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Der nahe Osten vor der Explosion?

Eingereicht on 30. Mai 2018 – 19:49

Das folgende Interview führte Yann Cézard am 9. Februar 2018 mit Gilbert Achcar für l’Anticapitaliste, la revue.

Yann Cézard: Es ist viel von einer Art „Kalter Krieg“ zwischen Iran und Saudi-Arabien die Rede. Wie zeigt sich dies in der Praxis?

Gilbert Achcar: Wenn man unter dem Kalten Krieg einen zugespitzten Antagonismus versteht, wo Saudi Arabien und der Iran im militärisch-politischen Wettbewerb stehen und andere Länder Stellvertreterkriege führen lassen, ohne sich also direkt gegenseitig zu bekriegen, dann ist das der Fall. Das iranische Regime, das aus der „islamischen Revolution“ von 1979 hervorgegangen ist, steht seit seiner Gründung dem saudischen Königreich feindlich gegenüber. Es handelt sich um politisch gegensätzliche Regimes, obwohl beide unter den islamischen Fundamentalismus fallen. Das saudische Königreich ist mit den USA verbunden, während die Islamische Republik Iran aus dem Sturz einer Monarchie geboren wurde und zutiefst antiamerikanisch eingestellt ist. Was diesen Kalten Krieg seit geraumer Zeit anheizt, ist die US-geführte Invasion in den Irak im Jahr 2003, die die Büchse der Pandora geöffnet hat; dadurch konnte der Iran seinen Einfluss im Irak ausdehnen und nachfolgend konsolidieren und damit direkt in einem arabischen Land, das an das saudische Königreich grenzt, Fuß fassen. Bis dahin war die libanesische Hisbollah die wichtigste Stütze des Irans in der Region, aber dies hat die Saudis nicht sonderlich umgetrieben. Die Ausweitung des iranischen Einflusses im Irak hingegen raubt ihnen zunehmend den Schlaf, zumal der iranische Einfluss anlässlich des sogenannten „Arabischen Frühlings“ Auftrieb erfahren hat. Der Iran profitiert von der zweifachen Destabilisierung des arabischen Nahen Ostens, die erstens durch die US-Invasion im Irak und zweitens durch den „Arabischen Frühling“ ein paar Jahre später entstanden ist. Nach der Intervention im Irak ist der Iran seit 2013 in Syrien präsent, sowohl indirekt mit regionalen Ablegern, als auch direkt mit eigenen Militärs. Später kam noch der Jemen hinzu, wo die Huthi von Teheran unterstützt werden, auch wenn die militärische Einflussnahme dort im Vergleich zu Irak und Syrien überschaubar ist. Nicht wenige westliche Kommentatoren halten dies bloß für eine weitere Episode im uralten Antagonismus zwischen Schiiten und Sunniten.

Was hältst Du von dieser „Analyse“?

