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Die Klassendynamik des Spekulationsbooms an der Wall Street

Eingereicht on 1. Januar 2021 – 14:55

Nick Beams. Am Ende des Jahres 2020 tritt die ganze Klassendynamik und objektive Logik des globalen kapitalistischen Systems schonungslos zutage. Milliarden Menschen auf der ganzen Welt sind mit den katastrophalen Auswirkungen der Corona-Pandemie konfrontiert – der Vernichtung von Millionen Arbeitsplätzen, der Verarmung, in einigen Fällen sogar Hungersnot und der Zerstörung der Zukunft einer ganzen jungen Generation. Aber die herrschende Finanzoligarchie profitiert und streicht Hunderte Milliarden Dollar ein.

Das Jahr endet inmitten des größten Wirtschaftsrückgangs seit der Großen Depression in den 1930er Jahren. Doch die Wall Street, die richtungsweisend für Aktienmärkte auf der ganzen Welt ist, schließt mit einem Rekordhoch.

Als sich die Folgen der Pandemie für die Wirtschaft und Finanzmärkte im März bereits abzeichneten, gab es einen Einbruch an der Wall Street und den internationalen Aktienmärkten. Doch die Federal Reserve und die Regierung in den USA – wie auch die Zentralbanken und Regierungen in anderen Ländern – reagierten umgehend und organisierten die größte Rettungsaktion der Finanzoligarchie in der Geschichte. Über 10 Billionen Dollar wurden in das Finanzsystem gepumpt.

In den USA stellte die Fed der Wall Street quasi einen Blankoscheck aus und verpflichtete sich, alle Formen von Finanzanlagen aufzukaufen, damit die Abschöpfung des gesellschaftlichen Reichtums durch eine kleine Elite ungebremst weitergehen konnte.

Der Aktienindex S&P 500, der die 500 größten börsennotierten US-Konzerne umfasst, ist seit seinem Fall Mitte März wieder um 66 Prozent gestiegen. Aber das zeigt nur einen Teil des Börsenanstiegs, da die Aktien von Dutzenden Unternehmen noch viel schneller gestiegen sind. So stieg der Kurs von Tesla bislang um 691 Prozent. Der Kurs von Power Plug, ein US-Hersteller von Brennstoffzellen, hat um mehr als 1.000 Prozent zugelegt, die Aktie des Softwareunternehmens Zoom Communications um 451 Prozent.

In den USA und Großbritannien haben die Impfungen gegen Covid-19 begonnen, die einen wichtigen Durchbruch im Kampf gegen das Virus an der medizinischen Front bedeuten können. Doch der Impfstart in den USA wird bereits jetzt als „Chaos“ bezeichnet.

Gleichzeitig entsteht eine neue Schicht von Milliardären, die ihr Vermögen dem Aktienanstieg von Unternehmen verdanken, die Impfstoffe entwickeln und anwenden. Der Aktienkurs des Impfstoff-Herstellers Moderna ist um 532 Prozent nach oben geklettert.

Als die Regierungen und Zentralbanken ihre milliardenschweren Rettungspakete schnürten, behaupteten sie, diese außergewöhnlichen Maßnahmen seien notwendig, um die Wirtschaft zu retten. Dieser Betrug ist jetzt entlarvt. Die herrschende Oligarchie sorgte sich nie um die Gesundheit oder das wirtschaftliche Wohl der Masse der Bevölkerung, sondern nur um das der Finanzmärkte.

Folglich wurden keine wirksamen Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie ergriffen, wie etwa die Schließung der nicht systemrelevanten Produktion, die Zahlung voller Löhne für alle Arbeiter und ihre Familien sowie strenge Sicherheitsmaßnahmen in lebensnotwendigen Betrieben, die geöffnet bleiben.

Stattdessen ging die Rettungsaktion mit der mörderischen Back-to-Work-Kampagne und der Politik der so genannten „Herdenimmunität“ einher, um unbedingt zu verhindern, dass die Gewinnung von Mehrwert aus der Arbeiterklasse unterbrochen wird. Damit verbunden war die Normalisierung des Massensterbens, die der New York Times-KolumnistThomas Friedman in dem Satz zusammenfasste: „Die Heilung darf nicht schlimmer als die Krankheit sein.“

Während es für die Geldgeschenke an die Finanzmärkte keine Schranken gibt, werden selbst die dürftigen Hilfen für Arbeiter und ihre Familien in den USA lange diskutiert und verzögert. In anderen Ländern werden jetzt sogar begrenzte Notmaßnahmen zurückgezogen.

