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Neue Angriffswelle der Sparpolitik im Kanton Zürich

Eingereicht on 18. Dezember 2015 – 9:28

Die Regierung des Kantons Zürich plant für 2016 ein umfassendes Sparprogramm in Millionenhöhe durchzusetzen. Besonders stark betroffen sind die Bereiche Bildung und Gesundheit.

Da gerade der Bildungssektor in den letzten 20 Jahren am stärksten von der Abbaupolitik des Kantons betroffen war, zeigen sich nun bei Schüler*innen, Studierenden und beim Lehrpersonal Ansätze von Widerstand. Ein erster Protesttag wird am 13. Januar 2016 stattfinden.

Mit der Vorstellung des Konsolidierten Entwicklungs- und Finanzplans (KEF) 2016 – 2019 sowie des Budgetentwurfs für 2016 am 18. September 2015 präsentierte der Zürcher Regierungsrat im mittelfristigen Ausgleich der Erfolgsrechnung 2012-2019 ein kumuliertes Minus in der Höhe von 1,814 Milliarden Franken. Gemäss dem Finanzhaushaltgesetz des Kantons ist der Regierungsrat in einer solchen Situation dazu gezwungen, die Rechnung bis zum Ablauf des KEF wieder auszugleichen. In seiner Medienmitteilung vom 18. September 2015 schreibt der Regierungsrat: „Wird der Ausgleich verfehlt, muss der Regierungsrat gemäss Gesetz die Ausgabenbedürfnisse überprüfen und dem Kantonsrat konkrete Massnahmen zur Ausgabensenkung vorschlagen. […] Der Regierungsrat ist dem bereits nachgekommen und hat eine Überprüfung der staatlichen Leistungen angeordnet.“

Diese sogenannte Leistungsüberprüfung – auch gerne „Saldoverbesserung“ genannt – entspricht in Tat und Wahrheit einem ausgiebigen Abbau des Service Public. Insgesamt sollen ab 2016 jährlich 694 Millionen Franken gekürzt werden. Da weder die Auslösung, noch die konkrete Umsetzung der Abbaumassnahmen einfach die unkontrollierbaren Folgen von gesetzlichen Mechanismen sind, sondern einer knallharten Klassenpolitik von oben entsprechen, ist es nicht weiter erstaunlich, dass auch in dieser Abbaurunde die Bereiche Bildung, Gesundheit und Soziales sowie der öffentliche Verkehr am stärksten betroffen sind.[1]

Das „fehlende“ Geld woanders zu holen – z.B. mittels Steuererhöhungen für die Unternehmen und die Reichen –, kommt für den Regierungsrat nicht in Frage. Im KEF 2016 – 2019 wird festgehalten: „Aus standortpolitischen und wirtschaftspolitischen Überlegungen soll auf eine Erhöhung [des Steuerfusses und der Unternehmenssteuern] verzichtet werden. Einerseits soll die gute Position im Steuerwettbewerb nicht gefährdet werden. Andererseits soll den Unternehmen angesichts der Unsicherheiten bezüglich der Unternehmenssteuerreform III und der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung nach der Aufhebung des Euromindestkurses Stabilität signalisiert werden.“

Es ist Zynismus in Reinform, wenn der Regierungsrat in Bezug auf die Unternehmenssteuerreform III, deren Ziel in erster Linie weitere, massive Steuersenkungen für die Unternehmen sind, von „Unsicherheiten für die Unternehmen“ spricht. Zudem kann man wohl nicht deutlicher darlegen, in welchem Interesse man regiert.

