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Stoppt den Konfrontationskurs um die Ukraine!

Eingereicht on 3. Juni 2014 – 16:01

Die sogenannte Ukraine-Krise ist Ausdruck einer Verschärfung der imperialistischen Offensive der EU und der USA zur Machtausdehnung in den eurasiatischen Raum. Der Kalte Krieg, der wie die deutsche Offensive im Zweiten Weltkrieg ebenfalls nur vor diesem Ziel zu verstehen ist, findet so quasi seine Fortsetzung, die durchaus offen militärische Formen annehmen könnte.

Die Schweizer Aussenpolitik unterscheidet sich von der Kriegstreiberei der EU , insbesondere Deutschlands und der USA gegen Russland insofern, dass sie sich wie bereits bei früherer Gelegenheit eher zwischen den Fronten zu bewegen sucht. So haben diverse bürgerliche Politiker in den letzten Monaten Russland besucht – etwa die Bundesräte Ueli Maurer (SVP) und Didier Burkhalter (FdP). Und haben dabei vor allem heftige Schelte von Seiten der parlamentarischen Linken eingehandelt, die eher dem Konfrontationskurs der EU folgen.

In den letzten Jahren hat sich der Aussenhandel mit Russland, insbesondere die Exporte weit überdurchschnittlich entwickelt; dieser hat sich in de letzten 20 Jahren verzehnfacht. Auch die ausländischen Direktinvestitionen der Schweiz in Russland sind weit über dem Durchschnitt gewachsen, auch wenn sie sich noch im unteren Prozentbereich bewegen. Und viele schwerreiche russische Oligarchen haben in der Schweiz eine begeisterte Aufnahme gefunden, zuletzt etwa der in den Medien als Dissident hochgejubelte Michail B. Chodorkowski. Da würden wirtschaftliche Sanktionen gegen Russland, wie sie nun von der EU und den USA angefahren werden, äusserst ungelegen kommen! Dies hinderte natürlich nicht, im Vorfeld der knapp gescheiterten Abstimmung über die Beschaffung von Kampfflugzeugen am 18. Mai 2014 auf der Welle der Kriegshetze gegen Putin und Russland mitzureiten. Vergeblich, zum Glück!

Siehe auch die Beiträge Für eine unabhängige Arbeiterbewegung! Für eine befreite Ukraine! und Leo Trotzki : Die ukrainische Frage auf dieser Web-Seite. Wir publizieren hier eine Stellungnahme der Koordination der isl (internationale sozialistische linke) (Redaktion maulwuerfe.ch)

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1. In der Ukraine drohen ein Bürgerkrieg und die Spaltung des Landes. Es rasen zwei Züge aufeinander zu: der Expansionskurs der Nato und die Freihandelspolitik der EU nach Osten und der Versuch Russlands, Teile der früheren Sowjetunion in eine eurasische Zone unter russischer Vorherrschaft zurückzuholen.

2. Die Ukraine wurde erst 1991 unabhängig und ist von zahlreichen historischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Trennungslinien durchzogen. Bis zum Zweiten Weltkrieg wurde der damals zu Polen gehörende Westen von polnischen Großgrundbesitzern ausgebeutet, während der Osten in den 1930er Jahren stark unter der stalinistischen Zwangskollektivierung mit Millionen von Todesopfern zu leiden hatte. Nach dem Krieg wurden im Osten sowjetische Schwer- und Militärindustrien errichtet; im Gegensatz zum agrarischen Westen gibt es hier eine starke Arbeiterschaft, deren Einkommen im Schnitt doppelt so hoch liegt wie im Westen, auch wenn Teile dieser Industrien heute daniederliegen.

Das Ende der Sowjetunion hat zu einem tiefen Wirtschaftseinbruch geführt, von dem sich die Ukraine, die von etwa 100 Oligarchen beherrscht wird, bis heute nicht erholt hat. Ihr Bruttoinlandsprodukt liegt mit 3200 Dollar pro Kopf bei weniger als einem Drittel des russischen BIP und somit auf dem Niveau eines Dritt-Welt-Landes.

