Bundesparteitag von DIE LINKE: Aufbruch wohin?
Basti Linowicz. Es gibt politische Konferenzen, Parteitage oder Kongresse, auf denen entscheidende Beschlüsse gefällt werden mit weitreichenden Folgen, manchmal sogar mit überaus fortschrittlichen, oft auch mit verheerenden für das gesamte Proletariat.
Dann gibt es auf der anderen Seite auch solche, die nicht nur äußerst langweilig und öde sind, sondern deren gesamter Verlauf, das Ergebnis der Wahlen für die unterschiedlichen politischen Ämter und die angenommenen Anträge nichts anderes darstellen als die Fortsetzung der gesamten bisherigen Politik ohne nennenswerte entscheidende Veränderungen und Folgen, schon gar nicht für die Weltpolitik.
Ein solches Ereignis war der aufgrund der Coronapandemie digital abgehaltene, siebente Bundesparteitag der Linkspartei. Auch wenn ständig vom Aufbruch gesprochen wurde, so bleibt doch fraglich, worin dieser bestehen und wohin er führen soll. Mitreißend war die Tagung jedenfalls nicht. Das Aufregendste, das sie zu bieten hatte, dürften die „feschen Jingles“, welche zwischendurch eingespielt wurden, und die zum Entertainment der Livestream-ZuschauerInnen abgestellten Bingo-Ladies im Imbisswagen gewesen sein. Selten waren die verschiedenen politischen Strömungen in solch weitgehend trauter Einigkeit versammelt. Vorbei scheinen die Zeiten, als um Wahlämter ein Flügelkampf entbrannte. So fehlte selbst der Unterhaltungswert früherer Veranstaltungen.
Aufbruch?
Dietmar Bartsch (Fraktionsvorsitzender der PdL im Bundestag) faselte in seiner Rede was von Aufbruch, bedankte sich bei den scheidenden Bundesparteivorsitzenden Kipping und Riexinger und betonte die Erfolge der Partei DIE LINKE vor allem in Thüringen, Bremen und Berlin. Thüringens Erfolg sei bereits das Stellen des linken Ministerpräsidenten Ramelow, Bremen habe als erstes Bundesland kostenlose FFP2-Masken verteilt, in Berlin sei der Mietendeckel ein Erfolg der Linkspartei. Dass bspw. unter dem linken Ministerpräsidenten in Thüringen die Abschieberate doppelt so hoch ist wie im Bundesdurchschnitt [1], dass die Gesundheitssenatorin der Linkspartei in Bremen, Claudia Bernhard, die Streichung von 440 Vollzeitstellen in den kommunalen Kliniken mitverantwortet und begrüßt [2], dass unter Rot-Rot in Berlin ca. 200.000 Wohnungen überhaupt erst privatisiert wurden und DIE LINKE maßgeblich zur katastrophalen Mietlage in Berlin beigetragen hat [3], findet alles keine Erwähnung.
Bartsch will eine Sozialstaatspartei, woran er keinerlei Zweifel lässt. Katja Kipping hat sich in ihrer Rede immerhin positiv auf die Strategie eines solidarischen Lockdowns gegen die Coronapandemie bezogen und betont, dass die Impfstoffpatente freigegeben werden sollten. Ansonsten hat auch sie von einem Aufbruch gesprochen und vom dialektischen Umgang mit Widersprüchen geredet, was wohl eher heißt, dass diese zugunsten der Parteiharmonie und im Zeichen des Pluralismus ausgehalten statt positiv aufgelöst werden sollen.
Riexingers Rede war einfach nur sterbenslangweilig. Das Bemerkenswerteste war noch die Aussage: „Wir wollen bei dieser Bundestagswahl die große Koalition ablösen“. Fragt sich nur, woher die WählerInnen für eine solche Koalition kommen sollen. Die Reden in der Generaldebatte waren, mit einigen wenigen Ausnahmen, zumeist auf einzelne Arbeitsfelder der Partei wie Klima, Militarisierung, Auslandseinsätze und die NATO, Rassismus, AfD usw. beschränkt und eher eine Betonung der Relevanz dieser Themen, als dass sie irgendwelche Kontroversen oder Streitfragen aufwarfen.