Ziele der Unternehmen und der Regierung

Ernst Stocker (SVP), der Finanzdirektor des Kantons Zürich und Präsident des Regierungsrates, ist nicht einfach ein budgettreuer, sparsamer und verantwortungsvoller Regierungsrat, welcher im Interesse der Bevölkerung des Kantons seinen Job ausführt. Die Abbaupolitik des Regierungsrates verfolgt ganz bestimmte Ziele im Sinne der Unternehmen und der herrschenden Kreise.[2]

Steuersenkungen für das Kapital durchsetzen

Der kapitalistische Konkurrenzkampf zwingt die Unternehmen ständig ihre Ausgaben zu „optimieren“, indem sie unter anderem möglichst keine Steuern an den Staat zahlen. Mit bereitwilliger Unterstützung der jeweiligen Regierungen werden Steuersenkungen durchgesetzt, was zu Einnahmeausfällen und schliesslich zu Defiziten in der Staatskasse führt. Die Defizite werden wiederum mittels Abbauprogrammen „ausgeglichen“ und somit auf die lohnabhängige Bevölkerung abgewälzt.

Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit verändern

Sinn und Zweck des Service Public sollte sein, Dienstleitungen unentgeltlich (oder deutlich unter dem Wert angeboten) der Bevölkerung zu Gute kommen zu lassen (z.B. gratis Bildung oder gute medizinische Versorgung). Der Service Public entspricht unserem Soziallohn,[3] ist also ein Lohnanteil, welcher die lohnabhängigen Schichten an die Gesamtheit entrichten. Wenn nun dieser Soziallohn gekürzt – sprich der Service Public abgebaut – wird, entspricht dies de facto einer Lohnkürzung und verschlechtert somit das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit zu Gunsten des Kapitals.

Profitable Anlage- und Investitionsmöglichkeiten schaffen

Der Abbau von öffentlichen Dienstleistungen bedeutet nicht einfach deren Verschwinden. Stattdessen werden sie in der Folge von privaten Unternehmen angeboten. Die Abbaupolitik geht also mit einer Welle von Privatisierungen und Liberalisierungen einher, die zum Ziel haben, neue Märkte zu eröffnen, auf denen Waren angeboten werden können, die wiederum zur Quelle von Profit – für Private – werden. Auch in diesem Sinne sind die laufenden Privatisierungstendenzen im Gesundheitswesen (Spitäler, Spitex etc.) zu verstehen.

Löhne und Arbeitsbedingungen angreifen

Darüber hinaus zielen die Abbauprogramme immer auch auf eine allgemeine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen sowie den Abbau der Löhne ab. Davon betroffen sind längst nicht nur die Staatsangestellten. Das bewusste Ausspielen der Lohnabhängigen im Privatsektor gegen die öffentlich Beschäftigten ermöglicht es, generelle Angriffe auf die Arbeitsbedingungen zu starten und das Kräfteverhältnis generell zu Gunsten des Kapitals zu verschieben.

„Politik der leeren Kassen“

Die Neue Zürcher Zeitung titelte anlässlich der Medienkonferenz des Regierungsrates am 18. September 2015: „Seid besorgt: So etwa könnte man die Botschaft zusammenfassen, die der neue Zürcher Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) der zur jährlichen Budget-Medienkonferenz versammelten Journalistenschar am Freitag [18. September] mit auf den Weg gegeben hat […]. Die NZZ lag mit ihrer Einschätzung wohl nicht ganz falsch, entspricht es doch der gängigen Praxis der Abbaupolitiker, ihre Massnahmen mit einer zur Staatsraison erhobenen ‚Angst vor Defiziten‘ zu rechtfertigen. Abgesehen davon, dass die Kantone systematisch zu pessimistisch budgetieren,[4] geht dabei vergessen, dass öffentliche Defizite tief in der Logik der kapitalistischen Produktionsweise verwurzelt sind. Erstens werden in der kapitalistischen Gesellschaft die Kosten (für Transport, Bildung, Infrastruktur etc.) von der Allgemeinheit getragen. Die Profite hingehen werden von Privaten angeeignet. Zweitens unterliegt die kapitalistische Wirtschaft regelmässigen Schwankungen, was dazu führt, dass in jedem konjunkturellen Abschwung die Kosten für die öffentliche Hand ansteigen (u.a. für Arbeitslosenhilfe) und die Einnahmen sinken (z.B. von Konsum- und Einkommenssteuern). „Gesunde Staatsfinanzen“ kann es demnach aus strukturellen Gründen längerfristig nicht geben.