Dies ist eine typisch „orientalistische“ oder „eurozentristische“ Sichtweise, und zwar im negativen Wortsinn, die einer Logik huldigt, wo alles und jedes auf angeblich ewig währende Kulturen zurückgeführt werden kann. Das ergibt keinen Sinn: Der so genannte Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten spielte in der Regionalpolitik bis zur Invasion in den Irak und dem darauffolgenden Bürgerkrieg ab 2006, der Sunniten und Schiiten als Konfessionsparteien gegeneinander aufbrachte, keine wesentliche Rolle. Tatsache ist jedoch, dass die Saudis, deren offizielle Glaubenslehre zutiefst antischiitisch ist, seit der „Islamischen Revolution“ im Iran konfessionelle Gründe vorgeschoben haben, um die iranische Revolution zu isolieren, wobei sie argumentierten, dass der Chomeinismus eine Spielart des Schiismus sei, der im Widerspruch zum Sunnismus stünde. Die Führer der Islamischen Republik haben ihrerseits natürlich ihre Führungsposition in der schiitischen Glaubenswelt dazu benutzt, ihren Einfluss im arabischen Raum zu mehren. Natürlich galt ihre Intervention im Libanon in erster Linie der Gründung, Bewaffnung und Finanzierung der Hisbollah, aber im Allgemeinen war ihre erklärte offizielle Politik eher panislamisch als schiitisch geprägt. Dabei richteten sie sich eher an die islamische Welt im Ganzen und knüpften enge Beziehungen zu der Muslimbruderschaft, die sunnitisch, aber genauso fundamentalistisch orientiert ist. Besonders angelegen war es ihnen, die Hamas, den palästinensischen Zweig der Muslimbruderschaft, als Pendant zur Hisbollah zu unterstützen. An dieser panislamischen „Außenpolitik“ des Irans störten sich die Saudis, was zu einer Art Überbietungswettbewerb in Sachen Islamismus führte. Doch seit der Invasion des Irak und vor allem seit dem Bürgerkrieg in diesem Land ist es zu einer Eskalation des iranischen Konfessionalismus gekommen, der immer ausschlaggebender geworden ist. Teheran hat seinen Einfluss im Irak ausgebaut, indem er konfessionelle Aspekte in den Vordergrund rückte, was seither zunehmend die Handlungsrichtschnur bestimmt. Das hat natürlich den Konflikt mit den Saudis erheblich angeheizt, die ihrerseits ihre Glaubensrichtung mit Feuer und Schwert zu verbreiten suchen. Dass eine konfessionelle Dynamik dort im Gange ist, lässt sich nicht bestreiten, aber als Erklärung hierfür anzuführen, dass es nun mal Sunniten und Schiiten gibt, schafft keinerlei Klarheit, sondern ist eine Tautologie. Es ist vielmehr ein politischer Prozess, der dem Konflikt diesen konfessionellen Aspekt gegeben hat. Dies gilt für alle historischen Relikte wie dem Konfessionalismus oder dem Tribalismus: Sie sind keine ewig währenden kulturellen Wesensmerkmale, sondern werden konserviert, wieder angefacht und politisch instrumentalisiert. Warum gibt es in Europa keine Kriege zwischen Katholiken und Protestanten mehr, abgesehen von dem Konflikt in Nordirland, wo es sie doch in Europa in der Vergangenheit gegeben hat, und zwar auf besonders blutrünstige Weise? Wenn dieser konfessionelle Faktor momentan im Nahen Osten eine solche Rolle spielt, dann hat dies mit der politischen Geschichte zu tun und nicht mit kulturellen oder religiösen Gründen. Die Ursache des Konflikts liegt nicht in den religiösen Gegensätzen, sondern in ganz profanen Interessenskonflikten.

Worum geht es wirklich bei dem iranischen Expansionsstreben, das Saudis, Ägypter, westliche Regierungen etc. beschwören? Natürlich hat der Iran die Umstände benutzt, um seinen Einfluss im Irak und in Syrien auszubauen, aber wie weit reicht dieser Einfluss tatsächlich und wie weit ist er eine tatsächliche Bedrohung für die Belange Saudi-Arabiens, Israels oder Amerikas?

Die drei von dir genannten Länder sind insofern betroffen, als der iranische Staat eine Politik betreibt, die ihnen gegenüber spinnefeind ist. Zugleich muss man aber auch darauf verweisen, dass der Expansionsdrang des iranischen Regimes ebenso eine Bedrohung für die Menschen in der Region darstellt. Die Konfessionsfrage auf die Spitze zu treiben, führt zu einer explosiven und äußerst gravierenden Lage für alle Länder in der Region. Diese Expansionspolitik wird insbesondere von den Revolutionswächtern betrieben, die im Iran einen Staat innerhalb des Staates bilden: Sie kontrollieren einen großen Teil der Wirtschaft des Landes und sind aufgrund ihrer militärisch-politischen Stärke der bewaffnete Arm des Expansionismus des Regimes. Sie sind es, die im Irak, in Syrien und im Libanon intervenieren, wo sie die auf konfessioneller Basis ausgewählten Truppen beaufsichtigen. Man kann bspw. nicht Mitglied der Hisbollah sein, ohne Schiit zu sein: Insofern ist die Hisbollah eine religiöse Organisation. All dies führt zu äußerst gefährlichen Spaltungen der betroffenen Gesellschaften. Zweifelsohne sind die Saudis nicht viel besser, aber in diesem Fall hebt sich Teherans offensive Expansionspolitik vom Konservatismus der Saudis deutlich ab. Im Gegensatz zum Iran gründen sie keine bewaffneten lokalen Ableger. Selbst in Syrien haben sie Gruppen finanziert und unterstützt, obwohl sie diese nicht vollständig kontrollieren. Das saudische Königreich ist ultrakonservativ und fürchtet die Destabilisierung der Region, was den Iran wiederum nicht abschreckt!