Für eine gewisse Polarisierung sorgte der Vorstoß des Parteirechten und sicherheitspolitischen Sprechers der Bundestagsfraktion, Matthias Höhn, der die Partei fit für eine Regierungsbeteiligung machen will und die Aufgabe der Gegnerschaft zur NATO und der Ablehnung von Auslandsinterventionen fordert. So weit will die Linkspartei – jedenfalls offiziell – nicht gehen. Höhn fällt bei den Wahlen zum Parteivorstand ab, was auch manche Parteilinke gern zur friedenspolitischen Großtat verklären. Dabei sollte allen bewusst sein, dass er nur offen aussprach, was die Partei im Falle einer Regierungsbeteiligung tun würde.
Neuer Bundesparteivorsitz – wird jetzt alles anders?
Das nennenswerteste Ereignis war wohl die von allen erwartete Wahl der neuen Bundesparteivorsitzenden Janine Wissler (Fraktionsvorsitzende in Hessen) und Susanne Hennig-Wellsow (Landes- und Fraktionsvorsitzende in Thüringen), womit erstmals das Gremium des Bundesparteivorsitzes rein weiblich besetzt ist. Während Hennig-Wellsow mit 70,5 % gewählt wurde, erhielt Wissler sogar 84 % Ja-Stimmen. Zu den Positionen der neuen Vorsitzenden und warum deren Wahl keinen Richtungswechsel darstellt, wurde in einem anderen Artikel von uns schon viel gesagt [4].
Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass RevolutionärInnen sich keine Illusionen in die Möglichkeit der Umwandlung der Linkspartei von einer verbürgerlichten hin zu einer antikapitalistischen ArbeiterInnenpartei machen sollten. Auch die Wahl von Janine Wissler zur neuen Bundesparteivorsitzenden, die immerhin im zentristisch-trotzkoiden Netzwerk marx21 politisch sozialisiert und bisher zum linken Flügel der Partei gezählt wurde, wird mitnichten eine solche Transformation einleiten oder anstoßen können, geschweige denn, dass sie diese überhaupt beabsichtigt. Der Kampf um einen tatsächlichen Richtungswechsel und für eine antikapitalistische Politik wäre in der Partei nur gegen den Führungsapparat und KandidatInnen wie Hennig-Wellsow zu führen.
Dass Janine Wissler im Zuge ihrer Kandidatur die Mitgliedschaft bei marx21 aufkündigte, legt definitiv nicht die Vermutung nahe, dass sie (oder sonst jemand) ihre Wahl als Startschuss für eine Umwandlung der Partei betrachtet. Während Susanne Hennig-Wellsow sich in ihrer Rede klar für Rot-Rot-Grün und einen Koalitionswahlkampf aussprach, hat Janine Wissler in ihrer Rede die Frage der Regierungsbeteiligung einfach ignoriert. Nun also davon zu sprechen, dass mit der Wahl von Wissler zur Parteivorsitzenden für RevolutionärInnen „big times ahead“ liegen, wie es einige – – z. B. Florian Wilde, wissenschaftlicher Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung –, behaupten, entbehrt jeglicher Grundlage.
Siegeszug der RegierungssozialistInnen
Dass DIE LINKE keine „sozialistische Oppositionspartei“, sondern längst die von Bartsch geforderte Staatspartei ist, lässt sich alsbald nicht ändern (sofern überhaupt). Vielmehr hat der siebente Parteitag die Weichen für den Siegeszug der RegierungssozialistInnen nochmals deutlicher gestellt. Dies geht auch aus dem auf dem Parteitag angenommenen Leitantrag hervor. Auch wenn die dazu angenommenen Änderungsanträge den absolut schwachen ursprünglichen Entwurf etwas linker erscheinen lassen, können diese nicht über den durch und durch staatstragenden, regierungssozialistischen Gesamtcharakter hinwegtäuschen.
Positiv hervorzuheben ist die nun dazugekommene Kritik am Coronamanagement der Bundesregierung, welche in der Erstfassung komplett fehlte, sowie die positive Bezugnahme auf die Strategie eines solidarischen Lockdowns gegen die Coronapandemie, auch wenn diese sehr diffus bleibt.
