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Russland: Krise und brutale Verarmung

Eingereicht on 5. Januar 2021 – 12:53

Pierre Lafitte. Die Behörden in den grossen russischen Städten haben angekündigt, dass bei ihnen das Brot für das neue Jahr ausgehen könnte, da die Nachfrage explodiere. Viele Verbraucher kompensieren nämlich den Verzicht auf Obst und Gemüse, Zucker und Fleisch mit Brot, denn die Preise für diese Lebensmittel haben sich innerhalb weniger Monate teilweise verdoppelt, verdreifacht oder sind sogar noch mehr angestiegen. Und das alles vor dem Hintergrund stark sinkender Einkommen.

Die russischen Behörden beziffern den Kaufkraftverlust über ein Jahr auf 4 %. In Wirklichkeit beläuft sich dieser viel höher; 30 % der Russen sagen laut Umfragen, dass sie in Armut leben.

Putin wollte sich kürzlich in einer Fernseh-Talkshow darüber entrüstet zeigen. Er schob die Schuld auf die Bürgermeister und Gouverneure, die die Auslöser dieser Missstände seien. Er befahl ihnen, die Kaufkraft der Bevölkerung zu sichern, indem sie die Preise für bestimmte Lebensmittel deckelten. Infolgedessen ist zum Beispiel preisregulierter Zucker aus den Geschäften verschwunden, wo nur Rohrzucker oder Zucker höherer Qualität zu einem viel höheren Preis zu finden ist, weil er unreguliert ist. Das erinnert an die «Defitsits», jene unauffindbaren Waren, die als Besonderheit des Sowjetregimes dargestellt wurden.

Im Fernsehen sagte Putin nichts über andere Auswirkungen der Krise: die beschleunigte Abwertung des Rubels, die importierte Produkte teurer macht, ohne dass die Löhne nachziehen.

Die globale Krise trifft Russland sichtbar: ein kontinuierlicher Rückgang der Industrieproduktion, ein Rückgang der Erdöl- und Erdgasexporte… Innerhalb weniger Monate befanden sich Millionen von Werktätigen in Industrie und Dienstleistung in Kurzarbeit mit einem lächerlich ungenügenden Lohnausgleich. Viele andere verloren ihre Arbeit ganz und gar. Und der damit einhergehende Einkommensverlust hat ganze Teile der Arbeiterklasse, aber auch des Kleinbürgertums, in die Armut getrieben: Kleingewerbe, freie Berufe und so weiter.

In diesem Zusammenhang häufen sich die Streiks für Lohnerhöhungen oder für die einfache Auszahlung der Löhne, wie es in den 90er Jahren nach dem Zusammenbruch der UdSSR der Fall war.

Innerhalb von zehn Tagen im Dezember führte dies, um nur einige grosse Städte und Unternehmen zu nennen, zu einem Streik der Arbeiter und Arbeiterinnen in einer Automobilfabrik in Novokuznetsk (6 Millionen Rubel Lohnrückstände), in einer Papier- und Kartonfabrik am Ussuri-Fluss (vier Monate unbezahlte Löhne; die Justiz leitete, was nur selten vorkommt, eine Untersuchung gegen den Unternehmer ein), im öffentlichen Nahverkehr in Rybinsk, durch die Arbeiter und Arbeiterinnen in einer Ölförderanlage von Rosneft, das Pflegepersonal in Wladimir, das Personal im medizinischen Notfalldienst in verschiedenen Städten usw.

Um die sich verschlechternde soziale Situation vergessen zu machen, brüsten sich die russischen Behörden damit, dass sie am 4. Dezember als erste in Europa eine Impfkampagne mit ihrem eigenen Impfstoff gestartet haben, Sputnik V.

Abgesehen davon, dass die Wirksamkeit dieses Impfstoffes – selbst vom verbündeten und verpflichteten belarussischen Lukaschenko bezweifelt – immer noch Fragen aufwirft, weiss die Bevölkerung, dass sie angesichts des Virus ohne Hilfe dasteht, monatelang hin- und hergeworfen zwischen den Befehlen und Gegenbefehlen der Unternehmer und der Behörden. Die Epidemie flammt immer weiter auf, so dass die Krankenhäuser, die in den Provinzen, aber auch in der reichsten Region, in Moskau mit seinen 12 Millionen Einwohnern, übervoll sind, oft nicht mehr in der Lage sind, die Kranken aufzunehmen. Ambulanzfahrer und Pflegerinnen prangern dies an… und manchmal kämpfen auch sie um ihre Jobs und Gehälter.

#Bild: Streikende Arbeiter in der Fahrzeugfarik BelAz in Schodsina, Belarus; Quelle: Flugblatt der belarussischen Linken an die Arbeiter

Quelle: lutte-ouvriere.org… vom 5. Januar 2021 ; Übersetzung durch Redaktion maulwuerfe.ch

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