Du meinst, dass die instabile Lage vorwiegend dem Iran nützt und nicht Saudi-Arabien, das eher den Status quo bevorzugt?

Nimm den Libanon als Beispiel: Die Saudis haben dort keine sunnitische Version der Hisbollah aufzubauen und durchzusetzen versucht, obwohl diese das Gewaltmonopol im Libanon innehat. Das saudische Regime ist in sozialer und kultureller Hinsicht sicherlich noch viel reaktionärer als das iranische Regime, aber dieses ist sehr viel aggressiver und expansionistischer und spielt daher eine noch gefährlichere Rolle bei der Konfessionalisierung der Konflikte in der Region. Diese Konfessionalisierung war regelrechtes Gift für den revolutionären Aufschwung des „Arabischen Frühlings“. Dass der trotz aller Versuche, die dortige Gesellschaft zu mobilisieren, nicht auf den Irak überschwappen konnte, lag vor allem an eben dieser konfessionellen Spaltung. Dasselbe gilt für den Libanon. Auch das Regime in Syrien konnte den revolutionären Aufschwung deswegen aufhalten und zurückdrängen, weil es sich der konfessionellen Gegensätze bediente. Diese spielten auch bei der letztlich ausschlaggebenden Unterstützung durch den Iran eine zentrale Rolle, der schiitische Milizen aus dem Irak, dem Libanon und dem Iran selbst zu Hilfe sandte, wobei im Iran zumeist afghanische Flüchtlinge dafür (oft gewaltsam) rekrutiert wurden. Diese Milizen sind ganz wesentlich dafür verantwortlich, dass sich das syrische Regime halten kann.

Wie schätzt du die gegenwärtigen Verhältnisse im Irak ein?

Es wäre wohl übertrieben, ihn als Vasall des Irans zu bezeichnen, aber immerhin ist er mit dem Iran eng verbunden, auch wenn er noch immer Unterstützung seitens der USA erhält. Das ist in der Tat paradox. Zwischen den USA und dem Iran herrscht im Irak seit geraumer Zeit ein ambivalentes Verhältnis, das durch Konkurrenz einerseits und durch Kollaboration andererseits geprägt ist. Die US-Invasion wurde von Anfang an im Einvernehmen mit dem Iran durchgeführt, weswegen sunnitische arabische Nationalisten wie die Baathisten den Iran auch regelmäßig beschuldigen, mit den USA unter einer Decke zu stecken, und sie sich selbst als Opfer einer iranisch-amerikanischen Verschwörung sehen. Es ist eine unbestreitbare Tatsache, dass, als die amerikanischen Truppen in den Irak einmarschierten, sie den vom Iran abhängigen Obersten Rat der Islamischen Revolution im Irak sowie die Dawa-Partei, eine mit dem Iran verbündete schiitisch-konfessionelle Partei, quasi im Gepäck hatten und sie sogar in die Regierung hievten! Inwieweit dies bloß Dummheit seitens der Bush-Administration war, darüber lässt sich streiten, aber Dummheit war zweifelsfrei dabei. Die Mannschaft um Bush selbst hat ein Jahr nach der Invasion erklärt, von einem Abenteurer namens Dschalabi reingelegt worden zu sein. Dieser war ihr wichtigster Stichwortgeber bei dem Einmarsch in den Irak und wurde später beschuldigt, ein iranischer Doppelagent zu sein. Wie dem auch sei, letztlich haben sie den Iran im Irak an die Macht gebracht, notabene zu einer Zeit, als sie mit ihren Truppen noch vor Ort waren. Sie hievten Maliki an die Spitze der Regierung, obwohl gerade er es war, der den im Wiederaufbau befindlichen irakischen Staat deutlich näher an den Iran rückte. Als die USA den Irak 2011 verließen, stand das Land sehr viel mehr unter der Kuratel von Teheran als unter der von Washington. Und als der IS drei Jahre später im Irak seinen Durchbruch schaffte, machten die USA den Rücktritt Malikis, also des Mannes, den sie selbst mit der Regierung betraut hatten, zur Bedingung für ihre erneute Intervention. Sie haben dann erreicht, dass er durch Abadi ersetzt wurde, der zwar neutral auftritt, aber nicht verhindern kann, dass vor Ort die direkt mit dem Iran in Verbindung stehenden Kräfte genauso mächtig sind wie die offizielle Armee, die ihrerseits vom Iran kontrolliert wird. Der Chef der iranischen Revolutionsgarden lässt sich immer mal wieder in der gesamten Region blicken, inspiziert die Truppen und gibt Anweisungen, als wäre der Iran dort die Besatzungsmacht.