Zudem werden die öffentlichen Defizite bewusst von denjenigen Kreisen gemacht und in Kauf genommen, welche später wiederum vor ihnen warnen und sie als Begründung für die geplanten Abbaumassnahmen herbeiziehen. Abgesehen von den Steuersenkungen und den permanenten Angriffen auf die Löhne, was logischerweise zu Mindereinahmen für den Staat führt, trägt die typische kapitalistische Krisenhilfe – nämlich die Verluste der privaten Unternehmen zu sozialisieren und von der lohnabhängigen Bevölkerung bezahlen zu lassen – nicht unwesentlich dazu bei, dass Löcher in den Staatskassen entstehen. Das berühmteste Beispiel dieser Art ist dasjenige der Grossbank UBS, welche 2008 mit öffentlichen Geldern gerettet wurde und bis 2015 keine Gewinnsteuern mehr bezahlt hat.

Aber auch die durch Börsenspekulation im Zuge der Finanzkrise 2007/08 ins Wanken geratene Pensionskasse der Zürcher Kantonsangestellten BVK wurde mittels öffentlichen Geldern saniert. Die Sanierungskosten dienen nun wiederum als Rechtfertigung für die aktuellen Abbaumassnahmen. Der Regierungsrat schreibt in der Medienmitteilung vom 18. September 2015: „Hinzu kommt, dass jener Teil der BVK-Einmaleinlage und der BVK-Sanierung, der nicht von der Berechnung ausgenommen worden ist, den mittelfristigen Ausgleich [der Erfolgsrechnung] belastet.“[5]

Abbaupolitik hat im Kanton Zürich Tradition

Wie das Knabenschiessen und das Sechseläuten sind Abbauprogramme bereits zu einer festen Tradition des bürgerlichen Zürichs verkommen. In den letzten 20 Jahren reihten sich Steuergeschenke für Reiche und Steueroptimierungen für Konzerne aneinander. Alleine zwischen 1996 und 2006 wurden Steuersenkungen von insgesamt 1 Milliarde Franken durchgesetzt, die seither jährlich in der Kasse fehlen. Parallel dazu baute der Kanton in derselben Höhe seine öffentlichen Leistungen ab. Mit dem Sanierungsprogramm 2004, dem Massnahmenplan Haushaltsgleichgewicht 2006 (zweiteilig) sowie dem Sanierungsprogramm 2010, welches notabene erst 2014 ausgelaufen ist, wurden die Ausgaben um insgesamt 5,7 Milliarden Franken gekürzt; knapp 2/3 davon in den Bereichen Bildung (1,2 Milliarden), Gesundheit (1,1 Milliarden) und beim Personal (1,1 Milliarden). Dabei hat der Regierungsrat seine Abbaupolitik stetig verfeinert. Während er am Anfang des Jahrtausends noch spezifische Abbaupläne vorlegte und damit den Protest und den Widerstand der betroffenen Abteilungen und Angestellten hervorrief (z.B. die Bewegung gegen den Kahlschlag 2003/2004), befiehlt er heute nur noch Generalkürzungen pro Departement. Die Departementsvorsteher*innen sind danach beauftragt, die Abbaumassnahmen auszuarbeiten und zu konkretisieren. Die gesamthafte Infragestellung der Abbaupolitik gerät dadurch in den Hintergrund und der kollektive Widerstand wird erschwert.

Seit 2001 ist die Abbaupolitik in Form einer Ausgabenbremse auch als Zwang im Gesetz verankert. Beschlüsse für Mehrausgaben bedürfen seither der Zustimmung einer Mehrheit der Mitglieder des kantonalen Parlaments. Der Ausgleich der laufenden Rechnung [Erfolgsrechnung] wird innert etwa acht Jahren verlangt (aktuell bis 2019). Falls dieses Ziel gefährdet ist, muss der Regierungsrat Massnahmen zur dauerhaften Senkung der Ausgaben – sprich ein Abbauprogramm – einleiten, wie es aktuell gerade geschieht.

