Virus at Work: «Wir können uns die Hände nicht waschen.»
Ich mache eine Lehre auf dem Bau. Zu diesem Zeitpunkt arbeite ich auf einer Baustelle mit etwa 25-30 Personen. Durch den nationalen Notstand wurden viele ArbeiterInnen zu Homeoffice verdonnert oder konnten gar nicht mehr arbeiten gehen. Die wirklich Leidtragenden sind die Arbeiter auf dem Bau oder in der Industrie, die nicht zu Hause arbeiten können. Das hat sich auch stark auf die Arbeitsmoral der Arbeiter ausgewirkt. Viele sehen den Sinn nicht, wieso gerade eine Baustelle offen gehalten wird, die keine Dienstleistung, also nichts Essenzielles anbietet. Auch habe ich gemerkt, dass viele sich von den Chefs ausgebeutet fühlen, da auf unsere Gesundheit keine Rücksicht genommen wird. Die Chefs denken nur an ihre Profite oder an die finanziellen Konsequenzen eines Verzugs.
So mussten diese Woche auch Lehrlinge trotz geschlossener Schulen arbeiten, anstatt die Aufträge der Lehrer für zu Hause erledigen zu können. In der letzten Woche hat alles nur noch zugenommen, wir werden immer wütender auf unsere Chefs. Viele hoffen, dass der Vorstoss der UNIA zur Schliessung der Baustelle durchkommt. Wird diese am 20.3.2020 nicht durch den Bundesrat beschlossen, wird das Unverständnis und die Wut nur noch ansteigen. Zudem sind immer mehr Arbeiter positiv auf einen Streik anzusprechen, der aber im jetzigen Stand nicht durch Eigeninitiative passiert, sondern eine Führung braucht
Im Allgemeinen sorgen sich viele Arbeiter um ihre eigene Gesundheit, aber auch um die ihrer Familien, die zu Hause sind. Oftmals fahren in einem Auto mehrere Personen auf die Baustelle, da es nur ein begrenztes Parkplatzangebot hat und die Chefs halt alle in ihrem privaten Auto arbeiten kommen wollen.
Die Vorstellung von Abstand halten ist komplett aus der Luft gegriffen. In den «Znüni»- und Mittagspausen versammeln sich praktisch alle Mitarbeiter in den Baracken, wo es unmöglich ist, 2 Meter Abstand zum Nächsten einzuhalten. Aber auch auf der Baustelle kommen sich die Arbeiter immer näher, zum Teil mit direktem Körperkontakt. Diese Woche bekamen wir auch ein mobiles Pissoir in die Baugrube, da der Weg zum WC-Container (was ein echter Luxus ist) vermutlich zu viel Zeit in Anspruch nimmt. Die Hygiene leidet. Wir können uns die Hände nicht waschen.
Bei mir persönlich richtet sich die Wut vor allem gegen den Bund, der nicht fähig ist konkrete Massnahmen durchzusetzen oder wenn, viel zu spät. Es wird immer versucht alles möglichst lange am Laufen zu halten. Das aber nicht zum wohl der Arbeiter, sondern zu dem der Kapitalisten, dass sie möglichst lange Profit rausschlagen können. Persönlich wurde diese Wut verstärkt, als ich erfuhr, dass der Bund die Lehrlinge im KV vom Betreibungsamt aufgefordert hat, bis Ende April zu Hause zu bleiben. Auf die Frage, wieso sie zu diesem Entschluss kamen, kam die Antwort, dass sie mit dem ÖV ins Büro fahren müssten. So wurde mir praktisch ins Gesicht gesagt, dass ich weniger Wert bin, als jemand, der für den Staat arbeitet. Als ich dieses Thema auf der Baustelle unter den anderen Arbeitern ansprach, waren die Antworten auch so gestimmt, dass sich viele als eine minderwertige Arbeiterschicht fühlen.
Quelle: derfunke.ch… vom 24. März 2020
Tags: Arbeitswelt, Covid-19, Gewerkschaften
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