Was hältst du von der politischen Linie der USA, wenn man von einer solchen überhaupt sprechen kann angesichts des Chaos, das derzeit in der US-Regierung zu herrschen scheint? Betreiben sie eher eine Nachtrabpolitik gegenüber Saudi-Arabien oder verhält es sich umgekehrt? Verfolgen die USA heute eine kohärente Strategie?

So eine Kakophonie haben wir in Washington noch nie erlebt. Selbst zu Zeiten von Watergate gab es keine solche Kakophonie in der Außenpolitik. Heute haben wir es mit Trump zu tun, dem eine bestimmte Politik vorschwebt, daneben mit dem State Department, der Armee und dem Pentagon, die in vielen Dingen ganz andere Positionen vertreten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Trump hatte Erdogan versprochen, die kurdischen Streitkräfte in Syrien nicht mehr zu unterstützen; das Pentagon hingegen erklärte einen Monat später das genaue Gegenteil. Trump setzte auf engere Beziehungen zu Moskau und eine darauf basierende Politik. So sollte etwa mit russischer Hilfe der Iran aus Syrien herausgedrängt werden, was dann aber nicht funktionierte. Letztlich gab es zu viele Hindernisse für seinen Schmusekurs gegenüber Putin. Zudem setzt das Pentagon seit 2014/15 auf ein Bündnis mit den syrischen Kurden, den Volksverteidigungseinheiten (YPG), eine in seinen Augen ausgezeichnete Wahl – sind sie doch hervorragende Kämpfer. Auf eine Bündnisstruktur unter Einschluss arabischer Streitkräfte, die Demokratischen Kräfte Syriens (engl. SDF), um nicht länger als ausschließlich kurdische Kraft dazustehen. Den SDF war es dann auch zuzuschreiben, dass der Kampf gegen den IS auf syrischem Gebiet gewonnen wurde. Man sieht also, wie kompliziert die Lage dort ist und dass ein „antiimperialistisches“ Lagerdenken (das zudem ausschließlich antiamerikanisch, oft sogar pro-russisch ist), wie es sich in Syrien oder Libyen manifestiert hat, nicht vertretbar ist. Es gibt in der Tat Konstellationen, so ungewöhnlich sie sicherlich sind, in denen die USA, wie heute in Syrien, eine fortschrittliche Kraft in ihrem Kampf gegen einen reaktionären Feind unterstützen. Die YPG sind unbestreitbar die fortschrittlichste Kraft in Syrien, vor allem in der Schlüsselfrage der Frauenemanzipation. Natürlich muss man auch ihre Grenzen sehen und es wäre weit gefehlt, zu glauben, dass die Pariser Kommune (1871) in den syrisch-kurdischen Zonen neu erfunden worden ist. Und dann zeigt sich, dass das Pentagon genau diese Leute zu unterstützen beschlossen hat, was in den Köpfen der „Campisten“ für Verwirrung gesorgt hat, so dass sie jetzt nicht gegen die amerikanische Intervention in Syrien auf die Straße gehen, da sie schwerlich gegen die Kräfte demonstrieren können, die mit der PKK eng verbunden sind, einer Organisation, die sie seit vielen Jahren unterstützen. Es liegt auf der Hand, dass wir den kurdischen Kräften nicht vorwerfen können, dass sie die Unterstützung der USA akzeptiert haben, ohne die sie vom IS zerschlagen worden wären. Kobanê hätte nicht gerettet werden können ohne die amerikanische Luftwaffenunterstützung und den Waffennachschub, den die USA den kurdischen Streitkräften, zum großen Unmut Ankaras, per Fallschirm zukommen ließen. Aber gleichzeitig wäre es reichlich daneben, wenn sich die kurdischen Kräfte zu sehr auf die USA verlassen würden, die sie zweifelsohne früher oder später fallen lassen werden. Es herrscht im Moment eine gewissermaßen symbiotische Beziehung, und es wäre neunmalklug und käme einer Aufforderung zum Selbstmord gleich, den Kurden dies ausgerechnet im Namen des „Antiimperialismus“ zum Vorwurf zu machen. Aber natürlich darf man sich auf derlei Unterstützung nicht verlassen: Washington nutzt die YPG derzeit als Bollwerk nicht nur gegen den IS, sondern auch gegen den Iran. Das Pentagon weiß, dass der Iran wahrscheinlich die Kontrolle über das Gebiet östlich des Euphrats übernehmen würde, wenn es die Kurden jetzt fallen ließe.