3. Die Proteste auf dem Maidan waren nicht allein vom Wunsch nach stärkerer Annäherung an die EU getrieben, sondern mehr noch von der Auflehnung gegen die Korruptheit des Regimes und gegen Polizeigewalt (vor allem nach dem brutalen Einsatz der Berkut im Dezember und der Verabschiedung der Sondergesetze im Januar) sowie vom Wunsch nach mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Aufgrund ihrer Fähigkeiten im organisierten Straßenkampf spielten ultranationalistische bis faschistische Verbände wie der „Rechte Sektor“ bei der Verteidigung des Maidan gegen die  Angriffe der Sonderpolizei von Janukowitsch eine herausragende Rolle. Es gelang ihnen, das so erworbene Ansehen im Zuge der Eskalation der Auseinandersetzungen in eine politische Führungsrolle umzumünzen. Svoboda und der „Rechte Sektor“ konnten sich dadurch auch in der neu gebildeten Übergangsregierung wichtige Positionen sichern.

Diese Regierung hat sofort einen aggressiven antirussischen Kurs eingeschlagen und den politischen Teil des EUAssoziierungsabkommens sowie einen Kreditvertrag unterzeichnet, der ein hartes Sparprogramm, umfangreiche Privatisierungen und die Abwicklung der Schwerindustrie im Osten impliziert. Die Oligarchenherrschaft wurde nicht beendet, im Gegenteil, sie ist drückender als zuvor.

Die Bevölkerung im Osten und Südosten des Landes hat dies zu Recht als einen Generalangriff auf ihre Arbeitsplätze und auf die Rechte der russischsprachigen Minderheit verstanden; die Aufmärsche des Rechten Sektors und der Konfrontationskurs der neuen Regierung haben bei ihr Ängste und Empörung ausgelöst, diese stellt für sie eine schwere Bedrohung dar und sie erkennt ihre Legitimität nicht an. Aber auch auf Seiten der Aufständischen im Südosten sind nationalistische bis separatistische, in diesem Fall pro-russische, Kräfte tonangebend.

Obwohl das von Westeuropa aus schwer zu beurteilen ist, so scheint es doch, dass nach wie vor beträchtliche Teile der Bevölkerung im Südosten der Ukraine einen Verbleib in der Ukraine wünschen.

4. Die Westmächte tragen die Hauptverantwortung für die entstandene Situation. Sie haben frühzeitig ihr Versprechen gebrochen, im Gegenzug zur Anerkennung der deutschen Wiedervereinigung die Nato nicht nach Osten auszudehnen, haben große Teile der früheren Sowjetrepubliken militärisch und ökonomisch ihrem Einflussbereich angegliedert und die Ukraine mit dem Drängen auf die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der EU in die Situation getrieben, sich zwischen Russland und dem Westen zu entscheiden.

Westliche Regierungen, auch die Bundesregierung, haben auf dem Maidan offen die nationalistischen Kräfte unterstützt und die Swoboda-Partei hofiert. Die neue ukrainische Regierung ist inzwischen von den Krediten der EU und des IWF abhängig und wird von der Nato militärisch aufgerüstet, was die Bevölkerung im Ostteil des Landes nur als Bedrohung empfinden kann. Jetzt ist die Lage zum Zerreißen gespannt und die Nato gießt noch Öl ins Feuer, indem sie an den Ostgrenzen der EU Truppen aufmarschieren lässt und die USA mit privaten Söldnern in der Ukraine operieren!

5. Die russische Regierung ist bestrebt, ihren Status als Großmacht um jeden Preis zu verteidigen. Sie interveniert in der Ostukraine hauptsächlich über die Mobilisierung „russischer Kämpfer“, die zumindest teilweise unter dem Kommando russischer Reserveoffiziere stehen und sich zu „Beschützern der russischen Bevölkerung“ aufspielen. Auf diese Intervention allein lässt sich der pro-russische Separatismus jedoch nicht reduzieren. Die Ostukraine wird von einer Schwerindustrie dominiert, die eng mit dem russischen militär-industriellen Komplex verflochten ist. Russisches und ost-ukrainisches Agieren lässt sich deshalb häufig nicht auseinander halten. Putins zynisches Spiel, die Ukraine je nach Interessenlage mit Gas und Öl und mit billigen Krediten zu versorgen oder sie davon abzuschneiden, ist der beste Beweis dafür, dass auch für die russische Regierung die Ukraine nicht mehr als eine Figur auf dem Schachbrett im Spiel zwischen Großmächten ist.

