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G20 – Wer braucht schon Grundrechte?

Eingereicht on 11. Juli 2017 – 19:31

René Schneider. Es war ein gewaltiger Polizeieinsatz. Über 20.000 PolizistInnen, Räumfahrzeuge, Wasserwerfer, SEK, GSG 9, österreichische Polizei, ein eigens hierfür gebautes Gefängnis und Hartmut Dudde als Polizeieinsatzleiter,

der immer wieder wegen seiner brutalen Einsätze vor Gericht landet. Kein Einsatzleiter steht so sehr in der Kritik für sein Vorgehen wie er. Man könnte ihn gewissermaßen den „Al Capone“ der Polizei nennen. Ihn als Einsatzleiter zu bestimmen war eine klare Ansage, dass der Gipfel um jeden Preis stattfinden sollte, ganz egal wie sehr dafür demokratische Rechte beschnitten werden mussten. Er hatte den Auftrag verstanden und auch genauso umgesetzt.

Bereits am Sonntag vor dem Gipfel konnten die Fähigkeiten der Einsatzleitung bestaunt werden. Ein vorhandenes Gerichtsurteil mit aufschiebender Wirkung bis zur nächsten Instanz wird von der Polizei gekonnt ignoriert, um nachts um 22:30 Schlafende mit Knüppeln und Pfefferspray aus ihren Zelten zu holen. Obwohl die Polizei ständig darauf beharrte, dass sich gewalttätige Menschen in diesem Camp versammeln, konnte sie dem Gericht noch nicht einmal irgend eine Art von Gefahrenprognose vorlegen. Es gab also für die Behauptungen die immer wieder wiederholt wurden überhaupt keine Grundlage und auch die Presse wurde ein ums andere Mal dazu belogen. Kirchen, Vereine und der FC St. Pauli öffneten daraufhin für die Protestierenden Camper ihre Tore, Hallen und Säle.

Trotz der Polizeigewalt blieb es die nächsten Tage weitgehend friedlich. Erst die „Welcome to Hell“ Demonstration am Donnerstag nutzte die Polizei für eine weitere rechtswidrige Gewaltorgie. Bereits im Vorfeld vermutete der anwaltliche Notdienst eine gezielte Eskalation durch die Polizei. Ein nicht existenter Auflagenbescheid bei einer solchen Demonstration sagt nichts anderes aus als „ihr lauft ohnehin nicht, deswegen Bedarf es auch keiner Auflagen für euch“. Genauso ist es auch gekommen. Nachdem der Demonstrationszug nach nur wenigen Metern angehalten wurde, kam es zu einem Gespräch zwischen dem örtlichen Einsatzleiter mit dem Anmelder, dass der sogennante Schwarze Block seine Vermummung ablegen solle. Dieser Aufforderungen kamen auch fast alle nach, trotzdem drang die Polizei mit Hundertschaften in die Demo vor. Es gab außer einer einzelnen Flasche keine Eskalation aus der Demonstration heraus. Der Vorsitzende des Bunds kritischer PolizistInnen Thomas Wüppesahl sagte dazu, dass die anschließende Gewalt in Hamburg die Schuld der Polizei war.

Vieles in der Schanze in Hamburg, in der sich der Großteil der Szenen von Freitag auf Samstagnacht abgespielt hatten, ist noch nicht abschließend geklärt. Rechte sollen dabei gewesen sein und viele andere Fragen sind noch offen. Andreas Blechschmidt, als Sprecher der Roten Flora, kritisiert ebenfalls die unpolitischen Ausschreitungen. Gewalt als Selbstzweck kann und darf keine Methode des politischen Handelns sein.

In Hamburg wurden unzählige Fälle von Polizeigewalt gefilmt und gemeldet. Sei es DemonstrantInnen auf Häuserdächern mit Wasserwerfern abzuschießen, einen Anwalt körperlich anzugreifen oder JournalistInnen mit Sturmgewehren zu bedrohen. Auf Seiten der Polizei soll es 476 Verletzte  gegeben haben, davon mindestens 130 durch Reizgas. Wahrscheinlich erfahren wir dann in einigen Tagen wieder, dass die „Reizgas-Verletzten“ durch eigenes Reizgas verletzt wurden, wie es schon häufiger der Fall war. Die Verletzten unter den Demonstrierenden sind nicht zu zählen, diese Zahl dürfte aber deutlich höher liegen als die der verletzten PolizistInnen.

Grundrechte oder Gnadenrechte?

Für die Polizei scheint das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit kein solches zu sein, sondern ein Gnadenrecht für genehme Menschen, bei der die Polizei in Absprache mit der Politik bestimmt, wer genehm ist. Während seit Jahrzehnten, eben auch mit Verweis auf dieses Grundrecht, Nazidemonstrationen durchgeprügelt werden, wurde in Hamburg dieses Grundrecht einfach aufgehoben. Der Notstand wurde erprobt. Natürlich kann man im Anschluss dagegen klagen und wird vor Gericht auch Recht bekommen, aber es ändert nichts daran, dass die Polizeiführung und die Politik sich vorbehält uns Grundrechte nach Gutdünken zu streichen. Ein Schritt in die Richtung zu Stärkung der Rechte der Polizei wurde vor kurzem auch mit der Verschärfung von §113 des Strafgesetzbuchesvorgenommen und so diesem Rechtsbruch Vorschub geleistet.

Es war aber nicht der einzige Fall von ausgehebelten Grundrechten. JournalistInnen berichten über einen Entzug ihrer Akkreditierung. Dort wurde unliebsamen JournalistInnen einfach die Berichterstattung verboten. Außerdem gibt es unzählige Fälle von dokumentierter Polizeigewalt gegen JournalistInnen. Inzwischen haben die öffentlich-rechtlichen Herausgefunden, dass jeder Polizist und jede Polizistin eine Liste mit JournalistInnen bei sich trug, die zu unerwünschten Personen erklärt worden waren. Die freie Presse ist ein ebenso elementarer Pfeiler unseres Grundgesetzes wie die Versammlungsfreiheit. Was passiert wenn wir sie nicht verteidigen, erleben wir Tag für Tag in der Türkei.

Es bleibt abzuwarten ob diese besonderen Eingriffe in die Grundrechte eine perfide Einmalaktion sind oder ob wir uns darauf einstellen müssen, das es zum Standardrepertoire der herrschenden Politik wird. In Hamburg spielt besonders der Rot-Grüne Senat eine sehr unrühmliche Rolle in der gesamten Geschichte. Statt das G20 Treffen zu einem Fest der Demokratie zu machen, wurde ein Paradebeispiel an Einschränkung demokratischer Rechte geliefert. Trump, Erdogan und Putin dürften sich auf jeden Fall wohl gefühlt haben.

Im Fall von Hamburg geht es um nicht weniger als um die so hoch gelobten, demokratischen Grundrechte. Vollkommen zu Recht gibt es Kritik an Staaten wie der Türkei oder Russland, in denen diese grundlegenden Freiheiten nicht oder nur beschränkt existieren. Deswegen ist es umso wichtiger für diese Freiheiten zu kämpfen und die Entwicklung in einen Polizeistaat zu stoppen.

Quelle: diefreiheitsliebe… vom 11. Juli 2017

 

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