Glaubst du, dass der „Kalte Krieg“ aufflackern kann?

Die Konflikte zwischen dem Iran und Saudi-Arabien eskalieren und angesichts der undurchschaubaren Gemengelage unter den Akteuren und den wechselseitigen Spannungen droht die Gefahr einer Gewaltspirale. Die Saudis haben sich die Finger bereits verbrannt: Ihr militärisches Eingreifen im Jemen ist gescheitert und sie haben nur eine gigantische humanitäre Katastrophe angerichtet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich das saudische Königreich in ein militärisches Abenteuer gegen den Iran stürzen wird, im Gegensatz zu anderen Ländern wie Israel oder den USA, wo die Regierung Trump dem Iran spinnefeind ist und sich daher gar nichts ausschließen lässt. Nehmen wir zum Beispiel das jüngste amerikanische Bombardement syrischer Truppen, bei dem etwa 100 Menschen ums Leben kamen. Dies war eine Warnung, die Finger von den Gebieten zu lassen, in denen die USA präsent sind. Die Situation zwischen den Iranern und den US-Amerikanern kann außer Kontrolle geraten. Was die Lage im Moment blockiert, ist die Präsenz Russlands, das nicht von Teheran und noch weniger vom syrischen Regime in eine Konfrontation mit den USA hineingezogen werden will. Aber es bleibt eine explosive Situation, gewiss.

Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Säbelrasseln und den Aufständen im „Arabischen Frühling“ 2011? Der übrigens inzwischen auf den Iran übergegriffen hat, denn obwohl die Demonstrationen zu Beginn des Jahres rasch nachgelassen haben, sind sie dennoch symptomatisch für die dortige Lage. Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Außenpolitik der jeweiligen Akteure und ihren innenpolitischen Problemen?