Russland ist keineswegs die antifaschistische Macht, als die es sich gerne darstellt. Unter den Kräften, die im Osten und Südosten öffentliche Gebäude besetzen und sich den Faschisten vom Rechten Sektor entgegenstellen, sind nicht wenige, die selber Mitglieder russischer faschistischer Organisationen waren oder sind und beste Kontakte zum russischen Geheimdienst unterhalten. Faschisten und Ultranationalisten gibt es auf beiden Seiten. Sie führen keinen antifaschistischen Kampf, ebenso wenig wie die Herrschenden im Westteil des Landes keinen Kampf um Rechtsstaatlichkeit führen.

6. Nur eine soziale Bewegung, die sich gegen jeden Nationalismus stellt und stattdessen den zum Himmel schreienden Widerspruch zwischen der übermächtigen superreichen Oligarchie einerseits und der am Hungertuch nagenden lohnabhängigen Bevölkerungsmehrheit andererseits zum Kernpunkt der Auseinandersetzung macht, wird den Problemen in der Ukraine gerecht.

Eine Verbesserung für die ukrainische Bevölkerung könnte nur durch eine breite multiethnische ArbeiterInnenbewegung erreicht werden, die über alle ethnischen, kulturellen und sprachlichen Differenzen hinweg soziale und demokratische Forderungen vertritt.

Die linken Kräfte, die eine solche anti-oligarchische, demokratische und nicht-nationalistische, von beiden Blöcken unabhängige Lösung vorschlagen, sind leider sehr schwach. Es ist eines der Hauptprobleme für die weitere Entwicklung, dass es ihnen bislang nicht gelungen ist, in den Massenprotesten eine führende Rolle zu spielen.

7. In Anbetracht dieser Lage erklären wir:

  • Einmal mehr geht es den Regierungen, wie vor hundert Jahren, um die Aufteilung der Welt. Der Erste Weltkrieg sollte uns lehren, dass Linke nichts zu gewinnen haben, wenn sie sich in diesem Spiel auf eine Seite schlagen. Die Agenda der Arbeiterbewegung und der fortschrittlichen Kräfte muss unabhängig davon sein!
  • Keinen Fußbreit den Faschisten – wo und in wessen Namen sie auch immer auftreten! Eine soziale und politisch fortschrittliche Orientierung können wir auch bei den separatistischen Kräften nicht entdecken. Eine landesweite antifaschistische Bewegung, die explizit antinationalistisch, multiethnisch, antisexistisch und demokratisch auftritt, könnte ein erster Schritt sein, die Vorherrschaft der extremen Rechten zu brechen und Wege zu öffnen für soziale Alternativen.
  • • Weder Berlin, noch Moskau noch Washington! Die Lage der Ukraine zwischen den Blöcken und ihr natürlicher Reichtum eröffnen durchaus die Perspektive, einen eigenständigen Entwicklungspfad einzuschlagen, der das Land wirtschaftlich und außenpolitisch unabhängiger macht. Außenpolitische Neutralität braucht allerdings einen wirtschaftlichen Unterbau; dafür wäre die Abkehr von der fossilen Wirtschaft eine zentrale Voraussetzung.
  • Stoppt Nato und EU! Abzug aller US-Streitkräfte aus Europa! Keine Militärhilfe für die ukrainische Regierung! Verbot aller Rüstungsexporte! Nein zur Militärunion EU!
  • Nein zum Spardiktat! Kündigung der EU-Partnerschaftsprogramme zugunsten von solidarischen Entwicklungsprogrammen, die nicht die Oligarchen und die ausländischen Kapitalinteressen, sondern die Interessen der Bevölkerungsmehrheit bedienen.
  • Unsere Solidarität gehört denen in der Ukraine, die gegen die Herrschaft der Oligarchen, gegen den Ausverkauf des Landes an ausländisches Kapital, gegen Nationalismus, für die Einheit der Ukraine und für deren grundlegende demokratische, soziale und ökologische Erneuerung stehen. Die Forderungen der Linken Opposition, u. a. nach Ausweitung der Arbeiterrechte und Kontrolle des Produktionseigentums durch die Arbeiter und Arbeiterinnen, finden unsere Unterstützung. Die Einheit der arbeitenden Bevölkerung kann nur auf gemeinsamen sozialen und demokratischen Forderungen hergestellt werden, nicht auf nationalistischen oder gar separatistischen.

Köln, 10. Mai 2014

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