Die Großbanken erleben einen Goldregen, weil die US-Notenbank Fed und andere Zentralbanken Geld bereitstellen, um die Unternehmensschulden abzusichern. Die größten Banken weltweit haben fast 125 Milliarden US-Dollar an Gebühren dafür eingestrichen, dass sie Unternehmensschulden abgesichert und neues Eigenkapital bereitgestellt haben. Viele Unternehmen versuchen jetzt, Bargeld zu beschaffen, um die Auswirkungen der Pandemie zu überstehen.

2020 wird als „sehr robustes Jahr für Übernahmegarantien von Schuldtiteln und Aktien“ beschrieben. Das war aber nur möglich, weil man wusste, dass die Fed und andere Zentralbanken bereit sind, mit weiterer Unterstützung einzuspringen, sollte sich dies als notwendig erweisen. Das wurde bereits einkalkuliert. So erwartet das Strategieteam der US-Bank JPMorgan, dass 2021 weitere 5 Billionen Dollar bereitgestellt werden.

Das Versprechen der Fed, alles zu tun, um den weiteren Anstieg an der Wall Street zu ermöglichen, hat eine Spekulationsorgie ausgelöst, und zwar über sogenannten „Margin Debt“, wobei reiche Investoren auf ihre bestehenden Investments Geld bei einem Broker leihen, um weitere Aktien zu kaufen.

Im vergangenen Monat liehen sich Anleger einen Rekordbetrag von 722,1 Milliarden Dollar auf ihre Investmentportfolios und übertrafen damit den bisherigen Höchststand von 668,9 Milliarden Dollar vom Mai 2018. Margin Debt gilt als riskant, denn wenn die Aktienkurse fallen, muss der Anleger dem „Margin-Call“ des Brokers nachkommen, von dem er das Geld geliehen hat, d.h. er muss entweder Bargeld zahlen oder die Aktien verkaufen, die als Kreditsicherheit dienten. Das könnte einen größeren Ausverkauf an der Börse auslösen.

Das Wall Street Journal warnte davor, dass dieser Höchststand „bedrohlich“ sei, weil in den Jahren 2000 und 2008 nach den Rekordzahlen des Margin Debt die Börsencrashs folgten. Aber ungeachtet der Warnzeichen geht die Spekulation weiter, weil die Anleger Grund genug haben, sich darauf zu verlassen, dass die Fed einspringt.

Wie der Chief Global Investment Officer von Guggenheim Partners, Scott Minerd, kürzlich gegenüber der Financial Times kommentierte, habe die Pandemie das Wirtschaftssystem des so genannten „freien Markts“ völlig verändert und durch Zyklen „immer radikalerer monetärer Interventionen“ und einer „Vergesellschaftung des Kreditrisikos“ ersetzt.

Mit anderen Worten: Der kapitalistische Staat, der die Interessen der Finanzoligarchie verteidigt, ist zu deren Garanten und Vermittler bei der Ausplünderung der Gesellschaft geworden.

Die gegenwärtige Gesellschaftsordnung ähnelt in jeder Hinsicht dem Ancien Régime in Frankreich am Vorabend der Revolution von 1789. Konfrontiert mit einer tiefen Krise, die in den unlösbaren Widersprüchen der Wirtschaft wurzelte, war die herrschende Elite damals unfähig zu Reformen und musste hinweggefegt werden, damit die Gesellschaft vorangehen konnte.

Die gegenwärtige Entwicklung hat die objektiven Bedingungen für eine massive Klassenkonfrontation geschaffen. Die Arbeiterklasse wird vor die Aufgabe gestellt, die reaktionäre und überholte kapitalistische Ordnung abzuschaffen und ein sozialistisches System zu errichten, in dem die menschlichen Bedürfnisse und nicht Profit und Gier die Grundlage der Wirtschaftsordnung bilden.

Aber ob dieses Ziel erreicht wird, was notwendig für den Fortschritt der Menschheit ist, hängt davon ab, dass Arbeiter und Jugendliche die Herausforderung annehmen, der revolutionären Partei beitreten und sie aufbauen, um die kommenden Kämpfe zu führen.

#Bild: Aktienhändler an der New Yorker Börse (AP Photo/Richard Drew)

Quelle: wsws.org… vom 1. Januar 2021

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