Gleichzeitig enthält selbst der Leitantrag neben den Reden von Bartsch und Hennig-Wellsow ebenfalls eine eindeutige Positionierung für eine bürgerliche Regierungskoalition, bestehend aus Rot-Rot-Grün. Obwohl diese nach den derzeitigen Umfragen und vor allem angesichts der politischen Ausrichtung von SPD und Grünen absolut unrealistisch ist, wird eine solche Regierungsbeteiligung sogar noch für dieses Jahr nach der Bundestagswahl angekündigt. So heißt es: „DIE LINKE ist die einzige Garantie dafür, dass in unserem Land die Türen für soziale und ökologische Gerechtigkeit aufgestoßen werden und die Unionsparteien nach der Ära Merkel in die Opposition gehen.“ [5].
Bezeichnend für den staatstragenden, verbürgerlichten Charakter ist auch die Forderung nach einem „linken Green New Deal“. Demnach fordert DIE LINKE ein „neues Wohlstandsmodell“, dieses „orientiert sich nicht am BIP oder am Wachstum von Kapital und Profit. Die Maßstäbe für Zufriedenheit und gesellschaftliches Glück sind andere. Dieser neue Wohlstand wird definiert dadurch, wie es um die soziale und ökologische Nachhaltigkeit bestellt ist, dass die Spreizung von Einkommen und Vermögen gering ist, dass es keine prekäre Beschäftigung und Löhne unterhalb der Niedriglohngrenze gibt, dass alle einen garantierten Schutz vor Armut haben, dass der Zugang zu Bildung und beruflichem Aufstieg gleich ist, dass alle gleichermaßen gesunde Lebensbedingungen und die gleichen guten Kommunikationsmöglichkeiten haben, dass es wenig Erschöpfungsdepressionen gibt. Zum neuen Wohlstandsmodell gehört auch ein Zeitwohlstand: ausreichend Zeit für Beziehungen, Familie, Engagement und Erholung für alle. Das neue Wohlstandsmodell erkennt den Schutz und die Entwicklung naturnaher Lebensräume als notwendig und als Wert an sich an.“
Das alles könnte genauso gut so auch 1:1 im Leitantrag der SPD stehen. Vom Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, von der Notwendigkeit der Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, geschweige denn vom Sozialismus ist keine Rede. Dafür hat Riexinger ja schon vom „lustvollen Sozialismus“ geredet, das muss reichen.
DIE LINKE als (Sozial-)Staatspartei
Das wohl meistbenutzte Schlagwort auf dem Parteitag war „Aufbruch“, von dem alle einhellig gesprochen haben. Es sollte von ihm ein „kämpferisches Signal“ zur Bundestagswahl ausgehen. Mit ihren professionellen Jingles, den Bingo-Ladies im Imbisswagen, vor allem aber der in vielen Reden und im Leitantrag bestärkten Orientierung auf die Übernahme von Regierungsverantwortung hat DIE LINKE vor allem eines ausgesendet: nämlich, dass sie endlich auch mit den anderen etablierten Parteien auf Augenhöhe mitspielen möchte im Kampf um aussichtsreiche Regierungsposten.
Während Janine Wissler künftig als linkes Feigenblatt für eine Ausrichtung auf Rot-Rot-Grün, die Mitverwaltung des Kapitals und eine Verteidigung des bürgerlich-kapitalistischen Staates herhalten muss, wurde von der AKL gerade ein Mitglied in den Parteivorstand wiedergewählt. Für alle aufrechten SozialistInnen, die tatsächlich bisher der naiven Überzeugung waren, dass es möglich wäre, durch die Strategie der langfristigen Mitarbeit in einer reformistischen Partei ihren Charakter Schritt für Schritt grundlegend zu ändern, von einer bürgerlichen ArbeiterInnenpartei hin zu einer antikapitalistischen, sozialistischen Oppositionspartei, sollte spätestens dieser Parteitag eigentlich ein Weckruf gewesen sein. Jedoch bleibt zu befürchten, dass einige GenossInnen so tief schlafen, dass selbst das ohrenbetäubende Trommeln der RegierungssozialistInnen diese nicht zu wecken vermag. Wer jetzt immernoch daran festhält, dass DIE LINKE für RevolutionärInnen ein umkämpftes Terrain darstelle und die fortschreitende Verbürgerlichung und Degeneration aufzuhalten sei, hat den Schuss nicht gehört.