Natürlich. Es gibt da bereits einen objektiven Zusammenhang: Diese militärischen Abenteuer sind kostspielig, und vor allem der Iran steht, noch viel mehr als die Saudis, vor ernsten wirtschaftlichen Problemen, die einerseits die Folge der Sanktionen und des Ölpreisverfalls sind, andererseits aber auch durch die Expansionspolitik unterhalten werden, die die Regierung auf dem Rücken der Bevölkerung finanziert, indem sie die vom IWF empfohlenen Maßnahmen umsetzt. Denn tatsächlich war der IWF hinzu gebeten worden, die Wirtschaftspolitik im Iran neu aufzustellen. Und es waren eben diese Maßnahmen, die den Volksaufstand, den wir erlebt haben, hervorgerufen haben. Eines der vorrangigen Themen bei diesem Aufstand war die regionale Expansionspolitik, die von einem Teil der Bevölkerung abgelehnt wird. Die Menschen wissen sehr wohl, dass die militärischen Abenteuer des Regimes im Irak, in Syrien und im Libanon sie teuer zu stehen kommen und auf ihre Kosten gehen. Was die Saudis betrifft, so hängen ihre wirtschaftlichen Probleme mit dem Verfall der Ölpreise zusammen, den sie übrigens selbst vorsätzlich im Jahr 2014 ausgelöst haben. Das Königreich ist natürlich viel reicher als der Iran. Mohammed bin Salman, bekannt als MBS, der neue „starke Mann“ in Saudi-Arabien, ist dabei, die Herrschaft einer weitläufigen Königsfamilie im Umfang eines Stammes-Clans in die Hände einer einzigen überschaubaren Familie zu überführen, was eher der monarchischen Tradition entspricht. Mit anderen Worten wird so gewissermaßen die Beteiligung einiger Tausend Personen, die Mitglieder der Nachkommenschaft des Gründers des Königreichs sind, am Staatseigentum abgeschafft und an eine Dynastie übereignet, die auf die Nachkommenschaft von König Salman gründet und zahlenmäßig viel kleiner ist. Zugleich wird die Thronfolge vom Vater auf den Sohn statt von Bruder zu Bruder übertragen. Es ist eine Palastrevolution, im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn MBS an den Traditionen rüttelt (er hat mehrere Mitglieder der weitläufigen Herrscherfamilie verhaften lassen, um sie zu zwingen, dem Staat einen Teil des Vermögens zurückzugeben, das sie dank ihrer Privilegien angehäuft haben), tut er dies keineswegs aus moralischer Rechtschaffenheit, da er selbst viel mehr Dreck am Stecken hat. Doch was dem Einen erlaubt ist, ist dem Anderen noch lange nicht (mehr) erlaubt … und es ist obendrein ein bequemer Weg, um die Staatskassen zu sanieren.

Inwiefern kann die Situation eskalieren? Selbst wenn beide keinen wirklich offenen Krieg wollen … Du hast auch etwas gesagt, das ein wenig überrascht: Die Saudis wären ängstlich und konservativ. Aber aus der Ferne betrachtet, sind sie es, die heute Zwietracht säen, indem sie den libanesischen Premierminister festhalten, den Katar unter Blockade stellen und im Jemen militärisch intervenieren. Du meintest jedoch «im Gegensatz zu Israel und den USA“! Hältst du Netanjahus Politik für abenteuerlich?

Die israelische Politik ist schon seit langem so, insbesondere seit der Invasion in den Libanon im Jahr 1982. Netanjahus Politik mit seinem rechtsextremen Kabinett ist eine Politik am Rande des Abgrunds, eine extremistische Politik, die nur Öl in das Feuer gießt. Diese Politik hat nun in Trump einen Verbündeten gefunden, wie dessen provozierende Haltung zu Jerusalem gezeigt hat. Auf militärischer Ebene ist es, auch im Hinblick auf die innere Lage in Israel, unwahrscheinlich, dass sich das Land in naher Zukunft in eine umfassende Militäroperation stürzen wird. Aber es gibt zu denken, wie häufig sich die israelische Presse über den «kommenden Krieg“ auslässt. In Israel herrscht Besorgnis über das Vordringen des Irans in Syrien. Der Iran ist an der israelisch-libanesischen Grenze durch die Hisbollah präsent und jetzt zunehmend auch an der Grenze zu Syrien. Das ist in der Tat ein Problem für Israel und früher oder später wird die israelische Regierung den Stier bei den Hörnern packen müssen, wenn es den USA nicht gelingt, den Iran aus Syrien herauszudrängen. Vorerst setzen sie auf Russland: Netanjahu (ein großer Freund von Putin) und Trump sind sich darin einig. Aber wann immer es iranische Manöver gibt, die sie als potentiell gefährlich für Israel erachten, führt das israelische Militär Luftangriffe durch. Und das geschieht zwangsläufig im Einvernehmen mit den Russen, da die in Syrien ein leistungsfähiges Flugabwehrsystem installiert haben, das die israelische Luftwaffe bewusst ausspart. Vorerst markiert das israelische Militär sein Territorium und zieht rote Linien. Aber ausschlaggebend wird sein, was mit der iranischen Präsenz in Syrien in der nahen Zukunft passiert. Auf jeden Fall sind alle Beteiligten in dieser hochexplosiven Region in Alarmbereitschaft.

Übersetzung: MiWe

Quelle: inprekorr.de…  vom 29. Mai 2018

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