Perspektiven und Forderungen

Unsere Antwort auf diesen Klassenkampf von oben kann nur in den gemeinsamen Mobilisierungen der Beschäftigten und der Nutzer*innen des Service Public zu finden sein. Die Schüler*innen, die Studierenden und das Lehrpersonal machen mit der Kundgebung am „Tag der Bildung“ am 13. Januar 2016 einen ersten Schritt in diese Richtung. Dabei sollten wir versuchen – ausgehend vom Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit – Forderungen zu entwickeln, die einer allfälligen Mobilisierung gewisse Perspektiven aufzeigen können. Zwei Achsen sind dabei wichtig: Einerseits sollten wir gemeinsam den Ausbau des Service Public fordern (es ist ja unser Lohn!) und wenn immer möglich die Beteiligung und Kontrollmöglichkeiten durch die Beschäftigten und die Nutzer*innen verlangen. Andererseits sollten wir offensiv für eine echte Steuerreform[6] eintreten, um das Kräfteverhältnis auf dieser Ebene zu unseren Gunsten zu verschieben und um uns zurückzuholen, was uns eh gehört!

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[1] Folgende Abbaumassnahmen sind geplant:

– Spitalversorgung im akuten und psychischen Bereich: 258 Mio. Fr.

– Prämienverbilligung: 64 Mio. Fr.

– öffentlicher Verkehr: 134 Mio. Fr.

– Bildungsbereich: 49 Mio. Fr. [Volksschulen 20 Mio. Fr.; Mittelschulen 18 Mio. Fr.; Berufsbildung 11 Mio. Fr.]

– Sozialamt: 54 Mio. Fr.

– Kantonspolizei: 10 Mio. Fr.

– interkantonaler Finanzausgleich: 25 Mio. Fr.

– je 50 Mio. Fr. beim kantonalen Finanzausgleich und bei der Finanzdirektion

[2] Niemand würde es wagen zu sagen, die Verarmungspolitik der Kreditgeber in Griechenland diene den Interessen der dortigen lohnabhängigen Bevölkerung. Genauso stumpfsinnig wäre es zu behaupten, die Abbaupolitik im Kanton Zürich fände im Interesse der Lohnabhängigen statt.

[3] Unser Lohn setzt sich aus drei Teilen zusammen: Dem Lohn, den wir überwiesen bekommen, einem indirekten Lohnanteil, welcher zeitlich verzögert ausbezahlt wird (z.B. AHV-Renten) sowie dem Soziallohn.

[4] Der durchschnittliche Budgetierungsfehler im Kanton Zürich zwischen 1999 und 2014 betrug 5,6%. Siehe: http://www.sgb.ch/publikationen/dossier/artikel/details/dossier-nr-111-fragwuerdige-spar-und-steuerpolitik-in-den-kantonen/

[5] Just zehn Tage später, am 28. September 2015, gab die BVK überdies bekannt den Umwandlungssatz, welcher die Rentenhöhe bestimmt, zu senken, sowie die Beiträge der Versicherten zu erhöhen. In den krassesten Fällen führt dies zu Rentenausfällen von bis zu 26%. Siehe: http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/der-versteckte-rentenschock/story/22197065?track

[6] Eine solche Reform müsste es ermöglichen, die Steuerhinterziehung rigoros zu bekämpfen, Steuerschlupflöcher zu stopfen [u.a. Steuererleichterungen in 2. und 3. Säule, im Stiftungswesen oder den weit verbreiteten Steuererlass für Unternehmen, insbesondere bei Neuansiedlung oder in wirtschaftlichen Notlagen], Kapitalsteuern sowie Erbschaftssteuer zu erheben, generell die Harmonisierung der Steuern auf Schweizer Niveau anzustreben, sowie die Mehrwertsteuer abzuschaffen.

Quelle: www.sozialismus.ch vom 17. Dezember 2015

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