Für den Aufbau einer revolutionären ArbeiterInnenpartei!
Der Parteitag hat nochmals verdeutlicht, dass sämtliche Konzeptionen der langfristigen strategischen Mitarbeit von RevolutionärInnen in reformistischen Parteien, ohne die Führung offen herauszufordern und den Bruch mit dem Reformismus zu forcieren, zum Scheitern verurteilt sind. Er hat auch wiederholt offenbart, dass Parolen von einem Richtungswechsel, vom Aufbruch oder gar der Umwandlung der Partei zu einer sozialistischen Oppositionspartei bloße Nebelkerzen sind, die uns nur von den tatsächlich notwendigen Aufgaben ablenken können. Auch wenn es vielleicht verlockend erscheinen mag, in einer reformistischen Partei mit knapp 60.000 Mitgliedern den Ausgangspunkt für den Aufbau einer Kampforganisation der ArbeiterInnenklasse sehen zu wollen, ist es utopisch zu glauben, durch die bloße Mitarbeit von RevolutionärInnen in einer solchen ließe sich ihr Charakter grundlegend wandeln.
Es gibt keine Abkürzungen im Klassenkampf! Daher besteht die dringendste Aufgabe für alle aufrechten SozialistInnen momentan im Aufbau einer revolutionären Partei und einer neuen Internationale. Als RevolutionärInnen müssen wir dort aktiv sein, wo sich die fortschrittlichsten Teile der ArbeiterInnenklasse momentan aufhalten. Es mag durchaus so sein, dass DIE LINKE über eine reale Verankerung innerhalb der ArbeiterInnenklasse und über ehrliche und aufrichtige SozialistInnen verfügt, aber sicher stellt sie zur Zeit nicht den Ort dar, wo diese besonders häufig anzutreffen sind.
Daher müssen wir als RevolutionärInnen an DIE LINKE zwar Forderungen stellen und sie zur Beteiligung am Klassenkampf auffordern, um in diesem die Basis der Partei von einem revolutionären Programm und dem notwendigen Bruch mit der reformistischen Führung zu überzeugen. Es wäre sogar denkbar, dass die Linkspartei in einer Phase des sich zuspitzenden Klassenkampfes zum Anlaufpunkt für sich politisierende und radikalisierende Jugendliche und ArbeiterInnen wird und es dann falsch wäre, nicht in diese Partei einzutreten und zu versuchen, letztere von einem revolutionären Programm zu überzeugen.
Mal davon abgesehen, dass wir uns momentan nicht in einer solchen Situation befinden, ist es auch nicht unumstritten, ob die Massen sich tatsächlich einer Partei anschließen würden, welche selbst in mehreren Landesregierungen und zielgemäß bald auch im Bund für Sozialabbau und Kürzungen, Privatisierungen, Stellenabbau im öffentlichen Dienst, Abschiebungen, Überwachung und Repression verantwortlich ist.
Wir können eine neue kommunistische Partei nicht einfach auf dem Reißbrett entwerfen. Gleichzeitig können wir aber auch nicht in der strategischen Ausrichtung auf eine reformistische Partei unsere Zeit und Ressourcen darin verschwenden in der Hoffnung, dass diese sich von Zauberhand doch noch radikalisiert, sondern müssen den Aufbau einer revolutionären Organisation im Hier und Jetzt mit allen Mitteln vorantreiben.
Endnoten
[1] https://www.fr.de/politik/wir-unterstuetzen-forderung-nach-bleiberecht-alle-11026485.html
[2] https://www.jungewelt.de/artikel/396305.gesundheitspolitik-jobabbau-mit-links.html
[3]https://www.bmgev.de/politik/wohnungspolitik/berliner-wohnungspolitik-die-rot-rote-koalition/
Quelle: arbeiterinnenmacht.de… vom 3. März 2021
Tags: Arbeiterbewegung, Breite Parteien, Covid-19, Deutschland, Service Public, Sozialdemokratie, Strategie
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