver als die Defensivforderung nach einer Bürgerumlage. Die Tarifrunde wird Klima- und Klassenpolitik, öffentliche Daseinsvorsorge und gesellschaftliche Fragen miteinander verbinden.”

Quelle: labournet.de… vom 24. Juli 2020

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